Beweislastumkehr nach § 476 BGB

von Ulrich Wackerbarth

Gsell, JZ 2008, 29ff. spricht mir aus der Seele, wenn sie in ihrem Beitrag die Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH zur Reichweite des § 476 BGB kritisiert. Der BGH habe im Zahnriemenfall (BGHZ 159, 215) falsch entschieden, weil als Ursache des fraglichen Motorschadens ein lockerer Zahnriemen feststand. Und der lockere Zahnriemen selbst war ebenfalls ein Mangel und es war daher nach § 476 BGB zu vermuten, dass er bereits bei Gefahrübergang vorhanden war. In Wahrheit lag der Zahnriemenfall also völlig gleich mit dem nunmehr vom BGH entschiedenen Fall (vgl. mein Beitrag hier).

Zutreffend identifiziert Gsell auch die Hauptproblematik des § 476 BGB, nämlich Fälle, in denen ein bestimmter Defekt einer Kaufsache definitiv erst nach Gefahrübergang aufgetreten ist, die Ursache dafür jedoch nicht geklärt werden kann. In Betracht kommen meist sowohl ein bereits bei Gefahrübergang vorhandener Fehler (so dass der Verkäufer haftet) als auch Falschbedienung oder sonstiges Fehlverhalten des Käufers (so dass der Verkäufer nicht haftet). M.E. ist § 476 genau auf solche Konstellationen zugeschnitten, Gsell will dem Käufer in diesen Fällen nur eine Beweiserleichterung zubilligen. Inwiefern diese Erleichterung „schwächer“ ist als die in § 476 BGB angeordnete Vermutung, habe ich allerdings auch nach Lektüre ihres JuS-Aufsatzes aus 2005 nicht ganz verstanden. Vermutlich soll die Ausnahme des S. 2 der Vorschrift schneller eingreifen, wenn z.B. ein Fehlgebrauch des Käufers feststeht, aber nicht seine Ursächlichkeit für den Defekt.

Bei den weiteren Ausführungen von Gsell zu der Behandlung von Verschleiss als mögliche Ursache eines erst nachträglich aufgetretenen Defekts fehlt mir eine Behandlung der naheliegenden Fallkonstellation: Ein Defekt wird sich häufig möglicherweise sowohl auf normalen Verschleiß (kein Mangel) als auch z.B. auf einen Materialfehler, also auf vorzeitigen Verschleiss (= Mangel) zurückführen lassen. Greift § 476 BGB dann ein? Der BGH mußte sich zu genau diesem Problem bislang nicht äußern, die Ausführungen im Turboladerfall (NJW 2006, 434, 436 Rn. 21) sprechen aber eher dafür, dass der Senat die Vermutung des § 476 auf solche Gestaltungen nicht angewendet wissen will. Für den Verkäufer reicht es dann, wenn der Sachverständige nicht klären kann, ob nun normaler Verschleiß oder vorzeitiger Verschleiß für den Defekt ursächlich waren. Verbraucherschutz wird dadurch natürlich nicht gewährleistet. Insgesamt ein lesenswerter Beitrag zur Problematik, bei dem vor allem der technische Sachverstand der Autorin überzeugt und nach meinem Dafürhalten auch deutlich über die Behandlung der Gebrauchtwagenfälle durch den VIII. Senat des BGH hinausgeht.

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