Kontrollverlust oder: Beiß nie in die Hand, die den Scheck unterschreibt!

von Ulrich Wackerbarth

Jooß fasst in NZG 2011, 1130ff. ein „heißes Eisen“ an. „Die Drittanstellung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft“ sei – entgegen der h.M. – im Prinzip zulässig. Also sollen Vorstände ihren Anstellungsvertrag nicht nur mit der AG, sondern auch mit beliebigen Dritten, vorzugsweise einer Muttergesellschaft schließen können. Und in der Praxis vereinbaren AG und Dritte dann auch noch eine Kostenerstattung, wie eine Entscheidung des Kammergerichts zeigt. Dem ist zu widersprechen.

1. Keine Nichtigkeit der Drittanstellung, aber Pflichtenkollision

Mit Jooß (aaO. 1130f.) kann zunächst die gesellschaftsinterne Organzuständigkeit nicht darüber entscheiden, ob eine Drittanstellung wirksam ist oder nicht. Denn erstens wären kompetenzielle Bedenken jedenfalls mit einer Zustimmung des Aufsichtsrats zur Drittanstellung nun einmal ausgeräumt. Und zweitens steht auch ohne eine solche Zustimmung fest, dass der Vorstand Verträge mit Dritten wirksam abschließen kann. Das folgt schon aus dem Prinzip der Relativität der Schuldverhältnisse, § 88 Abs. 2 AktG muss dafür entgegen Jooß nicht bemüht werden. Richtig ist aber, dass das Aktienrecht nicht Verträge des Vorstands mit Dritten verbietet.

Es geht also um die Frage, ob der Vorstand einen solchen Vertrag abschließen darf. Und auch das ist keine Kompetenzfrage, sondern eine nach den Pflichten, die aus der Bestellung zum Organ für den Vorstand folgen, in erster Linie eine solche nach der organschaftlichen Treuepflicht des Vorstands.

Jooß meint insoweit, dass ein Anstellungsvertrag mit einem Dritten im Zweifel keine Pflichtenkollision für den Vorstand der AG begründe (aaO 1131). Woher er diese Zweifelsregel nimmt, ist nicht ersichtlich. Der Vorstand ist der Bestellungskörperschaft organisationsrechtlich zur Treue verpflichtet, damit kollidiert selbstverständlich seine allgemeine schuldrechtliche Treuepflicht aus dem Drittanstellungsvertrag (§§ 241 Abs. 2, 242 BGB), egal welche konkreten Regeln oder Pflichten dieser Vertrag enthält. Wenn die Interessen der AG und des Dritten nicht identisch sind, kann der Vorstand bei seiner Tätigkeit nur entweder der AG oder dem Dritten die Treue halten.

2. Keine Erst-Recht-Schlüsse aus der Möglichkeit von Doppelmandaten

Die Erst-Recht-Schlüsse, die Jooß gegen solche Überlegungen aus der Zulässigkeit von Doppelmandaten (siehe dazu BGH hier, Kritik an dieser Entscheidung bei Wackerbarth, Der Konzern 2010, 261, 265f.) ziehen will (aaO 1131), sind unangebracht und ihrerseits unzulässig. Bei Doppelmandaten gibt es im Ausgangspunkt zwei Anstellungsverträge und zwei Tätigkeitsbereiche der einen natürlichen Person (Doppel-Vorstand). Das können die (beiden) Aufsichtsräte nach § 88 AktG erlauben, wobei sich allerdings deutliche Zweifel an den insoweit tatsächlich praktizierten Verfahren ergeben (auch dazu Wackerbarth, aaO.). Es ist bei Doppelmandaten aber zumindest theoretisch denkbar, dass der Vorstand sich jeweils den Hut derjenigen AG aufsetzt, für die er gerade tätig wird. Und in jedem der Tätigkeitsbereiche hat sein Handeln einen eigenen Anstellungsvertrag als Grundlage. Loyalitätskonflikte sind zwar denkbar, treten aber — und das ist entscheidend — nicht zwingend bei jedem Vorstandshandeln auf (sondern vor allem bei Geschäften zwischen beiden Gesellschaften).

Bei der Drittanstellung indessen liegt es anders. Hier ist bei jedem Handeln des Vorstands zu befürchten, dass er sich eher seinem Geldgeber als der AG verpflichtet fühlt. Denn sein gesamtes Tätigwerden beruht (auch) auf der Drittanstellung. Er unterliegt einer institutionialisierten Pflichtenkollision.

