Diener zweier Herren

von Ulrich Wackerbarth

Hohenstatt, Seibt und Wagner beschäftigen sich in der aktuellen ZIP mit der Frage der „Einbeziehung von Vorstandsmitgliedern in ergebnisabhängige Vergütungssysteme von Konzernobergesellschaften“ (ZIP 2008, 2289ff.) und besprechen das Urteil des OLG München v. 7.5.2008 (RWE Energie AG). Dieses hatte, gestützt auf den Wortlaut des § 87 Abs. 1 AktG, die Möglichkeit verneint, die Bezüge von Vorständen von Tochtergesellschaften im faktischen Konzern wesentlich am Erfolg der Muttergesellschaft auszurichten, insbesondere wenn die Mutter gleichzeitig Haupt(strom)lieferant für die Tochter ist. Denn es bestehe die Gefahr, dass der Tochtervorstand bei den Verhandlungen über die konzerinternen Rechtsgeschäfte allzusehr die Interessen der Mutter statt die der Tochter im Auge habe, deren Vorstand er nun einmal ist. Schließlich hinge sonst seine eigene Vergütung ganz wesentlich vom Erfolg der Mutter ab. Nachvollziehbar, oder? Die Autoren vertreten demgegenüber eine äußerst konzernfreundliche Haltung zu Managervergütung in Tochtergesellschaften und warnen davor, die Entscheidung des OLG München vorschnell zu verallgemeinern. Die Einbeziehung von Tochter-Vorständen im faktischen Konzern in Aktienprogramme der Mutter sei grundsätzlich zulässig, auch wenn in der Tochter Minderheitsgesellschafter vorhanden seien. Dafür bringen sie eine ganze Reihe an Argumenten, die sich allerdings sämtlich widerlegen lassen. Dies soll im Folgenden geschehen.

1. Wortlaut des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG
Fehl geht das Argument mit dem Wortlaut des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG. In dieser Norm habe der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik die Vergabe von Bezugsrechten an Geschäftsleitungsmitglieder verbundener Unternehmen zugelassen. In der Begründung zu diesem Gesetz gab der Gesetzgeber zwar zu bedenken, dass bei Töchtern mit Minderheitsgesellschaftern genau zu prüfen sei, ob die Motivation ihrer Führungskräfte auf die Wertentwicklung der Mutter zu rechtfertigen sei. Im Tatbestand der Norm findet sich aber keine Einschränkung für solche Fälle. Daraus schließen die Autoren, grundsätzlich sei der Einbezug in ein Aktienprogramm der Mutter zulässig. Angesichts des Regelungszwecks des § 192 AktG (er regelt nur, ob eine bedingte Kapitalerhöhung zulässig ist) ist es keineswegs zwingend, diesen Überlegungen zu folgen. Aber selbst wenn man es täte, so übersehen die Autoren doch, dass die Zulässigkeit der Gewährung von Bezugsrechten auf Aktien der Mutter an Tochtervorstände keineswegs bedeutet, deren Vergütung von dem Erfolg der Mutter abhängig zu machen. Man könnte ihnen z.B. einen Teil ihrer Vergütung in Form von Bezugsrechten durchaus auch für den Fall zusagen, dass sie besonders deutlich den Erfolg d e r   T o c h t e r gesteigert haben. Aus § 192 AktG folgt überhaupt nichts für die Frage, ob die Höhe der variablen Tochtervorstandsvergütung sich am Erfolg der Mutter ausrichten darf. Dies übersieht auch Habersack in seiner Anmerkung zur Entscheidung des OLG München (NZG 2008, 634).

2. Wortlaut des § 87 Abs. 1 AktG
Fehl geht das von den Autoren gegen die Entscheidung des OLG München vorgebrachte Wortlautargument bzgl. § 87 Abs. 1 AktG. Dort ist festgehalten, dass sich die Vergütung u.a. an der „Lage der Gesellschaft“ orientieren muss, also nicht an der „Lage einer anderen Gesellschaft (der Mutter)“. Sie meinen, das Kriterium „Lage der Gesellschaft“ diene in erster Linie der Bestimmung der angemessenen Vergütungshöhe. Aber von Vergütungshöhe steht in § 87 AktG nichts. Und wenn die Autoren „in erster Linie“ schreiben, dann heißt das implizit, dass sich auch die Vergütungsstruktur an der Lage der Gesellschaft auszurichten hat. Also geben die Autoren ungewollt zu, dass das OLG München Recht hat. Die Angemessenheit der Vergütung bezieht sich auch im Übrigen nach h.M. in der Literatur durchaus auch auf die Vergütungsstruktur.

