Anleitung zur Haftungsentlastung für Vorstände
von Ulrich Wackerbarth
Sind Sie Vorstand einer Aktiengesellschaft und wollten immer schon mal etwas Verbotenes tun, ohne dafür später haftbar gemacht werden zu können? Und noch besser: ohne dass überhaupt jemand haftet? Kein Problem: Corporate BlawG hilft, wo wir können. Hier kommt die Anleitung für alle, die nicht länger hinter dem Mond leben (wollen):
1. Der Plan
Überlegen Sie zunächst, was sie genau vorhaben. In Betracht kommen z.B.
– eine gepflegte Insolvenzverschleppung,
– Vergütungsvereinbarungen am Aufsichtsrat vorbei,
– Verbotene Kartellverträge für die Gesellschaft
und viele andere Dinge, die Ihnen oder Ihrer AG nützen, aber leider vom Gesetz streng verboten sind. Aber was heißt schon verboten? Haftbar machen kann man Sie nur, wenn Sie Ihr Vergehen auch „zu vertreten“ haben. Und hier heißt das Zauberwort: Exkulpation durch Rechtsrat. Das funktioniert in etwa so: wenn Ihnen ein Experte sagt, dass Ihr Vorhaben erlaubt war, dann konnten Sie doch nichts dafür und handeln entschuldigt. Eine solche Exculpation will freilich gut geplant sein.
2. Unabhängiger Berater
Zunächst suchen Sie sich einen Berater mit dem Sie ihr Vorhaben detailliert planen können. Er oder sie sollte sich entweder im Insolvenzrecht, im Aktienrecht oder im GWB gut auskennen, je nachdem, was Sie vorhaben (siehe 1). Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats muss er oder sie ein „fachlich qualifizierter Berufsträger“ sein. So etwas wird sich doch finden lassen.
Das schöne: seit neuestem kommen auch Ihnen vollkommen ergebene Mitarbeiter aus Ihrer Rechtsabteilung als Berater in Betracht. Bei der Auswahl ist nämlich lediglich auf sachliche (nicht: persönliche) Unabhängigkeit zu achten. Der Berater gilt nach der Rechtsprechung des BGH als unabhängig, wenn er keine Vorgaben bekommt und also ergebnisoffen prüft (BGH v. 28.4.2015 Rn. 36). Also kann auch ein interner Angestellter unabhängig sein. Es spielt keine Rolle, dass seine berufliche Zukunft von Ihrem ganz persönlichen Wohlwollen abhängt und Sie von ihm daher verlangen können, was immer Sie wollen.
3. Mißverständnisse …
Nun aber das wahrhaft Geniale für Sie und Ihren angestellten Berater:
„Eine Entlastung aufgrund eines Rechtsirrtums verlangt nicht, dass ein Prüfauftrag ausdrücklich für eine bestimmte Rechtsfrage erteilt wird, sondern nur, dass die Prüfung aus der Sicht des nicht fachkundigen Organs die zweifelhafte Frage umfasst“.(BGH v. 28.4.2015, Rn. 30)
Sie müssen also nur eine möglichst pauschale Frage stellen, die das verbotene Vorhaben mitumfasst, aber ansonsten unverdächtig Erlaubtes zum Gegenstand hat. Der oder die „Befragte“ wiederum muss die gestellte Frage missverstehen können. Genau durch dieses Missverständnis öffnet sich die Enthaftungswundertüte, die Sie als Vorstand und Ihren Berater von jeder Haftung befreit. Denn die Antwort des Beraters wiederum muss nur so formuliert sein, dass sie den geplanten Rechtsverstoß aus Ihrer rechtsunkundigen Sicht objektiv mitabdeckt, während der Berater ja nur die erfragten erlaubten Verhaltensweisen „absegnen“ wollte.
(Dass die Konstruktion solcher Scheinmißverständnisse selbstverständlich rechtswidrig ist, sei hier nur am Rande erwähnt und braucht Sie nicht groß zu interessieren. Merke: Vor Gericht zählt nur das, was bewiesen werden kann.)
4. Plausibel?
Wenn das geschehen ist, sind Sie und Ihr Angestellter prinzipiell fein raus. Gerade das doppelte Mißverständnis erschlägt nämlich eine weitere Voraussetzung für die Entlastung durch Rechtsrat, die erforderliche Prüfung auf Plausibilität. Naturgemäß ist die Plausibilität des Rechtsrats bei einem entsprechenden Mißverständnis schon definitionsgemäß gegeben; die Auskunft muss diese Kontrolle passieren (sonst läge ja kein Mißverständnis vor).
Also in aller Kürze: Sie wollen A tun und fragen ungeschickt nach B. Ihr Berater antwortet „B ist erlaubt“ und Sie verstehen „A und B sind erlaubt“ (was für Sie als Laien selbstverständlich völlig plausibel ist).
Und damit sind Sie wegen A nicht mehr dran, weil Sie ja denken durften, A sei erlaubt. Und Ihr Berater haftet nicht, weil er aus seiner Sicht ja nicht einmal die Frage nach A gehört hat geschweige denn sich dazu äußern wollte. Ergebnis: Die Frage nach B entlastet beide für A.
Leider enthält die Rechtsprechung noch ein wenig zufriedenstellendes caveat: Zur Plausibilitätsprüfung gehört auch die Prüfung, ob
„dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle erforderlichen Informationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet hat und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet hat oder sich aufgrund der Auskunft weitere Fragen aufdrängen.“ (BGH v. 28.4.2015, Rn. 33)
Damit lässt sich der II. Senat ein ziemlich großes „Hinter-Tor“ auf, um im Einzelfall Fragen zu finden, die sich vielleicht nicht Ihnen, aber den Richtern des II. Senats aufdrängten. Und welche Fragen das sein werden, das weiß vermutlich nur der Mann im Mond.