Aufsichtsrat und Vorstand – Rittersmann oder Knapp
von Ulrich Wackerbarth
Fonk legt mit seinem Beitrag „Vergütungsrelevante Zielvereinbarungen und Vorgaben versus Leitungsbefugnis des Vorstands“ in NZG 2011, 321 ff. dem Aufsichtsrat bei der Festlegung der Vergütung des Vorstands Steine in den Weg. Es geht um die Neufassung des § 87 Abs. 1 AktG durch das VorstAG, nach der anreizorientierte Vergütungszusagen möglich sind, auch die Leistungen des Vorstandsmitglieds zu berücksichtigen sind und insbesondere bei börsennotierten Gesellschaften dir Vergütungsstruktur an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung auszurichten ist. Wohl aus Sorge um möglicherweise unangebrachte Einschränkungen der Leitungsmacht des Vorstands einer (börsennotierten) Aktiengesellschaft plädiert Fonk dafür, dass der Aufsichtsrat insoweit zwar bestimmte Ziele festlegen dürfe, sich andererseits aber nicht allzu sehr in die Angelegenheiten des Vorstands einmischen dürfe.
Zu Recht meint Fonk, die von manchen bereits geäußerte Sorge um eine Schwächung des Vorstands im Verhältnis zum Aufsichtsrat sei nicht zwingend berechtigt. Man müsse aber klare Grenzen für die Zulässigkeit von Zielen setzen.
1. Leiten durch Vergütungsanreize
Um sich dem zu nähern betrachtet Fonk zunächst die aktienrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat ist im Grundsatz Aufsichts- und Überwachungsorgan, ihm können keine „Maßnahmen der Geschäftsführung“ übertragen werden (§ 111 Abs. 4 S. 1 AktG). Ein Weisungsrecht des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand besteht nicht. Dabei müsse es, so Fonk, auch bleiben. Finanziellen Anreizen könnte demgegenüber aber eine (unzulässige) weisungsähnliche Bedeutung zukommen. Wenn der Vorstand nicht pariert, so erhalte er eben keine Prämie.
Diese Überlegung ist natürlich im Grundsatz zutreffend. Vergütungsanreizen kommt eine Steuerungsfunktion zu. Nur: Die Steuerungsmöglichkeit des Aufsichtsrates wird nicht erst durch die Neufassung des § 87 AktG durch das VorstAG begründet. Denn das gesetzlich bestimmte Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand ist seit jeher weit weniger eindeutig, als Fonk annimmt.
2. Die Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat
Dem Aufsichtsrat stehen seit jeher zwei entscheidende Machtbefugnisse zu: Er hat praktisch ein Veto-Recht nach § 111 Abs. 4 AktG (sog. zustimmungspflichtige Geschäfte) und er entscheidet über die Besetzung des Vorstands gem. § 84 AktG. Betrachten wir zunächst § 111 AktG: Warum sollte die dort festgelegte Verhinderungsmacht (zustimmungspflichtige Geschäfte) nicht auch Gestaltungsmacht (und damit echte Leitungsmacht) bedeuten? (a.A. Fonk, aaO. 323). Begründet die Möglichkeit, bestimmte Entwicklungen über § 111 AktG zu verbieten, nicht notwendig zugleich eine Initiativmöglichkeit (a.A. Fonk aaO 323)? Sicher, der Aufsichtsrat kann damit formal nur sagen, wohin die Reise nicht gehen darf. Wenn aber der Vorstand gerade diese Richtung einschlagen wollte, lässt sich wohl kaum noch eine Grenzlinie zwischen positiver Weisung und negativem Veto ziehen. Und: Wenn genug verboten ist, bleibt letztlich nur noch ein Weg übrig. Wo steht im Aktiengesetz, dass der Aufsichtsrat nicht auch strategische Entscheidungen soll treffen können?
Und auf der anderen Seite gibt es § 76 AktG, auf den sich letztlich auch Fonk beruft, wenn er bestimmte Zielvorgaben für unzulässig erklärt. § 76 AktG ist die wohl verlogenste Vorschrift im deutschen Gesellschaftsrecht. Sie suggeriert, der Vorstand habe (stets) die (volle) Leitungsmacht. Das trifft indessen selbstverständlich nicht zu. In Tochteraktiengesellschaften ist der Vorstand mitunter nichts weiter als ein bloßer Angestellter, der exakt das macht, was der Konzernvorstand von ihm will. Da genügt eine bloße Kundgabe dessen, was der Mehrheitsgesellschafter wohl für das Beste hält — der Tochtervorstand folgt, weil er um seine persönliche Abhängigkeit weiß, die durch § 84 AktG sichergestellt ist. Und dies hat selbst der Gesetzgeber in § 17 AktG längst anerkannt. Wer sagen kann, wer Vorstand sein soll, kann stets auch bestimmen, was dieser im Einzelnen zu tun hat. Die sachliche Weisungsmöglichkeit ist als tatsächliche Macht stets in der Personalkompetenz inbegriffen (vgl. ausführlich Wackerbarth, Grenzen der Leitungsmacht in der internationalen Unternehmensgruppe, 2001, S. 79 ff., 81).
