Der Backofenfall – muss der Käufer bei Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung für die mangelhafte Sache zahlen?

von Ulrich Wackerbarth

Patrick Schmidt bedauert in der ZGS 2006, 408 – 412 unter dem Titel „Nutzungsentschädigung bei Nacherfüllung durch Ersatzlieferung“, dass der BGH den sog. Backofenfall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Der BGH war in dieser Entscheidung davon ausgegangen, § 439 Abs. 4 verpflichte den Käufer im Falle der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Sache, an den Verkäufer eine Nutzungsentschädigung für die Zeit der Ingebrauchnahme der mangelhaften Sache zu zahlen. Das sei jedoch möglicherweise europarechtswidrig, weshalb er die Frage dem EuGH vorlegte. Schmidt meint nun, eine solche Vorlage habe nicht erfolgen dürfen, weil der BGH selbst der Auffassung sei, die deutsche Rechtslage sei eindeutig. In diesem Falle, so Schmidt, habe der Senat auch vor dem Hintergrund der „Mangold“-Entscheidung des EuGH den Fall nicht vorlegen dürfen, weil die eventuelle Folge, nämlich de Unanwendbarkeit des nationalen richtlinienwidrigen Rechts (§ 439 Abs. 4 BGB) unerträgliche Rechtsunsicherheit schaffe. Bis hierhin ist der Aufsatz von Schmidt sehr interessant; die Vorlage an den EuGH ist in der Tat vor der Prämisse des BGH, nämlich eindeutiges Auslegungsergebnis, zumindest sehr zweifelhaft.

Viel spannender aber ist, ob nicht diese Prämisse selbst falsch ist und man deshalb vielleicht doch zu dem – auch vom BGH selbst für sachlich richtig gehaltenen – Ergebnis der Vorinstanz (OLG Nürnberg NJW 2005, 3000) gelangen kann, dass nämlich § 439 Abs. 4 auf die Vorschriften des Rücktrittsrechts über die Nutzungsherausgabe erst gar nicht verweist (sondern eben nur die Rückgabe der mangelhaften Sache anordnet) und eine solche im Falle der Ersatzlieferung deshalb auch bereits nationalem Recht nicht geschuldet ist. Das ist indessen weder die Auffassung des BGH noch die von Patrick Schmidt und er versucht, das vom BGH gefundene Ergebnis mit eigenen Argumenten zu untermauern. Diese Argumente verdienen Widerspruch:

1. Schmidt meint zunächst (aaO, S. 410f.), das Gesetz verweise auf die §§ 346 – 348 BGB auch anderswo, namentlich in §§ 281 Abs. 5, 326 Abs. 4 BGB. Es sei nicht einzusehen, warum dieser Verweis einmal als vollumfänglicher auf §§ 346 – 348 BGB zu verstehen sein sollte, ein anderes Mal dagegen nicht.

Aber: In § 439 Abs. 4 steht „mangelhafte Sache“, in § 281 Abs. 5 und § 326 Abs. 4 steht Rückforderung des „Geleisteten“. Schon der Formulierungsunterschied deutet nicht nur auf die Zulässigkeit, sondern geradezu auf die Notwendigkeit einer Differenzierung hin.

2. Auch nimmt lt. Schmidt das Gesetz in § 439 Abs. 4 BGB nicht pauschal die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt in Bezug, sondern verweist auf die §§ 346 – 348 BGB als ausgewählte Bestimmungen des Gesamtnormkomplexes der §§ 346 ff. BGB. Das Gesetz treffe damit eine klare Anordnung, welche der Bestimmungen über das gesetzliche Rücktrittsrecht im Falle einer Ersatzlieferung Anwendung finden sollen, z.B. nicht § 349 BGB. Wenn das Gesetz die von ihm gewollte Differenzierung selbst vornimmt, so dürfe man weitergehende Unterscheidungen nicht selbst vornehmen.

Aber: Aus der Tatsache, dass das Gesetz nur drei Vorschriften in Bezug nimmt, kann nur der Schluss gezogen werden, dass eben nur diese drei Vorschriften Anwendung finden sollen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, über die in diesen drei Vorschriften enthaltenen Anordnungen könne eine vom Gesetzgeber in der Verweisungsnorm enthaltene Beschränkung (eben die Beschränkung der Rückgewähr auf die „mangelhafte Sache“) konterkariert werden (indem darüber hinaus auch Nutzungen herausgegeben werden müssen), ist selbst nicht logisch tragfähig.

