Mit gutem Beispiel voran …

 

von Ulrich Wackerbarth

… gehen leider nicht Sander und St. Schneider mit ihrem Beitrag „Die Pflicht der Geschäftsleiter zur Einholung von Rat“ in ZGR 2013, 725 – 759. Sie wollen im Unterschied zur h.M. die Haftungsbefreiung bei Einholung von Rechtsrat (dazu schon hier) nicht auf der Ebene des Verschuldens, sondern bereits auf der Pflichtebene ansiedeln. Bei einem Kompetenzdefizit müsse der Geschäftsführer Rechtsrat einholen, andernfalls liege bereits im Unterlassen des Sich-Beraten-Lassens eine Pflichtverletzung.

1. Beispiellos und damit wertlos

Anhand des Beitrags lässt sich exemplifizieren, wie Wissenschaft nicht sein sollte: abstrakt und ohne Verdeutlichung am Beispiel und deshalb … wahrscheinlich falsch. Man kann im Geiste wunderbare Gebäude errichten, wenn man davon aber keine Fotos macht, hält der eine es für den Kölner Dom, der andere aber für eine Pyramide. Das betrifft übrigens Forschung wie Lehre gleichermaßen: Wer keine Beispiele gibt, erreicht beim Leser wie Zuhörer in kürzester Zeit maximale Ermüdung, hat aber nichts bewiesen.

So behaupten die Verf. etwa in ihrer „dogmatischen Grundlegung“, die Rechtsprechung stelle im Gesellschaftsrecht höhere Anforderungen an einen unverschuldeten Rechtsirrtum als im allgemeinen Zivilrecht (S. 731). Beispiele dafür? Fehlanzeige. Stimmt das nun oder nicht? Ich kann es nicht überprüfen.

Zu nennen ist auch der von den Verf. herausgehobene Grundsatz der „Konturierung der situationsbezogen angemessenen Pflichten für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der tatsächlichen und normativen Rahmenbedingungen“, wozu „selbstredend“ das „jeweils maßgebliche teleologische und systematische Umfeld“ gehöre (735 f.). Ein Beispiel für solche Konkretisierung geben sie nicht. Wenn man dem Geschäftsleiter nicht im Vorfeld klar sagen kann, wozu er verpflichtet ist, dann ist er m.E. zu gar nichts verpflichtet. Es handelt sich deshalb keineswegs um einen Grundsatz, sondern lediglich um „Blabla“.

Vollends absurd wird es, wenn Verf. am Ende (S. 757 f.) behaupten, „grundsätzlich“ komme eine Haftung des Geschäftsleiters schon wegen des Verkennens der Pflicht zur Einholung von Rechtsrat in Betracht. Sie können nicht ein Beispiel nennen, in dem diese Haftung tatsächlich gegeben wäre. Dafür meinen sie aber, „häufig“ werde schon keine Pflichtverletzung gegeben sein, weil das Kompetenzdefizit aus der Perspektive des Geschäftsleiters zu beurteilen sei. Fallbeispiel für diese „häufige“ Ausnahme? Fehlanzeige. Und außerdem werde es häufig an der Kausalität für einen Schaden fehlen. Es wäre schön gewesen, hätte man zuvor mal ein Beispiel für einen Fall mit entsprechender positiver Kausalität gehört, bevor man mit den „nicht seltenen“ Ausnahmen konfrontiert wird, natürlich wieder … ohne Beispiel.

2. Gute Beispiele, schlechte Beispiele

Der Mangel an Beispielen zieht sich durch den Text. Und wo die Verf. ausnahmsweise Beispiele bringen, illustrieren diese nicht die Behauptung:

Verf. nennen als Beispiele für die angebliche Überforderung von Geschäftsleitern die mit „schwierigen Bewertungsfragen“ verbundenen Pflichten nach § 15 a Abs. 1 Satz 1 InsO, § 92 Abs. 1 AktG und § 49 Abs. 3 GmbHG (aaO S. 733). Nun steht in den Gesetzen wahrlich nicht besonders viel über konkrete Pflichten von Geschäftsleitern. Dass diese jedoch die Bücher zu führen haben und stets die Finanzlage der Gesellschaft genau kennen müssen, das steht da sehr wohl. Genau diese finanzielle Kontrolle gehört doch wohl zu den Grundanforderungen, denen sich kein Geschäftsleiter entziehen können darf. Daraus nun eine Überforderung wegen Bewertungsschwierigkeiten abzuleiten, ist hanebüchen. Angesichts haarsträubender Praxisfälle muss man zwar heutzutage davon ausgehen, dass viele Geschäftsleiter selbst diesen Mindesterwartungen nicht mehr gerecht werden. Aber kann es dann wirklich eine Lösung sein, solchen Hasardeuren zu sagen: „Fragt einen Berater und dann könnt ihr euch mit der Begründung herausreden, ihr verstündet von alledem ja ohnehin nichts“?

