Gone Dark – die Neuregelung des Delisting und neue Geschenke an Großaktionäre

von Ulrich Wackerbarth

 

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I. Hintergrund

Vom Ersatzgesetzgeber zum Ersatzversager – so könnte man die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen für einen Rückzug von der Börse nennen. Nachdem der II. Senat mit einem umstrittenen, aber mutigen und jedenfalls im Ergebnis respektablen Urteil in der Sache Macrotron 2002 dem unkontrollierten Delisting ein Ende gesetzt hatte, haben es die Unternehmen bekanntlich recht erfolgreich mit einer Strategie „von hinten durch die Brust ins Auge“ versucht. Assistiert von meinungsstarken, aber argumentbefreiten Stellungnahmen aus der Anwaltschaft und pseudo-wissenschaftlichen Untersuchungen (die hier bereits kritisiert wurden), suchte man nun nicht mehr den direkten (Börsen-)Ausgang, sondern nahm einen anderen Weg.

Nämlich den Umweg über ein vom BGH in Macrotron eigentlich verbotenes Downlisting, das aber zunächst in ein besonders herausgehobenes Feld (Qualitätssegment) des freien Marktes erfolgte, konnten zunächst das OLG München und das KG überzeugt werden, den regelfreien Rückzug auf Raten entgegen Macrotron zu erlauben (dazu schon hier). Nach einem Zwischenspiel beim BVerfG (das sich zwar zu Recht rausgehalten hat, aber einer fatalen Ankündigung durch den Vorsitzenden des II. Senats Platz einräumte, siehe hier) war der Weg dann frei und der BGH hat bekanntlich in der Frosta-Entscheidung seine frühere Rechtsprechung ersatzlos (hier) gestrichen. Dies geschah unter Verweis auf „wissenschaftliche“ Untersuchungen (die im Hinblick auf Methode und Unabhängigkeit dieses Wort nicht verdienten) und ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenauffassung.

II. Meinungsstand

Dieses Urteil mit Recht als richterliches Versagen eingeordnet hat nun offenbar auch der Gesetzgeber und überlegt eine Neuregelung des Delisting. Im Hinblick darauf hat sich eine ganze Reihe von Vertretern einer mehr oder weniger starken Regulierung des Delisting zu Wort gemeldet. Einig sind sich alle darin, dass eine reine Fristenlösung, wie sie momentan in den Börsenordnungen existiert, den notwendigen Schutz nicht leisten kann und daher ein Angebot an die Aktionäre erforderlich ist. Wie aber ist der Stand der Dinge genau? Ich habe mir mal die Mühe eines Vergleichs gemacht. Die folgende Übersicht ist auf einige wesentliche Dinge beschränkt:

  1. Reichweite der Regulierung. Kann man die Neuregelung umgehen oder umfasst sie auch das Downlisting (dazu hier)?
  2. Soll es eine Ausnahme von der Angebotspflicht geben, etwa, wenn das Delisting innerhalb eines Jahres nach einem Übernahmeangebot erfolgt?
  3. Gibt es ein Spruchverfahren? Und soll dort auch eine Unternehmenswertermittlung erfolgen oder nur der Schutz durch Abstellen auf einen gewichteten Börsenkurs vor der Ankündigung des Delisting?
  4. Wird eine kapitalmarktrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Regulierung bevorzugt? D.h. soll die Neuregelung eher bei § 39 BörsG oder eher im AktG mit dem Erfordernis eines HV-Beschlusses und mit welcher Mehrheit erfolgen?

 

Berücksichtigt wurden folgende Aufsätze und sonstigen Stellungnahmen (in alphabetischer Reihenfolge, weitere habe ich nicht gefunden):

  • Auer, JZ 2015, 71
  • Bayer, ZIP 2015, 853 und ZfPW 2015, 163
  • Brellochs, AG 2014, 633
  • Buckel/ Glindemann /Vogel, AG 2015, 373
  • Bungert, Editorial DB 2015, Heft 25, S. 5
  • Habersack JZ 2014, 147 nebst Stellungnahme für BT
  • Hirte, Stellungnahme
  • Kaetzler, Kreditwesen 2015, 400
  • Koch/Harnos, NZG 2015, 729
  • Noack, Stellungnahme für BT
  • Wicke, DNotZ 2015, 488

Legende: x = wird bejaht, – = wird verneint, tend.= tendiert zu

 

Autoren Angebot bei Downlisting kein Angebot nach Übernahme Spruchverfahren/Unternehmenswerter-mittlung HV-Beschluss/Mehrheit
Auer – (unklar) – (§ 39 BörsG) – (BörsG)
Bayer x tend. x x / (unklar) x / (unklar)
Brellochs x – / – (wie WpÜG) – (BörsG)
Buckel/ Glindemann/ Vogel x x (1 Jahr) – / – (wie WpÜG) – (BörsG)
Bungert x – / – (wie WpÜG)
Habersack x – / – – (BörsG)
Hirte x x / (unklar) (nicht eindeutig)
Kaetzler – (x bei Komplett-Rückzug) – / – (wie WpÜG)
Koch/ Harnos x x / u.U. (ähnlich WpÜG) – (BörsG)
Noack x tend. x – / – (wie WpÜG) – (§ 3 AktG)
Wicke x x / ausnahmsweise x / 75 %

