Beweislast bei den kurzen Anfechtungsfristen
von Ulrich Wackerbarth
Stefan Arnold hat in der jüngsten AcP 209 (2009), 285 ff. unter dem nicht sehr einladenden Titel „Zu den Grenzen der Normtheorie“ eine spannende Rechtsmeinung über die Beweislast für die Verfristung des Anfechtungsrechts vertreten. Praktische Bedeutung kann diese Auffassung vor allem für die „kurzen“ Fristen (z.B. unverzüglich in § 121 BGB, ein Jahr in § 124 BGB oder 6 Wochen in § 1954 BGB). Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit trage der Anfechtende, und nicht etwa – wie nach bislang h.M. – trage der Anfechtungsgegner die Beweislast für die Verfristung. Arnold gibt u.a. folgendes Beispiel, bei dem es um die unverzügliche Anfechtung nach §§ 121, 119 BGB geht: Der Verkäufer eines Bildes glaubt, der Maler sei ein unbekannter Dilettant. 3 Wochen später ficht er den Kaufvertrag an, weil ihm seit gestern ein Expertengutachten vorliege, nach dem das Bild von Gustav Klimt stamme. Der Käufer wendet ein, das Gutachten habe V schon einen Tag nach Vertragsschluss vorgelegen. Im Prozess bleibt die Beweisaufnahme fruchtlos, das Gutachten trägt kein Datum, der Gutachter kann sich nicht erinnern. Ist die Anfechtung wirksam oder nicht?
1. Arnold meint, sie sei es nicht: Die Normtheorie, nach der – kurz gesagt – derjenige, der sich auf eine Rechtsfolge beruft, deren Tatbestandsvoraussetzungen darlegen und im Bestreitensfall zu beweisen hat, könne das Problem hier nicht lösen. Zwar sei bei rechtsvernichtenden Tatsachen, die rechtsbegründenden Tatsachen zwingend zeitlich nachfolgen, die Normtheorie grundsätzlich plausibel (aaO, S. 294). (Beispiel: Kann der Verkäufer einen Kaufvertrag beweisen, muss die zwingend zeitlich nachfolgende Erfüllung der Zahlungsverpflichtung grundsätzlich der Käufer beweisen). Doch bei der Anfechtungsfrist gebe die zeitliche Abfolge keine eindeutige Antwort. Denn wenn man annehme, dass das Anfechtungsrecht ab Vorliegen des Anfechtungsgrunds (hier: Irrtum des V) besteht, folgt der Fristablauf der Entstehung des Anfechtungsrechts zeitlich nach. Der Fristablauf vernichte also das zuvor entstandene Anfechtungsrecht. Im Verhältnis zu dem Recht, das durch die Anfechtung vernichtet werden soll, wirke der Fristablauf dagegen rechtserhaltend. Umgekehrt begründe nur die fristgerechte Anfechtung die Nichtigkeit.
2. Arnold überlegt weiter und räumt dem Bestandsschutzgedanken Gewicht ein (aaO, 296 f.): Wer den status quo ändern wolle (hier Bestand des Kaufvertrags), befinde sich in der Rolle des Angreifers. Das Recht entscheide sich aber im Zweifel dafür, den status quo nicht zu ändern (was weiter mit dem notwendigen Rechtsfrieden begründet wird). Worin, so Arnold, besteht nun der Angriff bei Gestaltungsrechten? Nicht nur in ihrem bloßen Bestehen, sondern auch in ihrer – fristgerechten – Ausübung. Der Fristablauf sei demgegenüber gerade kein Angriff auf den status quo.
Arnold wirft der h.M. kurz zusammengefasst vor, sie behaupte lediglich ohne Begründung, dass das Verstreichen der Anfechtungsfrist eine (das Anfechtungsrecht) vernichtende Tatsache sei. Es fehle an einer Begründung, warum die Frist auf das Anfechtungsrecht bezogen werden solle (aaO, 297), sie könne auch auf das Forbestehen des Rechtsgeschäfts bezogen sein. Im Weiteren lehnt er einige alternative Begründungsansätze ab und kommt zu seinem eigenen Ansatz, der eine Gesetzesauslegung versucht. Die Beweislast ergibt sich aus dem Gesetz. Der Wortlaut z.B. des § 121, vor allem die unterschiedlichen Formulierungen bei der unverzüglichen und der 10-Jahres-Anfechtung gäben allerdings nicht wirklich etwas her (aaO, 301 ff.), ebensowenig die historische Auslegung (aaO, 304). Systematisch versucht Arnold einen Gegenschluss zu § 355 Abs. 2 S. 4, gibt aber selbst zu, dass das kaum zwingend ist (aaO, 303).
