Vermeidbarer Rechtsirrtum im Kapitalmarktrecht … ein schlechter Aprilscherz?
von Ulrich Wackerbarth
Seit einigen Tagen ist die Begründung des LG Frankfurt (2-02 O 143/16) im Fall Maschmeyer gegen Clifford Chance bei juris einzusehen. Nach den Berichten in der myops über die Weigerung der Justiz, Urteile (Fall Hoeneß) herauszugeben oder auch nur über Schwärzungsregeln zu informieren (beides wirft ein ganz besonderes Licht auf unseren Rechtsstaat), hatte ich schon befürchtet, auch in diesem Fall wegen der Prominenz des Klägers nicht an die Urteilsgründe zu kommen. Doch zu arg meine Sorgen, nunmehr kann jeder nachlesen, dass die zweite Kammer des LG Frankfurt kein Kapitalmarktrecht kann.
Kurz zum (stark vereinfachten) Sachverhalt nach den Feststellungen des LG Frankfurt: Herr M. hatte am 1.4.2008 aufgrund einer Kapitalherabsetzung von MLP die erste Meldeschwelle des § 21 WpHG a.F. (3 %, jetzt § 33 WpHG) überschritten. An diesem Tag erteilte er, statt die Überschreitung zu melden, nur den Auftrag, durch Verkauf von Aktien seine Beteiligung wieder unter 3% abzusenken. Als die BAFin im Jahr 2009 von ihm weitere Informationen wegen möglicher Verstöße gegen Meldepflichten verlangte, fragte er seine Anwälte bei C.C., wie zu verfahren sei. Diese fanden zwar heraus, dass Herrn M. am 1.4.2008 eine Meldepflicht traf und er sie nicht erfüllt hatte, stellten aber keine weiteren Nachforschungen bei ihm über seine Motivation an und empfahlen auch keine Nachholung der unterlassenen Veröffentlichung. Später wurde Herr M. von MLP erfolgreich auf die Rückzahlung von erhaltenen Dividenden in Anspruch genommen. Nunmehr nahm Herr M. seine Berater von C.C. auf Schadensersatz in Regreß. Indessen erfolglos.
1. Der Rechtsirrtum des LG Frankfurt
Das LG Frankfurt meint, zwar hätten die Anwälte im Jahr 2009 ihre Pflichten verletzt, da sie Herrn M. nicht befragten, warum er die Meldungen unterlassen hatte. Schließlich wäre bei schuldlosem Handeln eine den Rechtsverlust verhindernde Nachmeldung auch 2009 noch möglich gewesen. Hört sich erst mal gut für Herrn M. an? Ja, aber dann geht es weiter: Diese Pflichtverletzung sei nicht kausal für den Rechtsverlust gewesen, weil Herr M. eben am 1.4. schuldhaft gehandelt habe, eine Nachholung der Meldung also sinnlos gewesen wäre.
Dabei unterliegt das LG Frankfurt einem entscheidenden Rechtsirrtum, wenn es ausführt, nur ein unvermeidbarer Rechtsirrtum hätte Herrn M entlasten können:
„Denn der Rechtsverlust nach § 28 Abs. 1 S. 1 WpHG [a.F., nunmehr wortgleich § 44 WpHG] tritt nach h.M. nur ein, wenn eine Mitteilung schuldhaft unterlassen wurde. Anzulegen ist insofern der allgemeine zivilrechtliche Verschuldensmaßstab, so dass der Vorsatz insbesondere bei einem unvermeidbaren Rechtsirrtum entfällt.“
Für diese Falschwiedergabe der h.M. zitiert das LG Frankfurt auch noch Bayer, der aaO. (MüKoAktG § 28 WpHG Rn. 11 a) gerade das Gegenteil von dem sagt, was das LG Frankfurt behauptet. Im Rahmen des § 28 WpHG gilt zwar in der Tat der allgemeine zivilrechtliche Verschuldensmaßstab, aber – und hier irrt eben das LG Frankfurt – dieser lässt den Vorsatz nach h.M. auch bei einem vermeidbaren Rechtsirrtum entfallen. Und auf diesen Vorsatz kam es hier entscheidend an. Denn bei unvorsätzlichem Verhalten erhält § 28 Abs. 1 S. 2 WpHG den Dividendenanspruch rückwirkend aufrecht, wenn die Meldung nachgeholt wird. Da das LG Frankfurt diesen § 28 Abs. 1 S. 2 WpHG in der ganzen Entscheidung nicht nennt, fragt man sich zudem noch, was die Anwälte von Herrn M. im Regreßprozess so alles (nicht) vorgetragen haben.
