Insiderinformation: Von künftigen Umständen im II. Senat des BGH

von Ulrich Wackerbarth

Die erste Entscheidung, die der neue Vorsitzende des II. Senats des Bundesgerichtshofs Alfred Bergmann mit unterschrieben hat, ist ein echter Paukenschlag. Der BGH räumt in seinem Beschluss vom 22.11.2010 auf mit dem Muff, der sich seit mehreren Jahren im Kapitalmarktrecht festgesetzt hat, und zu dessen Beseitigung der II. Senat im Jahre 2008 zwar alle Chancen hatte, diese indessen ungenutzt verstreichen ließ. Damals billigte er nämlich eine Unterscheidung, die in der maßgebenden Vorschrift (§ 13 WpHG) letztlich nicht angelegt ist und die der Senat nunmehr — gesunder Menschenverstand sei Dank — zu beseitigen sucht.

Um die Entscheidung zu verstehen, muss man zunächst wissen, was eine Insiderinformation ist. Definiert ist diese in § 13 WpHG (vereinfacht) als bislang nicht allgemein bekannte Information über kursrelevante Umstände. Zu den Umständen gehören nun auch erst künftig eintretende Umstände, und zwar dann, wenn ihr Eintritt „hinreichend wahrscheinlich“ ist. Das eigentliche Problem: Je nachdem wie man solche „künftigen Umstände“ definiert, sind bestimmte Vorfeldtatbestände Insiderinformationen — oder eben nicht.

Der entschiedene Fall betrifft das Ausscheiden von Prof. Schrempp aus dem Vorstand von Daimler-Benz im Jahr 2005. Die Kläger machten geltend, bereits mit dem Herantreten von Herrn Schrempp an seinen Aufsichtsratsvorsitzenden habe eine Insiderinformation vorgelegen. (Das hätte dann ggf. weiter zu Ad-hoc Publizitätspflichten geführt). Dagegen gingen die Instanzgerichte und 2008 noch der BGH davon aus, dass erst das tatsächliche Ausscheiden von Herrn Schrempp der maßgebende künftige Umstand sei. Deshalb sollte es darauf ankommen, was anlässlich des Gesprächs gesagt wurde. Wenn Herr Schrempp gesagt hätte, er wolle einvernehmlich ausscheiden, so sei sein Ausscheiden erst mit einem entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss hinreichend wahrscheinlich gewesen. Hätte er dagegen gesagt, er lege sein Amt nieder, dann wäre sein Ausscheiden bereits mit dieser Aussage hinreichend wahrscheinlich gewesen. Nicht sehr einleuchtend, diese Unterscheidung, oder?

Mal im Ernst: Wenn Sie als einzige davon Kenntnis hätten, dass ein Vorstandsvorsitzender eines DAX 30 Unternehmens zu seiner Aufsichtsratsvorsitzenden gesagt hat, er wolle zurücktreten, und wenn Insiderhandel nicht verboten wäre, würden sie dann nicht sehr gerne Aktien dieses Unternehmens kaufen oder verkaufen wollen, weil Sie vom Bekanntwerden dieser Information Kursausschläge in die eine oder andere Richtung erwarten? Und zwar unabhängig davon, ob der Vorstandsvorsitzende später wirklich zurücktritt oder nicht, solange nur nach Ihrem Geschäft die Information an die Öffentlichkeit gelangt? Und auch völlig unabhängig davon, ob das Vorstandsmitglied eine Amtsniederlegung oder ein einvernehmliches Ausscheiden anstrebt? Also wenn ich diese Information (als einziger) hätte, würde ich nicht lange fragen.

Die Worte der Vernunft stehen nun in Tz. 16 des neuen Urteils:

„Die Kursrelevanz eines bereits eingetretenen Umstandes oder Ereignisses hängt nicht stets davon ab, ob ein damit verknüpfter künftiger Umstand oder verknüpftes künftiges Ereignis hinreichend wahrscheinlich eintreten wird. … Ein Anleger wird bei seiner Anlageentscheidung … auch in seine Überlegungen einbeziehen, dass ein Entscheidungsprozess mit offenem Ausgang im Gang ist. So kommt, wenn bei einem Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden wie hier eher mit steigenden Kursen zu rechnen ist, selbst bei offenem Ausgang als Anlageentscheidung in Betracht, Aktien jedenfalls bis zur Entscheidung zu halten.  „

Endlich, endlich, endlich.

Und der EuGH wird auch gleich nach der korrekten Auslegung der Marktmissbrauchsrichtlinie (2003/6/EG) und der Durchführungsrichtlinie (2003/124/EG) gefragt. Das ist wichtig (und hätte bereits 2008 erfolgen müssen), weil nur der EuGH insoweit für ein level-playing field in Europa sorgen kann, und weil ein zu enges Abstellen auf die Wahrscheinlichkeit künftiger Umstände letztlich Insiderhandel straffrei stellt. Wenn im Fall DaimlerChrylser erst bei überwiegender Wahrscheinlichkeit des Ausscheidens von Herrn Schrempp eine Insiderinformation vorgelegen hätte, dann hätte ein Insider mit dem Wissen von einem Vorfeldgespräch zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Geschäfte machen können. Darauf weist der Senat in Tz. 20 des neuen Urteils ganz richtig hin.

An der Insiderinformationsqualität des fraglichen Gesprächs dürfte im Ergebnis nicht zu rütteln sein, ganz unabhängig davon, auf welche Weise genau Herr Schrempp seinen Rücktritt angekündigt hat. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass der EuGH hier abweichend entscheidet. Eine ganz andere Frage ist es, ob das Unternehmen diese Information tatsächlich sofort im Wege der Ad-hoc-Publizität bekannt geben muss. Das ist zu verneinen, vielmehr muss gem. § 15 Abs. 3 WpHG im Gegenteil die Vertraulichkeit dieses Gesprächs sichergestellt werden, bis die unternehmensinterne Entscheidung endgültig gefallen ist. Die Vorlage-Entscheidung des II. Senats dürfte in anderen Bereichen deutliche Folgewirkungen entfalten, namentlich im Übernahmerecht. So spricht jetzt alles dafür, bereits die Planungsphase vor der endgültigen Übernahmeentscheidung, während der ein Bieter Informationen sammelt und eventuell die Finanzierung klärt, als Insiderinformation anzusehen. In der Regel liegt ein bereits eingetretener Umstand iSd § 13 WpHG vor, weil erfahrungsgemäß ein verständiger Anleger die Kenntnis von einer solchen Planungsphase bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Auch die BAFin sollte sich schon einmal auf die Überarbeitung ihres Emittentenleitfadens einstellen. Alles in allem: Es dürfte bald wieder etwas los sein im Kapitalmarktrecht.

Eine Reaktion zu “Insiderinformation: Von künftigen Umständen im II. Senat des BGH”

  1. Olaf Müller-Michaels

    Sehr richtig. Das kann ich nur unterschreiben. Einen guten Rutsch und alles Gute für 2011!