Es endete mit einem Knall…

Peng! – Mit einem lauten Knall verabschiedet sich der rechte Vorderreifen unseres Busses. Einfach so, ohne Vorwarnung, geruht er zu platzen. Das heißt, eigentlich hatten wir schon lange damit gerechnet. Auf dem Weg zum Botanischen Institut von Amani waren wir sicher, dass noch vor vollendeter Gipfelstürmung entweder der Auspuff oder ein Reifen das Zeitliche segnen würde. Und spätestens in den Uluguru-Bergen bei Morogoro, auf der Suche nach einer Außenstation der Sokoine University, war es abgemachte Sache, dass neben der Ölwanne auch mindestens ein Reifen den Trip nicht überleben würde. Aber nein, alle Strapazen auf den Pisten des Festlands steckte unser betagter Toyota Coaster fast spielend weg. Erst jetzt, auf Sansibar, mit einem etwas jüngeren Modell gleicher Bauart, fliegt uns ein Reifen um die Ohren – und zwar in dem Augenblick, in dem der Fahrer endgültig am Airport Zanzibar einparkt. Als wolle uns Tansania nun mit einem vernehmlichen Knalleffekt hinauswerfen. Und als solle dies erst geschehen, nachdem unser Programm bis auf den letzten Punkt abgewickelt haben.

Kaum zu glauben, aber bis dahin ist uns dies tatsächlich gelungen, trotz einer Reihe kleinerer und größerer Planungspannung und Abstimmungsschwierigkeiten. Noch heute, an unserem letzten Tag im Lande, kannte der Bildungseifer keine Grenzen. Den Vormittag über begleitete uns Abdul Sheriff, ehemaliger Professor der University of Dar es Salaam und einer der profundesten Kenner der Geschichte Sansibars wie auch des Indischen Ozeans. Nach einleitenden Worten in unserem Hotel, mit Ozeanblick aus dem Fenster der Lounge, führte er uns lebendig und unverdrossen durch die engen Gassen von Stone Town, der Altstadt Sansibars. Nun wissen alle über den Aufbau von Suaheli-Häuser, über die Klimatisierung tropischer Gebäude, über arabische, indische und afrikanische Stilelemente Bescheid. Oder etwa nicht? Für alle, die unterwegs den Überblick verloren haben, gab Abdul Sheriff nach dem Stadtrundgang unserer Filmcrew noch ein ausführliches Interview. Das Ergebnis wird in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft in den Online-Materialien des Lehrgebiets zu bewundern sein.

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Der endgültige Abschied von Tansania geriet dann unspektakulär. Der Fahrer des Busses traf zwar nicht sofort ein, denn er musste noch beten, aber rechtzeitig genug, um uns vor dem großen (Reifen-)Knall rechtzeitig am Flughafen abzuliefern. Zurückgelassen wurden die Filmcrew, die sich noch eine weitere Woche Dreharbeiten gönnte, Andreas Covi, der noch mit seiner Frau auf Safari ging, und Reiseleiter Henrik Lührs, den es nach Nairobi, Entebbe und Dubai zog (dass sein Weg am Ende ganz anders verlief, ist eine andere Geschichte …). Der gesamte Rest jettete nach Addis Abbeba, langweilte sich dort durch die halbe Nacht, flog pannenfrei weiter nach Frankfurt/Main und wurde in der Morgendämmerung an die dortige Gepäckausgabe gespült. Ein letzter Hand-Shake in der Runde. Farewell, see you soon. Schön war’s. Anstrengend war’s. Haben fertig.

 

Türen und Bahnhöfe – landestypisch

Und die Bilanz des Veranstalters? Diese zu ziehen hat jetzt doch ein paar Tage in Anspruch genommen. Der Alltag mit seinen Terminen und Deadlines hatte einen doch viel schneller wieder im Griff als gewünscht. Tja, woran erinnert man sich mit ein wenig Distanz am ehesten? Was bleibt längerfristig haften?

