Aschenputtel bald vor dem BGH

von Ulrich Wackerbarth

Mit einer Entscheidung des OLG Düsseldorf, gegen die zur Zeit eine Revision beim BGH anhängig ist, befassen sich Schaefer/Fackler in der NZG 2007, 377 unter dem Titel „Durchgriffshaftung wegen allgemeiner Unterkapitalisierung.“ Es geht um die Frage, ob bei von Anfang an mit zu wenig Mitteln ausgestatteten Kapitalgesellschaften eine Durchgriffshaftung der Gesellschafter in Betracht kommt. Das OLG hat dies in einer sehr zweifelhaften Entscheidung bejaht. Hier hatte ein kriselndes Hauptunternehmen (Br-KG) den Großteil seiner Arbeitenehmer auf eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) ausgelagert, die dann einige Zeit später (kurz nach der Br-KG) insolvent wurde. Dabei handelt es sich um den in Deutschland wohl ersten Fall, in dem eine BQG insolvent geworden ist. Das OLG Düsseldorf meint, die BQG sei letztlich eine Aschenputtel-Gesellschaft gewesen: Der abgebenden Br-KG seien „alle Chancen – nämlich in Form eines weitgehend „gesetzesfreien“ Personalabbaus -“ zugewiesen und der BQG alle – nämlich aus der Beschäftigung der Arbeitnehmer folgenden – Risiken. Die Gesellschaft sei von Anfang an unterkapitalisiert gewesen und für dieses „Unterlassen ausreichender Finanzierung“ müssten die beklagten Gesellschafter der Br-KG (als mittelbare Gesellschafter der BQG) nach den Grundsätzen des existenzvernichtenden Eingriffs haften.

Zu Recht weisen Schaefer/Fackler demgegenüber darauf hin, dass das GmbH-Gesetz solche Gründungen gerade ausdrücklich erlaubt und keine Mindestanforderungen an die Finanzierung der BQG stellt. Ferner kann ein Unterlassen keinen Abzug von Gesellschaftsvermögen der BQG darstellen, so dass auch kein existenzvernichtender Eingriff vorlag. Im übrigen sei der Begriff der Unterkapitalisierung viel zu unscharf, um ex post zuverlässig beurteilt zu werden. Nicht zustimmen vermag ich Schaefer/Fackler aber, wenn sie etwas später darauf hinweisen, dass bei einer Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff auch die nicht handelnden Gesellschafter haften könnten, sogar wenn sie nicht einmal Kenntnis von dem fraglichen Verhalten hätten: Der BGH lässt ausdrücklich die Mitgesellschafter nur bei eigener Beteiligung an der Existenzvernichtung haften, § 31 Abs. 3 GmbHG ist gerade nicht anwendbar.

Schaefer/Fackler überlegen, stattdessen nicht die Gesellschafter der Br-KG, aber womöglich den Geschäftsführer der Br-KG oder den der BQG unter dem Gesichtspunkt des § 311 Abs. 3 BGB (!) haften zu lassen, wenn er die Arbeitnehmer nicht ausreichend informiert habe. Das setze aber weitere Sachverhaltsaufklärung voraus. Auch das lässt sich hören, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass den Arbeitnehmern hier der Ernst der Lage nicht bewusst gewesen ist.

Ich möchte daneben noch auf zwei Dinge hinweisen: (1) Man muss sich doch einmal fragen, woher denn im Falle eines kriselnden Hauptunternehmens (der Br-KG) die ausreichende Ressourcenausstattung der neu gegründeten BQG kommen soll. Es ist doch dann definitionsgemäß so gut wie nichts mehr an freiem Vermögen zur Ausstattung einer solchen BQG vorhanden und von den Beklagten konnte man eben gerade nicht verlangen, dem bereits schlechten Geld noch gutes hinterherzuwerfen. Für das Auffangbecken BQG war eben nicht mehr da. Falls sich die Beklagten nicht aktiv Vermögen der BQG oder der Br-KG einverleibt haben und angesichts der Tatsache, dass die Br-KG selbst noch vor der BQG in die Insolvenz gegangen ist, stehen hier doch allenfalls unternehmerische Fehlleistungen im Raum und die Beklagten hatten bestimmt keinen Spass daran, ihr Unternehmen zu verlieren. Von einem die Haftung rechtfertigenden Missbrauch kann man bei dem Sachverhalt nicht ernsthaft sprechen.

(2) Und zweitens: Hätte die Br-KG überlebt, die BQG dagegen nicht, dann hätte eine Haftung der Br-KG wirtschaftlich Sinn gehabt und es hätte in dieser Konstellation auch der Verdacht nahegelegen, dass sich die Br-KG auf eine besonders kostengünstige Art und Weise ihrer Arbeitnehmer entledigen wollte. Aber auch für eine solche Haftung hätte man angesichts der Vertragslage eine Durchgriffshaftung nicht gebraucht. Denn in den dreiseitigen Verträgen zwischen den Arbeitnehmern, der Br-KG und der BQG war den Arbeitnehmern wohl eine mindestens 24-monatige Verweildauer in der BQG zugesichert. Auf diese Zusage muss sich doch wohl jeder Arbeitnehmer gegenüber der Br-KG im Falle der vorzeitigen Insolvenz der BQG berufen können. Eventuellen Haftungsausschlüssen in den Verträgen kann man entweder mit der Inhaltskontrolle beikommen, dann würde ebenfalls ausreichender Schutz bestehen. Oder aber derartige Ausschlüsse sind wirksam, dann sind die Arbeitnehmer aber auch ausreichend über die eingegangenen Risiken informiert und für eine Durchgriffshaftung bestünde um so weniger Anlass. Leider äußern sich weder das OLG Düsseldorf noch Schaefer/Fackler zu einer so begründeten (und dann nicht mehr so unscharfen) vertraglichen Haftung der Gesellschafterin der BQG. Besteht sie, dann wäre die Br-KG u.U. früher insolvent gewesen und deren Geschäftsführer haftete dann aus Insolvenzverschleppung.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf hört sich dagegen so an, als habe man einen wirklichen Missbrauch durch die Beklagten hier nicht feststellen können und nun mit zweifelhaften Mitteln, nämlich mithilfe unscharfer Rechtsinstitute (Unterkapitalisierung, existenzvernichtender Eingriff usw.) ein Exempel statuieren wollen. Motto: Passt bei BQG´s auf, die dürfen nicht insolvent werden. Dabei schlachtet man jedoch womöglich das falsche Schwein, weil die Beklagten unter Umständen hier einen ernsthaften Sanierungsversuch unternommen haben. Richter sind eben nicht geeignet, unternehmerische Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Sie sollten lieber nach Interessenkonflikten suchen und der Selbstbereicherung von Gesellschaftern wirksame Hindernisse in den Weg setzen.

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