3. Vorstandsdoppelmandate im Konzern
Nett ist die Argumentation mit den Vorstandsdoppelmandaten im Konzern. Diese Doppelmandate sind in § 88 Abs. 1 S. 3 AktG in der Tat nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Ihre Zulässigkeit entspricht auch der h.M. Wenn aber eine Person zugleich Organ in Mutter und Tochter sein darf, so die Autoren weiter, dann unterliegt sie ohnehin einem Interessenkonflikt. Da das Gesetz also einen Interessenkonflikt ohnehin hinnimmt, muss es auch weitere Interessenkonflikte hinnehmen. Also muss für eine Tätigkeit in der Tochter eine Vergütung zulässig sein, die sich am Erfolg der Mutter orientiert.

Diese Argumentation ist schon deshalb abzulehnen, weil Doppelmandate selbst nicht ohne weiteres hinzunehmen sind. Diener zweier Herren kann man nicht sein oder – wie der BGH formuliert – die Treue des Organs einer Aktiengesellschaft ist nicht gut teilbar. Deshalb bedeutet ein Doppelmandat im Konzern von vornherein eine Abbedingung der ungeteilten Treue zur Tochtergesellschaft. Eine solche Umgestaltung der Treue des Tochtervorstands müssen nach richtiger – wenn auch eben leider nicht herrschender – Auffassung die Minderheitsgesellschafter genehmigen. Und damit entfällt auch dieses Argument.

4. Weitere Argumente für eine Vergütung, die auf den Erfolg der Mutter abstellt.
Hohenstatt/Seibt/Wagner meinen ferner, es gäbe auch Vorteile solcher Gestaltungen für die Tochter, die der Aufsichtsrat der Tochter deshalb bei der Festlegung der Vergütung des Tochtervorstands berücksichtigen dürfe oder müsse (S. 2293ff.).

– Vorteil (1) Es gäbe eine finanzielle Entlastung der Tochter, wenn die Mutter das Geld bezahlt (S. 2293). Aber erstens war dies im gegebenen Sachverhalt des OLG München gerade anders. Zahlender war allein die Tochter. Hier dreht sich das Argument bei besonders erfolgreicher Mutter in sein Gegenteil, es erhöht die Belastung für die Tochter. Und zweitens wiegt die Gefahr, dass der Tochtervorstand, der nach dem Erfolg der Mutter bezahlt wird, diese Mutter bei konzerninternen Rechtsgeschäften (Related Party Transactions) weit über den Betrag seiner eigenen Vergütung hinaus begünstigt, den möglichen Vorteil, dass die Mutter ihn dafür direkt entlohnt, gerade nicht auf.

– Vorteil (2) Man bekomme, so die Autoren, evtl. einen besonders tollen Tochtervorstand nicht, weil die Tochter ihn sich nicht leisten kann, die Mutter aber schon und das auch will (S. 2294). Aber das Argument betrifft nur die Vergütungshöhe, und genau diese Vergütungshöhe wollen Hohenstatt/Seibt/Wagner doch aus Ihrer Argumentation heraushalten (vgl. oben 2.) Im Übrigen soll der tolle Tochtervorstand doch gerade den Erfolg der Tochter verbessern, dann kann man ihm doch gerade eine besonders hohe Vergütung für diesen Erfolg einräumen.

– Vorteil (3) Praktikabilität eines Vergütungspakets: Führungskräfte der Mutter, die in verschiedenen Töchtern Vorstandsmandate wahrnehmen sollen, könnten nur durch eine solche Bemessung gleichbehandelt werden (S. 2294). Dieses Argument ist besonders verdreht: Alle Führungskräfte im Konzern müssen gleichbehandelt werden, egal in welcher Gesellschaft sie Organfunktionen ausüben. Wenn die Konzernspitze so eine Politik verfolgte, dann gäbe sie praktisch zu, dass es bei Organfunktionen in Töchtern überhaupt nicht mehr um den Erfolg dieser Töchter geht, sondern einzig und allein darum, möglichst den Kurs der Mutter zu steigern. Die Befürchtungen des OLG München würden so eindrucksvoll bestätigt. Demgegenüber gilt: Tätigkeit bei einem Tochterunternehmen soll den Erfolg dieser Tochter fördern. Wenn diese besonders erfolgreich ist, dann nützt das auch der Mutter. Den ferner genannten Transparenzerwägungen kann der Aufsichtsrat auch ohne Vergütungsbestandteile, die vom Erfolg der Mutter abhängen, gerecht werden.

