No private rights of action – basta!
von Ulrich Wackerbarth
Seibt kommentiert in ZIP 2013, 1568, die BKN-Entscheidung des II. Senats vom 11.6.2013, in der dieser jeden privaten Rechtsschutz gegen unterlassene Pflichtangebote nach dem WpÜG ablehnt. Wenn man fähige Rechtswissenschaftler fragt, z.B. us-amerikanische Gesellschaftsrechtler, wie denn Anlegerschutz tatsächlich funktionieren kann, so geben diese stets die gleiche richtungweisende Antwort: man sorge für „private rights of action“. Wenn man den Anlegern Klagerechte gibt, wenn der einzelne Anleger Haftungs- und Schadensersatzsanprüche selbst und im eigenen Interesse gegen die betrügerischen Unternehmen geltend machen kann, dann (und nur dann!) gibt es auch Anlegerschutz. Im Gegensatz dazu wird Wirtschaftsrecht praktisch hinfällig, wenn konsequent Privatklagerechte ausgeschlossen werden. Denn Behörden fehlen i.a.R. die nötigen Mittel, um effizient Gaunereien zu bekämpfen.
1. Keine private Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Pflichten?
An und für sich besteht z.Zt. im Wirtschaftsrecht ein Trend zu mehr Privatklagerechten. Gerade in dem dem Übernahmerecht als Marktrecht durchaus nahestehenden Kartellrecht sind privat durchsetzbare Schadensersatzansprüche der „letzte Schrei“ und sorgen trotz einiger Rückschläge für eine effizientere Durchsetzung der Wettbewerbsregeln. Im Aktienrecht ist zwar das (ineffiziente und missbrauchsanfällige) Anfechtungsrecht der Anleger in den letzten Jahren immer weiter beschnitten worden. Im Gegenzug wurden allerdings die Möglichkeiten für eine Sonderprüfung oder eine Aktionärsklage verbessert, oder auch die kollektive Rechtsdurchsetzung mit dem KapMuG. Der II. Senat des BGH stellt sich nun gegen diesen Trend und schneidet im Übernahmerecht einfach den geschädigten Anlegern sämtliche Klagemöglichkeiten ab. Ein „Kampf ums Recht“ ist den Anlegern nicht mehr möglich.
Zwar teile ich die Ausführungen des Senats zu § 35 WpÜG (Rn. 9 ff. und Rn. 33 ff. des Urteils). Die Angebotspflicht ist eine öffentlich-rechtliche, und es besteht kein zivilrechtlicher Anspruch der Anleger auf ein Angebot, daran ist kaum zu zweifeln. Aber ebensowenig bestehen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber zur Absicherung dieser bloß öffentlich-rechtlichen Pflicht nicht nur der BAFin Kontrollmöglichkeiten, sondern auch den Anlegern eigenständige Zahlungsansprüche in § 38 WpÜG in die Hand gegeben hat. Die gegenteiligen Ausführungen des BGH (Rn. 25 ff., der Anspruch sei lediglich akzessorischer Natur und hänge vom Bestehen eins Anspruchs auf die Gegenleistung ab) sind nicht nur nicht überzeugend, sie gehen auch auf die in der Literatur dazu vorhandenen Argumente nicht ein.
2. Kein Zinsanspruch nach § 38 WpÜG bei Verstößen gegen die Angebotspflicht
a) Haltlos und abseitig – die Argumente des II. Senats (Rn. 28)
Der Gesellschaftsrechtssenat beruft sich auf den Wortlaut des § 38 WpÜG („Zinsen auf die Gegenleistung“), dies spricht indessen gerade für einen eigenständigen Anspruch, weil es dort eben — anders als in § 288 BGB — heißt, dass ein „Anspruch auf Zinsen“ besteht und nicht, dass „eine Schuld zu verzinsen“ sei. Mindestens aber ist der Wortlaut für die Frage unergiebig (anders ohne Begründung der II. Senat).
Widersprüchlich und neben der Sache sind die Ausführungen des BGH zu Sinn und Zweck der Norm: Wenn dieser Verzögerungen bei der Veröffentlichung des Angebots sanktionieren will, wie kann dann der Senat behaupten, bei späterem Unterschreiten der Kontrollschwelle wäre der Zinslauf unbegrenzt? Wenn der Zweck in der Sanktionierung von Verzögerungen besteht, dann endet der Zinslauf eben in dem Moment, in dem die Angebotspflicht wieder entfällt (z.B. nach § 37 Abs. 1 WpÜG). Das ist ganz wie bei § 288 BGB und eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn man nicht schuldrechtlich vollkommen unbeleckt ist. Und vor allem: was hat das mit der Frage zu tun, ob § 38 WpÜG einen eigenständigen oder nur akzessorischen Anspruch gibt? Nichts – es betrifft eben nur die Dauer des Zinslaufs.