Aus der Zulässigkeit von Doppelmandaten kann für die Zulässigkeit einer Drittanstellung deshalb nichts abgeleitet werden (insoweit zutreffend auch Reuter, AG 2011, 274, 276, der sein dortiges Lippenbekenntnis anschließend jedoch wieder relativiert (S. 277 f.)). Das Vorstandsmitglied darf sich bei seiner Tätigkeit für die AG nicht den Hut eines Dritten aufsetzen — wenn nicht der Dritte Alleinaktionär oder vertraglich herrschendes Unternehmen ist.

3. Keine Rechtfertigung durch Konzernrecht

Unschön wird es, wenn sich bei Jooß die Wendung findet (aaO 1131):

„Darüber hinaus nimmt das Aktienrecht auch in anderen Fällen Interessenkollisionen und sogar Einflussnahmen auf den Vorstand der AG hin, insbesondere auch im faktischen Konzern.“

Aus meiner Perspektive heißt das, man soll, wenn man schon etwas falsch macht, das dann auch gleich gründlich tun. Doch gibt es keine Gleichheit im Unrecht sondern allenfalls den Grundsatz: malae decisiones non sunt extendendae! Und ob und wie weit das Aktienrecht, insbesondere das Konzernrecht, „Interessenkollisionen“ überhaupt hinnimmt, ist gerade die entscheidende Frage.

Jedenfalls bei bloß mehrheitlich beherrschten Tochter-AGen spricht alles gegen eine Drittanstellung bei der Mutter. Sie schafft — ähnlich wie die umstrittene, nach richtiger Auffassung rechtswidrige Praxis, Tochtervorstände nach dem wirtschaftlichen Erfolg der Mutter zu bezahlen (siehe hier) — Anreize, nicht im Interesse nur der AG zu handeln, sondern im Interesse allein der Mutter. „Beiß nie in die Hand, die den Scheck unterschreibt“, wird sich der Vorstand sagen. Die Zahlungsfähigkeit seiner Bestellungskörperschaft verliert für ihn dagegen an Bedeutung. Solche schuldrechtlichen (Fehl-) Anreize sind mit der organschaftlichen Treuepflicht des Vorstands zur AG unvereinbar.

Die Mutter ist eben nur eine von mehreren Gesellschaftern. In der 100%igen Tochter-AG mag das alles noch angehen, weil es sich bei dem „Dritten“ dann um den einzigen Aktionär handelt. Gesellschafterinteresse und Gesellschaftsinteresse sind hier identisch. Bei nur mehrheitlich abhängigen Töchtern müssen die Minderheitsgesellschafter mit der Drittanstellung hingegen einverstanden sein, andernfalls ist sie unzulässig.

Soweit die Drittanstellung unzulässig ist, weil der Vorstand eine kollidierende Treuebindung eingeht, ist der Vertrag mit dem Dritten also zwar nicht unwirksam. Es handelt sich aber um einen Pflichtverstoß des Tochtervorstands. Dieser Verstoß gebietet das Verlangen nach Herausgabe der Drittvergütung und — weitergehend — die sofortige Abberufung des Vorstands, wenn der Aufsichtsrat erst im Nachhinein von einem solchen Drittvertrag erfährt.

4. Kontrollverlust des Aufsichtsrates

Auf einer zweiten Ebene geht es um die Pflichten des Aufsichtsrates. Auch für ihn gilt: er kann zwar die Drittanstellung des Vorstands genehmigen, die Frage lautet aber, ob er es auch darf. Die besseren Argumente sprechen dagegen. Der Aufsichtsrat ist in der AG das Gremium, das die Geschäftsführung des Vorstands überwachen soll. Seine Aufgabe ist Kontrolle und dazu muss er die Möglichkeit haben, nicht nur die Bestellung vorzunehmen, sondern auch die Anstellungsbedingungen des Vorstandsmitglieds im Interesse der Gesellschaft zu bestimmen. Nach Jooß aaO 1131 soll der Aufsichtsrat aber nicht einmal zwingend der Drittanstellung zustimmen müssen (ähnlich Reuter, AG 2011, 274, 281). Daraus resultieren dann ganz einfache Fragen:

– Woher weiß der Aufsichtsrat überhaupt, welcher Anstellungsvertrag genau vom Vorstand abgeschlossen ist und mit wem?

– Wie kann der Aufsichtsrat seine Pflichten nach § 87 AktG erfüllen (z.B. die nachträgliche Herabsetzung der Vergütung nach § 87 Abs. 2 S. 1 AktG), wenn er nicht einmal den Inhalt dieses Vertrages zwingend kennt?

– Was kann der Aufsichtsrat tun, wenn der Dritte dem Vorstand die ungeschmälerte Fortzahlung seiner Bezüge auch im Falle schwerwiegender Pflichtverletzungen oder unternehmerischen Versagens garantiert oder faktisch ermöglicht?

