Gelatine in der GmbH – warum?

von Ulrich Wackerbarth

Ettinger und Reiff beschäftigen sich in der aktuellen GmbH-Rundschau auf den S. 617ff. mit der Frage, ob die Gelatine-Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 2004 Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung in der GmbH haben, soweit Ausgliederungen außerhalb des UmwG im Wege der Einzelrechtsnachfolge durchgeführt werden sollen.

Als Beispielsfall stellen sie den Fall dar, dass eine GmbH mit 4 gleich beteiligten Gesellschaftern und zwei Fremdgeschäftsführeren eine Unternehmenssparte auf eine 100%ige Tochtergesellschaft übertragen will und stellen die Frage, ob die Gesellschafterversammlung damit zu befassen ist. In einer Abwandlung soll die Übertragung auf eine Tochter erfolgen, an der die GmbH nur mit 60% beteiligt ist.

Zuzustimmen ist den anschließenden Ausführungen zur Kompetenz der Gesellschafterversammlung, wenn die Satzung dies vorsieht. Soweit die Maßnahme nicht vom Unternehmensgegenstand gedeckt ist, muss sogar eine Satzungsänderung erfolgen, auch dem kann ich folgen. Eine Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung soll aber auch aus § 49 Abs. 2 folgen können, in dem auf das äußerst unbestimmte Gesellschaftsinteresse abgestellt wird. Dieses suchen Ettinger und Reiff dann zu konkretisieren, in dem sie auf die aktienrechtliche Entwicklung von Holzmüller hin zu Gelatine rekurrieren (S. 619f.). Aus den Erkenntnissen des BGH in der Gelatine-Rechtsprechung wollen die Autoren nun herleiten, dass die Geschäftsführer jedenfalls bei gravierenden Umstrukturierungen gem. § 49 Abs. 2 GmbHG die Maßnahme der Gesellschafterversammlung zur Zustimmung vorlegen müssen.

Dies konkretisieren sie anschließend dahin, dass zunächst keine Zustimmung erforderlich ist, wenn auf eine 100%ige Tochter-GmbH übertragen werden soll, da hier den Gesellschaftern der Mutter-GmbH weiterhin eine mittelbares Weisungsrecht zustehe (fehlende Mediatisierung ihres Einflusses). Bei der Übertragung auf eine Tochter-Aktiengesellschaft soll das aber wegen § 76 AktG anders sein, da die Gesellschafter der ausgliedernden Mutter dann formal nicht mehr das Tagesgeschäft der Tochter-AG beeinflussen könnten (S. 621). Schon dem kann ich mich nicht anschließen. Der Verweis auf § 76 AktG ist eine formaljuristische Argumentation, die an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Denn wenn die Gesellschafter der Mutter später etwas Bestimmtes wollen, wird der Tochtervorstand schon aus Angst um seine Position genaus das tun, andernfalls er ausgewechselt wird oder die Tochter-AG wieder in eine Tochter-GmbH zurückumgewandelt wird.

Darüber hinaus halten Ettinger/Reiff die Geschäftsführer aber auch dann für vorlagepflichtig, wenn mehr als 50% der Bilanzsumme von der Ausgliederung betroffen sind (S. 622). Dies wollen sie aus dem Rechtsgedanken von § 49 Abs. 3 GmbHG ableiten, der zwar nicht unmittelbar einschlägig sei, dem aber eine „Relevanzschwelle“ entnommen werden könne. Das kann ich nicht nachvollziehen: In § 49 Abs. 3 geht es um die Einrichtung eines Frühwarnsystems, nach dem die Gesellschafter über Verluste informiert werden müssen. Ausgliederungen haben aber mit Verlusten nichts zu tun, so dass der Rechtsgedanke des § 49 Abs.3 nicht im Geringsten einschlägig ist.

Man muss darüber hinaus fragen, warum überhaupt eine Vorlagepflicht bestehen soll. Die Gesellschafter einer GmbH haben doch – anders als die Aktionäre einer Aktiengesellschaft im Streubesitz – jederzeit die Kontrolle über das, was ihre Geschäftsführer tun. Was bei der Aktiengesellschaft eine tatsächlich bestehende Frage der Machtverteilung zwischen Gesellschaftern und Management ist, existiert im GmbH-Recht schlicht nicht als Problem. Eine Machtverlagerung von den Gesellschaftern zur Geschäftsführung ist in der GmbH ausgeschlossen, schon weil die Gesellschafterversammlung auch ohne den oder die Geschäftsführer zusammentreten kann, jedenfalls aber schon eine 10%ige Minderheit nach § 50 GmbHG die Einberufung verlangen kann. Kein einigermassen vernünftig denkender Fremdgeschäftsführer nimmt eine Ausgliederung vor, wenn er sich nicht zuvor der Unterstützung durch die Gesellschaftermehrheit versichert hat. Die Trennung von Eigentum und Leitung ist in der GmbH wegen der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer weitaus schwächer als in der Aktiengesellschaft ausgebildet. Die Gesellschafter bedürfen keines Schutzes.

