Zum Haareraufen: Deutscher Politiker zum EU-Grünbuch „Corporate Governance von Finanzinstituten“

von Ulrich Wackerbarth

Der Beitrag des FDP – Bundestagsabgeordneten Marco Buschmann in der NZG 2011, S. 87 ff. zu dem angeblich problematischen Grünbuch der EU-Kommission „Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik” ist geeignet, eine durchaus anständige Arbeit der Kommission zu diskreditieren. Erschreckend ist dabei, mit wie wenig Sachkenntnis der Artikel des Rechtsanwalts und Berichterstatters für das Handels- und Gesellschaftsrecht aufzuwarten weiß.

1. Falscher Eindruck durch subjektive Auswahl

Das aktuelle Grünbuch der Kommission (zu finden einschließlch der Reaktion des deutschen Gesetzgebers hier) beschäftigt sich vor dem Hintergrund der Finanzkrise allgemein mit der Corporate Governance von Finanzinstituten, Vergütungsstrukturen und anderen Rahmenbedingungen des Tätigwerdens von Banken. Die von Buschmann für seine Kritik herausgegriffenen Themen (die Berücksichtigung von Einlegerinteressen, sowie Diversity) bilden nur einen kleinen Ausschnitt. Unter den im Grünbuch in Betracht gezogenen Maßnahmen befinden sich auch einige bereits länger diskutierte Ideen, von denen Buschmann nonchalant behauptet, sie seien aus „guten Gründen“ (die Buschmann aber eben nicht nennt) bislang nicht umgesetzt worden. Die Kommission macht indessen daraus auch keinen Hehl und versteht das Grünbuch weniger als zielgenaue Antwort auf die Finanzkrise. Vielmehr nimmt sie die Finanzkrise zum Anlass, unter anderem die Corporate Governance von Finanzinstituten einer Überprüfung auf Verbesserungspotential zu unterziehen. Buschmann erweckt hingegen den Eindruck, der Kommission ginge es vor allem oder im Wesentlichen um die von Buschmann genannten Maßnahmen, weil sie diese bislang auf andere Weise nicht habe durchsetzen können.

2. Sorgfaltspflicht zugunsten der Einleger und Haftung

Unter anderem findet sich im Grünbuch auch die Frage, ob künftig eine Sorgfaltspflicht von Bankvorständen gegenüber Einlegern eingeführt werden sollte. Vor dem Hintergrund, dass bei Banken die Finanzierungsfunktion der Einleger derjenigen von Publikumsaktionären nahesteht, liegt eine solche besondere Verpflichtung bei Banken nicht ganz fern. Einleger unterscheidet nämlich einiges von Gläubigern eines „normalen“ Unternehmens. Sie können z.B. ihre Interessen nicht so schlagkräftig vertreten, wie das etwa ein einzelner Kreditgeber kann, der einem Nichtbank-Unternehmen einen Geld- oder Warenkredit gibt. Oder hat man schon mal einen Einleger gesehen, der sich über financial covenants Mitspracherechte bei der Geschäftsführung der Bank einräumen ließe, weil seine Einlage so hoch ist? Nein, aber Fremdkapitalgeber eines Nichtbank-Unternehmens tun das durchaus. Möglicherweise muss oder kann das Verhältnis des Vorstands einer Bank zu den Einlegern daher auch rechtlich anders ausgestaltet werden als das Verhältnis eines Unternehmensvorstands zu den Kreditgebern seines Unternehmens. Auf dieses  Problem soll hier indes keine abschließende Antwort gegeben werden.

Vielmehr interessiert mich, was Buschmann aus derartigen Überlegungen der Kommission macht, die ja letztlich nur anregen, über eine solche Sorgfaltspflicht näher nachzudenken. Er behauptet nämlich, es gehe der Kommission in Wahrheit um die Einführung eines neuen Haftungstatbestandes (denn was soll eine Sorgfaltspflicht ohne Haftung nützen?). Und zwar mit seinem Privatvermögen (denn solange die Bank solvent ist, braucht man die Haftung des Vorstands ja nicht).

