Postbankübernahme oder: Reformbedarf nach 10 Jahren WpÜG?
von Ulrich Wackerbarth
Deutschen Anlegern droht mal wieder Unbill. Ihre schon derzeit nicht besonders guten Rechtsschutzmöglichkeiten gegen unfaire Übernahmen sollen nach Meinung Einiger noch weiter beschnitten werden. Cascante/Tyrolt machen in ihrem Beitrag „10 Jahre WpÜG – Reformbedarf im Übernahmerecht?“, AG 2012, 97 ff. u.a. darauf aufmerksam, dass das LG Köln die Möglichkeit einer Leistungsklage bei zu niedrigem Preis grundsätzlich bejaht habe. Das sei abzulehnen.
1. Schon vier Entscheidungen nach der Postbankübernahme
Anlass für die Diskussion sind die Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Postbankübernahme. Was da im Jahre 2010 passierte und nun geschieht, gefällt nicht allen. Die eine Seite versucht, an zusätzliche Informationen über die näheren Umstände der Übernahme im Wege von Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse des Bieters (erfolgreich: LG Frankfurt v. 20.12.2011 Az. 3-5 O 37/11) oder über das IFG (noch nicht endgültig: Hessischer VGH v. 15.12.2011, Az. 6 B 1926/11) zu gelangen. Erfolglos wurde die BAFin in Anspruch genommen, weil diese nicht von sich aus eingeschritten ist (OLG Frankfurt v. 5.12.2011, Az. WpÜG 1/11).
Schließlich hat ein Verlagshaus Klage gegen die Deutsche Bank erhoben, u.a. um den möglicherweise zu geringen Preis des Angebots überprüfen zu lassen und eine Nachzahlung zu erlangen (erstinstanzlich nicht erfolgreich: LG Köln v. 29.7.2011, 82 O 28/11).
Das nun wieder gefällt der anderen Seite nicht, der eher das Interesse des Bieters an einer einfachen und rechtssicheren Übernahme am Herzen liegt. Cascante/Tyrolt (aaO. S. 110 f.) bemängeln, dass sich die durch die Postbankübernahme möglicherweise geprellten Anleger überhaupt gerichtlich gegen den zu geringen Preis zur Wehr setzen können. Langfristige Verfahren seien dem Bieter nicht zumutbar. Einen „Reformbedarf“ sehen sie wohl nur für den Fall, dass man ihrer Meinung nicht schon de lege lata folgt.
Meine eigene Auffassung zu der Frage des richtigen Preises für die Postbankübernahme habe ich in ZIP 2012, 253 ff. veröffentlicht. Danach verstieß der angebotene Preis klar gegen § 4 Abs. 2 WpÜG-AngebotsVO. Über diese Frage muss gestritten werden.
2. Reformbedürftiger Rechtsschutz?
Aber darüber, ob ein solcher Streit vor deutsche Gerichte gehört oder aber mit der Genehmigung des Angebots durch die BAFin endgültig und unanfechtbar zu Lasten der Anleger entschieden ist, kann man meines Erachtens nicht streiten. Zwar ist es dem Bieter sicher unzumutbar, sich auf lange gerichtliche Auseinandersetzungen mit den (ehemaligen) Aktionären über den Unternehmenswert der Zielgesellschaft einzulassen. Es ist ja gerade der „Clou“ am Übernahmeangebot, dass die Aktionäre entscheiden können sollen, ob ihnen der angebotene Preis reicht oder nicht.
Ob aber der für bestimmte Vorerwerbe gezahlte Preis einen Mindestpreis im Sinne des § 4 WpÜG-AngebotsVO gesetzt hat, ist eine Rechtsfrage, die vor deutschen Gerichten geklärt werden können muss. Hier stellen sich in aller Regel keine Bewertungsfragen. Und der Bieter hat es in der Hand, Bewertungsfragen bei Vorerwerben zu vermeiden, indem er klare Verträge schließt. Tut er das nicht, kann er sich anschließend nicht darauf berufen, das WpÜG müsse ihm eine verfahrensmäßig einfache und rechtssichere Übernahme ermöglichen.
Cascante/Tyrolt (aaO S. 111) machen hiergegen geltend, meine Argumentation gehe „an der Praxis vorbei“, weil der Paketverkäufer oft auf komplizierte Nebenabreden bestehe (und der Bieter also keine einfachen Verträge schließen könne). Diesen Einwand muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Es mutet den Angebotsadressaten nämlich zu, auf eine gerichtliche Überprüfung des Übernahmeangebots deshalb zu verzichten, weil der Vertragspartner des Bieters, i.e. der Großaktionär, den Vorerwerb „kompliziert“ macht.
Der Wunsch des Großaktionärs nach „Koppelungsgeschäften“ lässt für die Fairness der Transaktion insgesamt nichts Gutes vermuten. Allein schon die Wortwahl (Koppelungsgeschäfte) deutet an, worum es hierbei in Wahrheit regelmäßig geht: Bieter und Paketaktionär schließen Verträge zu Lasten der übrigen Aktionäre, mit denen ein in Wahrheit erfolgter Vorerwerb verschleiert wird. Die Angebotsadressaten werden gesetzeswidrig um ihren Anteil an dem Paketzuschlag gebracht, den der Bieter für den Erwerb der Zielgesellschaft zu zahlen bereit ist.
