Der Vermögensbegriff – Ist die Auslegung des § 11 Abs. 1 S. 2 InsVV durch den BGH so abwegig?
von Bernhard Kresse
Haarmeyer befaßt sich in seinem Aufsatz zur „neuen“ Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach der Grundsatzentscheidung des BGH v. 13. 7. 2006 (ZinsO 2006, 786) mit den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und sieht diese im konkreten Fall durch den BGH als überschritten an. Einige Anmerkungen hierzu:
Haarmeyer macht es sich zu einfach, wenn er den Begriff des „Vermögens“ als eindeutig definiert ansieht. Seiner Ansicht nach ist das Vermögen im Rechtssinne ganz klar definiert „als die Summe der einer Person zustehenden geldwerten Güter, Rechte und Forderungen ohne Abzug der Schulden und Verpflichtungen“ (S. 788). Demgemäß umfasse der Vermögensbegriff lediglich die Aktiva, nicht aber die Passiva. Dies stimmt nicht. Zum einen fällt auf, daß Haarmeyer zur Untermauerung seiner Ansicht lediglich BGH-Entscheidungen aus dem Bereich des Strafrechts zitiert. Was aber ist z. B. mit § 1922 BGB? Hiernach geht mit dem Tode einer Person deren „Vermögen“ als Ganzes auf die Erben über. Nach allgemeiner Meinung sind von § 1922 BGB ganz klar auch die Nachlaßverbindlichkeiten umfaßt. § 1967 BGB hat nur bekräftigende Wirkung (vgl. nur Palandt/Edenhofer, § 1922 Rn. 7). Aber auch der zu § 263 StGB vom BGH vertretene Vermögensbegriff umfaßt nicht lediglich die Aktiva; vielmehr sind die Verbindlichkeiten abzuziehen, um das Vermögen zu ermitteln (vgl. BGHSt 3, 102 sowie Schönke/Schröder-Cramer, § 263 Rn. 80).
Vom Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 2 InsVV wird die Entscheidung des BGH daher gedeckt.
Daß der vom Haarmeyer zugrundegelegte Vermögensbegriff sich auch aus der Begründung des Verordnungsgebers ergebe, ist gleichfalls nicht ersichtlich. Der Verordnungsgeber gibt auch in seiner Begründung keine Hinweise darauf, was unter „Vermögen“ zu verstehen ist. Hierzu steht in der Begründung absolut gar nichts. In der Tat fand sich dort zunächst die zeitpunktbezogene Bestimmung, daß nur das Vermögen heranzuziehen sei, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters „zum Zeitpunkt der Beendigung des Eröffnungsverfahrens erstreckt“. Wie Haarmeyer richtig hervorhebt, wurde später die Begründung dahingehend geändert, daß nunmehr das Vermögen heranzuziehen sei, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters „während des Eröffnungsverfahrens erstreckt“. Auch hiermit wird jedoch nichts darüber gesagt, ob die Passiva Teil des Vermögens im Sinne der Verordnung sind oder nicht.
Die historische Auslegung hilft hier also nicht weiter.
In systematischer Hinsicht wird in § 11 Abs. 1 S. 2 InsVV auf die Vergütung des Verwalters nach § 2 Abs. 1 InsVV bezug genommen. Auch das hilft jedoch nicht weiter. In § 2 Abs. 1 InsVV ist Bezugsgröße nicht das „Vermögen“, sondern die „Insolvenzmasse“. Von daher existiert überhaupt kein Vermögensbegriff des § 2 Abs. 1 InsVV, der nun zur Vermeidung mehrerer Vermögensbegriffe für § 11 Abs. 1 S. 2 InsVV gleichfalls heranzuziehen wäre.
Auch die systematische Auslegung hilft daher nicht weiter.
Über Sinn und Zweck des § 11 Abs. 1 S. 2 InsVV und dessen falsches Verständnis durch den BGH mag man weiterhin streiten. Es gibt gute Gründe dafür, warum die Auslegung der Vorschrift durch den BGH nicht sachgerecht ist. Aber dem BGH wurde ein Verfassungsbruch vorgeworfen; ihm wurde vorgeworfen, er habe die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten. Dieser Vorwurf ist unberechtigt.
Am 30. Januar 2007 um 23:38 Uhr
Das Ergebnis – dass die Kritik am BGH mit dem Verfassungswidrigkeitsverdikt jedenfalls zu hoch aufgehängt ist – überzeugt mich.
Eine Auslegung des „Vermögens“-Begriffs der InsVV, die nun just den in dieser Hinsicht klaren und konsequenten Sprachgebrauch der Insolvenzordnung (Vermögen = Aktivvermögen) außer Betracht lässt, überzeugt mich aber nicht.
Am 31. Januar 2007 um 11:03 Uhr
Einverstanden; mit dem Vermögensbegriff der InsO hätte argumentiert werden können und wohl auch müssen, nur eben nicht mit dem allgemeinen, insb. strafrechtlichen Begriff.