§ 242 BGB versus § 242 BGB oder: Wer ist hier der Spitzbube?
von Ulrich Wackerbarth
Durch einen Beitrag von Zinger in BB 2014, 458 ff. ist mir gerade eine fatale Rechtsprechungsentwicklung aufgefallen. Es geht um die Treugeberhaftung in Fondsgesellschaften, an denen sich Anleger nicht unmittelbar als Gesellschafter, sondern über einen Treuhänder beteiligen.
1. Keine Außenhaftung der Treugeber, aber Freistellung
Zinger legt zunächst dar, warum aus dem schuldrechtlichen Vertrag zwischen dem Anleger (Treugeber) und dem Fondsinitiator, der oftmals als Treuhänder fungiert, keine unmittelbare Außenhaftung der Treugeber gegenüber den Gläubigern der Fonds-KG resultieren kann, wenn der Treugeber nicht unmittelbar nach außen Vertrauen in Anspruch nimmt (siehe dazu schon ausführlicher hier). Zutreffend kritisiert er Ansätze in der Literatur (Kindler, Schäfer), die mit fragwürdigen Überlegungen Hand an diese festen Grundpfeiler legen wollen.
Die Treugeber können freilich in aller Regel im Innenverhältnis wie Gesellschafter in Anspruch genommen werden. Der im Außenverhältnis haftende Treuhänder-Gesellschafter hat nämlich einen Freistellungsanspruch gegen die Anleger. Dieser Freistellungsanspruch wird regelmäßig auch nicht vertraglich ausgeschlossen, da Banken solchen Fonds ohne die Möglichkeit des Rückgriffs auf die Treugeber keinen Kredit gäben (aaO. S.460). Der Freistellungsanspruch ist die praktische Finanzierungsgrundlage des Fonds.
2. Aufrechnungsverbot bei Prospekthaftung?
Zinger erörtert nun die seit 2011 bestehende Rechtsprechung des II. und III. Senats BGH, die den solcherart auf Freistellung in Anspruch genommenen Treugebern eine Aufrechnung mit etwaigen Prospekthaftungsansprüchen gegen den Fondsinitiator verwehrt – und zwar nahezu ohne Argumente, was Zinger zwar nicht wörtlich sagt, aber zu Recht kritisiert (S. 461 f.). Der BGH meint, das Verbot für den Anleger, sich auf die Prospekthaftungsansprüche zu berufen, folge aus § 242 BGB. Denn durch den Vertrag solle der Anleger einem Kommanditisten gleichgestellt werden, und der dürfe sich gegen seine Inanspruchnahme durch Gläubiger ja auch nicht auf Gegenansprüche aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis berufen. Diese Begründung ist schon für sich betrachtet ziemlich erheiternd, da die Prospekthaftungsansprüche des Anlegers doch letztlich ebenfalls aus § 242 BGB folgen. § 242 BGB vs. § 242 BGB also? Dass der Anleger hier der Übeltäter ist, dem eine Berufung auf seine Rechte mit dem letzen Mittel des Zivilrechts versagt werden müsste, liegt allerdings fern.
Wenn im Vertrag sinngemäß steht, „Ich weiß, dass ich mit meinem ganzen Vermögen für die Schulden der Gesellschaft hafte“, so folgt daraus mitnichten ein stillschweigendes Aufrechnungsverbot für Gegenansprüche aus Prospekthaftung. Allenfalls ist dem Anleger dann bekannt, dass er überhaupt auf Freistellung in Anspruch genommen werden kann. Die gegenteilige Auslegung des BGH kann sich nicht auf den Vertragswortlaut stützen, der ein solches Verbot gerade nicht nahelegt. Zinger verweist zu Recht darauf, dass der BGH mit dieser Rechtsprechung letztlich die Risiken aus der unklaren Vertragsregelung einseitig dem Treugeber zuweist, der fahrlässig versäumt habe, ein ausdrückliches Aufrechnungsverbot zu vereinbaren.
Anders gefragt: Was ist eine Rechtsprechung wert, die mit der linken Hand wieder nimmt („stillschweigender Aufrechnungsausschluss“), was die rechte in Form der Prospekthaftung gegeben hat? Mit ihrer Rechtsprechung erlauben der II. und der III. Senat des BGH den Fondsinitiatoren etwas, dass nach Sinn und Zweck der Prospekthaftungsvorschriften gerade verboten sein soll: Nämlich durch nachgrade intransparente und täuschende Formulierungen die Anleger über dem Umfang und die Bedingungen ihrer Haftung und damit ihrer Anlage zu täuschen.
