Die Abschaffung des BetrAVG für Konzerne oder: Blauer Himmel über Erfurt

 

von Ulrich Wackerbarth

BlauBis auf das BVerfG, das ja bekanntlich nicht zur Super-Revisionsinstanz verkommen will, schwebt über dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt keine fachgerichtliche Kontrolle mehr. Entscheidungen des Gerichts treffen dann insbesondere solche (ehemaligen) Arbeitnehmer besonders hart, die sich als Betriebsrentner nicht mehr wehren können, wenn das Gericht sie ihrer Existenzgrundlage oder jedenfalls eines Teils derselben beraubt.

1. Die Entscheidung

Einen solchen Raubzug hat der 3. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 20.5.2014, Az. 3 AZR 1094/12 (NZA 2015, 228) unternommen. Zugrunde lag ein einfacher Fall: Die eine Betriebsrente zahlende Gesellschaft war pleite. Für solche Fälle sieht das Gesetz zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) vor, dass der Pensionssicherungsverein (PSV aG) einspringt und die Rente weiterzahlt. Dieser jedoch lehnte ab und zwar mit einer bemerkenswerten Begründung: Es handele sich gar nicht um eine Betriebsrente. Denn der Arbeitgeber sei gar kein Arbeitgeber gewesen. Zwar war der „Betriebsrentner“ in den 60er Jahren für kurze Zeit bei der Pleite-Gesellschaft beschäftigt. Aber im Zeitpunkt der Zusage der Altersversorgung (1974) war er – wie von Anfang an geplant – längst zu einer 100%igen Tochtergesellschaft nach Nigeria gegangen und dort geblieben. Diese Tochter, so der PSV und nun auch der 3. Senat des BAG, sei die Arbeitgeberin gewesen, nicht hingegen die insolvente Muttergesellschaft, die aber die Versorgung zugesagt und dann auch bezahlt hatte. Die Zusage der Betriebsrente sei nicht im Sinne von § 1 BetrAVG „vom Arbeitgeber“ erfolgt, ergo hafte der PSV aG nicht.

2. Weitreichende Konsequenzen

Betrachtet man die Folgen dieser Rechtsprechung, wird schnell klar: Wenn es sich bei Zusagen einer Konzernmutter nicht mehr um Betriebliche Altersversorgung handelt, dann gilt das ganze BetrAVG nicht! Im Konzern kann die Konzernmutter künftig konzernweit Versorgungszusagen erteilen, ohne die Regeln des BetrAVG beachten zu müssen. Die bloße Änderung der Organisationsform eines Unternehmens (Betriebsaufspaltung), ja die Gründung einer „Betriebsrentenzusagegesellschaft“ im Konzern genügt, um sich aller Fesseln des Gesetzes zu entledigen. Und das gilt bis an die nicht rechtssicher zu bestimmende Grenze des Rechtsmissbrauchs: Das BAG hat also im Konzern kurzerhand das BetrAVG durch § 242 bzw. § 138 BGB ersetzt. Praktiker überlegen schon, wie man das Urteil gewinnbringend ausnutzen kann, siehe etwa Diller/Beck, NZA 2015, 274 ff. Den einzelnen Arbeitnehmer muss man ja nicht darauf hinweisen, dass bestimmte Klauseln in den neuen Verträgen (z.B. Verfallbarkeitsregeln, keine Auskunftsanprüche, kein Recht auf Anpassung der Rente mehr) nur deshalb möglich sind, weil der Konzern vom BAG hier einen Freifahrtschein erhalten hat, die Beschäftigten scherzhaft in die Irre zu führen, um nicht schlimmere Ausdrücke zu verwenden.

3. Das Kind ist schon im Brunnen

Schon jetzt gilt: Zusagen, die im Wege von Konzernbetriebsvereinbarungen (KBV) zwischen Konzernleitung und Konzernbetriebsrat ausgehandelt wurden, sind nach dieser Entscheidung nicht mehr insolvenzgeschützt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die KBV ohne Beteiligung der abhängigen Gesellschaften und ohne Vollmacht durch diese ausgehandelt wurde. Denn die KBV mag unmittelbar und zwingend gelten, soviel sie will: es handelt sich zweifelsfrei um eine Zusage durch die Mutter, also einen Nicht-Arbeitgeber im Sinne der (neuen) Rechtsprechung des BAG. Möglicherweise sind also schon heute hunderttausende Betriebsrentner von der Entscheidung betroffen und wissen es nur noch nicht. Selbst wenn in der KBV eine Vollmacht durch die konzernangehörigen Unternehmen behauptet wird: Nichts hindert den PSV, noch Jahre nach dem Abschluss den Nachweis dieser Vollmacht zu verlangen, wenn die Mutter pleite ist. Dem Arbeitnehmer wird dieser Nachweis wohl kaum gelingen. Und doch trägt er nach allgemeinen Regeln die Beweislast für ebendiese Vollmacht, weil er sich gegenüber dem PSV auf § 1 BetrAVG beruft. Das könnte noch eine ganze Menge wenig lustiger, aber für die Arbeitnehmer existenzbedrohender Verfahren nach sich ziehen.

