Scheme of Arrangement – von Eingriffsnormen und räuberischen Gläubigern (Akkordstörern)
von Ulrich Wackerbarth
Maier bespricht in der aktuellen NZI 2011, 305 ff. „Die praktische Wirksamkeit des Schemes of Arrangement in Bezug auf englischrechtliche Finanzierungen“, neben dem Beitrag von Mayer-Löwy/Fritz, ZInsO 2011, 662 ff. wohl eine Reaktion u.a. auf den Beitrag von Lambrecht, ZInsO 2011, 124 ff. „Das Scheme of Arrangement zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes“.
1. Der Meinungsstreit
Der englische Zwangsvergleich unter Aufsicht des High Court of Justice ist eine aktuell sehr beliebte Möglichkeit einer stillen Sanierung von deutschen Unternehmen in der Krise nach englischem Recht. Er wurde erfolgreich etwa im Fall TeleColumbus eingesetzt. Soweit eine sufficient connection des Unternehmens zu England vorliegt, finden die Regeln über das Scheme of Arrangement (ss. 895 ff. Companies Act 2006) auch dann Anwendung, wenn das COMI (Center of Main Interest, entspricht ungefähr dem Sitz) des Unternehmens nicht in England liegt, es sich also z.B. um ein deutsches Unternehmen handelt. Dann kann mit Mehrheitsabstimmung (einfache Kopfmehrheit und 75% der Forderungssumme) ein (teilweiser) Rechtsverzicht auch gegen den Willen einzelner Gläubiger beschlossen werden. Diese Einzelnen müssen aber vorher umfassend unterrichtet werden, vgl. s. 897 CA 2006.
Lambrecht hatte nun in seinem Beitrag dargelegt, dass und warum diese Information möglicherweise einen Gläubigerantrag nach deutschem Recht (§ 14 InsO) rechtfertigen und zugleich praktisch ermöglichen könnte, da mit ihr das Vorliegen von Eröffnungsgründen nachgewiesen werden könnte. Denn warum sollten Gläubiger auf Forderungen verzichten müssen, wenn das Unternehmen weder zahlungsunfähig noch überschuldet ist? Durch den Gläubigerantrag könnte das SoA im Ergebnis verhindert werden.
Maier sieht die Auffassung von Lambrecht offensichtlich als Versuch, sog. Akkordstörern die Behinderung sinnvoller Sanierungsversuche zu erleichtern. Solche Versuche seien aber zum Scheitern verurteilt und ein SoA müsse in Deutschland anerkannt werden. In die gleiche Kerbe schlagen auch Mayer/Löwy/Fritz im o.a. Beitrag. Die Vorlage eines SoA sei nicht geeignet, irgendwelche Schlüsse auf die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung eines Unternehmens zuzulassen.
2. Nach räuberischen Aktionären nun räuberische Gläubiger?
Was wohl wirklich hinter diesem Streit steht? Geht es tatsächlich um das Problem räuberischer Gläubiger, die ähnlich wie räuberische Aktionäre nicht einsehen wollen, dass der Teilverzicht auf ihre Forderung das Beste für alle ist, und die nun ihr Erpressungspotential nutzen wollen, um sich ihre Forderungen teuer abkaufen zu lassen? Oder geht es um einen Kampf der Insolvenzverwalter, die lieber ein deutsches Insolvenzverfahren wollen, gegen die Beraterbranche, die mit dem SoA auch in England gutes Geld verdienen kann? Denkbar ist auch, dass sich ein deutsches Unternehmen durch forum shopping unangenehmer Gläubiger entledigen will. So wie es wohl Akkordstörer gibt, wird es auch mißbräuchliche Schemes geben, mit denen man Vermögen umverteilen will. Hoffentlich gerät vor diesen vielfältigen Interessen nicht das zentrale Ziel aus dem Blick, nämlich ein sanierungsbedürftiges Unternehmen wieder flott zu machen!
Nicht vergessen werden sollten aber auch die Vorteile einer solchen Sanierung: Die bedeutenden Hindernisse für die rechtzeitige Durchführung eines Insolvenzverfahrens in Deutschland sind nach Auffassung vieler die Furcht des Unternehmers vor dem Makel der Insolvenz (zur Stigmatisierung der Insolvenz siehe meinen Beitrag hier unter 4.), dem damit einhergehenden Verlust der Kontrolle und die Ungewissheit über die Person des Insolvenzverwalters. All diese Nachteile werden durch eine vorinsolvenzliche Sanierung nach englischem Recht natürlich vermieden.
3. Unterschiede im englischen und deutschen Sanierungsrecht
Im Rahmen der aktuellen Diskussion um eine Insolvenzrechtsreform (ESUG) ist umstritten, ob man auch in Deutschland wieder ein vorinsolvenzliches Vergleichsverfahren einführen soll und wie dieses aussehen soll (vgl. dazu etwa die Beiträge von Jacoby, Westpfahl und den Diskussionsbericht von Schall in ZGR 2010, Heft 2-3). Dass es bereits de lege lata einen freiwilligen vorinsolvenzlichen Sanierungsvergleich geben kann, ist hingegen unstreitig. Vor der Insolvenz können aber nach deutschem Verständnis nicht gegen den Willen Einzelner Zwangsverzichte einfach mit (qualifizierter) Mehrheit festgelegt werden. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt das Einstimmigkeitsprinzip, und wer nicht einverstanden ist, ist deshalb noch lange kein Akkordstörer. Und wenn ein solcher Zwangsverzicht nach englischem Recht so einfach und in Deutschland ohne weiteres anzuerkennen wäre, so stellte sich nachdrücklich die Frage, wo die Gesetze gemacht werden, nach denen deutsche Unternehmen (und ihre Gläubiger) zu leben haben — im deutschen Bundestag oder im Palace of Westminster?