Türen und Bahnhöfe, wäre eine mögliche erste Antwort. Schon während der Fahrt haben sie sich immer wieder als Leitmotive in meine Wahrnehmung gedrängt. Das Thema „Infrastruktur“, das er für eine Filmsequenz vorbereitet, hat meinen Mitstreiter Henrik Lührs immer wieder nach den Bahnhöfen der alten deutschen Eisenbahnlinien fahnden lassen. Bald hatte er die Filmcrew so weit, dass sie bei jedem neuen Ort von sich aus nachfragten, wo denn dort der Bahnhof aufzunehmen wäre. Und so haben wir dann auch eine Reihe von ihnen gesehen auf unserer Reise. Solche, die kaum mehr wiederzuerkennen waren wie die Bergstation der Siggi-Schmalspurbahn in Amani, und solche, die noch ganz schmuck aussehen wie in Muheza und ihren Vorsteher zu Jubelarien über den „deutschen Genius“, der so stabile Bauten in die Usambara-Berge gesetzt hatte, verleitete.

An der Küste waren es dann die handgeschnitzten Türen, das berühmte Wahrzeichen der Suaheli-Kunst, die immer wieder Aufmerksamkeit erregten. Dass die zuständige Referentin, Barbara Traumann, wahrscheinlich die Hälfte der Speicherkarten ihrer Kamera mit solchen Türen füllte, spricht für den Enthusiasmus, mit dem sich FernUni-Studierende an ihre Referatsthemen machen. Nach Sichtung meiner eigenen fotographischen Ausbeute muss ich allerdings feststellen, dass die Begeisterung für handgeschnitzte Hauseingänge abgefärbt haben muss.

„Landestypisch“ ist auch so ein Wort, das in Erinnerung bleiben wird. In den Unterlagen des Reisebüros war unser Toyota-Bus als landestypisch angekündigt, ebenso unsere Hotels. Will man bösartig sein, kann man den zweifelhaften Sitzkomfort im Bus (an den meine Wirbelsäule gerade wieder erinnert) so bezeichnen, oder auch die permanente Unfähigkeit gewisser Kellner, halbwegs stimmige Getränkerechnungen zusammenzustellen. Wir sind aber nicht bösartig, auch wenn wir uns schnell darauf geeinigt hatten, etwaige Unzulänglichkeiten (Achtung: Wessi-Perspektive!) eben als landestypisch zu akzeptieren.

Wirklich landestypsich war jedoch die Freundlichkeit der Menschen, ihre unverwüstliche Entspanntheit (das beste Beispiel: unser Fahrer Dullah nach mehrstündigen Versuchen, steile Bergpisten zu bezwingen), die Offenheit und Bereitschaft tansanischer Kollegen, mit uns über Studium und Geschichte, über Gott und die Welt zu reden, die faszinierenden Überreste alter Kulturen und nicht ganz so alter Kolonialgeschichte, die vielfältige Natur und so manches mehr. Wen stört es da noch, dass wir das eine oder andere Mal über den Tisch gezogen wurden, dass nicht alle feinsäuberliche Planung aus Deutschland in Tansania ein Gegenstück hatte – landestypisch eben.

Noch eine andere Form von Unverwüstlichkeit wird mir lange in Erinnerung bleiben: diejenige unserer Hagener Fernstudierenden. Gerade auf dieser Reise, die in der einen oder anderen Beziehung doch etwas anders war als frühere Exkursionen. Ich will mir für einen Augenblick einbilden, dass man auch aus der Professorenperspektive einen realistischen Eindruck von der Stimmung in der Truppe bekommen kann – und stelle fest, dass diese eigentlich durch die Bank gut war, ja sogar im Laufe der Tour immer besser wurde. In der Hoffnung, dass mir dies niemand in guter postkolonialer Manier als Illusion dekonstruiert, war die Exkursion am Ende offenbar ein voller Erfolg. In diesem Sinne: jederzeit gerne wieder – wir sehen uns in Asien, in Amerika, im Orient, oder doch wieder in Afrika …

 Jürgen G. Nagel

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