Im Rahmen der teleologischen Auslegung beruft sich Arnold erneut auf den status quo-Gedanken: Der Anfechtungsgegner brauche Rechtssicherheit: Besteht das Gestaltungsrecht, kann es noch ausgeübt werden, wie lange muss ich noch damit rechnen? Verräterisch ist allerdings bereits ein Satz auf S. 305: Die Anfechtungsfristen bestünden im Interesse des Gestaltungsgegners. Das deutet bereits darauf hin, dass sich auch der Gestaltungsgegner auf diese ihm günstige Rechtsnorm berufen muss und deshalb nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für ihre Voraussetzungen trägt. Anders Arnold: Weil die Frist im Interesse des ohnmächtigen Gestaltungsgegners geschaffen sei, müssten Unsicherheiten über ihren Beginn zu Lasten des Gestaltenden gehen, weil dieser sich auf die Änderung des status quo berufe (aaO, 305 f.).
3. Arnold meint am Ende, dass das Wortlautargument schwach ist (aaO, 307). Dem möchte ich widersprechen. Zwar sind die von Arnold bedachten Wortlautargumente schwach, weil sie lediglich die unterschiedlichen Formulierungen auf Rechtsfolgenseite von § 121 Abs. 1 BGB („muss unverzüglich erfolgen“) und § 121 Abs. 2 BGB („Anfechtung ist ausgeschlossen“) in den Blick nehmen. Diese geben in der Tat für die zu beantwortende Frage nichts her (so auch Arnold, aaO, 302).
Demgegenüber ergibt sich die Beweislast meiner Auffassung nach zwingend im Sinne der herrschenden Meinung, wenn man sich einmal näher die Tatbestandsseite der Anfechtungsfristen anschaut. Beginn und Auslöser der kurzen Anfechtungsfrist des § 121 Abs. 1 ist Kenntnis des Anfechtenden vom Anfechtungsgrund, d.h. positive Kenntnis. Zur Anfechtung berechtigt ist der Irrende aber auch schon v o r seiner Kenntnis vom Anfechtungsgrund. Das Anfechtungsrecht beginnt nämlich bereits im Zeitpunkt der Erklärung. Wenn der Käufer den bloßen Verdacht hat, das gekaufte Kunstwerk sei nicht echt, hat er noch keine Kenntnis. Gleichwohl kann er vorsorglich anfechten und muss es ggf. sogar, falls er sich in der Nähe der 10-Jahresfrist des § 121 Abs. 2 BGB befindet. Stellt sich dann – z.B. im Prozess – heraus, dass das Kunstwerk tatsächlich eine Fälschung ist, so ist die Rechtslage durch die Gestaltungserklärung mit Rückwirkung geändert, obwohl der Anfechtende im Zeitpunkt seiner Erklärung noch keine Kenntnis hatte.
Man kann es auch noch anders sagen. Die Kenntnis vom Anfechtungsgrund, die allein das von Anfang an bestehende Anfechtungsrecht nachträglich unter eine kurze Frist stellt, folgt dem anfechtbaren Rechtsgeschäft zwingend zeitlich nach. Denn besteht die Kenntnis bereits z.Zt. der Erklärung, irrt der Anfechtende nicht, bzw. hat die Zwangslage iSd. § 124 Abs. 2 bereits im Zeitpunkt der Erklärung aufgehört, so ist der Anfechtende nicht durch Drohung zur Willenserklärung bestimmt worden. Allgemein formuliert: Weil das die kurze Frist auslösende Ereignis stets zwingend dem das Anfechtungsrecht begründenden Ereignis zeitlich nachfolgt, liegt es beim Anfechtungsgegner, dieses Ereignis darzulegen und zu beweisen. Die Rückausnahme der h.M. für das wieder vom Anfechtenden zu beweisende fehlende Verschulden ist eine davon zu trennende eigenständige Frage, die hier offenbleiben muss.
Aus der Gesetzesformulierung des § 142 BGB ergibt sich mit der gebotenen Eindeutigkeit im Wortlaut, dass dem Anfechtenden die Vorschrift des § 121 BGB für seine Anfechtungserklärung zunächst einmal egal sein kann. Er muss sich nicht auf § 121 BGB berufen, um anfechten zu können. Dementsprechend muss er auch nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 121 BGB beweisen. Vielmehr beruft sich denknotwendig der Anfechtungsgegner auf diese Norm und muss ihre Voraussetzungen dann auch beweisen.
Aber ich bin auf Kommentare gespannt – in ersten Diskussionen habe ich schon einen Fan von Arnold kennengelernt.