Statistische Nachweise für unmittelbare Diskriminierung

von Ulrich Wackerbarth

Nach der Lektüre des Aufsatzes von Katharina Dahm mit dem Titel: „Statistiken zur Geschlechterverteilung als Indiz i. S. des § 22 AGG?“ in BB 2010, 1792 ff., kann man nur den Kopf schütteln — oder zum Alkoholiker werden. Dahm beschäftigt sich mit der Frage, ob Statistiken über den (zu geringen) Frauenanteil in Führungspositionen dazu herangezogen werden dürfen, einem Arbeitgeber die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass er bei der konkreten Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung nicht unzulässig diskriminiert habe, was in der Tat in einer Entscheidung der 15. Kammer des LArbG B.-Bbg. behauptet wurde, die jetzt zur Revision beim BAG ansteht. Gegen diesen unhaltbaren Schluss von der Vergangenheit auf die Gegenwart habe ich mich dezidiert bereits in ZIP 2007, 454, 457 f. ausgesprochen. Dahm fechten derartige Argumente freilich nicht an. Sie ist der Auffassung, dem Arbeitgeber werde ja nicht die in der Vergangenheit begründete weibliche Unterrepräsentanz als allgemeiner gesellschaftlicher Missstand vorgeworfen; vielmehr (S. 1793)

„ist er dafür verantwortlich, dass er diese Unterrepräsentanz aktuell nicht mindert – trotz der geeigneten Bewerbung der Klägerin, die in der Regel als Frau bessere Abschlüsse vorzuweisen hat.“

1. Handwerkliche Fehler

a) Sachverhaltsquetsche

Dieser Schluss vom statistischen Sein auf den zu beurteilenden Sachverhalt ist so ziemlich das Schlimmste, was man einem Juristen vorwerfen kann. Es mag ja statistisch zu belegen sein, dass Frauen „in der Regel“ bessere Abschlüsse als ihre männlichen Konkurrenten haben. Daraus aber zu folgern, dass dies auch im konkreten Fall so war, ist genauso unzulässig wie zu behaupten, der Arbeitgeber habe im konkreten Fall diskriminiert, weil die Statistik belege, dass er „in der Regel“ diskriminiere. Einem Studenten würde ich eine derartige „Sachverhaltsquetsche“ niemals durchgehen lassen.

b) Zitate

Dahm zitiert für ihre Auffassung, dass Statistisken im vorliegenden Zusammenhang herangezogen werden dürfen, u.a. LArbG B.-Bbg. v. 12.2.2009 Rz. 47. Dort hat das LArbG (eine andere Kammer als die oben genannte) sich indessen nur zur mittelbaren Diskriminierung geäußert. Für die hier in Frage stehende unmittelbare Diskriminierung durch Nichtbeförderung hat es dagegen zutreffend eine Indizwirkung von Statistiken abgelehnt (Rz 48 ff.). Auch das von Dahm zitierte ArbG Lübeck hält zwar alles Mögliche für denkbar, aber im konkreten Fall dann eben doch nicht.

Auch die Zitate dafür, dass der Vergangenheitsbezug von Statistiken ihrer Verwendung nicht entgegenstehe, sind falsch: Das LArbG B.-Bbg. v. 12.2.2009 sagt an der von Dahm zitierten Stelle (übrigens Rz 51 f., nicht Rz. 52) genau das Gegenteil von dem, was Dahm in Fn. 17 behauptet. Schlachter äußert sich in der zitierten Rn. 3 im Erfurter Kommentar positiv lediglich zu mittelbaren Diskriminierungen, also ebenfalls ein Fehlzitat. Den Rest habe ich nicht überprüft, aber wer als Student auf der Grundlage dieses Aufsatzes Blindzitate in einer AGG-rechtlichen Hausarbeit wagt, sollte mit schlechten Noten rechnen.

2. Aussagekräftige Statistiken

Sehr schön ist die Erkenntnis Dahms, nicht jede beliebige Statistik, sondern nur „aussagekräftige“ Statistiken dürften als Indiz herangezogen werden.

