Berufskläger, besondere Vertreter und Binsenweisheiten
von Ulrich Wackerbarth
In der FAZ steht heute auf S. 19 (Recht und Steuern) ein Bericht über eine Urteilsanmerkung von Goette, DStR 2007, S. 1266, die ihrerseits zu einer Entscheidung (BGH v. 18. 6. 2007 – II ZB 23/06) erfolgte. In dem Beschluss hat der II. Senat verhindert, dass sich einzelne Anfechtungskläger gegen eine Aktiengesellschaft hinsichtlich ihrer außergerichtlichen Kosten einfach als Streithelfer an einen von einem anderen Anfechtungskläger geschlossenen Vergleich „andocken“. Dadurch konnten sie nämlich bislang mit minimalen Aufwand (der Hauptkläger schrieb die Schriftsätze, die Trittbrettfahrer hingen sich einfach an, ohne selbst substantiell zur Tatsachenermittlung beizutragen) maximalen Ertrag (nämlich die Anwaltskostenerstattung bei vergleichsweise hohem Streitwert) erzielen. Diese Einnahmequelle von „Berufsklägern“ hat der II. Senat jetzt durch besagten Beschluss ausgetrocknet.
Nicht nur dieser Beschluss, sondern die Anmerkung und der FAZ-Bericht zeigen mit einigen anderen Entwicklungen hier und hier, dass die sog. Berufskläger momentan im Focus aktienrechtlicher Entwicklungen stehen.
Goette beschreibt in seiner Anmerkung, warum das so ist. Die aktienrechtliche Anfechtungsklage ist missbrauchsanfällig und sie dient häufig weniger ihrem eigentlichen Ziel einer Überprüfung der Gesetzmäßigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen als vielmehr dem Erwirtschaften von Sondervorteilen durch die Berufskläger. Goette beklagt das und betont die „schweren Nachteile“ für mehr oder weniger sämtliche Stakeholder der Gesellschaft. Goette wörtlich aaO.: „Wenn die Aktionäre diese ihnen in die Hand gegebene Macht zweckwidrig, nämlich ausschließlich zum eigenen Vorteil einsetzen, wird nicht nur das weit ausgreifende Anfechtungsrecht, weil nicht mit dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Verantwortungsbewusstsein ausgeübt, diskreditiert, sondern es entsteht ein von der Rechtsordnung nicht hinnehmbarer Zustand, wenn sich einzelne Aktionäre ihr Anfechtungsrecht „abkaufen“ lassen und dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechend Sondervorteile verschaffen, die zu Lasten der übrigen Aktionäre gehen.“
Ja es stimmt, Sondervorteile einzelner Gesellschafter sind ein nicht hinnehmbarer Zustand, sie sind die „Todsünde“ des Gesellschaftsrechts überhaupt. Sie stellen stets einen Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag dar. Denn dieser Gesellschaftsvertrag bestimmt, wie der Gewinn des Unternehmens zwischen den Gesellschaftern aufzuteilen ist, in der Aktiengesellschaft in aller Regel proportional zu den gehaltenen Anteilen. Mit Sondervorteilen versucht ein Gesellschafter sich einen größeren Anteil am Kuchen zu sichern als ihm zusteht.
Nur: Die Sondervorteile von Berufsklägern sind nicht das Hauptproblem des deutschen Aktienrechts. Vielmehr liegt das Hauptproblem gerade nicht in zu großer Macht von Kleinaktionären sondern in den in weiten Bereichen unzureichenden Kontrollmöglichkeiten kleiner Aktionäre gegenüber solchen Sondervorteilen, die Großaktionäre und Organmitglieder (Insider) sich praktisch verschaffen können. Ein Beispiel bildet (vielleicht) der aktuelle Streit um die Geschehnisse in der Hauptversammlung der HVB. Hier steht immerhin die Möglichkeit im Raum, dass der italienische Großaktionär durch ein Geschäft mit der HVB (Verkauf einer Tochtergesellschaft möglicherweise unter Preis) sich Sondervorteile gesichert hat, die in ihren Größenordnungen weit über die in der besagten BGH-Entscheidung im Raum stehenden Beträge hinaus gehen. Näheres soll nun ein sog. besonderer Vertreter klären. Man darf gespannt sein, ob das konkrete Geschäft im Ergebnis tatsächlich der notwendigen Kontrolle durch die potentiell geschädigten aussenstehenden (kleinen) Aktionäre unterzogen wird oder ob sich der Großaktionär hier letztlich doch ohne eine solche Kontrolle durchsetzen wird (etwa weil dem besonderen Vertreter nicht genügend Einsichtsbefugnisse in die Geschehensabläufe gewährt werden). Was bei der HVB tatsächlich geschehen ist, weiß man nicht. Fest steht aber, dass den Kleinaktionären regelmäßig nicht genügend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um unfaire Geschäfte zwischen Gesellschaft und Großaktionär wirksam überprüfen zu können, schon weil ihnen nicht die notwendigen Informationen zur Verfügung stehen.
