§ 30 WpÜG
von Ulrich Wackerbarth
Artikel von Arnold in der AG 2006, S. 567ff. Durch das deutsche Umsetzungsgesetz zur europäischen Übernahmerichtlinie ist die Vorschrift des § 30 Abs. 1 WpÜG radikal vereinfacht worden. Nunmehr werden die von einer einzelnen, zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaft gehaltenen Stimmrechte an einer Zielgesellschaft sämtlichen übrigen Unternehmen der Unternehmensgruppe zugerechnet, d.h. auch zu weiter unten in der Konzernhierarchie stehenden Gesellschaften und zu Schwesterunternehmen, und nicht nur – wie bisher – nach „oben“, d.h. zur Mutter- oder Großmuttergesellschaft.
Arnold meint, die Neuregelung schaffe überflüssige Probleme und gehöre wieder abgeschafft. Zum einen müssten nun bei Kontrollerlangung nicht nur eines der Konzernunternehmen eine sog. Kontrollmitteilung veröffentlichen, sondern jedes einzelne zur Unternehmensgruppe gehörende Unternehmen, Arnold beschwört gar eine „riesige Antragswelle“.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Das Problem besteht in abgeschwächter Weise auch jetzt schon. Die Kontrollmitteilung durch eines der gruppenangehörigen Unternehmen wird letztlich ausreichen, vgl. dazu Schlitt in MünchKommAktG § 35 WpÜG Rn. 108f. Niemand will hunderte Mitteilungen aus der gleichen Unternehmensgruppe und dieses Ziel ist auch nach der Neufassung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 zu erreichen.
Zweitens, so Arnold, könnten jetzt auch innerhalb einer Unternehmensgruppe neu gegründete Unternehmen allein durch die Neugründung in Verbindung mit der Zurechnungsvorschrift angebotspflichtig werden. Zu Recht meint er dann aber, solche Neugründungen könnten sich mindestens auf eine der Befreiungsvorschriften des WpÜG berufen. Klar ist auch, dass Altfälle nicht von der Neuregelung erfaßt werden, so zu Recht Arnold auf S. 569.
Meine Meinung ist: Die Neuregelung des § 30 Abs. 1 beugt vermutlich relativ wirksam bestimmten Strategien der Unternehmen vor. Diese können nunmehr die Schutzvorschriften des WpÜG nicht mehr durch die Gründung einer Dummy-Gesellschaft vermeiden. Die rethorische Frage Arnolds, inwiefern denn Schwestergesellschaften übereinander Kontrolle ausüben können, führt hier nicht weiter. Denn die Zurechnung dient gerade nicht dazu, eine Schwestergesellschaft praktisch zur Abgabe eines Angebots zu zwingen, sondern dazu, die Kontrollverhältnisse und Konzernstrukturen offenzulegen und Transparenz zu schaffen.
Viel spannender ist dagegen die Frage, ob die beiden Parallelvorschriften im WpHG (§ 22) und WpÜG (§ 30) nun noch einheitlich ausgelegt werden können. Bisher sprach dafür viel, wenn auch die Praxis das nicht wahrhaben wollte. Nunmehr enthalten § 22 WpHG und § 30 WpÜG infolge der Neufassung nur des § 30 Abs. 1 WpÜG unterschiedlichen Wortlaut. Eine einheitliche Auslegung läßt sich jetzt wohl nur noch vertreten, wenn man dem Gesetzgeber ein Redaktionsversehen vorwirft. Das erscheint indes naheliegend, denn die Änderung ist erst kurz vor Schluß und damit vermutlich überhastet in das Umsetzungsgesetz eingefügt worden.
Fazit: Viel Wind um nichts…? Dass die Neuregelung zu ausufernden und überflüssigen Meldepflichten führen könnte, vermag ich nach dem Gesagten nicht zu erkennen. Dem praktischen Abhilfevorschlag von Arnold, nämlich nur eine Mitteilung vorzusehen, in der auch nur die in der unmittelbaren Kontrollkette stehenden Unternehmen der Unternehmensgruppe genannt werden, kann ich mich aber auch nicht anschließen. Nur e i n e Mitteilung geht in Ordnung. Es ist aber erforderlich, dass das mitteilende Unternehmen die gesamte Konzernstruktur offenlegt. Denn sonst weiß man nicht sicher, dass es nicht doch noch irgendwo eine Tochtergesellschaft gibt, die Anteile an der Zielgesellschaft hält. Das aber muss man wissen, schon um überprüfen zu können, ob die Kontrollmitteilung rechtzeitig erfolgt ist. Insofern bringt die Neuregelung vor allem eines – mehr Transparenz. Und das ist entgegen Arnold zu begrüßen.