Konkretes zur Konkretisierung bei der Gattungsschuld
von Ulrich Wackerbarth
Canaris schreibt in der aktuellen JuS 2007, 793 einen Beitrag zur Konkretisierung bei der Gattungsschuld und u.a. der Frage, ob eine einmal erfolgte Konkretisierung eventuell durch den Schuldner rückgängig gemacht werden kann. Der ausführliche Artikel, der sich sicherlich nicht nur an Studenten richtet, kann hier nur auszugsweise gewürdigt werden.
Eine überraschende Meinung vertritt Canaris auf S. 794f. zur Konkretisierung bei der Holschuld. Ich hatte bislang immer gelernt: Aussonderung eines Stückes aus der Gattung und Mitteilung an den Gläubiger reichen für die Konkretisierung. Anders Canaris: Nach Bereitstellung und Mitteilung an den Gläubiger soll noch eine gewisse Zeit ablaufen (in der der Schuldner die Gelegenheit zur Abholung hat), bevor Konkretisierung zu bejahen ist. Eine Begründung dafür gibt Canaris freilich nicht, sondern verweist in Fn. 7 auf Heinrichs und Teichmann (die auch keine Begründung geben). Im Gesetz steht etwas anderes: Das Schuldverhältnisses beschränkt sich auf diese Sache bereits dann, wenn der Schuldner das s e i n e r s e i t s Erforderliche g e t a n hat. Dazu gehören weder eine Fristsetzung noch ein Fristablauf. Das Gesetz knüpft die Folgen an eine Tathandlung des Schuldners an und regelt damit auch den Zeitpunkt der Konkretisierung anders als Canaris behauptet. Und in der Tat: Liest man bei Schiemann im Staudinger nach (§ 243 Rn. 37), so sind das Fristerfordernis und überhaupt die Voraussetzungen der Konkretisierung bei der Holschuld weit umstrittener als die Fn. 7 im Canarisschen Beitrag glauben machen will. Die von Canaris herausgestellte Überraschung seines Ergebnisses resultiert daher vor allem auf der unvollständigen Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen.
Im Weiteren stört mich vor allem die Lösung eines seiner Fallbeispiele: Ein Verkäufer leitet nach Übergabe an die Transportperson (= Konkretisierung) den verkauften Artikel durch Anruf beim Spediteur auf einen Dritten um, der dem Verkäufer einen höheren Preis für die Ware versprochen hat als mit dem Erstkäufer vereinbart war.
Diese „Rückgängigmachung“ der durch die Übergabe an die Transportperson erfolgten Konkretisierung hält Canaris, aaO. S. 796f. für zulässig. Folgerichtig verneint er einen Anspruch des Erstkäufers aus § 285 BGB auf den vom Verkäufer durch den Zweitverkauf erzielten Mehrerlös. Dass dem Erstkäufer der vom Verkäufer erzielte Übererlös zustehen soll, könne nun „wirklich nicht der Sinn von § 243 Abs. 2 BGB sein“. Man möchte direkt zurückfragen: aber doch vielleicht der Sinn des § 285 BGB?
Die Lösung von Canaris eröffnet dem Schuldner im Gesetz nicht vorgesehene Handlungsmöglichkeiten und greift in die austarierte Risikoverteilung des Gesetzes ein: Der Schuldner hat konkretisiert und kann sich etwa bei einem zufälligen Untergang auf dem Transportweg gegenüber dem Käufer darauf berufen, dass er seinerseits das Erforderliche getan hat. Wenn ihm aber der geschlossene Vertrag nicht passt und er während des Transports noch jemand findet, der ihm mehr bezahlt, dann kann er seinem Gläubiger einfach „Pustekuchen“ zurufen und die verkaufte Sache auf den Dritten umleiten.
Nun kann man freilich argumentieren, dem Erstkäufer entstehe aus solchem Verhalten immerhin kein Schaden, solange er noch nicht mit der Ankunft der Ware gerechnet hat u n d solange der Verkäufer gleichwohl noch eine andere Gattungssache rechtzeitig liefert. Aber die Frage ist, wem das Gesetz Risiken und Chancen beim Gattungskauf zuweist. Solange eine Gattungssache nicht konkretisiert ist, trägt der Verkäufer die Leistungsgefahr, nach der Konkretisierung trägt er lediglich noch die Preisgefahr, die Sachgefahr geht auf den Käufer über und zwar ebenfalls ohne dessen Kenntnis. Sobald aber der Käufer die Sachgefahr zu tragen hat, muss ihm wegen § 285 BGB auch die Chance der wirtschaftlichen Nutzung durch Weiterverkauf zustehen (nicht zu verwechseln mit den Nutzungen iSd. §§ 446f. BGB). Und deshalb gebührt auch dem Erst-Käufer, nicht dem Verkäufer der Mehrerlös aus dem Verkauf dieser Sache an den Dritten. Canaris Lösung ermöglicht dem Verkäufer dagegen „Cherry-Picking“. Die Leistungsgefahr geht auf den Käufer über, ohne dass er auch die Chancen erhält.
Gegen die Lösung von Canaris spricht nicht nur der Wille der Gesetzesverfasser (den Canaris auf S. 796 für überholt hält), sondern insbesondere auch der Gesetzeswortlaut des § 243 Abs. 2 BGB: Denn die dort geregelten Tatbestandsvoraussetzungen beschreiben – wie Canaris richtig sagt – eine Tathandlung und enthalten eine gesetzliche Rechtsfolge, die nicht an eine Erklärung des Schuldners anknüpft, sondern an dessen Verhalten. Tathandlungen kann man aber nicht durch bloße Erklärungen oder andere Handlungen rückgängig machen – und nicht (mehr) gewollte gesetzliche Rechtsfolgen des eigenen Verhaltens schon gar nicht. Canaris´ Auffassung leistet dem Vertragsbruch Vorschub (wenn der Schuldner noch andere geeignete Gattungssachen hat oder beschaffen kann, warum liefert er ausgerechnet eine bereits konkretisierte an den Dritten?) und ist deshalb abzulehnen.