Andererseits endet das englische Verfahren immerhin mit einer gerichtlichen Entscheidung innerhalb der EU und ist damit jedenfalls mehr als ein bloßer Vertrag. Wenn man der englischen Entscheidung Wirkungen auch im Inland beimessen will (aktuell dazu unterschiedliche Auffassungen von LG Rottweil und OLG Celle, Revision anhängig beim BGH), dann sollte Gläubigern eines Unternehmens mit Sitz in Deutschland gegen ihren Willen immerhin nichts genommen werden dürfen, was sie nach deutschem Insolvenzrecht hätten verlangen können.
Insofern müssten mindestens zwei Probleme gelöst werden. Erstens ist die Einteilung der Gläubiger im deutschen Recht des Insolvenzplanverfahrens anders geregelt als nach englischem Recht. Im Companies Act 2006 ist die Gruppierung der Gläubiger nicht streng festgelegt sondern unterliegt nur der richterlichen Aufsicht auf ihre Sachgemäßheit. Im deutschen Insolvenzrecht dagegen schreibt insbesondere § 222 InsO eine bestimmte Gruppenbildung vor. Und zweitens gibt es einen Minderheitenschutz nach § 251 InsO, wonach ein Gläubiger dem Plan widersprechen kann, wenn er durch den Plan schlechter gestellt wird als er ohne ihn stünde.
4. Schutz vor ausländischen Eingriffsnormen
Bei den ss. 895 ff. Companies Act 2006 handelt es sich aus Sicht des internationalen Privatrechts um sogenannte Eingriffsnormen, deren Anwendung in Deutschland allenfalls in Ausnahmefällen anerkannt werden kann, nämlich dann, wenn ein sog. Wertegleichklang (shared values approach) vorliegt. Ein solcher Wertegleichklang zwischen deutschem und englischem Recht endet aber jedenfalls dort, wo das Recht des deutschen Insolvenzplans einen weitergehenden Schutz der Gläubiger vorsieht. Und das tut es eben in den §§ 217 ff. InsO. Zwar sind diese Vorschriften vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht unmittelbar anwendbar. Aber das bedeutet richtigerweise nur, dass sie vor der Verfahrenseröffnung die Gläubiger einer deutschen Gesellschaft erst recht vor Zwangseingriffen nach ausländischem Recht schützen müssen.
Dass der Gesetzgeber durch die InsO einen gerichtlichen Vergleich vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stets positiv ausschließen wollte, kann man hingegen wohl kaum unterstellen. Zwar sieht deutsches Recht ein solches Verfahren nicht (mehr) vor, erkennt aber andererseits ausländische Verfahren nach § 343 InsO jedenfalls in Grenzen an. Es kommt also auf die Qualifikation des SoA an.
Das zentrale Argument des OLG Celle gegen die Einordnung des SoA als Insolvenzverfahren iSd § 343 InsO erscheint insoweit unberechtigt. Wenn das SoA keinen insolventen Schuldner zum Gegenstand hätte, dann bräuchte man es schließlich nicht. Insoweit stimme ich Lambrecht zu, der aaO. nachgewiesen hat, dass der Versuch eines SoA letztlich das Vorliegen von Insolvenzgründen nach deutschem Recht beweist. Im englischen Recht wird ein Insolvenzgrund dagegen nicht geprüft — das SoA setzt aber auch keine Solvenz des Schuldners voraus. Die OLG-Celle-Entscheidung unterliegt offenbar einem Fehlschluss aus der bloßen Bezeichnung „solvent scheme of arrangement“.
Das heißt im Ergebnis: die englische Entscheidung mag man mit dem LG Rottweil als ausländisches Insolvenzverfahren nach § 343 InsO anerkennen, das erzielte Ergebnis sollte man indessen nicht nur pauschal am deutschen ordre public messen, wie dies Maier, aaO. 306 befürwortet. Vielmehr sollte die Entscheidung nur insoweit anerkannt werden, als sie den materiellen Bestimmungen zum Schutz der Gläubiger in den §§ 217 ff. InsO nicht widerspricht.
Mit einer derart beschränkten Anerkennung könnte man noch immer die Vorteile des SoA nutzen, und zugleich Missbrauchsmöglichkeiten vermeiden oder jedenfalls einschränken. Bis zur Abstimmung über das SoA müsste die Entscheidung über einen eventuellen Gläubigerantrag in Deutschland nach § 14 InsO dann freilich zurückgestellt werden.
Am 9. Juli 2012 um 15:11 Uhr
[…] Was es gibt, sind Verhandlungen mit den Gläubigern, und zwar im Zweifel zu spät und auch nur mit einem Teil von ihnen (die Kleingläubiger kann man später als angebliche Akkordstörer abkanzeln, siehe hier). […]