Beweislastumkehr nach § 476 BGB – der BGH rudert zurück
von Ulrich Wackerbarth
Nach der Pressemitteilung zu BGH v. 18.7.07 (VIII ZR 259/06) habe ich mich schon gewundert – nun steht der offenkundige Widerspruch auch noch in den Urteilsgründen der Entscheidung:
Der VIII. Senat meint zunächst unter Tz. 15 zu früheren Urteilen zum Eingreifen der Vermutung des § 476 BGB, wenn man die genaue Ursache eines Mangels nicht kennt: „[In den beiden Urteilen] griff die Vermutung jeweils nicht ein, weil in tatsächlicher Hinsicht nicht hatte geklärt werden können, ob im Zahnriemenfall (BGHZ aaO) der Motorschaden durch einen Sachmangel des betreffenden Fahrzeugs oder auf andere Weise – durch einen zur sofortigen Zerstörung des Motors führenden Fahrfehler des Käufers – verursacht worden war.“
Eine Randnummer später (Tz. 16) heißt es zum aktuellen Fall: „Nicht geklärt ist allein die Frage, ob der Defekt der Zylinderkopfdichtung und … die Überhitzung … bereits vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger eingetreten waren und deswegen die Mängelhaftung des Beklagten begründen oder ob sie – durch einen Fahr- oder Bedienungsfehler des Klägers – erst nach Gefahrübergang entstanden sind und deswegen der Beklagte nicht für sie haftet. Für diese Fallgestaltung begründet § 476 BGB gerade die in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, dass die zutage getretenen Mängel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen haben.“
Na, was ist denn nun bei Mängeln, von denen sich nicht klären lässt, ob sie „wirklich auf einem Mangel beruhen“ oder aber auf Fahrfehler des Käufers nach Gefahrübergang zurückzuführen sind? Greift § 476 BGB dann (Tz. 16) oder greift die Vorschrift nicht (Tz. 15)? In BGHZ 159, 215 gab es einen Motorschaden, das stand fest, ungeklärt war nur, ob der Schaden auf einen Fahrfehler oder eine andere Ursache zurückzuführen war. Trotzdem ließ der VIII. Senat § 476 BGB nicht eingreifen. In der vorliegenden Entscheidung meint der BGH dagegen: „Das Fahrzeug ist, wie oben dargelegt, insoweit mangelhaft, als die Zylinderkopfdichtung defekt und die Ventilstege gerissen sind. Dies gilt unabhängig davon, welcher der drei Schadensverläufe, die der Sachverständige unangegriffen als möglich angesehen hat, tatsächlich stattgefunden hat.“ Einer der möglichen Verläufe war aber auch hier ein Fahrfehler des Käufers und trotzdem lässt der BGH § 476 BGB eingreifen. Der BGH rudert hier zurück, ohne zuzugeben, dass seine ersten Entscheidungen zu § 476 BGB ganz einfach Fehlurteile waren. Na ja, den Käufern kann es recht sein, mit Ausnahme des Käufers in BGHZ 159, 215 natürlich.
Am 9. August 2007 um 22:13 Uhr
Ich teile Ihre Kritik an der Entscheidung. Im Übrigen formuliert der Senat in Tz. 15 des Urteils reichlich kryptisch, wenn er dort feststellt:
„[..] In den beiden anderen Fällen kam die Vermutung dem Käufer dagegen zugute, weil das Vorliegen eines Sachmangels dort jeweils allein davon abhing, ob das als solches jeweils feststehende, für die nach der Fahrzeugübergabe an den Käufer zutage getretene Abweichung von der Sollbeschaffenheit ursächliche Geschehen – im Karosseriefall (Urteil vom 14. September 2005, aaO) eine seitliche Gewalteinwirkung auf die Karosserie, im Katalysatorfall (Urteil vom 21. Dezember 2005, aaO) ein Aufsetzen des Fahrzeugs, das im Laufe der Zeit zu einem Defekt des Katalysators geführt hatte – sich vor oder nach dem Gefahrübergang zugetragen hatte. So verhält es sich auch hier. [..]“
Reduziert man diese Satzschachtelung, so bleibt folgende Aussage bestehen:
„In den [..] anderen Fällen kam die Vermutung dem Käufer [..] zugute, weil das Vorliegen eines Sachmangels dort allein davon abhing, ob das [..] für die [..] Abweichung von der Sollbeschaffenheit ursächliche Geschehen sich vor oder nach dem Gefahrübergang zugetragen hatte. [..]“
Das verwundert mich doch erheblich. Es klingt zunächst so und legt die Vermutung nahe, dass der BGH den Umstand der Mangelhaftigkeit als solchen an ein zeitliches Moment geknüpft habe. Das aber leuchtet nicht ein, denn die Frage OB ein Mangel vorliegt, ist unabhängig davon zu beantworten WANN er eingetreten ist.