– Wird nicht die Präventivfunktion der Vorstandshaftung beseitigt, wenn der Aufsichtsrat sich nicht sicher sein kann, dass er allein und niemand anderes über die Vergütung des Vorstands und Beginn und Ende des Dienstverhältnisses bestimmt?

5. Erstattungsvereinbarung

Vollends absurd wird es, wenn die Aktiengesellschaft dem Dritten dann auch noch die Erstattung der von diesem an den Vorstand gezahlten Vergütung zusagt, wirtschaftlich die Anstellung also doch bezahlen soll. Hier wird der Kontrollverlust des Aufsichtsrates äußerst konkret.

Es ist erstens schon unklar, wer für den Abschluss einer solchen Erstattungsvereinbarung gesellschaftsintern zuständig ist. Das KG meinte im konkreten Fall (nachvollziehbar), der Aufsichtsrat sei zuständig, weil der ausgeliehene Vorstand zufällig auch beherrschender Gesellschafter des Dritten war und also auch auf der anderen Seite der Erstattungsvereinbarung stand. Jooß will dies „analog § 112“ auf alle Fälle der Drittanstellung verallgemeinern (aaO 1132).

Nur, warum eigentlich? § 112 AktG gilt nun einmal nur bei der Vertretung der AG gegenüber dem Vorstand; bei Geschäften mit Dritten, auch mit Aktionären, ist der Vorstand vertretungsberechtigt. Die gesetzliche Vertretung der AG muss klar und eindeutig sein und ihre Regeln sperren sich daher regelmäßig einer analogen Anwendung. In einer Vertretung durch den Vorstand läge andererseits ganz zweifelsfrei ein Kontrollverlust des Aufsichtsrates, weil er es dann nicht mehr in der Hand hätte, die Gesellschaft vor zu hohen Erstattungen infolge der Drittanstellung zu schützen.

Und selbst wenn man (gesetzeswortlautwidrig) den Aufsichtsrat für geschäftsführungs- und vertretungsbefugt hielte: Es kann ohne weiteres zu einem Streit mit dem Dritten über die Erstattungsvereinbarung kommen, z.B. wenn der Aufsichtsrat – wie im vom KG entschiedenen Fall – der Meinung ist, das Anstellungsverhältnis des Vorstands habe gekündigt werden müssen und die AG habe also nichts mehr zu erstatten oder könne die Vereinbarung kündigen. In diese Falle setzt sich der Aufsichtsrat nicht mehr mit dem Vorstandsmitglied über die Berechtigung seiner Abberufung und Kündigung auseinander, sondern in der Sache mit dem Dritten. Und dabei kann dann das Vorstandsmitglied auch noch als Zeuge auftreten, der dann sein eigenes kündigungsrelevantes Fehlverhalten bestreitet. Und zur Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG passt all das auch nicht.

Man sieht ganz deutlich: Spätestens mit dem Abschluss der Erstattungsvereinbarung verliert der Aufsichtsrat die Kontrolle über das Vorstandspersonal. Das stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Aufsichtsrats dar, solange die Interessen des Dritten und die der AG nicht vollständig gleichlaufen (also stets, außer im Falle der 100%igen Tochter und im Vertragskonzern).

6. Kontrollverlust des Kammergerichts

Abschließend sei noch auf eine Doppelzüngigkeit im erwähnten Urteil des KG hingewiesen: Erst wird die Zuständigkeit des Aufsichtsrates damit begründet, dass der Vorstand der fraglichen AG ja auf beiden Seiten des Geschäfts stand, da er zugleich Mehrheitsgesellschafter des Dritten war, mit dem der Vertrag abgeschlossen werden sollte (vgl. Rn 12 des Urteils).

Und dann aber wird als zentrales Argument für die Unkündbarkeit des Erstattungsvertrags in Rn 25 angeführt, dass ja Partei des Vertrags nicht der Vorstand war, sondern eben der hier klagende Dritte.

Meines Erachtens nach verliert das KG hier die Kontrolle über die eigene Argumentation: Wenn man schon den Aufsichtsrat für ausnahmsweise geschäftsführungs- und vertretungsbefugt hält, um einen bestimmten Vertrag mit einem Dritten abzuschließen, weil Partei dieses Vertrages „in Wahrheit“ der eigene Vorstand und nicht der Dritte ist, dann kann man nicht auf der anderen Seite die Kündigung dieses Vertrags wegen schwerer Verfehlungen des Vorstands mit der Begründung ablehnen, dass ja formal der Dritte (und nicht der Vorstand) Partei des Vertrags ist. Genau so argumentiert aber das KG.

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