8 Argumente gegen eine Aktualisierung der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG — und ihre Widerlegung
von Ulrich Wackerbarth
In seinem Beitrag mit dem Titel „Die jährliche Entsprechenserklärung und die Mär von der Selbstbindung“ bezieht Ederle in NZG 2010, 655 Stellung gegen die Annahme unterjähriger Aktualisierungspflichten der Entsprechenserklärung zu den Empfehlungen im Corporate Governance Kodex, die die Organe der Aktiengesellschaft gem. § 161 AktG abgeben müssen. Bekanntlich nimmt der BGH seit 2009 mit der jetzt überwiegenden Auffassung in der Literatur an, dass bei (nicht verbotenen) Änderungen der Einhaltung der Kodex-Empfehlungen Vorstand und Aufsichtsrat eine Änderungserklärung abgeben müssen. Das OLG München hat dies jüngst bestätigt.
Das gefällt Ederle nicht und er meint, er hätte einige Argumente gegen die Annahme einer solchen Pflicht zur Aktualisierung. Zunächst einmal muss er indessen zugeben, dass der Wortlaut des § 161 AktG durchaus Raum für die Annahme der h.M. lässt, die Organe erklärten auch für die Zukunft, wie sie mit den Empfehlungen umzugehen gedenken (S. 657). Geschenkt ist auch seine Aussage, dass eine Argumentation mit der Regierungsbegründung keinesfalls zwingend ist (S. 657). Immerhin will auch Ederle der Erklärung zumindest eine „Tendenz“ für die Zukunft entnehmen (S. 657 f.). All das ist letztlich Einleitung. Jetzt wird es ernst.
(1) Kein Argument für die Aktualisierungspflicht sei es, dass gem. § 161 Abs. 2 AktG dauerhaft zutreffende Angaben von der Gesellschaft auf ihrer Homepage zu veröffentlichen seien. Denn es sei und bleibe ja richtig, was im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe beabsichtigt gewesen sei. Außerdem werde die Erklärung durch Einstellen ins Internet nicht dauernd wiederholt (S. 658).
Gegen diese formalistische Argumentation spricht aber, dass Ederle selbst keinen vernünftigen alternativen Zweck des § 161 Abs. 2 AktG anbietet. Welchen Sinn hätte es, eine dauerhafte Einstellung in das Internet zu verlangen, wenn diese Einstellung gerade doch kein Vertrauen auf die aktuelle Handhabung der Kodex-Empfehlungen soll begründen können?
(2) Mit Vertrauen geht es gleich weiter. Das OLG München könne nicht darlegen, warum überhaupt Vertrauensschutz der Aktionäre zu gewährleisten sei. Auf der Zunge zergehen lassen muss man sich dabei folgendes Zitat (S. 658):
„Vertrauen ist ein ubiquitäres Element, das rechtlich zu schützen einer besonderen Begründung bedarf. Eine solche findet sich hier nicht, denn Aktionäre haben weder von sich aus Anlass, auf eine Einhaltung der Empfehlungen des DCGK auch in Zukunft zu vertrauen, noch wäre ein solches Vertrauen den Verwaltungsorganen zuzurechnen.“
Damit erklärt Ederle apodiktisch Vertrauen für unbedeutend, da ubiquitär, und das vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzkrise, die allgemein als Vertrauenskrise verstanden wird. Ferner behauptet Ederle, dass Aktionäre keinen Anlass haben, den Erklärungen von Organen börsennotierter Aktiengesellschaften irgendwelchen Glauben zu schenken (!). Und außerdem unterscheidet Ederle rechtsfehlerhaft nicht zwischen Vertrauensschutz und vertrauensbegründendem Verhalten. Selbstverständlich aber können die Erklärungen nach § 161 AktG (hoffentlich) den Verwaltungsorganen der AG zugerechnet werden.
(3) Ferner meint Ederle, es bestehe ein Widerspruch dazu, dass nach Änderungen am Kodex selbst (oder nach Änderungen an § 161 AktG selbst) keine Aktualisierung der Entsprechenserklärung notwendig sei. Die stichtagsbezogene Erklärung beschränke sich konsequenterweise nicht nur auf den Kodex in seiner Stichtagsfassung, sondern auch auf die bisherige, gegenwärtige und ggf. beabsichtigte Corporate Governance im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe (S. 658).
Dazu haben bereits Hoffmann-Becking und Krieger (ZIP 2009, 904) das Nötige bereits gesagt (die von Ederle zwar zitiert werden, allerdings gerade nicht in diesem Zusammenhang): Durch eine Änderung ihres Verhaltens setzen sich die Organe in Widerspruch zu ihrer eigenen Erklärung, durch eine Änderung des Kodex oder des Gesetzes geschieht das gerade nicht. Der Widerspruch besteht also keineswegs.
