Was Richter (nicht) wollen oder: Sonderprüfung ist Teufelszeug

von Ulrich Wackerbarth

Kontrolle und Corporate Governance

Die deutschen Unternehmensjuristen reden es sich immer wieder ein – und am Ende glauben sie es selbst: In der deutschen Corporate Governance steht alles zum Besten und wenn nicht, dann sind allenfalls Minderheiten und Kleinaktionäre mit dem üblen Missbrauch ihrer am besten immer weiter zu reduzierenden Rechte daran schuld. Die Rechte von institutionalisierten Mehrheiten, von Großaktionären oder allgemein: von Insidern gehen jedoch weit über die von räuberischen Kleinaktionären allenfalls erreichte Oberfläche hinaus und können sehr viel effektiver missbraucht werden. Das aber fällt niemandem auf oder ein und es kümmert sich auch niemand darum. Warum auch, denn die Aktionäre sind ja selbst schuld, wenn sie Aktien kaufen.
Diesen ökonomischen Kurzschluss unterstützend ist nun offenbar auch die Richterschar der Meinung, wir hätten schon genug Streit und wollen lieber nicht noch mehr davon und schon gar nicht vor deutschen Oberlandesgerichten. Friedhofsruhe in der Corporate Governance also. Auf welche Weise und mit welcher Intensität es Minderheitsaktionären schwer gemacht wird, in offenbar berechtigten Fällen Vorgänge einer unabhängigen Kontrolle zu unterziehen, beweist eine ganze Serie von OLG-Entscheidungen.

Einige Beispiele

OLG München, v. 8. 6. 2011 – 31 Wx 81/10

Die Muttergesellschaft (die Angaben im Sachverhalt lassen darauf schließen, dass es sich um die RWE-AG handelt) hatte ihre mehrheitlich gehaltene Enkel-AG von einer Tochtergesellschaft mit Strom beliefern lassen, und zwar – wie das OLG unterstellt – zu überteuerten Preisen. Der von einigen Aktionären gestellte Antrag auf Sonderprüfung dieser Vorgänge bei der Enkel-AG nach § 315 AktG wurde gleichwohl abgelehnt:

„Entgegen dem Beschwerdevorbringen belegt auch nicht bereits der Umstand, dass die Antragsgegnerin im Zeitraum von Januar bis Mai 2008 den Strom zu höheren monatlichen Durchschnittspreisen im Vergleich zu Wettbewerbern bezogen hat, den hinreichenden Verdacht der Zufügung eines pflichtwidrigen Nachteils. Denn ein solcher wäre nur dann gegeben, wenn der jeweilige Strombezug tatsächlich zu gegenüber dem Marktpreis überhöhten Preisen erfolgt wäre. Ein solcher Schluss lässt sich aber aus einem Vergleich von Durchschnittspreisen nicht zwingend ziehen, da diese gerade nicht auf den jeweiligen Einzelbezug abstellen.“

Es reicht also nicht, dass die Minderheit beweisen kann, dass der Großaktionär zu überhöhten Preisen seiner Gesellschaft Energie verkauft hat. Nein, die Minderheit muss nachweisen, wo es denn alternative Angebote für die Tochter zu welchen Preisen gab. Woher soll die Minderheit die notwendigen Informationen denn haben? Über eine Sonderprüfung? Ach nein, die wird ja erst durchgeführt, wenn man sie nicht mehr braucht. Wahrscheinlich wäre das dem OLG München immer noch nicht genug: Warum soll die Minderheit nicht auch einen konkreten Vertragsentwurf, der vom Drittanbieter unterzeichnet ist, ihrer Klage beilegen, damit die Sonderprüfung durchgeht?

OLG Frankfurt v. 15. 6. 2011 – 21 W 18/11

Eine Lüge ist lässlich, wenn sie erst im Nachhinein über den fraglichen Sachverhalt stattfindet. Das OLG Frankfurt meint allen Ernstes, die nachträgliche wahrheitswidrige Darstellung von Vorgängen sei kein Anlass, eine Sonderprüfung ebendieser Vorgänge einzuleiten.