Es ist doch nicht mehr als eine Binsenweisheit, dass wem Macht gegeben wird, in der dringenden Gefahr steht, diese zum eigenen Vorteil auszunutzen und sich eben Sondervorteile zu verschaffen. Diese Erkenntnis sollte indessen nicht beklagt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass Machtinhaber ihre Macht nur mit dem vom Gesetzgeber „vorausgesetzten Verantwortungsbewusstsein“ (Goette) ausüben. Nein, Machtausübung muss und kann nur durch Gegenmachtbildung bekämpft werden. Gegenmachtbildung bedeutet aber natürlich nicht, dass den einen (Großaktionären) praktisch gestattet wird, sich Sondervorteile zu nehmen und den anderen (Anfechtungsklägern) auch. Man muss vielmehr versuchen, die Tätigkeit von Berufsklägern und Kleinaktionären in die richtigen Bahnen zu lenken, so dass sie zur notwendigen Kontrolle von für die Aktionäre gefährlichen, weil potentiell gewinnverlagernden Transaktionen, die von Insidern gesteuert werden, beitragen können. Ein Beispiel dafür bildet das aktuelle Geschehen bei der HVB: Dort wird der besondere Vertreter versuchen herauszufinden, ob sich der Großaktionär Sondervorteile durch ein besonders günstiges Geschäft mit seiner Gesellschaft verschafft hat. Man darf angesichts der verschiedenen schon eingeleiteten Verfahren gespannt sein, wie weit die Befugnisse des besonderen Vertreters im Ergebnis reichen werden und ob er sie für eine hinreichende Kontrolle der Geschehnisse auch nutzt.
Der Kampf gegen Mißbrauch durch Berufskläger hängt mit dem Kampf gegen Sondervorteile der Insider zusammen. Man kann den deutschen Kleinaktionären nicht einfach das letzte Mittel einer Kontrolle nehmen, das sie als Einzelaktionäre überhaupt noch haben (nämlich die Anfechtungsklage), ohne dies auf anderem Wege auszugleichen. Damit soll nicht unbedingt der ebenfalls missbrauchsanfälligen Aktionärsklage das Wort geredet werden. Es gibt noch andere Möglichkeiten zur Kontrolle von Groß- und Mehrheitsaktionären.
Man mag mit Carl Fürstenberg dagegen einwenden, Aktionäre seien „dumm und frech. Dumm, weil sie ihr Geld anderen Leuten ohne ausreichende Kontrolle anvertrauen und frech, weil sie Dividenden fordern, also für ihre Dummheit auch noch belohnt werden wollen.“ Doch verbirgt sich hinter den mangelhaften Kontrollrechten, die das deutsche Recht den Kleinaktionären einräumt, ein viel größeres Problem der gesamten deutschen Wirtschaft. Denn weil diese Kleinaktionäre wissen, dass ihre Investition nicht hinreichend vor Missbrauch durch Insider geschützt ist, misstrauen sie der Anlageform Aktie insgesamt, weshalb der deutsche Wertpapiermarkt im internationalen Vergleich unterentwickelt ist. Insofern ist der Missbrauch der Aktionärsklage nicht Zeichen eines zu weitgehenden Minderheitenschutzes, sondern ein Auswuchs, der seinen Grund seinerseits darin hat, dass man den Aktionären nicht genügend Möglichkeiten einräumt, ihrerseits den Missbrauch von Leitungsmacht einzudämmen. Die Kleinaktionäre wollen durchaus Risiken übernehmen. Die von ihnen durch die Investition in Anteile an einer Aktiengesellschaft übernommenen Risiken müssen sich aber praktisch-tatsächlich auf unternehmerische Risiken beschränken und sie dürfen nicht darüber hinaus das Risiko tragen, dass Insider sie um den ihnen gebührenden Anteil an den Gewinnen des Unternehmens bringen. Der einseitige Focus auf den Missbrauch von Anfechtungsrechten durch Berufskläger ist daher verfehlt.
Am 24. Februar 2008 um 12:17 Uhr
Ds Fazit am Ende ist gut.
Die gekaufte Lobbytruppe geht natuerlich wenig konstruktiv um.
Am 2. Mai 2011 um 13:18 Uhr
[…] diesem Streit steht? Geht es tatsächlich um das Problem räuberischer Gläubiger, die ähnlich wie räuberische Aktionäre nicht einsehen wollen, dass der Teilverzicht auf ihre Forderung das Beste für alle ist, und die […]