(4) Ederle meint, durch die Annahme einer Aktualisierungspflicht werde die jährliche Erklärung zu einem bloßen Mindeststandard degradiert, der kaum eigenständige Bedeutung habe. Und dass, obschon die Aktualisierung so im Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen sei und mit bürokratischem Aufwand und Kosten verbunden sei (S. 658).
Dieses Argument geht an der Sache vorbei, weil die jährliche Erklärung zugleich Rechenschaftserklärung ist und die Organe darlegen müssen, inwieweit für die Vergangenheit entsprochen wurde. Allein dadurch gewinnt die Jahreserklärung bereits die ihr zukommende besondere Bedeutung. Denn eine unterjährige Erklärung ist ja gerade nicht erforderlich, soweit es lediglich darum geht, Verstöße gegen die Empfehlungen in der Vergangenheit offenzulegen.
In sich widersprüchlich und damit abzulehnen sind auch Ederles anschließende Überlegungen zu den Konsequenzen der von ihm abgelehnten Auffassung:
(5) Er meint, de facto schaffe gerade die Auffassung des OLG München eben doch eine Selbstverpflichtung für die Organe, aber gerade keine freiwillige, sondern eine durch die Aktualisierungspflicht erzwungene (S. 659).
Anschließend muss er aber selbst zugeben, dass die Organe ja eben doch jederzeit von den 84 Empfehlungen abweichen können, freilich um den Preis der Änderung der Erklärung. (ebenfalls S. 659).
(6) Und genau das scheint ihm bedenklich. Denn es würde ja bedeuten, dass die Organe jederzeit die 84 Empfehlungen im Blick behalten müssten. (S. 659).
Ederle hält es also für nicht hinnehmbar, dass die Organe der AG tatsächlich die Empfehlungen des Kodex im Blick haben müssen. Und doch: Die Organe müssen jederzeit auch die über 400 Paragraphen des Aktiengesetzes berücksichtigen, ohne dass schon jemand auf die Idee gekommen wäre, die Fehlerlosigkeit von Organhandeln mit Überforderung durch Vorschriftenflut zu begründen. Gleiches gilt für die angeblich hohen, durch Ederle freilich nicht quantifizierten Bürokratiekosten sowie Risiken bei Falscherklärung.
(7) Besonders schön ist auch folgendes Argument:
„Schließlich leidet mit unterjährigen Kontroll- und Anpassungspflichten auch die Übersichtlichkeit der publizierten Entsprechenserklärungen. Ergebnis ist an Stelle des erstrebten Informationsgewinns ein Verlust an Transparenz.“ (S. 659)
Mit anderen Worten: Eine falsch gewordene, aber einfach formulierte Entsprechenserklärung schafft mehr Transparenz als eine richtige, aber kompliziert formulierte. Den Wahrheitsgehalt einer solchen Behauptung wage ich anzuzweifeln.
(8) Ederle hält es am Ende für arbeits- und kosteneffizienter, wenn die Organe nur einmal jährlich gebündelt die Corporate Governance des Unternehmens überprüfen (S. 659). Das allerdings verliehe den Empfehlungen im Deutschen Corporate Governance Kodex einen ganz besonderen Charakter. Sie wären es dann nämlich nicht wert, dass die Organe sie ständig überblicken oder gar einhalten, obwohl die nämlichen Organe doch die Hauptadressaten des DCGK sind. Überzeugend ist das nach meinem Dafürhalten nicht.
Ein Wort noch: Würde man der Argumentation Ederles folgen, so würde dem Gesetzeswortlaut des § 161 Abs. 1 AktG nicht Rechnung getragen: Dort steht, dass erklärt werden muss, ob den Empfehlungen entsprochen „wurde und wird“. Im Verständnis Ederles könnten die Organe ganz unbefangen etwaige Verstöße in der Vergangenheit darlegen („wurde“) und zugleich erklären, „jetzt im Moment“ würde allen Empfehlungen Rechnung getragen („wird“). Diese Erklärung wäre eine Erklärung allein über die juristische Sekunde ihrer Abgabe und vollkommen sinnlos, wenn sie bei Änderung der Handhabung nicht angepasst würde. Es ist aber nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber in den Wortlaut (!) des § 161 BGB eine zwecklose Erklärung über einen bloßen Zeitpunkt aufnehmen wollte.
Man kann es auch so sagen. Wenn man dem Verständnis Ederles folgte, dann wären alle bislang abgegebenen Entsprechenserklärungen falsch. Denn im Moment der Erkärungsabgabe befolgen Vorstand und Aufsichtsrat überhaupt keine Empfehlungen, vielmehr geben sie gerade die Entsprechenserklärung ab (und tun sonst nichts).