Dass der Gesetzgeber manchmal auch nur einzelne Absätze einer Vorschrift in Bezug nimmt (so Schmidt, aaO., S. 411), ist bei der heutigen Qualität der Gesetzgebung kein hinreichender Anhaltspunkt für eine angebliche Konsequenz des Gesetzgebers bzw. ein hinreichendes „Zum Ausdruck Kommen“ des gesetzgeberischen Willens im Wortlaut der Norm.

3. Ferner sei – so Schmidt – zu berücksichtigen, dass die Norm des § 485 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 BGB eine Nutzungsherausgabepflicht explizit ausschließe. Die ausdrückliche Entscheidung des Gesetzes in diesem Sonderfall zeige, dass in sämtlichen anderen Fällen das Gesetz die Belastung des Rückgewährschuldners mit der Nutzungsherausgabepflicht anordne.

Auf den ersten Blick ein nettes Argument, aber: § 485 BGB bildet, wie Schmidt zu Recht sagt, eine Ausnahme zu § 357 Abs. 1 u. 3 BGB. Diese verweisen aber ihrerseits uneingeschränkt auf „die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt“. Das ist ein völlig anderer Verweis auf das Rücktrittsrecht als der in § 439 Abs. 4 BGB. Letzterer enthält die Beschränkung durch die Wortwahl schon selbst. Einer Norm wie § 485 Abs. 5 BGB bedarf es hier also nicht mehr, weshalb umgekehrt aus deren Vorhandensein – systematisch – nichts folgt.

4. Ein Argument für die Auffassung des BGH, das dieser selbst für seine Auffassung gebracht hat, blieb bislang übrigens unwidersprochen. Der BGH meint, der unzweifelhafte Wille des Gesetzgebers (der in der Tat die Nutzungsherausgabe des Käufers bei Ersatzlieferung wollte) sei deshalb ausreichend im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommen, weil auch § 347 BGB in Bezug genommen worden sei. Das wäre aber, so der BGH, überflüssig, wenn es nur um die Rückgabe der Sache ginge.

Aber auch dem kann man widersprechen: Mindestens § 347 Abs. 2 BGB behält seinen Sinn, wenn es nur um die Rückgabe der mangelhaften Sache geht. Nutzungsersatz und Verwendungsersatz sind unterschiedliche Dinge: Aus Käuferschutzgründen (dem neuen Kaufrecht geht es doch angeblich um Verbraucherschutz) lässt sich gut vertreten, dass § 446 dem Käufer zwar von dem Zeitpunkt des Gefahrübergangs an die normalen Lasten auferlegt, ihm aber gerade nicht die Bezahlung notwendiger Verwendungen auferlegt, wenn und weil sie nach Rückgabe gem. § 439 Abs. 4 BGB ja dem Verkäufer zugutekommen.

Der BGH hätte also in der Tat nicht vorzulegen brauchen – weil er das von ihm selbst für richtig gehaltene Ergebnis im Wege richtlinienkonformer Auslegung hätte herstellen können. Aber vielleicht lag ihm etwas an der Absicherung dieses Ergebnisses durch den EuGH. Ich vermute, er wird nicht enttäuscht werden, wenngleich man mit Prognosen stets vorsichtig sein soll, wenn sie die Zukunft betreffen.

3 Reaktionen zu “Der Backofenfall – muss der Käufer bei Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung für die mangelhafte Sache zahlen?”

  1. BGH Quiz

    Sollte Interesse an einer Besprechung des Falls bestehen, die noch weitere Anregung in der Debatte bietet, besuchen Sie doch einmal meine Seite dazu. Ich habe Ihren Eintrag dort ebenfalls verlinkt, da ich Ihre Ausführungen zum Fall sehr interessant finde.

  2. Corporate BLawG » Blog Archiv » Irrtum und Starrsinn des Gesetzgebers (und des BGH)

    […] nahm irrtümlich an, dies sei mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar. Nachdem der EuGH im Backofenfall den deutschen Gesetzgeber mit seiner Entscheidung vom 17.4.2008 über diesen Irrtum aufgeklärt hat […]

  3. NP

    „[…] wenngleich man mit Prognosen stets vorsichtig sein soll, wenn sie die Zukunft betreffen.“
    Prognosen betreffen immer die Zukunft, siehe hier:
    „Prognose [griechisch] die, wissenschaftlich begründete Voraussage zukünftiger Entwicklungen, Zustände oder Ereignisse als Grundlage der wissenschaftlich fundierten Planung.“ (lexikon.meyers.de/wissen/Prognose)
    Ähnlich Duden Fremdwörterbuch, Stichwort „Prognose“.

    Mit freundlichen Grüßen

    NP