4. Wer ist Arbeitgeber im Sinne des BetrAVG?

Allein die Eigenschaft, Mutterunternehmen eines Konzerns zu sein, macht eine Gesellschaft noch nicht zum Arbeitgeber aller Beschäftigten im Konzern. Das schließt jedoch andererseits das Bestehen mehrfacher Arbeitsverhältnisse im Konzern nicht aus. Die Muttergesellschaft kann zusätzlich zum Vertragsarbeitgeber bestimmte Funktionen übernehmen und insoweit als (zweite) Arbeitgeberin auftreten und arbeitsrechtlich handeln.

Zum Begriff des Arbeitgebers im Sinne des § 1 BetrAVG hat das BAG in zwei Entscheidungen von 1985 und 1988 (BAG v. 6.8.1985 – 3 AZR 185/83 und 25.10.1988 – 3 AZR 64/87) gesagt: Bei Führung der Tochter durch die Mutter, also bei zentralistischer Konzernleitung bestehe im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Eingriffe durch die Mutter ein „Restarbeitsverhältnis“ zwischen Mutter und Tochterarbeitnehmer, das es rechtfertige, die Mutter als Arbeitgeber im Sinne von § 1 BetrAVG zu behandeln. Auch in der aktuellen Entscheidung war diese zentralistische Leitung behauptet worden, das BAG erklärt sie nun für irrelevant.

Dass im Konzern nicht einfach an die juristische Person des Vertragsarbeitgebers angeknüpft werden darf, zeigt aber auch die Rechtsprechung des BAG zur Insolvenzsicherung vertraglich unverfallbarer Anwartschaften. Wechselt ein Arbeitnehmer nach 3 Jahren von der Mutter zur Tochter und wird ihm diese Zeit bei der Altersversorgung vertraglich angerechnet, so hält das BAG die Altersversorgung nach Ablauf von weiteren 2 Jahren bei der Tochter für insolvenzgeschützt, obwohl der Arbeitnehmer bei der Tochter als dem (jetzt) maßgeblichen Arbeitgeber noch keine 5 Jahre voll hat (vgl. 7 Abs. 2 iVm. § 1b Abs. 1 BetrAVG), so etwa BAG v. 11.1.1983 – 3 AZR 212/80 (der Insovlenzschutz scheiterte im konkreten Fall an anderen Dingen).

Ganz offensichtlich betrachtete der 3. Senat die Mutter in allen diesen Entscheidungen also auch nach dem Wechsel zur Tochter weiterhin als Arbeitgeber im Sinne des BetrAVG. Warum er jetzt von dieser Rechtsprechung abweicht, sagt er nicht, sondern zieht sich auf eine formaljuristische Position zurück. Im angelsächsichen Recht wäre eine solche Änderung nicht ohne eine ausführliche Auseinandersetzung mit den früheren Erwägungen möglich. Und ob dem 3. Senat die Konsequenzen überhaupt klar sind, wird in der Entscheidung auch nicht deutlich.

5. Konzernvertrauen

Nicht geprüft hat das BAG in der jetzigen Entscheidung ferner den hier einschlägigen Gesichtspunkt des Konzernvertrauens. Erweckt die Mutter durch die Zusage einer Altersversorgung gegenüber dem Arbeitnehmer den Eindruck, ein „Konzernarbeitgeber“ habe die Zusage erteilt, und verlässt sich vor diesem Hintergrund der Arbeitnehmer darauf, eine Betriebliche Altersversorgung durch „den Konzern“ zu bekommen, so genügt das richtigerweise für die Einordnung als Betriebsrente im Sinne des Gesetzes. Und das löst dann auch die Einstandspflicht des PSV aG aus. Dass er an alledem „nicht beteiligt“ sei und ihm solches daher nicht entgegengehalten werden könnte (so sinngemäß Diller/Beck, NZA 2015, 274, 275), stellt hingegen keine Argument dar. Die Zahlungspflicht des PSV ist auch sonst an den Abschluss eines Vertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebunden, an dem der PSV nicht beteiligt ist.

6. Keine Flucht aus dem Arbeitsrecht!

Richtigerweise sollte noch darüber hinaus im Konzern den beteiligten Unternehmen auch dann keine Chance gegeben werden, den Regeln des BetrAVG zu entfliehen, wenn sie ausdrücklich bestimmte Leistungen nicht als Betriebsrente bezeichnen und auch dann, wenn der fragliche Arbeitnehmer der Tochter zuvor überhaupt nicht bei der Mutter beschäftigt war: Sagt die Mutter Leistungen der Altersversorgung an Arbeitnehmer des Konzerns wegen ihrer Beschäftigung in einem Konzernunternehmen zu, so kommt bei zutreffender Auslegung durch die Zusage das notwendige Rest-Arbeitsverhältnis im Sinne des BetrAVG mit der Mutter zustande.

7. Fazit:

Der 3. Senat des BAG

– weicht ohne Not und ohne Sachargumente und ohne auch nur den Versuch einer Auseinandersetzung von früherer Rechtsprechung ab,

– berücksichtigt nicht die weitreichenden Konsequenzen für den Insolvenzschutz bestehender Anwartschaften und Versorgungen wie überhaupt die Folgen dieser Entscheidung

– leistet der Täuschung von Arbeitnehmern Vorschub, die bei Konzernzusagen nicht im Geringsten damit rechnen, es handele sich in Wahrheit nicht um eine Betriebsrente im Sinne des Gesetzes,

– ermöglicht Konzernen, sich aus dem gesamten BetrAVG zu verabschieden, wenn sie einfach keine Lust mehr darauf haben.

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