Sittenwidrig? Eine Entscheidung aus dem Mittelalter des Kapitalgesellschaftsrechts.
von Ulrich Wackerbarth
Jetzt ist es also soweit: Wer gerichtlich mehr verlangt als ihm zusteht, soll nun wegen Sittenwidrigkeit Schadensersatz zahlen.
Das LG Frankfurt hat in einer von der FAZ und anderen vielbeklatschten Entscheidung die Anfechtungsklage eines Aktionärs gegen einen Kapitalerhöhungsbeschluss abgewiesen und die Schadensersatzpflicht des Aktionärs wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung festgestellt.
Zunächst einmal hat das LG Frankfurt dabei zwei unhaltbare Behauptungen aufgestellt:
1. Der Ort der Hauptversammlung in Düsseldorf dürfte schon deswegen nicht zu beanstanden sein, weil nach der maßgeblichen Satzung dies zulässig ist.
Die Satzung enthielt – soweit aus dem Tatbestand der Entscheidung erkennbar – aber nur eine Regelung, dass die Hauptversammlung „am Sitz der Gesellschaft oder jedem anderen Ort der Bundesrepublik Deutschland stattfinden könne“. Das reicht nach Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 121 Rn. 13 jedoch nicht aus, da es für die Wahl des Ortes keine bindenen Regeln enthält. Der BGH meint dazu (NJW 1994, 320): Entscheidend für die Gewährung eines ausreichenden Schutzes gegenwärtiger und künftiger (Minderheits-) Aktionäre ist, daß der Ort oder der geographische Raum, an oder in dem die Hauptversammlungen durchgeführt werden können, in der Satzung verankert und damit gewährleistet ist, daß von dieser Regelung nicht – und wenn, dann nur um den Preis einer Satzungsänderung – abgewichen wird.
Folglich bildete die Wahl des Hauptversammlungsortes Düsseldorf einen Anfechtungsgrund, die Klage des Aktionärs war inhaltlich begründet.
2. In der Anfechtungsfrist habe der Kläger auch nicht behauptet, dass die Unterlagen nach § 175 Abs. 2 AktG nicht in Düsseldorf oder Freigericht vorab ausgelegen haben. Er habe lediglich Düsseldorf als nicht statthaften Versammlungsort beanstandet, d.h. dass die Unterlagen am falschen Ort ausgelegen hätten.
Erstens widerspricht das Landgericht damit seinem eigenen Tatbestand (in dem es nicht widergibt, wann, sondern nur dass der Kläger entsprechende Behauptungen aufgestellt hat). Zweitens reicht es als Anfechtungsgrund durchaus aus, dass die Unterlagen am falschen Ort ausgelegen haben (was ja auch ganz klar ist, denn sonst haben die Aktionäre ja keine Möglichkeit, die Unterlagen einzusehen).
Schließlich und vor allem hält das Landgericht der Anfechtungsklage Rechtsmißbrauch entgegen, weil der Aktionär (der bereits einschlägig bekannte Klaus Zapf) in einem Vergleichsvorschlag die Klagerücknahme gegen die Zuteilung von 21000 Bezugsrechten angeboten hatte, obwohl ihm bestenfalls 38 Bezugsrechte zugestanden hätten. Damit aber nicht genug: Da aus der Verzögerung der Eintragung der beklagten AG Schäden entstehen könnten, hafte der Herr Zapf für diese. Denn er habe versucht, Sondervorteile auf Kosten anderer Aktionäre zu erlangen. Dabei sei dem Kläger nach dem Inhalt des Vergleichsvorschlags auch bewußt, dass dieser nur zu Lasten des Hauptaktionärs gehen könne. Dieser sollte nämlich durch entsprechenden Verzicht auf die ihm gesetzlich an sich zustehenden Bezugsrechte die Zuteilung an den Kläger ermöglichen.
Diese „Begründung“ überzeugt nicht. Wer Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebt, sich das Anfechtungsrecht von der Gesellschaft abkaufen zu lassen, mag rechtsmißbräuchlich handeln. Das Landgericht mag einen entsprechenden Rechtsmißbrauch hier auch festgestellt haben. Aber dass aus diesem Rechtsmißbrauch auch dann ein ersatzfähiger Schaden der Gesellschaft entstehen soll, wenn die Anfechtungsklage inhaltlich begründet war, kann ich nicht nachvollziehen: Es entspricht doch gerade dem Willen des Gesetzgebers, dass anfechtbare Hauptversammlungsbeschlüsse im Ergebnis überhaupt nicht in das Handelsregister eingetragen werden. Nicht die mißbräuchliche Anfechtungsklage, sondern die fehlerhaften Hauptversammlungsbeschlüsse sind die Ursache für den Schaden der Gesellschaft.
Und wenn jemand mehr verlangt als ihm zusteht, dann ist die gesetzliche Lösung ganz einfach: Er bekommt dieses „Mehr“ eben einfach nicht. Ihm daraus einen Strick zu drehen und sozusagen ein „Exempel zu statuieren“, wohl mit dem Ziel einer richterrechtlichen Abschreckung unerwünschter Verfahren, erinnert mich eher an das Mittelalter als an modernes Kapitalgesellschaftsrecht.