Vor allem aber übersieht das LG Frankfurt auch höchstrichterliche Rechtsprechung, die die h.M. zu § 28 Abs. 1 S. 2 WpHG für den wortgleichen § 20 Abs. 7 S. 2 AktG bestätigt hat. Der BGH hat nämlich bereits am 5.4.2016, also deutlich vor dem Urteil des LG Frankfurt, entschieden, dass jeder Rechtsirrtum (und nicht nur der unvermeidbare) den Vorsatz entfallen lässt (BGH aaO Rn. 36). Letztlich kann das auch gar nicht anders sein: Wenn ein unvermeidbarer Rechtsirrtum vorliegt, entfällt nicht nur der Vorsatz, sondern auch jede Fahrlässigkeit, die Ausnahme vom Rechtsverlust in § 28 Abs. 1 S. 2 WpHG bei unvorsätzlichem Verhalten wäre bei Rechtsirrtum niemals anwendbar.
2. Der Beweis fehlenden Vorsatzes
Legt man die Entscheidung des BGH zugrunde, so könnte die unterlassene Meldung gleichwohl als vorsätzlich gelten, weil Herrn M. die Beweislast für unvorsätzliches Verhalten trifft, und hier ist der BGH mehr als streng. Dann hätte das LG Frankfurt im Ergebnis doch recht.
Die spannende Frage lautet also: Wie kann Herr M. beweisen, dass er tatsächlich dachte, sein Verhalten genüge den Anforderungen? Der BGH führt in der Entscheidung aus 2016 aus, allein die äußeren Abläufe (des dortigen Falles) genügten nicht für den Beweis, wenn nicht auszuschließen sei, dass eine Verletzung von Mitteilungspflichten billigend in Kauf genommen wurde (aaO. Rn. 37). Andererseits, will man den Beweis nicht zur probatio diabolica werden lassen, so müsste der vom LG Frankfurt festgestellte Sachverhalt zur Entlastung genügen:
– Herr M. hat die Schwelle nicht durch einen Erwerb aktiv überschritten, sondern passiv durch Kapitalherabsetzung von MLP
– Er ist nicht untätig geblieben, nachdem er von der Kapitalherabsetzung erfuhr, und hat etwas getan, was jedenfalls nicht unplausibel war (nämlich noch am gleichen Tag den Verkaufsauftrag für die Aktien gegeben).
– Er hatte Clifford Chance gerade deshalb kontaktiert, um sich über die Meldepflichten beraten zu lassen und später im Jahr 2008 bei Erreichen von Meldeschwellen mehrfach rechtskonforme Meldungen abgegeben. Sein vorheriges und sein späteres Verhalten zeigte also, dass er grundsätzlich seinen Meldepflichten nachkommen wollte.
Alles nur Indizien, aber in den Kopf von Menschen können Juristen nun einmal nicht hineinschauen. Wenn man also nicht rechtsbeug… äh rechtsfortbildend die Vorschrift des § 28 Abs. 1 S. 2 WpHG „erledigen“ will, dann sollten diese Indizien genügen, um einen (vermeidbaren) Rechtsirrtum anzunehmen.
3. April, April
Zu einer Klärung all dieser Fragen wird es freilich wohl nicht mehr kommen, da die jetzigen Anwälte von Herrn M. offenbar das rechtzeitige Einlegen der Berufung gegen das Urteil des LG Frankfurt versäumt haben. Angesichts dieser scheinbar klaren Pflichtverletzung bin ich gespannt, ob der Anwalt, der soeben noch verkündet hat, dass die Entscheidung des LG Frankfurt nicht haltbar sei (siehe hier a.E.), nunmehr mit gleicher Vehemenz behaupten wird, bei jener Äußerung sei er einem (selbstverständlich:) unvermeidbaren Rechtirrtum unterlegen. Herrn M. muss die ganze Angelegenheit mittlerweile jedenfalls wie ein schlechter Aprilscherz vorkommen.
Am 16. März 2018 um 21:55 Uhr
Also der Schilderung der Verfahrensabläufe zum Hoeneß-Urteil kann ich alles Mögliche entnehmen, aber keine Weigerung. Dass ein Juraprofessor nicht weiß, dass ein schriftliches Strafurteil nicht schon bei der Verkündung, sondern erst in der Frist des 275 StPO schriftlich abzufassen ist und trotz klarer Hinweise der Pressestelle und der StA, dass alleine das Gericht zu entscheiden hat, immer wieder bei der Pressestelle und der StA anfragt, ist wohl allenfalls eine eigene Nachlässigkeit.
Am 17. März 2018 um 07:33 Uhr
Warum ein Richter seine Entscheidung in einer Sache, die großes öffentliches Interesse gefunden hat, nicht der Dokumentation und damit der Veröffentlichung zugänglich macht, bedarf einer nachvollziehbaren Begründung. Wir leben nicht mehr in Zeiten der Geheimjustiz. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Nachprüfung der zur Entscheidungsfindung aufgestellten Rechtssätze verhindert werden sollte. Als Jahrzehnte in allen Instanzen tätig gewesener Richter habe ich bisweilen eine derartige Geisteshaltung angetroffen. Sie nutzt die Autonomie der Justiz zu eigenen Zwecken. Das entspricht nicht dem richterlichen Ethos.