 

III.  Erkenntnisse und Kritik

1. Zunächst: Eine umgehungsfeste Regelung knüpft nach ganz h.M. an das Ende der Notierung am geregelten Markt an (erfasst also auch die Fälle des Downlisting). Dem kann ich mich nur anschließen. Eine Ausnahme von der Angebotspflicht nach erfolgter Übernahme wird nur von wenigen überlegt, widerspräche aber im Ergebnis den gesetzlichen Wertungen in § 39a WpÜG, was offenbar niemand sieht.

2. Ferner halten fast alle einen Hauptversammlungsbeschluss für entbehrlich (siehe die 5. Spalte der Liste). Da ein Angebot erforderlich ist, könnte gegen den Willen der Aktionäre der Vorstand den Rückzug gleichwohl nicht durchführen. Denn wenn er niemanden findet, der das notwendige Übernahmeangebot machen will, so verbietet § 71 AktG ihm selbst, mehr als 10% der Aktien zurückzukaufen. Das müsste er indessen, wenn das Angebot mangels HV-Beschlusses allen Aktionären gemacht werden muss.

Richtigerweise sollte ein HV-Beschluss das Delisting auch in solchen Fällen ermöglichen können: Wenn die (einfache) Mehrheit meint, auf die Börsennotierung verzichten zu können oder zu müssen (und die zustimmenden Aktionäre sich zudem zur Übernahme der Aktien der mit Nein stimmenden Aktionäre bereit erklären – jeder könnte bei der Abstimmung sagen, wie viele er abkaufen würde, anschließend wüsste man, ob es aufgeht), sollte der Vorstand zum Delisting berechtigt und verpflichtet sein.

3. Umstrittener ist die Frage der Notwendigkeit eines Spruchverfahrens (4. Spalte). Zwar wollen einige ein solches beibehalten. Nach ganz überwiegender Meinung soll anlässlich des Delisting aber keine Unternehmensbewertung mehr stattfinden, vielmehr sei an die übernahmerechtliche Regelung des § 5 WpÜG-AngVO anzuknüpfen (dreimonatiger Referenzkurs vor Delisting-Ankündigung). Nur in Ausnahmefällen (vgl. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO) soll eine solche Bewertung durchgeführt werden müssen. Ob und unter welchen Umständen ein solcher Ausnahmefall vorliegt, kann allerdings nur im Spruchverfahren endgültig geklärt werden. Ich ziehe daher zunächst diejenigen vor, die die Regelung des WpÜG zumindest mit der Anwendung des Spruchverfahrens kombinieren wollen.

Allerdings: Würde eine Regel ohne Unternehmenswertermittlung tatsächlich Gesetz, so wäre dieses Gesetz ein Geschenk an alle Großaktionäre, die noch nicht die nötigen 90% für einen Squeezeout aber vielleicht schon 70 oder 80 % zusammenbekommen haben. Künftig setzen sie den Vorstand unter Druck, ein Delisting durchzuführen. Anbieten müssen sie dann weniger als beim Squeezout (nämlich eben keine volle Entschädigung mehr), können aber praktisch doch sicher sein, dass die 30%ige Minderheit aus der Gesellschaft verschwindet – eben aus Angst vor dem späteren Eingesperrt-Sein in einer AG ohne Börsennotierung. Gerade vor diesem wirtschaftlichen Druck schützen wollte der BGH in Macrotron, als er noch Ersatzgesetzgeber war. In bestimmten Konstellationen könnte die Neuregelung auch perfiden
„freundlichen“ Übernahmen einen günstigen Weg bahnen: Der Bieter macht dann kein WpÜG-Übernahmeangebot, sondern eben ein (schlechtes) Delisting-Angebot, das aus Angst dann trotzdem alle annehmen.

IV. Ceterum Censeo

Im Übrigen: Wo sind eigentlich all diejenigen, die von der Downlisting-Rechtsprechung des OLG München und des KG und später von Frosta so begeistert waren? Sie haben sich in der aktuellen Debatte (bis auf Bungert) noch nicht zu Wort gemeldet. Ich vermute, sie sind fleißig damit beschäftigt, das Going Dark von rückzugswilligen Unternehmen in der Zeit zu organisieren, in der Frosta noch gilt. Für diejenigen Aktionäre, die an Gesellschaften beteiligt waren, die bereits „gone dark“ sind, kommt jede gesetzliche Hilfe zu spät. Die Verantwortung für ihren Schaden tragen allein die Mitglieder des II. Senats, die für „Frosta“ gestimmt haben.

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