Umgekehrt wird § 76 AktG aber auch dazu missbraucht, dem Vorstand Freiheiten einzuräumen, wo er sie nicht benötigt und wo sie auch nicht angebracht sind. Denn neben dem Phänomen der abhängigen Gesellschaft gibt es auch die Publikumsgesellschaft, wo der Vorstand ohnehin kaum noch kontrolliert und überwacht wird, wo er sich seinen Aufsichtsrat vielmehr selbst aussucht (siehe eindringlich Roth/Wörle, ZGR 2004, 565 ff.) und wo er Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat als Schild gegen unliebsame Kontrolle einsetzen kann. Die Literatur hilft ihm noch, da sie ihm erlaubt, nicht ausschließlich im Interesse der Aktionäre zu handeln, sondern nach Belieben weitere Interessen (Arbeitnehmer, Öffentlichkeit) zur Rechtfertigung seiner Entscheidungen heranzuziehen. Gerade bei solchen Gesellschaften ist es aber nicht angebracht, darüber nachzudenken, wie man die Macht des Aufsichtsrates beschränken kann. Gerade hier müsste sie vielmehr gestärkt werden.
3. Professionalisierung und Einfluss müssen Hand in Hand gehen
In der Tat gibt es deutliche Tendenzen, die Macht des Aufsichtsrates zu stärken. Dafür ist nur ein kurzer Blick auf die Entwicklung in den letzten 14 Jahren zu werfen. Aufzuzählen sind unter anderem
– das Recht des Aufsichtsrates zur Auswahl des Prüfers gem. § 111 Abs. 2 S. 3 AktG (KontraG 1998).
– die Pflicht des Aufsichtsrates (gegenüber seinem früheren bloßen Recht) zur Festlegung zustimmungspflichtiger Geschäfte gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG (TransPuG 2002)
– die Auflage für kapitalmarktorientierte Gesellschaften gem. § 100 Abs. 5 AktG, mindestens einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat zu haben (VorstAG 2009)
– und eben die Änderung des § 87 AktG durch das VorstAG.
All dies zeigt: der Aufsichtsrat wird (hoffentlich) professioneller. Und diese jüngere Entwicklung lässt sich nicht damit vereinbaren, dem immer professionelleren Aufsichtsrat auf der anderen Seite einen wachsenden Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu versagen.
Rechtsvergleichend ist zu bemerken, dass die derzeitige Entwicklung in Deutschland und in den USA durchaus geeignet ist, eine gewisse Angleichung der Systeme festzustellen. In den USA wird die Aufsichtsfunktion der non-executive directors im board stärker hervorgehoben, in Deutschland wird der Steuerungsmacht des formal getrennten Aufsichtsrates eine stärkere Bedeutung beigemessen. Ob man diese Entwicklung nun für gut oder schlecht halten soll, kann hier offenbleiben. Jedoch zeigt das us-amerikanische Beispiel, dass man durchaus wirtschaftlich erfolgreich mit einem System leben kann, in dem in Publikumsgesellschaften (auch) die eher beaufsichtigenden Mitglieder der Verwaltung (die non-executive directors) strategische Entscheidungen treffen dürfen und damit sogar unmittelbar die Geschäftsführung beeinflussen.
4. Die Unterscheidung zwischen Ziel und Weg hilft nicht
Fonk will vor allem unterscheiden zwischen (zulässigen) Zielen, die den Vorstand „nur allgemein in der Ausrichtung seiner Geschäftspolitik“ beeinflussen und (unzulässigen) Zielen, die den Weg zum Ziel oder das Wie betreffen (aaO. 324). Diese Unterscheidung lässt sich allerdings schon nicht durchhalten. Fonk hält zum Beispiel die Ausrichtung der Vergütung an „allgemeinen“ Bilanz- oder Finanzkennzahlen für unproblematisch, da sie den Weg offenlasse, die Ausrichtung der Vergütung an Kennzahlen einzelner Unternehmensteile dagegen für unzulässig. Aber unmittelbar anschließend soll schon die Kennzahl „Umsatz“ dazu führen, dass der Vorstand letztlich unzulässig beeinflusst wird (aaO. 324f.). Welche „allgemeinen“ Bilanz- oder Finanzkennzahlen außer dem Gewinn bleiben denn dann noch für eine nach Fonk zulässige Vergütungsregelung übrig?