Was aber ist eine aussagekräftige Statistik? Zunächst einmal sollen nur Zahlen über regional vergleichbare Unternehmen mit vergleichbarem Betätigungsfeld gelten, so Dahm, S. 1793 f. Dabei sollte man einmal darauf achten, wie sehr sich die von Dahm herangezogene Statistik (hier) bereits von Baden Baden bis zum 70 km entfernten Biberach unterscheidet (13 % vs. 20 %). Möglicherweise weisen ja auch die Zahlen innerhalb Baden-Badens, von Ortsteil zu Ortsteil, von Straße zu Straße, von Unternehmen zu Unternehmen ganz erhebliche Unterschiede auf. Wie weit weg vom Unternehmenssitz darf denn die Statistik gehen, wenn sie vergleicht?

Dahm hat eine Lösung parat (S. 1795): Verlange man nur regionale Daten und ein identisches Betätigungsfeld des Unternehmens, so genügten auch rein unternehmensbezogene Statistiken, nach denen der Frauenanteil in den Führungsetagen im Verhältnis zum Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft zu gering ist.

Jetzt wird es spannend: Dahm erkennt noch, dass ein solcher Pauschalvergleich zwischen Frauenanteil unternehmensweit und in der Führung nicht notwendig aussagekräftig ist:

„Aber warum soll die große Anzahl von ungelernten Kassiererinnen im Einzelhandelsunternehmen die unterlassene Beförderung einer Betriebswirtin in diesem Unternehmen als überwiegend wahrscheinlich diskriminierend darstellen?“

Aber dann springt sie doch über die Reling der Galeere, mit der sie sich auf den Geschlechterkampf begeben hat:

„Geht es um die unterbliebene Beförderung einer Juristin, ist zu fragen, wie viele Juristen und Juristinnen es im gesamten Unternehmen gibt (28; 20 Männer und acht Frauen)? Wie viele der Führungspositionen sind mit Juristen und Juristinnen besetzt (zwölf) und welchen Anteil weisen die Juristinnen an diesen Stellen auf (zwei Frauen und zehn Männer)? Sind mit zehn der insgesamt 20 männlichen Juristen 50 % von diesen in den Führungsebenen beschäftigt und im Vergleich dazu nur 25 % der Frauen (zwei von acht), ist eine „gläserne Decke“ und damit eine Diskriminierung überwiegend wahrscheinlich i. S. des § 22 AGG.“

So eine Schlussfolgerung ist hanebüchen: Was ist denn, wenn sich die 8 Frauen in der Vergangenheit nie auf eine Führungsposition beworben hatten und dementsprechend auch niemals auch nur eine Ablehnung einer weiblichen Bewerbung stattgefunden hatte? Das ist übrigens statistisch gar nicht so unwahrscheinlich, wie eine von Jan Fleischhauer hier zitierte Statistik ergibt… Was, wenn als Führungsposition eine Abteilungsleiterin „Personal“ gesucht und die männlichen Juristen im Unternehmen zufällig alle Arbeitsrechtler sind, die weiblichen hingegen alle Gesellschaftsrechtler? Muss man die Gesellschaftsrechtler dann von der Gesamtzahl subtrahieren? Zählen auch die nicht in der Rechtsabteilung arbeitenden Juristen für die Gesamtzahl von 28 mit? Wie eng oder weit muss ich das Berufsbild „stricken“, das hier als Vergleichmaßstab dienen soll? Gilt der Juristenvergleich auch dann, wenn sich die Juristin im konkreten Fall auf eine Stelle bewirbt, die eigentlich für eine Betriebswirtin gestrickt ist? Und wer muss das im Prozess alles vortragen? Welche statistische Aussagekraft haben prozentuale Angaben, wenn sie sich auf ein Gesamtvolumen von lediglich 28 oder noch weniger Persoen bezieht? Je kleiner die untersuchte Zahl, desto geringer der Aussagewert der Statistik, das weiß jedes Kind. Ist ein Diskriminierungsnachweis durch Statistik bei Arbeitgebern mit lediglich einem Prokuristen dann gänzlich ausgeschlossen? Was ist überhaupt eine „Führungsposition“? Dahm unterscheidet anschließend noch weiter in Führungspositionen auf 1., 2. und 3. Ebene mit einer weiteren Verringerung der jeweiligen Vergleichszahlen bis hin zur Unkenntlichkeit. Hier geht es nicht mehr um Statistik, sondern um Vorurteile.

