Irrtum und Starrsinn des Gesetzgebers (und des BGH)

von Ulrich Wackerbarth

1. Irren ist menschlich. Einen erkannten Irrtum nicht zuzugeben, zeugt aber von Starrsinn. Auch der Gesetzgeber kann irren, insbesondere bei der Umsetzung europäischer Richtlinien. Der BGH hat es in der Pressemitteilung zu seiner Entscheidung vom 26.11.2008 ausdrücklich festgehalten. Der Gesetzgeber „wollte“ bei der Abfassung des § 439 Abs. 4 BGB festlegen, dass für die Nutzung einer nach einer Nachlieferung zurückzugewährenden mangelhaften Kaufsache grundsätzlich Nutzungsersatz gem. § 346 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 BGB zu zahlen ist. Und er nahm irrtümlich an, dies sei mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar. Nachdem der EuGH im Backofenfall den deutschen Gesetzgeber mit seiner Entscheidung vom 17.4.2008 über diesen Irrtum aufgeklärt hat (vgl. dazu hier), zeigen er und der BGH sich nun besonders starrköpfig.

2. Für Verbrauchsgüterkäufe hatten der Gesetzgeber und der BGH nach der Entscheidung des EuGH keine Wahl mehr. Der Nutzungsersatz bei Nachlieferung ist für diese Fälle vom Tisch, darüber sind sich beide einig. (vgl. hier und hier)

3. Für sämtliche anderen Verkäufe hingegen will zunächst der BGH offenbar an seiner irrtümlichen  (siehe hier) Annahme festhalten, der Gesetzeswortlaut des § 439 Abs. 4 BGB gebiete eindeutig die Anwendung der Regeln über die Herausgabe von Nutzungen bzw. deren Wertersatz. In der Pressemitteilung ist nach wie vor von einem „eindeutigen Gesetzeswortlaut“ die Rede. Also wird es zur gespaltenen Auslegung des § 439 Abs. 4 BGB kommen: kein Nutzungsersatz bei Verbrauchsgüterkäufen, in allen anderen Fällen (Privatverkauf, Handelskauf) bleibt es bei dem angeblich eindeutigen Gesetzeswortlaut. Auf die ausführliche Begründung des Urteils bin ich gespannt. Denn die Sachargumente für das gegenteilige Verständnis der Vorschrift, die der BGH im Vorlagebeschluss an den EuGH dargestellt hatte, waren nicht auf Fälle des Verbrauchsgüterkaufs beschränkt oder auch nur gemünzt. Vielmehr hatte der BGH in der Vorlageentscheidung ausgeführt:

„Nach der Gegenmeinung soll der Käufer im Falle der Ersatzlieferung nicht zum Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Kaufsache verpflichtet sein … Gemäß § 446 Satz 2 BGB gebühre die Nutzung der Kaufsache von Anfang an dem Käufer, der dafür auch den Kaufpreis gezahlt habe … Anders als im Falle des Rücktritts verbleibe bei einer Ersatzlieferung der Kaufpreis einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen dem Verkäufer… Wollte man einseitig nur den Käufer zur Herausgabe der Nutzungen verpflichten, liefe dies auf eine ungerechtfertigte Besserstellung des schlechtleistenden Verkäufers hinaus. Der Senat teilt die von den Vertretern der Mindermeinung erhobenen Bedenken gegen die einseitige Belastung des Käufers mit einer Verpflichtung zur Herausgabe der Nutzungen der mangelhaften Kaufsache.“

Das hat mit dem Verbrauchsgüterkauf nichts, aber auch gar nichts zu tun.