Es gehe auch nicht an, dass Aktionäre aus § 38 WpÜG begünstigt werden, die ihre Aktien gar nicht verkaufen wollen. Das ist abseitig: Wie soll denn der Aktionär wissen, ob er verkaufen will, wenn ihm ein Angebot mit den vielfältigen Informationen der Angebotsunterlage (§ 11 WpÜG) gerade vorenthalten wird? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Weil er dem Aktionär eine informierte Entscheidung unmöglich macht, muss der Kontrollinhaber für die Dauer des Verstoßes an alle zahlen, auch an die, die später nicht verkaufen (wollen).
Was die Möglichkeit unterschiedlicher Ausurteilung solcher Ansprüche durch die Untergerichte angeht (Rn. 28 iVm. 22), so handelt es sich allenfalls um ein rechtspolitisches Argument, das zudem vor dem Hintergrund des KapMuG und der Möglichkeit dessen großzügiger Anwendung an Überzeugungskraft verliert: Es wäre in erster Linie Aufgabe des II. Senats, dafür zu sorgen, dass es nicht zu divergierenden Entscheidungen kommt. Insofern kommt die Entscheidung auch einer Arbeitsverweigerung des Senats gleich.
Sinnlos ist zu schlechter Letzt der Hinweis des II. Senats auf die Möglichkeit des Bieters, statt einer Geldgegenleistung auch Aktien anzubieten (Rn. 28 iVm. 23). Dass spreche angeblich gegen einen eigenständigen Zinsanspruch. Was der Senat damit sagen will, ist nicht ganz klar: Hoffentlich meint er nicht, bei einer Aktiengegenleistung gebe es überhaupt keinen Anspruch aus § 38 WpÜG. Das wäre klar gesetzeswidrig. Meint er aber bloße Berechnungsschwierigkeiten in diesem Fall, so hat er offenbar die WpÜG-AngebotsVO nicht gelesen. Ob nun Aktien angeboten werden oder Geld: In jedem Falle ist die Mindestgegenleistung gem. § 4 oder § 5 in Geld zu bemessen und kann daher ein Zinsanspruch auf die Mindestgegenleistung stets leicht berechnet werden.
b) Ignorant – der Argumentationshaushalt der Entscheidung
Offenbar fiel dem II. Senat zu den Argumenten in der Literatur für die Eigenständigkeit des Anspruchs (etwa von Schlitt/Riess, MüKoAktG § 38 WpÜG Rn. 2) einfach keine Replik ein, da hat er sie einfach gleich ganz weggelassen.
Erstens – und darauf weist auch Seibt in seiner Anmerkung hin – besteht der Anspruch auf Zinsen nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch für Zeiten, in denen es noch keinen Anspruch auf die Gegenleistung gibt, weil nämlich die Angebotsunterlage noch nicht erstellt ist, namentlich also im Falle des § 38 Nr. 1 WpÜG. Mindestens § 38 Nr. 1 WpÜG k a n n also überhaupt keinen akzessorischen Zinsanspruch geben. An dieser zwingenden Überlegung kommt niemand vorbei – außer dem II. Senat, indem er sie in eigener Machtvollkommenheit einfach ignoriert. Dass er seinen Leitsatz b) auf § 38 Nr. 2 WpÜG beschränkt, macht die Sache nicht besser — denn angesichts der Nr. 1 hätte es einer Begründung für ein abweichendes Verständnis der Nr. 2 bedurft.
Zweitens: Das großartige, dogmatisch ach so stimmige System des II. Senats, nach dem das WpÜG ausschließlich von der BAFin durchgesetzt wird, widerspricht jedem gesunden Menschenverstand. Denn die BAFin kann das WpÜG nur auf offensichtlich Verstöße kontrollieren, worauf ich bereits im MüKo (§ 31 WpÜG Rn. 87 mit Fn. 2) und in meiner Anmerkung zu OLG Frankfurt v. 5.12.2011 (EWiR 2012, 169 f.) hingewiesen hatte:
„Der Zivilrechtsweg ist die letzte verbleibende Möglichkeit für (potenzielle) Angebotsadressaten, sich gegen die rechtswidrige Vorenthaltung des Mindestpreises oder eines Pflichtangebots zu wehren. Würde auch dieser Weg versperrt, dann hätten wir mit dem WpÜG ein Gesetz ohne wirksame Sanktionen gegen nicht offensichtliche Verstöße – das WpÜG verkäme insoweit zum bloßen Appell und fiele damit noch hinter den Rechtszustand vor seiner Einführung vor 10 Jahren zurück.“
Dass die BAFin nur eine Evidenzkontrolle durchführt – der II. Senat ignoriert es einfach. Auch Seibt kritisiert, dass der BGH nun jedes private enforcement des WpÜG unmöglich gemacht hat.
c) „Back to the Anfechtungsklage“ als letzter Rettungsanker?