Umgekehrt ist bei manchen von Fonk dem „Weg“ zugeordneten Vergütungsanreizen keineswegs klar, ob sie nicht doch nur „allgemeinen Zielen“ dienen. Man stelle sich vor, der Aufsichtsrat orientiert die Vorstandsvergütung an einer Verminderung des Co2-Ausstoßes sämtlicher Unternehmensteile. Das ordnet Fonk klar einem unzulässigen Eingriff in das „Wie“ oder den „Weg“ zu (aaO. 325). Und doch: Der Weg zur Verminderung bleibt dem Vorstand frei: Er kann neue Filter oder Katalysatoren einbauen lassen, Elektrofahrzeuge einsetzen, Solaranlagen kaufen allgemeine Sparmaßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs durchsetzen etc. Nun spricht aber gerade § 87 S. 2 AktG von einer „nachhaltigen Unternehmensentwicklung“. Wer ist schlauer: der Aufsichtsrat, der frühzeitig zu erkennen meint, das auf lange Sicht das Unternehmen besser fährt, wenn es bereits jetzt in erneuerbare Energien investiert oder der Vorstand, der meint, das könne man auch noch in 10 Jahren tun? Letztlich geht es um die Weitsicht der Unternehmenslenker. Und diese Weitsicht kann man nicht allein dem Vorstand unterstellen.
Und: Was ist daran so schlimm, wenn dem Vorstand quantitative Vorgaben gemacht werden? Fonk nennt als Beispiele Kennzahlen für Kundenzufriedenheit, Lohnniveau oder Kostenreduktion (aaO. 325). Ganz zweifelsfrei greifen diese von Fonk für unzulässig gehaltenen Maßnahmen in die Freiheit des Vorstandes ein. Doch jedes Vorstandsmitglied ist ein freier Mensch. Und ohne Zustimmung des Vorstandsmitglieds kann dieser nicht zum Vorstand gemacht werden. Letztlich muss also auch der Vorstand zur wie auch immer gearteten Vergütungsregelung „Ja“ sagen. Alle Vorgaben setzen also letztlich voraus, dass Aufsichtsrat und Vorstand sich einigen. Diese Einigung sollte man fördern, und das tut man nicht, indem man dem Aufsichtsrat den Versuch verbietet, Einfluss zu nehmen.
5. Grenzen der Macht des Aufsichtsrates
Zustimmen kann ich Fonk hingegen ohne weiteres darin, dass Zielvereinbarungen, mit denen der Aufsichtsrat nicht das Gesamtinteresse aller Aktionäre, sondern letztlich nur Interessen einzelner Aktionäre verfolgt, unwirksam sein müssen (aaO. 325). Fonk bringt zu Recht das Beispiel der Ausrichtung der Vergütung eines Tochter-Vorstands auf übergeordnete Konzerninteressen. Wenn feststeht, dass der Aufsichtsrat selbst korrumpiert ist, weil die Vergütungsvereinbarung nur das Interesse der Muttergesellschaft als einem von mehreren Aktionären fördert, muss sein Einfluss beschränkt werden. In der unabhängigen Gesellschaft hingegen spricht alles dafür, nicht den Aufsichtsrat, sondern den quasi-autonomen Vorstand stärker an die Kette zu legen.
Und: An der fehlenden Vertretungsmacht des Aufsichtsrates ändert seine stärkere Geschäftsführungsbefugnis nichts. Er kann, wie es so schön heißt, niemals die „die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umsetzen“ (BGHZ 97, 269, 272). Und deshalb kann er zwar Einfluss auf die strategische Ausrichtung nehmen, das ändert aber nichts daran, dass die etwa die Verantwortung für die finanzielle Lage der Gesellschaft allein beim Vorstand bleibt. Dieser muss seine Pflichten nach §§ 91 Abs. 2, 92 AktG und § 15 a InsO erfüllen, ohne sich darauf berufen zu können, letztlich sei der Aufsichtsrat verantwortlich.
Eine viel dringendere Frage ist, inwieweit die neue Macht des Aufsichtsrates an die Aktionäre rückgebunden ist oder werden muss. Der Aufsichtsrat ist so wenig wie der Vorstand Gutsherr sondern Gutsverwalter, auch wenn er die Ziele der Gesellschaft anstelle der Aktionäre konkretisiert. Einer Abstimmung in der Hauptversammlung über Zielvorgaben steht seit der Einfügung des § 120 Abs. 4 AktG nichts entgegen. Die rechtliche Bedeutung dieses konsultativen Beschlusses kann man künftig steigern. Und wenn der Aufsichtsrat die Vergütung des Vorstandes z.B. an kostenträchtige Maßnahmen knüpft, die den Gewinn der Gesellschaft schmälern, dann muss er sich seiner politischen Verantwortung stellen — spätestens bei den nächsten Wahlen zum Aufsichtsrat. Wenn der Aufsichtsrat sich also in die Strategie einmischt, so gilt auch für ihn. Mehr Macht geht stets mit mehr Verantwortung einher.