Auf den ersten Blick sind diese seine Schlüsse (und mehr als bloße Schlüsse sind es nicht) nachvollziehbar. Aber letztlich ist Buschmann nur sehr voreilig. Denn von diesen Schlüssen findet sich zum einen nichts im Grünbuch. Die Kommission sucht einfach nach Mitteln, den offensichtlich allzu sorglosen Umgang mit Risiken durch Bankvorstände vor der Finanzkrise einzudämmen.

Nun bin ich zwar nicht so naiv zu glauben, dass sich hinter den „Fragen“ der Kommission nicht eventuell auch eine hidden agenda verbergen könnte. Aber dass sie so aussieht wie von Buschmann unterstellt, wage ich zu bezweifeln. Auch die Kommission weiß nämlich, dass eine Haftung keine Schadenskompensation erreichen könnte. Nicht einmal Herr Ackermann könnte den Einlegern ihren Schaden ersetzen, wenn die Deutsche Bank pleite ginge. Um Kompensation der Einleger durch Bankvorstände kann es der Kommission also nicht gehen. Nein, es geht offenbar vor allem um Prävention.. Wie kann man die Risikobereitschaft von Finanzinstituten auf ein vernünftiges Maß reduzieren? Und die Kommission sucht ganz offensichtlich noch nach guten Ideen, um solche Prävention wirkungsvoll auszuarbeiten. Die Haftung steht nicht im Vordergrund. Die Schlüsse von Buschmann sind deshalb unangebracht.

3. Das Trugbild der angeblich scharfen Vorstandshaftung in Deutschland

Anschließend findet sich in den Ausführungen von Buschmann ein  „landläufiges Vorurteil“, dass nämlich die Vorstandshaftung in Deutschland ohnehin schon besonders scharf ausgestaltet wäre. Der fragliche Vorstand — so Buschmann — müsse sogar beweisen, dass er nicht pflichtwidrig gehandelt habe und ihn kein Verschulden treffe. Alles was die Gesellschaft tun müsse, sei, seine Handlung und den daraus folgenden Schaden zu beweisen. (aaO. S. 88). Diese Ausführungen verkennen die Rechtslage und die Rechtstatsachen. Was die Rechtslage angeht, so verschweigt Buschmann an dieser Stelle, dass es bei den fraglichen Entscheidungen in der Finanzkrise um unternehmerische Entscheidungen ging und dabei vor allem um das Übersehen bzw. die Fehleinschätzung von Risiken. In diesem Bereich aber geht es um die Grenzen der Business Judgment Rule — und diese sind mit der Gleichung: Handlung + Schaden = Beweislast des Managers nicht so einfach zu erfassen wie Buschmann meint.

Was die Rechtstatsachen angeht, so gibt es in Deutschland ein erhebliches Durchsetzungsdefizit bei der Organhaftung. Hierzulande gibt es nämlich — ganz anders als etwa in den U.S.A. — so gut wie keinerlei Anreize für Anwälte oder gangbare Möglichkeiten für interessierte Kläger, die theoretische Organhaftung in der Praxis auch durchzusetzen. Es fehlen namentlich (bis auf einen schmalen Bereich des Kapitalmarktrechts) eine Sammelklage (class action) sowie eine funktionierende Aktionärsklage (derivative suit), es gibt keine vernünftige Kostenregelung, keine Erfolgshonorare für Anwälte (contingency fees) und keine Möglichkeit der vorprozessualen Beweissicherung (pre trial discovery) durch Einsichtnahme in die Dokumentation von Vorstandssitzungen (minutes of the meetings). Solange in Deutschland die Organe ihre haftungsbegründenden Fehler deshalb mehr oder weniger rechtssicher unter den Teppich kehren können, gibt es rechtspraktisch weder Prävention noch Kompensation. Die Lage ist vergleichbar mit derjenigen eines Bananenstaates, in dem zwar eine Vorschrift existiert, nach der Diebstahl streng bestraft wird, jedoch keine Polizei, um die Täter dingfest zu machen, und kein Staatsanwalt, um sie anzuklagen.

