Frustrierendes zu § 284 BGB
von Ulrich Wackerbarth
Endlich haben wir wieder Lexis-Nexis an der Fernuniversität, so dass ich die Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht verfolgen kann. Aufgefallen ist mir zunächst ein Aufsatz von Stoppel in der ZGS 2006, S. 255ff., in der Stoppel eine neue Theorie zu § 284 BGB vertritt. Der Vorschrift gehe es nicht um Aufwendungs- sondern um Schadensersatz (das sehe ich genauso). In der Vorschrift gehe es aber auch nicht um den Ersatz des Vertrauensschadens (das glaube ich angesichts des Wortlauts des § 284 nicht). Und insbesondere sei die vom Gläubiger der unmöglichen Leistung versprochene Gegenleistung eine Aufwendung im Sinne des § 284, so dass der Gläubiger den Wert der von ihm erbrachten Gegenleistung stets nach § 284 liquidieren könne. Das halte ich für falsch.
Stoppel bringt folgendes Beispiel: A und B einigen sich auf den Tausch einer Briefmarke (Wert 500 €) gegen eine seltene Schallplatte (Wert 400 €). A leistet die Briefmarke vor. B zerstört infolge Fahrlässigkeit die geschuldete Schallplatte noch vor Übergabe an A.
Nach Stoppel soll nun A, der ja eigentlich ein schlechtes Geschäft gemacht hat (weil er eine Sache im Wert von 500 € gegen eine andere Sache mit geringerem Wert eintauschen wollte), nun doch gar kein so schlechtes Geschäft gemacht haben: Nicht nur soll er die Briefmarke selbst – nach einer Rücktrittserklärung – zurückverlangen könnnen. Vielmehr soll er stattdessen auch gem. § 284 BGB 500 € von B verlangen dürfen.
So haben wir im BGB noch nie gewettet. Wer ein schlechtes Geschäft gemacht hatte und nicht davon zurücktreten wollte, wurde auch im Rahmen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung an diesem schlechten Geschäft festgehalten. Der bei A entstandene Schaden beträgt 400 €, der Wert nämlich der Schallplatte, die er nun nicht mehr erhalten kann.
Über § 284 BGB dieses Ergebnis zu korrigieren, besteht kein Anlass. A könnte sonst die von ihm zu erbringende Leistung versilbern, und zwar zu anderen als den vertraglichen Konditionen, nach denen er nur eine Gegenleistung im Wert von 400 € erhalten hätte. Das wäre ein Windfall-Profit, den sich A nicht durch die Vertragsverhandlungen verdient hat, sondern nur durch das „Glück“, dass B hier die Unmöglichkeit der Leistung verschuldet hat. Denn selbst eine ungestörte Durchführung des nun gescheiterten Vertrages hätte es ihm nicht ermöglicht, die Briefmarke zu versilbern. Die Auffassung Stoppels verstößt daher gegen den Grundsatz, die Vertragsparteien soweit wie möglich an ihrem Versprechen festzuhalten.
Weitere Argumente gegen die Auffassung Stoppels: Sie läuft auf eine Art Rosinentheorie hinaus, bei der der Gläubiger sich im Falle eines Verlustgeschäfts auf § 284 beruft, bei gewinnträchtigen Geschäften hingegen auf § 281 oder 283. Sie erklärt nicht, warum der Gläubiger den Wert der Gegenleistung als Geldersatz und nicht die erbrachte Gegenleistung (also die Briefmarke) selbst gem. § 249 Abs. 1 im Wege der Naturalrestitution herausverlangen kann. Ferner erklärt sie nicht, warum in § 284 strenge Alternativität von Schadensersatz wegen Nichterfüllung und dem in § 284 geregelten Ersatz angeordnet ist. Denn nach dem Grundsatz der Totalreparation (§ 249 Abs. 1) müsste der A sowohl sein von Stoppel so genanntes Frustrationsinteresse (§ 284) als auch sein sonstiges positives Interesse (Schadensersatz statt der Leistung) verlangen können. Und schließlich erweist sich die Theorie, wie Stoppel anschließend ausführt, mit einigen Wertungen des Rücktrittsrechts als unvereinbar. Diese will Stoppel dann allerdings zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wieder analog auf § 284 anwenden. Ich meine, er hätte auch prüfen müssen, ob sie nicht seiner eigenen Auffassung von § 284 systematisch entgegenstehen. Irgendwie frustrierend…