Von der Verfassung geschütztes Erpressungspotential?

von Ulrich Wackerbarth

Unter dem Titel „Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter“ wendet sich Madaus in der soeben erschienen ZGR 2011, 749 ff. gegen die zentralen Änderungen durch das soeben beschlossene ESUG. Dieses will bekanntlich künftig auch gegen den Willen der Gesellschafter eine Reorganisation der Schuldnergesellschaft und letztlich einen Ausschluss der Gesellschafter über einen Debt-Equity-Swap im Insolvenzplan ermöglichen.

Um die Einwände von Madaus zu verstehen, halte man sich folgenden einfachen Fall vor Augen. Die X-AG ist überschuldet und befindet sich in der Insolvenz. Sie hat einen sehr günstigen langfristigen Mietvertrag über das Grundstück für ihre Produktionsstätten abgeschlossen. Bei einer Liquidation ebenso wie bei einer übertragenden Sanierung gingen die wirtschaftlichen Vorteile dieses Mietvertrags verloren, weil er eben nur mit dem Rechtsträger besteht; ein neuer Mietvertrag verursachte jährliche Zusatzkosten von 500.000 € gegenüber dem Ist-Zustand.

De lege lata verhält es sich so: Wenn die Gesellschafter keinen Fortsetzungsbeschluss fassen, wird das Unternehmen der Gesellschaft liquidiert oder sanierend übertragen, die 500.000 € jährlich werden dann nicht realisiert, weil der Vertrag eben nur mit der X-AG besteht. Bei einer Fortführung hingegen könnte die Gesellschaft u.U. saniert werden, da die Kosten im Rahmen gehalten werden, der Vertrag mit der X-AG und der wirtschaftliche Vorteil bestehen fort. Also verlangen die Gesellschafter vom Insolvenzverwalter, an dem Sanierungsgewinn „angemessen beteiligt“ zu werden, bevor sie den Beschluss fassen. Und das, obwohl unter ihrer Letztkontrolle eine Überschuldung der X-AG eingetreten ist, mit anderen Worten nur noch die Gläubiger mit ihren Forderungen in dem Unternehmen der Gesellschaft investiert sind. Ich halte das Ansinnend der Gesellschafter für eine nicht legitime Erpressung. Die Gesellschafter drohen mit der Zerschlagung, die sie eigentlich doch fürchten sollten, aber wegen der bereits eingetretenen Überschuldung nicht mehr fürchten müssen.

Madaus meint nun, das Insolvenzrecht habe allein vollstreckungsrechtlichen Charakter (aaO 752) und vollstreckungsrechtlich seien den Gläubigern die an den Rechtsträger gebundenen Rechtspositionen nicht zugewiesen, sie seien quasi „unpfändbar“ (aaO 757). Und daran dürfe das ESUG auch nichts ändern. Das folge nicht nur aus den Prinzipen des Insolvenzrechts, sondern auch aus dem Verfassungsrecht; insoweit bemängelt er die unzureichende bisherige verfassungsrechtliche Diskussion.

 

1) Schutz des Eigentums

Immerhin gibt Madaus zunächst zu, dass allein aus Art. 14 GG ein Schutz der Gesellschafter vor den Eingriffen durch das ESUG nicht abgeleitet werden kann. Rein eigentumsrechtliche Überlegungen stünden einem zwangsweise erfolgenden debt-equity-swap nicht entgegen, weil die an den Rechtsträger gebundenen Positionen ja wirtschaftlich wertlos seien, wenn es zu einer Liquidation kommt (aaO 760 f.).

Bei seinen Erläuterungen übersieht Madaus freilich, dass aus Art. 14 GG zwar kein Schutz der Gesellschafter, wohl aber umgekehrt ein Schutz der Allgemeinheit vor den Gesellschaftern abgeleitet werden kann. Eigentum verpflichtet, Art. 14 Abs. 2 GG. Die Verweigerung des Fortführungsbeschlusses vernichtet konkret ausrechenbare wirtschaftliche Werte (siehe das Beispiel), die zwar vielleicht nach bisherigem Insolvenzrecht nicht von den Gläubigern realisiert werden können, die ihnen aber wegen der Überschuldung materiellrechtlich durchaus zustehen. Selbst wenn man mit Madaus davon ausginge, dass diese Werte als sozusagen „unpfändbar“ eben nicht den Gläubigern zugewiesen seien, bleibt das Argument, dass durch die Nichtrealisierung der wirtschaftliche Wert vernichtet wird. Das aber verbietet eben Art. 14 GG.

Die Verweigerung des Fortführungsbeschlusses (ohne eigene „angemessene Beteiligung“) mag deshalb mit Madaus, aaO 759 kein Geschäft „zu Lasten Dritter“ sein, wenn man unter Dritten allein die Gläubiger versteht, aber es ist ein von Art. 14 Abs. 2 GG verbotenes Geschäft zu Lasten der Allgemeinheit und es kann daher eben nicht angehen, dass die Gesellschafter diese Möglichkeit für Erpressungsversuche nutzen. Nach richtiger Auffassung musste deshalb bereits vor dem Erlass des ESUG bei verfassungskonformer Auslegung ein Anspruch der Insolvenzmasse auf Fassung des Fortführungsbeschlusses ohne irgendeine Beteiligung der bisherigen Gesellschafter bestehen. Allein die letztlich verfassungswidrige Entscheidung des Insolvenzgesetzgebers von 1994, keine Eingriffe in die Gesellschafterposition vorzusehen, stand einer entsprechenden Fortentwicklung des geltenden Rechts faktisch entgegen. Dass der Gesetzgeber sich jetzt eines Besseren besinnt, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden.