Ein Witz also, wenn Buschmann von scharfer Vorstandshaftung spricht. Einzig die Strafsenate des BGH sollten die Vorstände fürchten, denn sie haben sich bislang von der zivilrechtlichen und -prozessualen Situation nicht besonders beeindrucken lassen (ein Umstand, der allerdings von vielen Gesellschaftsrechtlern beklagt wird).

4. Vorstände ohne Verantwortung für ihre Abteilungsleiter?

Gleich anschließend findet sich noch ein besonderes Schmankerl: Es werde

„hier außer Acht gelassen, dass die Risiken, die sich in der Finanzkrise realisiert haben, oftmals gar nicht auf Vorstandsebene, sondern unterhalb dieser Ebene eingegangen worden sind.“

Nach Buschmann kann der Vorstand also sagen, „Mich trifft gar keine Schuld, sondern lediglich meine Abteilungsleiter/Investmentbanker oder anderen Untergebenen“. Diese Haltung zeugt nicht gerade von einem besonderen Verantwortungsbewusstsein, passt aber in (m)ein Bild von bekannten Politikern, die den ihnen nahegelegten Rücktritt mit der Begründung ablehnen, sie selbst hätten von all dem ja nichts gewußt. Nun mag diese Ausflucht bei einem Minister, der sich seine Leute nicht unbedingt alle hat aussuchen können, vielleicht im einen oder anderen Fall noch verständlich oder gar gerechtfertigt sein. Vorstände jedoch übernehmen in aller Regel nicht von außen ein ihnen unbekanntes Unternehmen und wenn doch, dann tun sie es auf eigene Gefahr. Außerdem haben sie sämtliche Möglichkeiten eines hierarchisch aufgebauten Systems. Sie können sich — von Ausnahmefällen abgesehen — eben nicht darauf berufen, dass nicht sie, sondern ihre Mitarbeiter versagt haben. In aller Regel wird ihnen in solchen Fällen ein Organisationsverschulden zur Last fallen. Wer seinen Leuten allzu freie Hand lässt, der kann auch dafür haftbar gemacht werden, wenn diese Unerwünschtes tun.

5. Risikobewusstsein der Einleger und Riskofreudigkeit von Bankvorständen

Völlig verquer ist eine weitere Überlegung Buschmanns, die mit dem Grünbuch auch gar nichts mehr zu tun hat (obwohl sie so tut): Das Risikobewusstsein der Einleger (i.e. dass auch Banken insolvent werden können) sei bereits durch die Finanzkrise selbst gestärkt worden (aaO S. 88) Das ist wohl richtig, eine entsprechende Angst hat sich unter Anlegern in der Tat breit gemacht. Wenn die Kommission nun eine neue Vorstandshaftung gegenüber den Einlegern plane, sei dies geeignet, deren Risikobewusstsein zu schwächen. Offenbar meint Buschmann, dass die Anleger ja dann jemanden hätten, der ihnen haftet, und also sorglos „einlegten“. Ob aber die Aussicht, zusammen mit einigen zehntausend anderen Einlegern gegen ein Vorstandsmitglied einer Pleitebank klagen zu dürfen, zu besonders risikofreudigem Einlegerverhalten einlädt, daran dürften doch wohl erhebliche Zweifel bestehen. Vor allem aber ging es der Kommission in ihrem Grünbuch überhaupt nicht um das Risikobewußstsein der Einleger. Sie redet davon, dass man die Risikofreudigkeit der Bankvorstände möglicherweise reduzieren sollte, eben weil sie mit dem Geld von Einlegern hantieren (OPM-Syndrom). Es geht der Kommission darum, so wörtlich,

„den Verwaltungsrat zur Verfolgung weniger riskanter Strategien zu veranlassen und das langfristige Risikomanagement des Finanzinstituts zu verbessern.“

Diese Worte kann man doch nicht derart mißverstehen wie Herr Buschmann, oder kann man es doch?