Wer natürlich regelmäßig nur die Interessen großer Investoren (Bieter/verkaufende Großaktionäre) vertritt, den scheren die Interessen der zu schützenden Kleinaktionäre herzlich wenig. Ihm wäre es eben am liebsten, wenn das WpÜG seine Schutzfunktion zwar wie eine Monstranz vor sich her trägt, dieser Schutz aber mangels Klagemöglichkeiten in der Praxis nicht durchgesetzt werden kann.
In Wahrheit bedeutet die Auffassung von Cascante/Tyrolt eine Aufforderung an Bieter und Paketaktionär, die maßgeblichen Vorerwerbe so gut zu verstecken oder zu verschleiern, dass die BAFin bei der ihr möglichen oberflächlichen Kontrolle (vgl. § 15 Abs. 1 Nr 2 WpÜG) nicht merkt, was da geschieht oder sich bei der rechtlichen Beurteilung täuschen lässt, wie eben im Falle der Postbankübernahme. Anschließend kann man sich dann gegenüber den Adressaten des Angebots darauf berufen, dass Angebot habe doch „behördlicher Kontrolle“ standgehalten. Aber auch eine Behörde kann irren und die BAFin ist nun einmal kein Gericht (das freilich auch irren kann, siehe LG Köln). Wäre die Entscheidung der BAFin letztverbindlich oder könnte sie nur vom Bieter überprüft werden, dann wäre ein „Rechtsschutz“ der Aktionäre der Zielgesellschaft endgültig abgeschafft. Das wiederum wäre ein klarer Verstoß gegen ein tragendes Prinzip unserer Verfassung (Art. 19 Abs. 4 GG)!
3. Verjährung droht !!!
Wirklicher Reformbedarf beim übernahmerechtlichen Rechtsschutz liegt ganz woanders. Das erwähnte Verfahren in Köln gegen die Deutsche Bank ist nämlich ein „Musterverfahren mit Pferdefuß“. Denn es hat zwar die Funktion eines Musterverfahrens. Angenommen, das Verlagshaus gewänne am Ende, weil der Preis tatsächlich zu niedrig war, so könnte das die Deutsche Bank im Endeffekt 1,6 Mrd. € kosten, da in diesem Falle die Leistungsklagen der übrigen Aktionäre ebenfalls erfolgreich wären und viele davon wohl auch erhoben würden. Wenn die Deutsche Bank das Verfahren jedoch nur lange genug hinauszögert, droht (ab Ende 2013) für alle übrigen ehemaligen Postbankaktionäre Verjährung. Sie bekämen eine Nachzahlung auch dann nicht, wenn sich am Ende herausstellt, dass sie ihre Aktien infolge von Fehlern im Übernahmeangebot ungewollt zu billig an die Deutsche Bank verkauft hatten. Und umgekehrt nützt nach derzeitiger Rechtslage ein rechtskräftiger Sieg der ehemaligen Bieterin nichts, wenn sie noch rechtzeitig von anderen ehemaligen Aktionären, ggf. vor anderen Gerichten, in Anspruch genommen wird, weil diese Gerichte zu anderen Ergebnissen kommen können.
Das kann es nicht sein. Wie Verse (in dem lesenswerten Band von Mülbert/Kiem/Wittig (Hrsg.) 10 Jahre WpÜG, S. 276, 290 f.) überzeugend begründet hat, ist die alleinige Möglichkeit, Leistungsklage vor den Zivilgerichten zu erheben, durch ein Verfahren mit Kollektivwirkung vor dem WpÜG-Senat des OLG Frankfurt abzulösen. Das ist schon deshalb geboten, weil eben dieser Senat wie erwähnt den verwaltungsrechtlichen Drittschutz der Aktionäre mit der Begründung ablehnt, diese hätten ja zivilrechtlichen Rechtsschutz. Dieser Senat sollte deshalb dafür verantwortlich sein, seinem Lippenbekenntnis Taten folgen zu lassen. Ein solches Verfahren muss wie das Spruchverfahren (§ 13 SpruchG) Inter-Omnes-Wirkung haben und seine Einleitung muss an kurze Fristen nach der Entdeckung von Vorerwerben (anders Verse, aaO) geknüpft sein. Und das Verfahren muss die Verjährung von Zahlungsansprüchen hemmen, solange es dauert.
Hier geht es in erster Linie um Rechtsfragen, an deren Klärung sämtliche Aktionäre der Zielgesellschaft ein gleichgerichtets Interesse haben und die deshalb mit Wirkung für und gegen alle geklärt werden müssen. Der vorauszusehende Einwand, das ermögliche den nicht Klagewilligen, die sich am Kostenrisiko der Klage nicht beteiligen wollen, Trittbrettfahrerei, ist nicht begründet: Wer sich nicht an dem Verfahren beteiligt, kann auch weder Argumente noch Tatsachen vortragen. Und auch falsche Entscheidungen hätten also mit Eintritt der Rechtskraft Bindungswirkung für die Klageunwilligen. Die Verjährungshemmung bei solchen Verfahren auch für die Unbeteiligten bei gleichzeitiger Bindung aller an die Rechtskraft der Entscheidung wäre ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen des Bieters an Rechtssicherheit und denen der Aktionäre an Einhaltung des Rechts.