Davon abgesehen: Wenn sich aus der Statistik ergibt, dass in dem konkreten Unternehmen eine gläserne Decke existiert, welchen Schluss kann man daraus für eine konkrete Beförderungsentscheidung ziehen? M.E. nach keinen. Die Statistik ergibt vielleicht, dass man es mit einem Unternehmen mit fragwürdigen Strukturen zu tun hat, aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass die konkrete Entscheidung AGG-rechtswidrig war.

3. Das wahre Ziel: Wir machen Unternehmer zu Behörden

Was Dahm eigentlich erreichen will, erklärt sie am Ende des Aufsatzes (S. 1795 f.). Dem Arbeitgeber sei zu empfehlen,

„auch außerhalb des Anwendungsbereichs der BetrVG die Beförderungsstelle innerbetrieblich auszuschreiben und das gesamte Beförderungsverfahren aus Beweisgründen zu dokumentieren. Er sollte belegen können, dass die Auswahlentscheidung zwischen den Bewerbern ausschließlich anhand eines Abgleichs von Anforderungs- und Bewerberprofil erfolgte. Da die Bewerberanzahl für eine Beförderung wesentlich geringer als für eine Einstellung ist, bedeutet eine derartige Absicherung der 2. Beweisstufe des § 22 AGG keine übermäßige Arbeitgeberbelastung. Entscheidet der Arbeitgeber diskriminierungsfrei – wie es jeder von sich behauptet – und nach Tatsachen, die bereits im Auswahlverfahren nach außen ersichtlich wurden, hat er diese Transparenz auch nicht zu fürchten.“

Der Arbeitgeber ist also bei „falschem“ Frauenanteil gezwungen, innerbetrieblich auszuschreiben. Dahm will den Arbeitgebern verbieten, nach frischen Leuten anders als durch Ausschreibung zu suchen. Er soll ein „Verfahren“ durchlaufen, das gerade nicht allgemein vorgeschrieben ist. Und zwar auch dann, wenn er bereits weiß, wen er befördern will. Das ist eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit, die nicht hinnehmbar ist. Wer bezahlt denn dem Arbeitgeber dieses „Verfahren“, das er nicht will (weil er es nicht braucht) und das im AGG nun einmal gerade nicht(!) vorgeschrieben ist? Ferner soll er das gesamte Beförderungsverfahren dokumentieren, Dahm, S. 1795 f.. Warum sollte er das tun, wenn doch das AGG gerade keinen solchen Zwang zur Dokumentation enthält und der strafrechtliche Grundsatz des „nemo tenetur“ einer solchen Pflicht zur Beweisverschaffung für Dritte über eigenes Unrecht diametral entgegensteht?

Warum soll er belegen können müssen, dass „die Auswahlentscheidung zwischen den Bewerbern ausschließlich anhand eines Abgleichs von Anforderungs- und Bewerberprofil erfolgte“ ? Eine Pflicht des Arbeitgebers, ausschließlich anhand eines solchen Abgleichs zu entscheiden, bedeutete eine materielle Pflicht zur Einstellung nach sachlichen Kriterien. Das AGG verlangt aber nicht vom Arbeitgeber, die Bewerberauswahl „sachgerecht“ vorzunehmen. Er muss gerade nicht wie der öffentliche Dienst den am besten geeigneten Bewerber nehmen. Vielmehr ist er ausschließlich dazu angehalten, nicht aus den vom AGG untersagten Motiven zu diskriminieren. Er darf einen Bewerber auch einfach deshalb auswählen bzw. ablehnen, weil er oder sie ihm sympathisch bzw. unsympathisch ist.

4. Das Landesarbeitsgericht als Ersatzgesetzgeber

a) Vergangenheitsbezug

Unfassbar, dass sich tatsächlich in der Entscheidung des LArbG B.-Bbg. vom 26.11.2008 in Tz. 103 der Satz findet:

„Richtigerweise muss man aber von signifikanten Zuständen aus der Vergangenheit auf die Gegenwart schließen, außer wenn handfeste gegenläufige Tendenzen sichtbar werden.“

Ein solcher Schluss ist selbst bei Vorhandensein „aussagekräftiger“ Statistiken nicht möglich. Denn es kann eben nicht ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber sich eines Besseren besonnen hat. Der Rückschluss aus vergangenem Verhalten auf die heutige Motivation einer Entscheidung ist reine Willkür.