6. Einlagensicherung und Finanzkrise

Was Buschmann zum ach so großartigen Einlagensicherungssystem schreibt (aaO. S 88 f.), erscheint mir ebenfalls dringend überprüfungsbedürftig. Wenn eine einzelne Bank insolvent wird, mag das System ja noch funktionieren. Der Kommission geht es aber um die künftige Verhinderung denkbarer Domino-Effekte, durch die mehrere Banken auf einmal zusammenbrechen. Diese Gefahr hat offenbar auch dem ehemaligen Finanzminister Steinbrück im Jahr 2008 als „Abgrund“ greifbar vor Augen gestanden. Mich würde sehr interessieren, ob bei einem gleichzeitigen Zusammenbruch von 2 oder 3 Großbanken in Europa tatsächlich das Risiko, sein Geld zu verlieren, wegen der Einlagensicherung „quasi auf Null“ reduziert ist, wie Buschmann meint (aaO S. 89). Warum hatten dann 2008 eigentlich so viele Leute Angst? Alles nur eine Fata Morgana? Bei uns kommt der Strom aus der Einlagensicherung… Mir persönlich fehlen da doch einige weiterführende Informationen und Überlegungen und ich habe erhebliche Zweifel, ob der von mir mitgewählte Volksvertreter im deutschen Bundestag genau weiß, wovon er da eigentlich so schön ironisierend redet:

„… erscheint es rechtspolitisch nicht als übermäßig dringlich, nun ausgerechnet die bereits besonders gut geschützten Einleger mit zusätzlichen Ansprüchen auszustatten.“

7. Die Business Judgment Rule und Risikobegrenzung

Anschließend singt Buschmann noch ein Loblied auf die Business Judgement Rule (BJR), deren segensreiches Wirken ihm so wichtig ist, dass er sie keinesfalls eingeschränkt wissen will. Warum aufgrund der in Betracht gezogenen zusätzlichen Sorgfaltspflicht zugunsten der Einleger die BJR eingeschränkt würde, erläutert Buschmann allerdings nicht. Und dann kommt ein zitierwürdiger Satz:

„Unternehmerisch notwendige Risikoentscheidungen würden gegebenenfalls in Kapitalgesellschaften deutlich verzögert“

Erstens: warum verzögert? Wenn die neue Sorgfaltspflicht Grenzen setzt, dann wird die Entscheidung entweder verhindert oder nicht, die Möglichkeit einer zeitlichen Verzögerung erschließt sich mir nicht.

Zweitens: Warum „unternehmerisch notwendige Risiken“? Es geht doch gerade darum, durch eine Sorgfaltsbindung auch gegenüber den Einlegern die Risikoneigung der Bankvorstände zu verringern. Buschmann bestätigt in diesem Satz der Kommission ungewollt, dass das von ihr ins Auge gefasste Vorgehen erfolgversprechend ist. Oder ist es aus Buschmanns Sicht so, dass sämtliche Bankvorstände vor und während der Finanzkrise stets das korrekte Maß an noch tragbaren Risiken gefunden haben? Waren also sämtliche Bankvorstände an der Finanzkrise völlig unschuldig und handelt es sich also bei der Finanzkrise um unvermeidbare, jedenfalls durch Rechtsregeln nicht zu vermeidende, höhere Gewalt?

Buschmann belehrt uns auch noch über die volkswirtschaftlichen Vorzüge der BJR:

„Nimmt eine Volkswirtschaft keinerlei Risiko in Kauf, bedeutet dies letztlich Wohlstandsverlust“

Es folgen einige weitere lehrbuchhafte Ausführungen über die Geschichte und die Segnungen der BJR hier und anderswo. Und dann noch eine wichtige Erkenntnis: Der großartige tolle Haftungsfreiraum, den die BJR gewährt, müsste eingeschränkt werden, wenn man neue Haftungstatbestände schaffte.