„Diesbezüglich ist schon der Ansatz unzutreffend. Die mit dem Antrag begehrte gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers soll dazu dienen, Unredlichkeiten oder grobe Gesetzes- oder Satzungsverletzungen bei dem Vorgang zu ermitteln. Der betreffende Vorgang ist die Übernahme der D. AG durch die Antragsgegnerin. Maßgeblich ist also, ob bei dieser Transaktion Unredlichkeiten oder grobe Gesetzes- oder Satzungsverletzungen vorgekommen sind. Hingegen ist es ohne Aussagewert für das Vorliegen einer Unredlichkeit oder einer groben Gesetzes- oder Satzungsverletzung bei dem Vorgang, ob Vorstand und Aufsichtsrat in einem späteren Anfechtungsprozess wahrheitsgemäß oder wahrheitswidrig vorgetragen haben.“

Nach § 142 Abs. 2 AktG muss es „bei dem Vorgang“ zu einer Pflichtverletzung, einem Gesetzesverstoß oder Satzungsverstoß gekommen sein. Zum Vorgang gehört auch die ordnungsgemäße Berichterstattung über den Vorgang. Wenn dabei gelogen wurde, reicht das aus, um den gesamten Vorgang einer Sonderprüfung zu unterstellen. Denn es wird nicht eine konkrete Pflichtverletzung, sondern der gesamte Vorgang geprüft. Und dazu gehört zweifelsohne auch die anschließende Berichterstattung.

OLG Stuttgart v. 15.6.2010 8 W 391/08

Hier hatte die Tochter eine Unternehmensbeteiligung an die Mutter verkauft. Bei diesem konzerninternen Rechtsgeschäft stand als Tatsache fest, dass für die Unternehmensbeteiligung zwei unterschiedliche Bewertungen 405 T€ und 651 T€ in Betracht kamen (verkauft wurde dann für 450 T€). Außerdem stand fest, dass die Vorstandsmitglieder der Tochter an der Mutter im Rahmen einer Private Equity Transaktion mittelbar beteiligt worden. Für das OLG Stuttgart ist der auf der Hand liegende Zusammenhang jedoch „nicht nachvollziehbar“. Es lässt sich lieber von den Darlegungen der Wirtschaftprüfergesellschaft (deren Gebaren ja doch eigentlich im Wege der Sonderprüfung einer unabhängigen Kontrolle unterzogen werden sollte) davon überzeugen, warum 405 T€ der richtige Ausgangspreis für Verhandlungen ist und nicht der Ertragswert von 651 T€.

OLG Hamburg v. 23.12.2010 – 11 U 185/09

Hier wurde die Sonderprüfung gleich mangels Bestimmtheit des Antrags abgeschmettert. Der Kläger hatte den maßgeblichen Sachverhalt mit ca. 8 Spiegelstrichen konkretisiert, die das OLG Stück für Stück abarbeitet und aus dem Umfang der verlangten Prüfung einfach ableitet, dass die beantragte Prüfung zu umfangreich sei. Die Sonderprüfung dann eben in einem geringeren — genauer: in dem vom Gericht für richtig gehaltenen —  Umfang zuzulassen, kommt dem OLG Hamburg erst gar nicht in den Sinn. Wenn zu viel verlangt wird, dann ist der Antrag eben unbestimmt und damit gleich ganz unzulässig.

(Leitsatz 5 S. 2): „Ebenfalls unzulässig sein kann ein Sonderprüfungsantrag, der eine Reihe von einzelnen Prüfungsgegenständen benennt, die in ihrem Gesamtbild darauf hinauslaufen, die Geschäftsführung zu weiten Teilen zu überprüfen, und sich als Ausdruck eines unspezifischen Generalverdachts gegen die Verwaltung darstellen“

Ganz besonders schön sind auch die Ausführungen des OLG zur Frage, wie genau denn der Antrag zu bestimmen sei. Richtig ist der Ausgangspunkt: Je mehr Informationen der Antragsteller bereits hat, desto genauer muss er den Antrag bestimmen. Und dann aber wird dem Antragsteller, der ja über die Sonderprüfung Informationen erlangen will, genau diese Bestimmung vorgeworfen:

„Der Umstand, dass der Kläger den mit diesen Prüfungsgegenständen zum Ausdruck kommenden Generalverdacht gegen die Verwaltung im vorliegenden Verfahren punktuell konkretisiert hat (z.B. Schriftsatz vom 10.6.2009, S. 11 zur „schwimmenden Ware“, Spstr. 4; S. 13 f. zu den Rückstellungen, Spstr. 8), belegt zudem, dass er teilweise durchaus über Informationsmöglichkeiten verfügte, die ihn in die Lage versetzen, den Prüfungsauftrag genauer zu bestimmen.“

Mit anderen Worten: Wenn der Antrag nicht bestimmt genug ist, dann ist er unzulässig. Wenn der Antrag aber deshalb eben „bestimmter“ gefasst wird, dann beweist das ja, dass der Antragsteller schon über genügend Informationen verfügt. Folglich ist der „bestimmtere“ Antrag dann erst recht nicht ausreichend bestimmt, die Sonderprüfung ist, man ahnt es schon, unzulässig.
In seiner Entscheidungsbesprechung bemerkt Mock, EWiR 2011, 581, dass „die Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrags auf Bestellung eines Sonderprüfers damit überhöht werden“. Das glaube ich auch. Anders als Mock aaO. meint, benötigte der Kläger im streitigen Verfahren aber nicht einmal Tatsachen, aus denen der konkrete Verdacht einer Pflichtverletzung folgt. Denn es ging um eine Sonderprüfung nach § 142 Abs. 1 und die Hauptversammlung kann in diesem Fall eine Prüfung auch ohne solchen Verdacht beschließen. Der „Unbestimmtheitsweg“, den das OLG genommen hat, war also hier die einzige Möglichkeit, die Prüfung abzuschmettern.

Der Teufelskreis: Ohne Information keine Information

Auf den in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Teufelskreis hatte ich bereits 2005 in meinem Aufsatz in „Der Konzern“ 2005, S. 562, 573 hingewiesen. Es ist ganz einfach: Durch die Sonderprüfung sollen die außenstehenden Aktionäre eigentlich Informationen darüber erhalten, ob es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Wenn man eine Sonderprüfung aber erst dann zulässt, wenn die Aktionäre derartige Informationen schon haben, dann schneidet man die Aktionäre im Ergebnis endgültig von der Informationsversorgung ab. Genau dies haben sich die Oberlandesrichter dieser Republik offenbar zur persönlichen Aufgabe gemacht. Investorvertrauen wird durch solche Entscheidungen nicht begünstigt.

Der Zweck der Sonderprüfung ist es u.a., Klagen gegen Manager vorzubereiten. Ich hatte vor zwei Jahren in einer Podiumsdiskussion einen Vorschlag gemacht, das Spannungsverhältnis zwischen Informationsdefizit der Aktionäre auf der einen und Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen durch einen richterlichen Filter zu beseitigen (näher hier auf S. 24 f. des pdf-Dokuments). Unter Gelächter hat der damalige Vorsitzende des II. Senats Wulf Goette den Anwesenden verkündet, dass die Justizministerin sich bei meinem Vorschlag schon mal auf eine Überlastung der Gerichte bzw. die Schaffung neuer Kammern gefasst machen kann. Herzlichen Dank für die Bestätigung, Herr Goette: Ohne Klagen und ohne Mehrbelastung der Gerichte werden wir die Defizite bei der Durchsetzung der Managerhaftung bestimmt nicht beseitigen. Man muss sich nun schon entscheiden: Entweder will man die Klagen, dann kostet das Arbeit und die Richter müssen da durch. Oder man will die Klagen in Wahrheit nicht, weil man – Finanzkrise hin oder her – die Verantwortlichen unkontrolliert weiterwurschteln lassen will wie bisher oder weil man einfach nicht (noch) mehr Arbeit haben will. Genau das wollen offenbar die Richter der Oberlandesgerichte von Hamburg bis München bzw. wollen das andere nicht.

 

2 Reaktionen zu “Was Richter (nicht) wollen oder: Sonderprüfung ist Teufelszeug”

  1. Andre

    Der Punkt ist ja auch die präventive Wirkung solcher Klagen.
    Wenn ich als Manager weiß, das wenn ich mich falsch verhalte, Aktionäre ganz andere Möglichkeiten haben, mich zu kontrollieren und v.a. zu sanktionieren, dann überlege ich mir Fehlverhalten zwei Mal.

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