Was die „private rights of action“ angeht, so hat der BGH mit der Entscheidung – von Seibt leider nicht erwähnt — freilich noch eine sinnbefreite Hintertür aufgemacht: Er sagt den Anlegern in Rn. 22, sie könnten nach der Übernahme die HV-Entscheidungen anfechten, die auf den Stimmen des Kontrollinhabers beruhen. Schließlich sei dessen Stimmrecht ja nach § 59 WpÜG gesperrt. Das bedeutet entgegen jedem Gebot frühzeitiger Bekämpfung von Rechtsverstößen, die Anleger abwarten zu lassen, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist (nämlich bis zur nächsten HV), und ihnen dann ein Alles- oder-nichts-Spiel zuzumuten, bei dem sie selbst nichts gewinnen können, weil ja allenfalls ein Beschluss für nichtig erklärt wird, wohl aber das Unternehmen der Zielgesellschaft damit schädigen können. Effiziente Rechtsdurchsetzung geht anders!
Je mehr man über die Konsequenzen der Entscheidung nachdenkt, desto unsinniger wird sie. Ich empfehle dem II. Senat die Lektüre eines Rechtsethologie-Buches oder mindestens des Beitrags von Volker Rieble zur Notwendigkeit der Folgenabschätzung bei der Entscheidungsfindung im Arbeitsrecht, hier herunterzuladen (§ 3 des Buches), das passt durchaus auch fürs Gesellschaftsrecht.
3. Roma locuta — und die Welt ist wieder eine Scheibe?
Rechtspolitische Forderungen sollte man entgegen Seibt hier nicht aufstellen: Der Gesetzgeber hat bereits eine von der Rechtsprechung des II. Senats abweichende Entscheidung getroffen! Wenn der Senat das nicht sehen will, dann sollte man sich eher Gedanken um die Motive dafür machen. Bestechung wird man nach Lage des Falles wohl ausschließen können, genau wie fehlende Rechtskenntnis der Senatsmitglieder.
Näher schon liegt Bequemlichkeit als Motiv. Denn wo kein Kläger, da auch kein Richter, das weiß ja jeder. Und es wäre ja allzu mühsam, wenn man mit ausufernder Zubilligung von Klagerechten auf einmal das massenhafte Auftreten von Rechtsstreitigkeiten um das noch junge WpÜG befürchten müsste. Am Ende gäbe es da ja schwierige und umstrittene Rechtsfragen zu klären – dem kann man ausweichen.
Basta- Entscheidungen nach Papst-Art können nicht auf ewig bestehen bleiben – auf die lange Sicht wird das der aktuelle Senat oder ein späterer, personell anders zusammengesetzter, vielleicht auch einsehen. Wie viele Anleger bis dahin über unfaire oder unterlassene Übernahmen über den Tisch gezogen werden, wird man sehen. Ich werde nachhalten und zusammenrechnen. Die Milliarden-Grenze ist bereits mehrfach überschritten.
Am 22. August 2013 um 19:34 Uhr
[…] and blogger* at the Corporate BLawG, has published a fundamental critique of the judgment: No rights of private action – basta! Backed up by systematic arguments, his main critique is that the powers of BaFin to police […]
Am 31. Dezember 2013 um 17:27 Uhr
Der Staat will Bürger arm machen. Diese Erkenntnis basiert auf der juristischen Überprüfung von hunderten Rechtsfällen, s. http://unschuldige.homepage.t-online.de/flugblat.htm .
Der psychologische Abwehrmechanismus insbesondere der Justiz funktioniert perfekt (siehe dazu Schneider AnwBl. 2004.333), alles läuft darauf hinaus, die Unantastbarkeit richterlichen Verhaltens zu stärken und den Staat von dem Einstehen für ihm zuzurechnendes Unrecht freizustellen. Die einzigen Juristen, die sanktionslos die Gesetze verletzen dürfen, sind die Richter! Wenn aber die Rechtsunterworfenen richterliche Fehlurteile und richterliche Pflichtverletzungen ersatzlos tragen müssen, dann sind die Kriterien eines Rechtsstaates nicht mehr erfüllt. Und so bleibt am Ende die Erkenntnis: Einen Rechtsstaat, wie er den Verfassern des Grundgesetzes vorgeschwebt hat, den haben wir nicht, und wir entfernen uns ständig weiter von diesem Ideal. s. http://www.hoerbuchkids.de/hu/mr/homepage/justiz/info.php?id=134 .
Am 30. April 2014 um 13:03 Uhr
[…] Folgenabschätzung (dazu auch hier unter 2 c) gehört aber auch eine Vorschau: Welche Anreize löst die Entscheidung für die […]