Hier nun liegt ganz offensichtlich ein weiteres Mißverständnis der Aussagen des Grünbuches durch Buschmann. Die Kommission meint im Grünbuch herausgefunden zu haben, dass eine übermäßige Risikoneigung gerade von Bankvorständen mitverantwortlich für die Finanzkrise gewesen sei. Sie betrachtet also ein statistisches Niveau, nicht einzelne Bankvorstände, und hält dieses Niveau unter der geltenden Rechtslage für zu hoch. Wenn man diese Analyse für korrekt hält (worüber ich hier nicht urteilen will), dann liegt es doch wohl nahe, die Risikoneigung von Finanzinstituten allgemein einzudämmen (was dann nicht notwendig heißt, dass auf einmal „keinerlei Risiko“ mehr in Kauf genommen werden dürfte, a.A. offenbar Buschmann). Eine zusätzliche Verpflichtung der Vorstände gegenüber den Einlegern könnte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer solchen Eindämmung beitragen. Mehr sagt die Kommission  nicht. Die Segnungen der BJR für den Rest der Wirtschaft (der ja keine Einleger kennt, sondern nur Gesellschafter und Gläubiger) werden dadurch also nicht angetastet und unsere Volkswirtschaft muss also auch keine von Buschmann befürchteten Wohlstandsverluste in Kauf nehmen.

8. Subsidiaritätsprinzip, Frauenquote und gleiche Wettbewerbsbedingungen

Als zweites Thema, das ihm im Grünbuch „ins Auge springt“ hat sich Buschmann noch die Frauenquote in Führungspositionen herausgesucht (aaO. S. 90). Schon falsch ist es aber, wenn Buschmann der Kommission unterstellt, sie sehe in einer Erhöhung des Frauenanteils ein Instrument der „Krisenprävention“. Im Grünbuch wird die Vielfalt in der Zusammensetzung des Verwaltungsrats von Finanzinstituten lediglich als einer unter zig verschiedenen Aspekten der Verbesserung der Corporate Governance von Banken angesprochen. Von daher ist es völlig unangebracht zu behaupten, hinter den Vorstellungen des Grünbuchs stecke die These, mit mehr Frauen in Führungspositionen wäre es zur Finanzkrise erst gar nicht gekommen (so aber Buschmann, aaO S. 90). Für diese seine Behauptung kann Buschmann denn auch nicht das Grünbuch zitieren, sondern lediglich die Aussagen von zwei Frauen, die mit der Kommission nicht das Geringste zu tun haben.

Egal wie man zur Quote steht: Jede Quotenregelung greift in die Privatautonomie der Gesellschaften ein. Das erkennt Buschmann ganz richtig. Zutreffend beschreibt Buschmann, wie die „Goldröcke“ in Norwegen die Führungspositionen unter sich aufteilen und die Tatsache, dass die dort praktizierte Quotenregelung für börsennotierte Unternehmen zu einem Rückzug vieler Gesellschaften von der Börse geführt hat. Die Unternehmen weichen der Quote aus, wo sie können.

Anstatt nun diese praktischen Ergebnisse der Frauenquote in Norwegen den undifferenzierten Ausführungen seiner Politiker-Kollegin Renate Künast in der ZRP 2011, 11 („Geschlechtergerechte Besetzung von Aufsichtsräten“) entgegenzuhalten, die dort die norwegische Quote lobt, lamentiert Buschmann über das europäische Subsidiaritätsprinzip. Wenn man schon an eine Frauenquote denke, dann könne diese doch — das Beispiel Norwegen beweise es — wunderbar auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Das europäische Subsidiaritätsprinzip „scheint“ also verletzt zu sein, wenn es eine EU-Quotenregelung gäbe.