Man kann die Äußerung natürlich dahingehend verstehen, dass der „Sachmangel“ als terminus technicus nur Abweichungen der Ist- von der Soll-Beschaffenheit (und andere Fälle des § 434 BGB) bis zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs erfassen soll. Dann aber dürfte nach Gefahrübergang von einem „Sachmangel“ keine Rede mehr sein. Der BGH selbst spricht – vielleicht aus diesem Grund – betont vorsichtig von einer „nach der Fahrzeugübergabe an den Käufer zutage getretene(n) Abweichung von der Sollbeschaffenheit“. Bei Lichte besehen handelt es sich bei dieser „Abweichung“ in der Tat wohl weniger um einen Mangel, als vielmehr um den eingetretenen Schaden. Hinsichtlich der Frage, ob dieser Schaden auf einem Verhalten des Käufers oder auf einem Mangel beruht, trifft den Verkäufer im Anwendungsbereich des § 476 BGB gleichwohl die Beweislast.
Am 10. August 2007 um 09:40 Uhr
In der Tat, § 434 Abs. 1 S. 1 bezieht in die Definition des Sachmangels den Zeitpunkt mit ein. Deshalb gehört der Zeitpunkt nach dem Gesetz (nicht nur nach der Äußerung des BGH) mit zum Begriff selbst (anders übrigens – dem Wortlaut nach – § 434 Abs. 1 S. 2 BGB). Von daher ergibt der Wortlaut des § 476 BGB keinen Sinn, es sei denn man unterstellt, das der Gesetzgeber zwei unterschiedliche Begriffe des „Sachmangels“ benutzt (was man wohl tun muss). All dies ist m.E. ein weiteres Beispiel für die Verfehltheit weiter Teile der Schuldrechtsreform. Denn diese schaffen vor allem Rechtsunsicherheit, die nun erst auf dem langwierigen Weg vieler Rechtsprechungsentscheidungen wieder beseitigt werden muss. Ob der Gesetzgeber daraus aber für die Zukunft lernen wird, wage ich zu bezweifeln.
Am 14. September 2007 um 11:51 Uhr
Sehr interessante Entwicklung! Allerdings für mich sehr verwunderlich, warum der BGH sich in dieser Entscheidung anders entschieden hat, als in den etlichen zuvor.
Das was Herr Kleinhenz sagt, spiegelt ja die Problematik dieses Streits wider. Die Literatur einerseits hat immer vertreten, dass der § 476 keine
Vermutung hinsichlich einer zeitlichen Komponente aufstellt, sondern dem Verbraucher im Hinblick auf die Beweislast eines Sachmangels (also dem ‚OB‘) eine Erleichterung bringen soll.
Der BGH hingegen hat entschieden, dass der Wortlaut des § 476 darauf schließen lässt, dass es sich lediglich um eine zeitliche Vermutung handelt, WENN (tatsächlich bewiesen) ein Sachmangel vorliegt. Falls nämlich die Ansicht der Lit. richtig sei, so müsse der Wortlaut des § 476 anders lauten:
„Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang EIN Sachmangel, so wird vermutet, dass DIESER Sachmangel (nicht die Sache) bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache und des Mangels nicht vereinbar“
Konsequenz dieser Auslegung ist im Endeffekt, dass der § 476 obsolet wird & der Verbraucher auf eine Beweislastumkehr nicht mehr vertrauen kann. Verbraucherschutz wird über § 476 damit kaum noch gewährleistet. Die Frage ist, ob das gewollt ist! Gerade im Hinblick auf den immer stärker werdenden Verbraucherschutz (auch durch den BGH voran getrieben) scheint mir das zweifelhaft. Vielleicht kam auch deswegen im vorliegenden Fall eine Kehrtwende in der Rechtsprechung des BGH?
Am 7. Januar 2008 um 19:21 Uhr
Meines Erachtens sind die unterschiedlichen Ergebnisse in den entschiedenen Fallkonstellationen durchaus gerechtfertigt.
Im Zahnriemenfall wird ja nicht an den Motorschaden als Sachmangel angeknüpft. Dieser ist nachweislich erst nach Gefahrübergang eingetreten und die Vermutung des § 476 somit widerlegt. Es wird an den mangelhaften Zahnriemen angeknüft. Und OB der Zahnriemen mangelhaft war, kann nicht bewiesen werden. Bei diesem OB hilft aber der § 476 nicht.
Anders bei dem Urteil vom 18.7.2007. Hier ist Anknüpfungspunkt die defekte Zylinderkopfdichtung. Dieser Mangel liegt zweifellos vor. Fraglich ist nur, ob er bereits bei Gefahrübergang vorlag (Dies wäre der Fall, wenn der Verkäufer eine mangelhafte Ware eingebaut hätte.) oder ob er erst nach Gefahrübergang eingetreten ist (…wenn er auf einem Fahrfehler beruht.). Und da es hier nur um den Zeitpunkt des Eintritts des Mangels geht, ist auch § 476 anwendbar.