Und ferner: Die Verf. legen abstrakt (S. 753) folgenden Zusammenhang dar: Je zuverlässiger eine Auskunftsperson, desto geringer die anschließend erforderliche Prüfung des erteilten Rates auf Plausibilität durch den Geschäftsleiter. Offenbar geht es um eine Proportionalität in folgendem Sinne (Achtung, jetzt kommt ein Beispiel):

Fragt der Geschäftsführer den mehrfach wegen Unterschlagung vorbestraften Bankkaufmann B, ob er Insolvenzantrag stellen müsse und der sagt in einem 5-seitigen Gutachten im Ergebnis „Nein“, so muss er dessen Gutachten besonders genau prüfen. Fragt er hingegen den unbescholtenen Steuerberater S, so kann er dessen Gutachten ceteris paribus etwas weniger genau prüfen.

Das Beispiel der Verf. hingegen (aaO, S. 753), lautet sinngemäß:

Wenn man die BAFin fragt, darf man sich nach h.M. grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung auf deren Auskunft verlassen, weil sie vertrauenswürdig und fachkompetent ist.

Selbst wenn das stimmte (Verf. zitieren immerhin abweichende Rechtsprechung), so ist das in dreifacher Hinsicht kein Beispiel für den behaupteten Zusammenhang.

– Es wird kein Beispiel für Zuverlässigkeit gegeben, sondern für Fachkompetenz und Vertrauenswürdigkeit.

– Eine Plausibilitätsprüfung setzt voraus, dass etwas nicht ohne weiteres Einleuchtendes gesagt wird, ansonsten kann man die Plausibilität ja nur bejahen und nicht prüfen. Eine einer solchen Prüfung ernsthaft zugängliche Auskunft der BAFin habe ich noch nicht gesehen.

– Sich ohne Nachprüfung grundsätzlich verlassen zu dürfen, ist ja nun nicht gerade eine – wenn auch abgeschwächte – „Prüfung der Plausibilität“.

 

3. Ein paar ketzerische Fragen zum Schluss

a) Bewegliche Systeme schaffen kein Recht

Verf. geht es offenbar gerade darum, nur abstrakte Zusammenhänge wie den oben zur Plausibilitätsprüfung Erläuterten darzustellen. Mithilfe von „beweglichen Systemen“ wollen sie offenbar maximale Einzelfallgerechtigkeit und „situationsadäquate“ Pflichten für den Geschäftsleiter schaffen. Solche beweglichen Systeme sind aber mitnichten ein Idealzustand. Dem Geschäftsleiter wird dann erst hinterher gesagt, wie er sich hätte verhalten müssen. Unterliegt diese nachträgliche Beurteilung nicht genau dem „hindsight bias“, der die maßgebliche Begründung für eine Haftungserleichterung des Geschäftsführers im Rahmen der Business Judgment Rule ist?

b) Das gibt es doch schon alles…

Verf. kommen von ihrer Warte aus zu dem Schluss, dass künftig schon das Unterlassen einer gebotenen Einholung von Rechtsrat eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers sein kann und also zu seiner Haftung führen kann (S. 757f.). Kann der Aufsichtsrat in solchen Fällen nicht auch schon nach geltendem Recht vorgehen? Es kann doch wohl keine Haftungsbefreiung für einen Geschäftsführer geben, der trotz Erkennens der eigenen Inkompetenz die Gesellschaft schädigt. Nur liegt die Pflichtverletzung dann in der Schädigung selbst und nicht etwa in der fehlenden Einholung von Rechtsrat…

c) Künftig alles doppelt – hoffentlich verliert niemand den Überblick

Oder noch anders gewendet: Wenn die Verf. die Einholung von Rechtsrat nun auf der Pflichtenebene ansiedeln, so schließt das doch die Notwendigkeit einer Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung auf der Verschuldensebene nicht aus, oder habe ich da etwas nicht verstanden? Verschulden ist auch künftig erforderlich, ein unverschuldeter Rechtsirrtum muss folglich die Vorwerfbarkeit ausschließen. Und da sind wir doch schon wieder bei der Frage nach einem schuldausschließenden Gutachten. Werden Geschäftsleiter also künftig Gutachten über die Frage in Auftrag geben, ob sie ein Gutachten in Auftrag hätten geben müssen?

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