Ich weiß nicht, warum Buschmann diese vorsichtige Formulierung wählt. Vielleicht hat er selbst schon gemerkt, dass an dieser Überlegung irgend etwas nicht stimmen kann. Wenn es denn eine Quote geben muss und wenn sie einen Eingriff darstellt (und das tut sie!), dann spricht alles für eine EU-weite Quote. Denn nur auf europäischer Ebene kann ein „level playing field“ geschaffen werden. Zwar kann natürlich stattdessen jeder Mitgliedstaat selbständig seine eigene Quote für die Unternehmen festsetzen. Aus Gründen des einheitlichen Binnenmarktes braucht man aber gleiche Wettbewerbsbedingungen. Oder soll in Zukunft ein deutsches Unternehmen, das eine EU-ausländische Quote nicht einhält, in dem entsprechenden Mitgliedstaat nicht mehr tätig werden dürfen? Oder umgekehrt: sollen alle Unternehmen in Zukunft ihren Sitz und ihre Börsennotierung in dem Mitgliedstaat der EU wählen (dürfen), der die geringste Frauenquote im Aufsichtsrat verspricht? Das Subsidiaritätsprinzip ist wohl der wirklich am wenigsten geeignete Angriffspunkt gegen eine EU-weite Quotenregelung für Unternehmen.

9. Branchen und Börsennotierung

Besonders wichtig ist es nach Buschmann auch, dass die Kommission nicht alles über einen Kamm schert. Diese Gefahr bestehe aber durchaus (aaO. S. 91). Insbesondere sei etwa auch die Differenzierung nach einer möglichen Börsennotierung geboten. Ich frage mich angesichts solcher Äußerungen, ob Buschmann das Grünbuch überhaupt gelesen hat und zitiere aus demselben nur den folgenden Satz:

„Obwohl eine spezifische Empfehlung zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor vorliegt, gelten die Empfehlungen zur Vergütung der Unternehmensleitung auch für die Geschäftsführer börsennotierter Finanzinstitute und enthalten zusätzliche Regeln, insbesondere in Bezug auf Transparenz bei der Managementvergütung.“

Und aus dieser durchaus differenzierten Bestandsaufnahme resultiert eine vorsichtige und differenzierte Frage:

„7.1. Was könnten mögliche zusätzliche Maßnahmen auf EU-Ebene in Bezug auf die Vergütung der Manager börsennotierter Gesellschaften beinhalten und welche verbindliche oder unverbindliche Form könnten sie annehmen?“

10. Zum Schluß

Nach meinem Dafürhalten besteht entgegen Buschmann keine besonders große Gefahr, dass die Kommission undifferenziert vorgeht oder uns „alten Wein in neuen Schläuchen“ verkaufen will. Vielmehr besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass gewisse deutsche Politiker durch unfaire und gefärbte Argumentation ernsthafte Bemühungen der Kommission zu diskreditieren versuchen.
Ich weiß nicht, ob die Behauptungen von Buschmann auf Naivität beruhen oder wider besseres Wissen erfolgen. Sie sind aber jedenfalls objektiv dazu geeignet, den unbedarften Leser über die wahre Situation und den Inhalt des Grünbuches der Kommission zu täuschen. Man lese es also lieber selbst und bilde sich ein eigenes Urteil.
Die EU-Kommission bereitet im Übrigen durch vielfältige wissenschaftliche, auch empirische Erhebungen und Befragungen von Experten ihre Entscheidungen in deutlich umfangreicherer und ansprechenderer Weise vor als es in vielen Fällen der deutsche Gesetzgeber tut. Bei der Entstehung mancher deutscher Gesetze werden Transparenz und Expertenmeinung jedenfalls nicht unbedingt groß geschrieben (siehe auch meinen Blog-Beitrag hier). Die Auswahl der befragten Experten erfolgt z.T. willkürlich. Man gewinnt den Eindruck, als solle mit Anhörungen von ausgewählten Sachverständigen in Ausschüssen eher ein bereits gefaßter Entschluß bestätigt werden, anstatt ein echtes Meinungsbild einzuholen und sich tatsächlich unabhängig beraten zu lassen. Mit Vorurteilen lassen sich  Probleme aber sicher nicht lösen.

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