Kapitalmärktchen und kapitale Märchenerzähler

 

von Ulrich Wackerbarth

 

Nach geraumer Zeit sind die ersten ausführlichen Stellungnahmen zum Delisting-Urteil des BVerfG erschienen. Hier ein paar kritische Anmerkungen:

Am klarsten halten es noch Kiefner und Gillessen, „Die Zukunft von „Macrotron” im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG“, in AG 2012, 645 ff. Sie wollen die Macrotron-Regeln nach dem Urteil des BVErfG am liebsten ganz abschaffen. Sie ließen sich aus dem einfachen Recht nicht begründen, was sie dann im Einzelnen durchexerzieren. In die gleiche Kerbe schlägt Bungert, „Das weitere Schicksal der „Macrotron“-Grundsätze zum Delisting nach der Entscheidung des BVerfG“, DB 2012, 2265, nur weniger detailliert. aaO. 2268: Die Minderheitsaktionäre bedürften keines Schutzes. Allerdings lasse die Änderung des § 29 UmwG durch den Gesetzgeber (Macrotron-Regeln anwendbar bei Kaltem Delisting) befürchten, dass der BGH es sich nicht so einfach machen werde. Jedenfalls beim Downlisting könne die Praxis aber aufatmen, es sei nicht zu erwarten, dass der BGH hier noch etwas gegen die Rechtsprechung des KG und des OLG München unternehmen werde. Ihnen allen ist zwar in den meisten Details zuzustimmen. Zum Märchenerzähler werden sie für mich indessen, weil sie sich nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob der Vorstand eine Pflichtverletzung begeht, wenn er ohne Beschluss einen Delisting-Antrag stellt. Insofern erzählen sie nur die halbe Wahrheit. M.E. darf der Vorstand den kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutz nicht quasiautonom durch ein Delisting abschaffen. Was auch immer zur Geschäftsführung durch den Vorstand gehört, eine derartige Kompetenz steht ihm nicht zu.

Kiefner und Gillessen sekundieren Heldt und Royé, „Das Delisting-Urteil des BVerfG aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive“, AG 2012, 660 ff. Diese meinen, es sei empirisch erwiesen, dass ein Delisting für die Aktionäre keine Nachteile mit sich bringe. Den empirischen Untersuchungen — die auf nicht aussagekräftigen Zahlen aufbauen — ist indessen nicht zu trauen. Wie kann man ernsthaft behaupten, der Kurs steige nach Ankündigung eines Delisting, wenn man nur wenige Fälle untersucht, in denen noch dazu ein Macrotron-Angebot gemacht wurde (aaO., S. 668). Ja, wenn eine Prämie auf den Kurs versprochen wird, dann steigt dieser natürlich. Aber hier geht es doch um die Frage, ob ein solches Angebot künftig überhaupt noch gemacht werden muss und welche Folgen es hat, wenn die Macrotron-Regeln nicht gelten!

Wenn man ein größeres Sample (und einen besser funktionierenden Kapitalmarkt als unser deutsches „Kapitalmärktchen“) untersucht, dann sind die empirischen Aussagen recht eindeutig: Delisting oder Going Dark ist schlecht für den Kurs! Siehe hier, auf diese Untersuchung verlasse ich mich jedenfalls lieber als auf die Märchen von Heldt und Royé.

Was der Gesetzgeber nach Auffassung der beiden Autorinnen angeblich „zu erwägen“ hat, liest sich ebenfalls überwiegend wie ein Märchen. Nur ein Beispiel: Der Gesetzgeber würde durch Festschreibung der Macrotron-Regeln das Kapitalmarktrecht geradezu entwerten (aaO., S. 672). Denn dann vertraute er nicht darauf, dass die Informationsvorschriften des WpHG und des WpÜG die Anleger rechtzeitig vor Veränderungen wie dem Delisting warnten. Damit versuchen Heldt/Royé unzulässig, die Schutzvorschriften für Anleger gegen diese selbst zu wenden und dem Gesetzgeber einzureden, er habe schon genug für die Anleger getan. Nein der Gesetzgeber sollte mindestens 2/3 der bei Heldt/Royé aufgeführten „Erwägungen“ lieber nicht anstellen sondern stattdessen erwägen, ob man das DAI noch ernstnehmen kann.

Etwas komplizierter macht es sich Klöhn, „Delisting – Zehn Jahre später“, NZG 2012, 1041: Er will die Macrotron-Rechtsprechung künftig an der Änderung des § 29 Abs. 1 UmwG durch den Gesetzgeber aufhängen, aaO., 1045. Hier hat der Gesetzgeber bekanntlich Macrotron-Pflichten für ein kaltes Delisting durch Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft festgeschrieben. Vor der Änderung dieser Vorschrift, so Klöhn, sei die Macrotron-Rechtsprechung gesetzeswidrig und damit abzulehnen gewesen. Mit seinem Beharren auf die Entscheidung des Gesetzgebers scheint mir Klöhn ebenfalls ein Märchen zu erzählen. Denn zweifelsohne hat der Gesetzgeber mit der Einführung des § 29 Abs. 1 S. 1 Hs 2 UmwG auf die Macrotron-Entscheidung des BGH reagiert und nicht etwa selbst etwas erfunden. Indem Klöhn die Entscheidung des BGH als rechtswidrig (contra legem) ansieht, die Entscheidung des Gesetzgebers in § 29 UmwG hingegen als allein heilbringend, verkennt er, wer hier Roß und wer Reiter war. Da sind mir dann doch diejenigen lieber, die meinen, nach dem BVerfG-Urteil habe der Gesetzgeber nun die Möglichkeit, seinen „Irrtum“ in § 29 UmwG zu korrigieren, so etwa Kiefner/Gillessen, aaO. S. 660 unter 5. a).

Als Erzähler des größten Märchens entpuppt sich Klöhn, wenn er bei einem Downlisting die Reichweite der Macrotron – Regeln einschränken will. Bei einem ausreichenden Handel nach einem Downlisting seien weder HV-Beschluss noch Abfindungsangebot erforderlich. Klöhn macht das am Verständnis des Wörtchens „börsennotiert“ in § 29 UmwG fest, aaO. 1046. Es müsse aus teleologischen Gründen im Sinne von „kapitalmarktnah“ oder „tatsächliche Veräußerungsmöglichkeit existiert noch“ verstanden werden. Abgesehen davon, dass es auf die Verkehrsfähigkeit nach dem Urteil des BVerfG gerade nicht mehr entscheidend ankommen sollte, liefert das keine praktizierbare Abgrenzung. Denn es wird nicht definiert, wann die Börsennotierung in diesem Verständnis endet (und die Macrotron-Regeln anwendbar werden). Die geforderte „tatsächliche Veräußerungsmöglichkeit“ dürfte jeder Inhaber einer Aktie stets haben. Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Indessen kann der Begriff des Delisting nicht von seinen Kursfolgen abhängen, die auch nicht stets vorhersehbar sind. Also wäre mangels Feststellbarkeit des Fehlens der Veräußerungsmöglichkeit nie ein Delisting gegeben. Die „Einschränkung“ der Macrotron-Rechtsprechung wäre dann in Wahrheit ihre Abschaffung. Deshalb muss die entscheidende Grenzlinie exakt bei der Börsennotierung im Sinne des § 3 Abs. 2 AktG liegen, schon weil die zentralen Schutzvorschriften des Kapitalmarktrechts an die Börsennotierung in diesem Sinne anknüpfen. Aber der II. Senat hat ja schon selbst angedeutet, Märchen gegenüber aufgeschlossen zu sein (siehe hier unter 3.).

 

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