5. Konzernrechtliche Argumente
Ferner meinen die Autoren, der Ansatz des OLG München verkenne, dass sich der Vorstand eines abhängigen Unternehmens stets in einem immanenten Interessenkonflikt befindet (S. 2294, ähnlich Habersack, NZG 2008, 635). Es verhält sich jedoch gerade andersherum: Das OLG München hat den Interessenkonflikt erkannt und es versucht, ihn zu bekämpfen. Dass § 311 AktG es dem Vorstand gestatte, seine Leitungsbefugnisse auch am Interesse des herrschenden Unternehmens auszurichten (ebenfalls S. 2294) ist ferner falsch. Vielmehr schuldet das herrschende Unternehmen der Tochter bei Nachteilszufügung Nachteilsausgleich oder Schadensersatz. § 311 AktG gestattet auch nach h.M. allenfalls, bis zum Ende des Geschäftsjahres mit dem Nachteilsausgleich abzuwarten. Wenn aber, wie etwa Habersack, NZG 2008, 635 in diesem Zusammenhang meint, nur konkrete Pflichtverstöße dem Nachteilsausgleich zugänglich sind, dann handelt es sich bei der in Frage stehenden Vergütungsregelung um eine dem Nachteilsausgleich nicht zugängliche Beeinflussung bzw. Gefährdung des Tochterwohls, die Habersack an anderer Stelle gerade für verboten hält (Emmerich/Habersack, Kommentar zum Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, § 311 AktG Rn. 9).

6. Vorschläge
Die folgenden Vorschläge der Autoren für eine Obergrenze solcher variablen Vergütungsbestandteile, die sich an dem Erfolg des herrschenden Unternehmens orientieren, (S. 2294ff.) sind allenfalls Empfehlungen an den Gesetzgeber de lege ferenda. De lege lata kann die Frage, ob der Erfolg der Mutter für die Höhe der Vergütung des Tochtervorstands maßgeblich sein darf, nur entweder bejaht oder verneint werden. (1) Soweit an der Tochter keine außenstehenden Gesellschafter beteiligt sind, ist die Frage uneingeschränkt zu bejahen. Bei 100%igen Töchtern oder im Vertragskonzern spricht also nichts gegen eine an dem Erfolg der Mutter orientierte Vergütung des Tochtervorstands, selbst dann nicht, wenn dessen Vergütung sich zu 100% am Börsenkurs der Mutter orientierte. (2) Sobald aber auch nur ein Minderheitsgesellschafter in der Tochter vorhanden ist, darf ohne seine Zustimmung überhaupt nicht auf den Muttererfolg abgestellt werden.

Von den Argumenten in der Stellungnahme der Autoren zum Urteil des OLG München bleibt nach alledem nichts übrig. Immerhin erkennen die Autoren, dass es einen deutlichen Unterschied macht, ob an der Tochter Minderheitsgesellschafter beteiligt sind oder es sich um eine 100%ige Tochter handelt. Das liegt ganz auf der von mir ständig vertretenen Linie.

4 Reaktionen zu “Diener zweier Herren”

  1. RB

    Ich halte Ihre kritischen Ausführungen für zutreffend. Eine Frage, die sich im Anschluß an Ihren letzten Absatz stellt, ist, in welcher Form denn der Minderheitsgesellschafter zustimmen muss? In der Hauptversammlung bei der AG?

  2. D. S.

    Ihre Kritik ist berechtigt. Auch das Argument Vorstandsdoppelmandate ist keines. Anders als bei dem gewählten Doppelvorstand fehlt es bei dem RWE Vergütungsprogramm an einer Pflichtenisolierung. Aufgrund Pflichtenisolierung kann der Doppelvorstand einmal für die Mutter und einmal für die Tochter tätig werden, je nachdem für wen er tätig ist. Eine derartige Trennung gibt es hier aber nicht. Der Vorstand wird bei den Verhandlungen mit RWE deren Interessen dienen bzw. wird durch die Vergütung dazu angestiftet.

    Die Zulässigkeit von Vorstandsdoppelmandaten lässt sich aus dem Gesetz ableiten: Umkehrschluss zu § 88 I 2. Ein solcher Umkehrschluss ergibt sich hier nicht.

  3. Ulrich Wackerbarth

    Danke für den Kommentar. Zu den Vorstandsdoppelmandaten: Ihre Zulässigkeit e contrario § 88 I 2 AktG will ich nicht bestreiten. Aber die Frage ist doch, wie der erforderliche Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrates der Tochter zustandekommt. Und hier kann es nicht angehen, dass der herrschende Aktionär, bei dem der Tochtervorstand das zweite Mandat erhalten soll, auch noch über „seine Leute“ im Aufsichtsrat die Befreiung – zu seinen Gunsten – soll genehmigen können.

  4. Corporate BLawG » Blog Archiv » Kontrollverlust oder: Beiß nie in die Hand, die den Scheck unterschreibt!

    […] Praxis, Tochtervorstände nach dem wirtschaftlichen Erfolg der Mutter zu bezahlen (siehe hier) — Anreize, nicht im Interesse nur der AG zu handeln, sondern im Interesse allein der Mutter. […]