 

2) Schutz der Vereinigungsfreiheit

Die Ausführungen von Madaus zu Art. 9 GG liegen im Wesentlichen neben der Sache. Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Vereinigungsfreiheit, weist aber eben nicht den Gesellschaftern wirtschaftliche Werte zu. Sonst wäre die de lege lata erfolgende Löschung der Gesellschaft bei Liquidation in der Insolvenz nicht mit Verfassungsrecht zu vereinbaren. Den Gesellschaftern steht es im Übrigen frei, sich sofort anschließend zu einer neuen Gesellschaft zusammenzufinden. Ihnen steht es auch frei, die Überschuldung rechtzeitig vor Antragstellung zu beseitigen, indem sie Geld nachschießen. Tun sie dies aber nicht, so haben sie die Konsequenzen zu tragen, wenn sie ihre Investition verwirtschaftet haben, und allein noch die Gläubiger ein Investment in der Gesellschaft haben. Das muss jedenfalls bei solchen Rechtsträgern gelten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Und außerhalb der Insolvenz zweifelt niemand an, dass kompensationslose Zwangseingriffe in die Mitgliedschaft ausgeschlossen sind.

Madaus verweist darauf, dass Eingriffe in Art. 9 Abs. 1 GG (nur) durch entgegenstehendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden können (aaO 763 f.) und meint, der über Art. 14 GG erfolgende Schutz der Gläubigerforderungen stelle mangels Zuweisung der Mitgliedschaftsrechte an die Gläubiger eben keine zulässige Rechtfertigung dar (aaO 765), ja er kollidiere nicht einmal mit Art. 9 GG. Eine solche Kollision und Rechtfertigung stellt jedoch m.E. die erwähnte Gemeinwohlbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG dar, die den Anteilseignern eben das Beharren auf ihrer Gesellschafterposition verbietet, wenn sie selbst es zur Überschuldung haben kommen lassen.

Richtig ist es allerdings, wenn Madaus darauf verweist, dass bei Kollision zweier Verfassungsnormen praktische Konkordanz hergestellt werden muss. Deshalb hält er (aaO 765) es für verfassungsrechtlich unvertretbar, den Gesellschaftern ihre Anteilsposition zu entziehen. Richtig ist folgendes: Soweit der Antrag nur wegen Zahlungsunfähigkeit gestellt wird, ist nicht ausgeschlossen, dass nicht zugleich eine Überschuldung vorlag. In diesem Fall erhielten die Gesellschafter nach bestmöglicher Verwertung noch eine Restzahlung. Dann müssen Eingriffe in ihre Gesellschafterposition oder die „Einziehung der Anteile durch den Insolvenzverwalter“ aber in der Tat ausgeschlossen sein. Insoweit ist jedoch (nur) die Kompensationsregelung in § 251 Abs. 3 InsO-E durch das ESUG angreifbar: Wenn die Gesellschafter bei Verkauf oder Liquidation des Unternehmens gem. § 199 InsO irgendetwas erhalten hätten, war ihre Investition in die Gesellschaft noch nicht verwirtschaftet, ergo kann man ihnen nicht ohne weiteres diese Anteile entziehen. Indem das ESUG in solchen Fällen nur eine Kompensation zusagt, unterstellt es aber, dass dieser Entzug auch bei 100 %iger Gläubigerbefriedigung möglich sein muss. Das kann nicht sein.

 

3) Schutz der unternehmerischen Freiheit

Aus seiner Einschätzung heraus, dass das ESUG nicht in die Vereinigungsfreiheit eingreifen darf, kommt Madaus gegen Ende seines Beitrags (aaO 772 ff.) noch zu einem Vorschlag eines eingeschränkten Obstruktionsverbots für die Gesellschafter. Sie könnten sich nicht dagegen wehren, dass ein Insolvenzplan eine Reorganisation dergestalt vorsehe, dass die Forderungen der Gläubiger in Genussrechte umgewandelt werden (sog. debt-mezzanine-swap). Praktisches Ergebnis: Die Gesellschaft darf mit ihren alten Eigentümern weiterwurschteln, wird aber bilanziell entschuldet und muss zukünftig aus Gewinnen vorrangig die Genussrechte bedienen. Einem solchen Plan dürften sich die Gesellschafter nicht versperren (aaO 773 f.).

Hört sich auf den ersten Blick nach einer schönen Lösung an und ich will nicht bestreiten, dass sie im Einzelfall auch praktisch in Betracht kommt. Das Problem ist nur: Was tun, wenn die Gesellschafter mit einem Liquidationsbeschluss drohen und deshalb im Ergebnis die gleiche „angemessene Beteiligung“ verlangen wie nach bisheriger Rechtslage? An ihrem nach jetziger Lage bestehenden Erpressungspotential änderte das von Madaus vorgeschlagene Obstruktionsverbot dann nichts. Oder aber es wird in der InsO klargestellt, dass ein entsprechender Liquidationsbeschuss nicht in Betracht kommt. Dann haben wir aber definitiv einen Eingriff in die Vereinigungsfreiheit und das Eigentumsrecht der Gesellschafter, der weit über die bisherige Lösung des ESUG hinausgeht. Man kann keinem Unternehmer befehlen, sein Unternehmen weiterzuführen, wenn er das nicht mehr will!

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