b) Die erfundene Vorschrift …

Das LArbG fordert letztlich, dass für Unternehmen mit zu geringem Frauenanteil andere Maßstäbe für die Auswahlentscheidung bei Beförderungen gelten. Das hört sich zwar aufs Erste nach einem gangbaren Weg an. Die neue Rechtsnorm ist jedoch keine, denn sie lautet: „Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen zu gering ist, dann ist bei Einstellung und Beförderung besonders aufzupassen“. Dieses „besonders aufpassen“ wird dann jedoch nicht konkretisiert (muss der Arbeitgeber jetzt auf jedem Fall eine Frau einstellen oder nur unter besonderen Umständen und unter welchen?) noch wird gesagt, ab welchem genauen „Frauenanteil in Führungspositionen“ denn diese anderen Maßstäbe gelten sollen (ab 0%, 10%, 20%?). Arbeitgeber wissen dann nicht mehr, woran sie sind. Die Folge ist Kadi-Justiz im schlimmsten Sinne des Wortes. Sie müsste vernünftige Menschen als Arbeitgeber veranlassen, ihr Unternehmen aufzugeben. Man kann nicht ein gesellschaftliches Problem (und in der Analyse dieses Problems verdeckter Diskriminierung kann ich die Entscheidung des LArbG B.-Bbg. durchaus nachvollziehen, vgl. Tz. 96 – 100 des Urteils) auf dem Rücken einzelner verklagter Arbeitgeber lösen, indem man in bester Gesinnungsrechtsprechung ihnen etwas unterstellt, was man zwar glaubt, aber eben nicht nachweisen kann.

c) … ist Sache des Gesetzgebers

Man soll auch nicht sagen, dass der Gesetzgeber (!) nicht über genügend Mittel verfügen würde, um an der unerwünschten gesellschaftlichen Situation etwas zu ändern (vgl. aber die sozialwissenschaftliche Untersuchung des LArbG B.-Bbg. Rz. 94 – 100, aus der die 15. Kammer ganz offensichtlich ihre Berechtigung herleitet, den diagnostizierten Missständen auf die von ihm allein für richtig gehaltene Art und Weise, nämlich mit Beweislastumkehr abzuhelfen). Der Gesetzgeber (aber nicht das LArbG B.-Bbg.) kann etwa bestimmte Frauenquoten und Dokumentationspflichten vorschreiben. Er (aber nicht das LArbG B.-Bbg.) kann möglicherweise auch verlangen, dass Einstellungsentscheidungen privater Arbeitgeber auf sachlichen Gründen beruhen müssen, wobei dagegen allerdings recht deutlich der Grundsatz der Privatautonomie spricht. Aber all diese Vorschriften hat der deutsche Gesetzgeber eben nicht erlassen. Das AGG enthält derartige Pflichten gerade nicht. Wenn der Richter solche Pflichten erfindet, (und das gibt das LArbG B.-Bbg. praktisch unumwunden zu: „gewisser Druck in Richtung Quotierung“, Rz. 106), überschreitet er ganz unbestreitbar die Grenzen richterlicher Rechtsfindung. Das ist nicht mehr Jura, sondern reine Politik, aber eben ohne die erforderliche Zuständigkeit.

5. Totalitärer Ansatz

Vorschriften wie die, die Dahm und andere den Arbeitgebern in Deutschland bei der Auswahl ihrer Leute machen wollen, haben einen Zug zum Totalitären, schon weil sie in Tatbestand und Rechtsfolge völlig unscharf und damit unberechenbar sind. Vergleichbar unscharfe Normen gibt es sonst nur in Unrechts-Regimen. Sie sind damit geeignet, Unternehmertum in Deutschland in Frage zu stellen. Vermutlich werden die Geschlechterkämpfer in Deutschland aber erst dann aufgeben, wenn alle Männer und Frauen vollständig und in jeder Hinsicht gleichbehandelt sind. Im Zweifel hat dann allerdings niemand mehr einen Arbeitsplatz, weil es keine Arbeitgeber mehr gibt, die sich derartiger wissenschaftlich verbrämter oder judizieller Gesinnungskontrolle aussetzen wollen.

Eine Reaktion zu “Statistische Nachweise für unmittelbare Diskriminierung”

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