4. Nicht besser, sondern noch viel schlechter macht es der Gesetzgeber. Er ignoriert einfach vollständig die Argumente des EuGH, des BGH und der vom BGH zitierten zahlreichen Vertreter der Gegenmeinung und rettet den Nutzungsersatz für alle nicht von der Richtlinie erfassten Verkäufe. Der Gesetzesvorschlag ist insoweit eindeutig. Denn er schließt den Nutzungsersatz ausdrücklich nur für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs aus. Damit wird sich, wenn der Vorschlag umgesetzt wird, künftig aus einem Umkehrschluss aus § 474 Abs. 2 BGB n.F. ergeben, dass bei Privat- und Handelskauf im Falle der Nachlieferung der Käufer Nutzungsersatz für die bislang genutzte mangelhafte Kaufsache schuldet. Kein Zweifel, das ist (künftig) Gesetz und man wird daran de lege lata nicht rütteln können, weil nunmehr der gesetzgeberische Wille seinen Niederschlag im Gesetz gefunden haben wird.

Aber gerade das ist ein Beweis für gesetzgeberische Ignoranz: Denn die Abwägung des Gesetzgebers für die Einführung eines Nutzungsersatzes bei Nachlieferung war von Anfang an unhaltbar, vgl. BT-Drucks. 14/6040 vom 14.05.2001, S. 232f.:

„Das rechtfertigt sich daraus, dass der Käufer mit der Nachlieferung eine neue Sache erhält und nicht einzusehen ist, dass er die zurückzugebende Sache in dem Zeitraum davor unentgeltlich nutzen können soll und so noch Vorteile aus der Mangelhaftigkeit ziehen können soll. Von Bedeutung ist die Nutzungsherausgabe ohnehin nur in den Fällen, in denen der Käufer die Sache trotz der Mangelhaftigkeit noch nutzen kann.“

Es finden sich keine Überlegungen zur aufgedrängten Bereicherung des Käufers durch die „neue“ Sache, keine Erwägungen dazu, dass auch der Verkäufer in diesem Zeitraum den Kaufpreis hat nutzen dürfen, keine Berücksichtigung der Tatsache, dass die Nutzungen dem Käufer gem. § 446 BGB von Anfang an zustehen, keine wirkliche Folgenabschätzung, keine Klärung des Verhältnisses zu Fällen, in denen der Verkäufer den Mangel zu vertreten hat (vgl. zu allem nur Kaiser in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 2. Aufl. 2008, Leistungsstörungen E. III. 2.).

Die Argumente des Gesetzgebers bei Schaffung des § 439 Abs. 4 waren eine unvollständige und damit erkennbar mangelhafte Interessenabwägung bzw. lassen eine Abwägung der Interessen beider Seiten gerade vermissen. Man mag dem Gesetzgeber noch zugutehalten, dass bei der Schuldrechtsreform das alles noch nicht überschaubar war. Heute jedoch würde ich keinem Studenten eine solche Argumentation für das vom Gesetzgeber gewollte Verständnis des § 439 Abs. 4 BGB durchgehen lassen. Der Gesetzgeber hätte allen Anlass gehabt, vor dem Hintergrund der – immerhin vom höchsten deutschen Zivilgericht gestützten – Gegenargumente seine Einschätzung noch einmal zu überdenken.

Und ist das geschehen?

Nein, der Rechtsausschuss hat lediglich die unvermeidbaren Konsequenzen aus der EuGH-Entscheidung gezogen und verkündet stolz, nunmehr eine klare Umsetzung der Richtlinie gewährleistet zu haben.

5. Man kann sich nur noch wundern! Wo bleibt der gesunde Menschenverstand? Kann der Gesetzgeber wirklich machen was er will, ohne sich im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative wirklich um eine Interessenabwägung bemühen zu müssen? Es stellt nachdrücklich den Sinn sämtlicher vom BGH zitierter Aufsätze für und gegen den Nutzungsersatz in Frage, wenn den Argumenten mittlerweile überhaupt kein Gehör mehr geschenkt wird. Für die ersten Käufer, die künftig im Rahmen eines Privat- oder Handelskaufs einen Nutzungsersatz zahlen müssen, bleibt nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht.

Eine Reaktion zu “Irrtum und Starrsinn des Gesetzgebers (und des BGH)”

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