Man muss deshalb sogar noch einen Schritt weiter gehen als Zinger: Selbst wenn ein Aufrechnungsverbot ausdrücklich im Treuhandvertrag stünde, so wäre es seinerseits als vertragliche Einschränkung der Prospekthaftung nichtig. Denn diese verträgt als zwingendes Recht solche Einschränkungen nicht (so ausdrücklich § 25 Abs. 1 WpPG, § 22 Abs. 6 S. 1 VermAnlG; für die durch Richterrecht entwickelte allgemeine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung kann nichts anderes gelten).
3. Gleichstellung? Keine Gleichstellung!
Und ein Wort noch zur „Gleichstellung“. Hier liegt neben der unhaltbaren Auslegung des Treuhandvertrags der zentrale Fehler im Ansatz des BGH. Wenn ich als Anleger tatsächlich Kommanditist werde, werde ich im Handelsregister als Gesellschafter eingetragen. Dann ist mir (und den Gläubigern) klar, dass ich im Außenverhältnis nach den gesetzlichen Regeln hafte und Verträge daran nichts ändern. Diese Formalitäten fehlen bei der Treuhandkonstruktion aber gerade. Die Anleger haben sich eben nicht unmittelbar als Kommanditisten beteiligt. Die Warnfunktion des Eintrags in das Handelsregister wird durch ein bloßes Papier, nämlich den Treuhandvertrag, ausgeschaltet. Und die Gläubiger dürfen auch auf nichts vertrauen, da es an einem Eintrag fehlt. Dagegen kann man auch nicht einwenden, die Treuhandkonstruktion erfolge lediglich zu Vereinfachungszwecken. Formale Anforderungen (Eintrag in das Register) erfüllen regelmäßig Schutzzwecke und stellen nicht einfach überflüssige Behinderungen dar. Wenn man ihre Nachteile (Aufwand/Kosten) nicht will, dann muss man akzeptieren, dass man ihre Vorteile eben auch nicht bekommt (You can´t have the cake and eat it, too). Im Ergebnis konterkariert der BGH mit seiner Rechtsprechung zur Gleichstellung bzw. zum stillschweigenden Aufrechnungsverbot seine zutreffende Beurteilung der regelmäßig fehlenden Außenhaftung der Treugeber. Entweder sind sie nach außen Gesellschafter oder nicht (sie sind es eben nicht)!
4. Rechtsverweigerung
Da lobe ich mir die umfassenden und voll zutreffenden Überlegungen des OLG Karlsruhe als einer der Vorinstanzen (hier, Rn. 61 – 67), die der BGH in seiner gegenteiligen Revisionsentscheidung unter Rn. 29 nicht einmal zur Kenntnis genommen geschweige denn widerlegt hat. Nun bin ich weit davon entfernt, dem BGH jede Macht zur Rechtsfortbildung absprechen zu wollen. Wenn aber eine Vorinstanz sich mit der entscheidenden Frage ausführlich und mit nachvollziehbaren Argumenten auseinander gesetzt hat, halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, dass sich die anschließende Revisionsentscheidung zu diesen tragenden Erwägungen ausdrücklich verhält. Ein unbegründetes „non placet“ der höchsten Richter dieses Landes ist hingegen nichts anderes als verfassungswidrige Rechtsverweigerung.
5. Wirtschaftliche Konsequenzen der Gegenauffassung
Wirtschaftlich bedeutet das: Folgte man der Gegenauffassung, so scheiterte nicht etwa jede ehrliche Finanzierung von Fonds durch Banken, da ja der Rückgriff auf die Anleger-Treugeber nicht per se in Frage gestellt wird. Die Möglichkeit, Aufklärungspflichtverletzungen gegen die Haftung einwenden zu können, zwänge Banken jedoch, den Fondsinitiatoren im Vorfeld genau auf die Finger zu schauen. Man würde die kreditgebenden Banken so für ordnungegemäße Prospekte in Mithaftung nehmen, ähnlich wie es bei der spezialgesetzlichen Prospekthaftung der Fall ist. Erschwert würden so nur betrügerische Fondsprojekte. Doch darf man vermuten, dass die Bankenlobby eine solche Last nicht tragen will. Zingers Rechtsauffassung, auch wenn sie dogmatisch und ökonomisch zwingend erscheint, wird also ein frommer Wunsch bleiben.
Am 28. Oktober 2014 um 15:44 Uhr
[…] – in aller Regel gar nicht klar ist, das sie “ihren Regelkreis verlassen”. Und, wie in diesem Beitrag bereits näher erläutert, schon gar nicht darf über das Verbot von Aufrechnungsmöglichkeiten die […]