Interessant ist noch, was Ettinger/Reiff von der Übertragung auf bloß mehrheitlich beherrschte Töchter halten, an der also noch Dritte beteiligt sind (die Abwandlung). Hier soll eine Zustimmung schon bei bloß 20 oder 30%iger Vermögensübertragung auf die Tochter bestehen, weil mit der Übertragung die Gesellschafter der GmbH ihre alleinige Kontrolle über diesen Teil des Vermögens verlieren und sich mit dem oder den Dritten teilen müssen, schon weil sie diesem zur Treue verpflichtet sind und Minderheitsrechte bestehen (S. 621). Für die Aktiengesellschaft als ausgliedernde Gesellschaft hatte ich ähnliches in meiner Habilitation und in AG 2002, 14ff. vertreten. Für die GmbH aber haben diese Argumente keine Überzeugungskraft, weil aus den eben genannten Gründen die (vernünftigen) Geschäftsführer ohnehin nicht an den Gesellschaftern vorbei handeln.

Diskutiert werden kann allenfalls darüber, ob in der Abwandlung abweichende Mehrheitserfordernisse bestehen, wenn – wie auch immer initiiert – tatsächlich ein Gesellschafterbeschluss über die Ausgliederung gefasst wird. Hier lässt sich mit guten Gründen und mit Ettinger/Reiff vertreten, dass eine satzungsändernde Mehrheit der Ausgliederung zustimmen muss, weil aus Sicht der Gesellschafter der ausgliedernden Gesellschaft das nichts anderes ist als eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss (S. 623). Aber leider hat der BGH zu diesem Aspekt in seiner Gelatine-Rechtsprechung bislang nichts gesagt.

Die gesamte Frage der erstmaligen Beteiligung Dritter an einer Tochtergesellschaft (bzw. der Ausgliederung von Vermögen auf eine nur mehrheitlich beherrschte Gesellschaft) ist durch die Gelatine-Rechtsprechung noch in keiner Weise geschweige denn zufriedenstellend gelöst. Hier wird die Zukunft zeigen, ob der BGH bereit ist, sich für die Rechtsform der Aktiengesellschaft den Problemen des quasi-autonomen Managements zu stellen, für die GmbH besteht dazu nur am Rande Anlass.

2 Reaktionen zu “Gelatine in der GmbH – warum?”

  1. Zaphod Beeblebrox

    Da die Gesellschafter einer GmbH jederzeit die Kontrolle über die Geschäftsführer ausüben können, hält Professor Wackerbarth die Diskussion über Entscheidungskompetenzen für überflüssig. Diese Ansicht wäre richtig, wenn die Gesellschafter stets und immer mit einer Stimme sprechen würden.

    Sobald es jedoch im Gesellschafterkreis unterschiedliche Ansichten über bestimmte Maßnahmen gibt, kann die Geschäftspolitik nicht mehr durch faktische Einflussnahme auf die Geschäftsführung bestimmt werden. In diesen Fällen ist es wichtig zu wissen, ob und mit welchen Mehrheiten Gesellschafterbeschlüsse gefasst werden müsssen.

  2. Ulrich Wackerbarth

    Zunächst vielen Dank für den Kommentar. Diskutiert wurde in dem von mir kommentierten Beitrag über eine g e s e t z l i c h e Pflicht des Geschäftsführers zur Vorlage bestimmter Maßnahmen an die Gesellschafterversammlung. Diese ergibt doch nur Sinn, wenn die Gesellschafter sich nicht gegen ihre eigene Geschäftsleitung wehren können. Das ist manchmal in der AG so, aber wohl nicht in der GmbH, wenn diese nicht gerade eine Publikumsgesellschaft ist. Warum sollte denn der Einfluss auf die Geschäftsführung verloren gehen, nur weil es unterschieldliche Ansichten gibt? Wenn ein Minderheitsgesellschafter einen Beschluss über eine umstrittene Angelegenheit wünscht, kann er ihn nach § 50 Abs. 1 und Abs. 2 GmbHG herbeiführen. Wenn es unterschiedliche Ansichten über die Geschäftspolitik gibt, dann setzt sich eben die Mehrheit mit ihrer Ansicht praktisch durch, das ist das Wesen des Kapitalismus: Dadurch können die Geschäftsführer einer GmbH ihren Gesellschaftern nicht entkommen, wie das Management einer AG das unter Umständen kann, weil dort eben nicht so einfach eine Hauptversammlung einberufen werden kann und weil die Aktionäre kein Weisungsrecht haben und weil es ihnen in aller Regel schon an den notwendigen Informationen fehlt, um „richtige“ Entscheidungen treffen zu können.

    Wenn Sie das alles anders sehen, bin ich auf einen weiteren Kommentar sehr gespannt. Natürlich haben Sie aber insoweit Recht, als die Frage der notwendigen Mehrheiten für Beschlüsse geklärt werden muss. Eine gegenteilige Aussage lässt sich meinem Beitrag aber auch kaum entnehmen.