Das OLG Stuttgart als Kindermädchen des Vorstands von DaimlerChrysler

von Ulrich Wackerbarth

Wow, jetzt schreiben Richter den Aktionären vor, was sie in die Satzung schreiben dürfen… Das ganze ist wohl schon eine Weile her, mir aber gerade erst bei der Lektüre der neuen ZIP (Heft 5 2007, S. 231f.) aufgefallen. Das OLG Stuttgart (v. 22.7.06, Az. 8 W 271, 272/06) hatte indirekt (im Rahmen einer Kostenbeschwerde) darüber zu entscheiden, ob ein Aktionär von DaimlerChrysler in der Hauptversammlung den Vorschlag machen durfte, darüber abzustimmen, ob künftig weiter Fahrzeuge der Marke „Maybach“ und „smart“ gebaut werden dürfen. Das OLG verneint das, lässt also die Abstimmung über eine solche Satzungsänderung nicht zu. Nun kann indessen die Satzung ganz unzweifelhaft den Unternehmensgegenstand einer Gesellschaft und damit einen Rahmen bestimmen, in dem sich der Vorstand bewegen muss. Die Richter ziehen sich mit dem Argument aus der Affäre, zwar sei ein allgemeiner Rahmen zulässig, nicht aber dürfe sich die Satzung in die konkrete Geschäftsführung und Produktpalette einmischen. Hallo? Geht es bei der Festlegung des Unternehmensgegenstandes doch genau darum, nämlich dem Vorstand vorzuschreiben, in welchem Rahmen er Geschäfte machen darf? Also was für Geschäfte er machen darf? Also welche Produkte er entwickeln darf? Wie diese Produkte heissen? Dürften die Aktionäre der BMW AG tatsächlich nicht in die Satzung schreiben, dass ihr Vorstand gefälligst auch in Zukunft Motorfahrzeuge unter der Marke BMW zu entwickeln und veräußern hat? Kann dieser vielmehr die nämlichen Fahrzeuge auf einmal unter dem Namen „Bayernrenner“ produzieren und verkaufen?

Wer wie die Richter vom OLG Stuttgart meint, die Aktionäre dürften nicht die Satzung ändern, weil sie damit in die originäre Leitungsbefugnis des Vorstands eingreifen würden, der stellt das Verhältnis zwischen Geschäftsherr (= Aktionäre) und Geschäftsführer (= Vorstand) auf den Kopf: Der Vorstand hat sich gem.  § 82 Abs. 2 AktG an die Beschränkungen zu halten, die die Satzung trifft, und nicht hat umgekehrt die Satzung die Leitungsbefugnis des Vorstands zu respektieren. Wenn das Gericht der Meinung ist – wie in den Urteilsgründen klar zum Ausdruck kommt – dass die Satzungsänderung unklar sei und dem Vorstand letztlich seinen Handlungsspielraum nicht habe nehmen können (er hätte z.B. gleiche Fahrzeuge unter neuem Namen entwickeln und verkaufen können), warum lässt das OLG dann den Vorstand dieses Argument nicht selbst auf der Hauptversammlung vortragen? Er wird doch wohl  mindestens 1/4 des anwesenden Grundkapitals davon überzeugen können, dass eine solche Satzungsänderung Quatsch ist. Und andersherum: Wenn die Aktionäre wirklich mit satzungsändernder Mehrheit (!) ihrem Vorstand etwas verbieten wollen, ist es nicht an der Zeit, ihnen dafür etwas mehr Spielraum zu geben? Deutsche Gerichte sollten sich angesichts der ohnehin nicht kleinen Macht der Vorstände deutscher Aktiengesellschaften nicht auch noch als deren Kindermädchen betätigen…

2 Reaktionen zu “Das OLG Stuttgart als Kindermädchen des Vorstands von DaimlerChrysler”

  1. Hans Georg Schröder

    Herr Wackerbart, Sie haben m.E. das Urteil etwas falsch interpretiert. Das Gericht sieht gerade in der Änderung der Satzung hinsichtlich des Unternehmenszwecks eine zulässige Beschränkung des Vorstandes in seiner Tätigkeit. Es erweitert die zu §83 AktG kommentierte Meinung, eine Einschränkungsmöglichkeit finde im Imperativen Charakter seine Grenzen und gibt der HV umfassend die Kompetenz, den Unternehmensgegenstand einzuschränken und damit den Vorstand in seiner Geschäftsführung zu binden.
    Im vorliegenden Fall jedoch war Konstellation der Gestalt, dass der Vertrieb der beiden Marken smart und Maybach bereits vom Unternehmensgegenstand gedeckt waren. Der Antrag zielte augenscheinlich lediglich darauf ab, dem Vorstand den Vertrieb von Fahrzeugen unter diesen Markennamen zu verbeiten. Dass dies ein Eingriff in die Geschäftsführung bedeutet, liegt m.E. nicht besonders fern.

  2. Ulrich Wackerbarth

    Sehr geehrter Herr Schröder, ich glaube nicht, dass ich da etwas falsch interpretiert habe. Zwar wendet sich das OLG Stuttgart in der Tat gegen Literaturmeinungen, die die Satzungsautonomie der Hauptversammlung noch weiter beschränken wollen als es selbst (nämlich u.a. Hüffer § 82 AktG Rn. 10: Die Aktionäre sollen z.B. nicht den „Ausstieg aus der Kernenergie“ beschließen dürfen). Doch sind Literaturmeinungen (natürlich auch die von mir vertretenen) Schall und Rauch. Was die Gerichte tun, ist das, was zählt. Und insofern schränkt das OLG das zulässige Mass eben aus den von mir geannten Gründen über Gebühr ein.

    In der Tat, der Vertrieb der beiden Marken war i m M o m e n t vom Unternehmensgegenstand gedeckt und die angestrebte Satzungsänderung hätte dem Vorstand konkret etwas verboten. Doch wäre dafür erstens eine satzungsändernde Mehrheit erforderlich gewesen, die nicht leicht zu erreichen ist. Und zweitens: Die Aktionäre sind als Geldgeber die Herren des Unternehmens, weshalb sich der Vorstand gefälligst ihrem Willen zu beugen hat, jedenfalls wenn es eine satzungsändernde Mehrheit gibt. Schließlich könnten die Aktionäre ja mit dieser Mehrheit auch die Auflösung der AG beschließen. Einen größeren Eingriff in die Geschäftsführung des Vorstands gibt es wohl kaum …

    Nicht erlaubt wäre es allenfalls, wenn die Satzungsänderung der Hauptversammlung selbst bestimmte Entscheidungszuständigkeiten zur Geschäftsführung einräumen soll, aber darum ging es hier gerade nicht.