Auf dem Holzweg: Bearbeitungsgebühren sind keine Zinsen
von Ulrich Wackerbarth
Von „Holzwegen und rhetorischen Tricks“ berichten Bitter und Linardatos in der aktuellen ZIP 2018, 2249 unter dem vielsagenden Titel „Erdachte Leitbilder im Darlehensrecht“. Bisher hatte ich immer gedacht, nur Wirtschaftswissenschaftler reden gerne aneinander vorbei. Die Kontroverse zwischen Bitter/Linardatos und dem XI. Senat des BGH über die Zulässigkeit von Bearbeitungsgebühren für Darlehen in AGB ist aber ein Musterbeispiel dafür, wie auch Juristen sich gegenseitig nicht zuhören (oder nicht zuhören wollen?).
1. Die erste Entscheidung und das Mißverständis von Bitter/Linardatos
Der XI. Senat hatte im März 2018 Bearbeitungsgebühren in AGB auch für den Fall untersagt, dass dem Darlehensnehmer zwei Alternativen (eine mit und eine ohne Bearbeitungsentgelt) zur Wahl gestellt werden. Er geht (im Übrigen schon seit 2014) davon aus, dass nach dem gesetzlichen Leitbild in § 488 Abs. 1 BGB jedenfalls in AGB nur Zinsen und keine Einmalentgelte verlangt werden können.
Daraufhin hatten Bitter/Linardatos in der ZIP 2018, 1203 dem XI. Senat Inkonsistenz, einen richterlichen Zwang zur Ineffizienz und andere unschöne Dinge vorgeworfen. Besonders gestört hat sie das Zitat der Entscheidung des III. Senats aus 1978 (das Zitat ist allerdings nur in der früheren Entscheidung aus 2014 zu finden), der damals eine Zinsdefinition von Canaris aufgriff. In der Entscheidung des III. Senats und bei Canaris stünde nämlich insgesamt das Gegenteil von dem, was der XI. Senat für richtig halte.
Der III. Senat hatte mit dem Verweis auf Canaris zwischen laufzeitabhängigen Entgelten (Zins) und laufzeitunabhängigen Entgelten (Bearbeitungsgebühr) unterschieden und beide als mögliche Entgeltbestandteile betrachtet. Hier nun erfolgt das erste Mißverständnis von Bitter/Linardatos: Der XI. Senat berief sich (in 2014, Rn. 43) nur für die Definition des Zinses auf die Entscheidung aus 1978, nicht aber bei der Beurteilung der AGB-rechtlichen Zulässigkeit des Bearbeitungsentgelts. Insoweit war das Zitat jedenfalls zutreffend.
2. Die zweite Entscheidung und die mißverständliche Formulierung des XI. Senats
Nur wenige Monate später reagiert der XI. Senat. In seiner neuen Entscheidung aus Oktober 2018 zitiert der XI. Senat nun Bitter/Linardatos und weist deren Kritik als „unzutreffend“ zurück, weil er die Entscheidung des III. Senats von 1978 ja richtig zitiert hatte. Das war zwar nachvollziehbar, was die verfehlte formale Kritik am BGH anging (siehe soeben). Zugleich aber übergeht der XI. Senat die vom Autorenteam geäußerte Kritik am richterlichen „Zwang zur Ineffizienz“, der inkonsistenten Empfehlung einer Mischkalkulation und dem Verstoß gegen den Geist der Entscheidung des III. Senats.
3. Das nächste Mißverständnis von Bitter/Linardatos
Bitter/Linardatos nehmen das in ihrer neuerlichen Äußerung nun als rhetorischen Trick wahr („der Gegenseite wird eine Position unterstellt, die sie gar nicht vertreten hat, um diese sodann als fehlerhaft zu widerlegen“, aaO. ZIP 2018, 2250):
„Der XI. Zivilsenat unterstellt uns, wir hätten laufzeitunabhängige Entgelte als Zins eingeordnet,…“
Wenn man die oben wiedergegebene Passage in der zweiten Entscheidung des XI. Senats liest,
„…laufzeitunabhängige Entgelte keine Zinsen im Sinne des bürgerlichen Rechts darstellen (so auch schon BGH, Urteil vom 9. November 1978 – III ZR 21/77, WM 1979, 225, 227 f., unzutreffend deshalb Bitter/Linardatos, ZIP 2018, 1203).“
so stimmt das gerade nicht: Der XI. Senat entnahm vielmehr dem ursprünglichen Aufsatz den Vorwurf, er habe den III. Senat falsch zitiert, nur diesen Vorwurf bemängelt er an der fraglichen Stelle als unzutreffend.
4. Die ineffiziente Quersubention
So kommt es dann am Ende, dass weder über den Kern der Kritik, noch über entscheidende Aspekte der Argumentation des XI. Senats gesprochen wird. Dem Quersubventionsargument von Bitter/Linardatos kann nämlich zum einen entgegengehalten werden, dass in jedem Versicherungsvertrag die Quersubvention geradezu Vertragsgegenstand ist. Dort geht es um Verteilung von Risiken, hier ebenfalls, nämlich um die Risiken für den Darlehensgeber aus vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens.
Und die von Bitter/Linardatos in ZIP 2018, 1203 als inkonsistent kritisierte Abweichung von der Rechtsprechung zu den Kontoauszügen, wo der Senat eine Mischkalkulation ausdrücklich verboten hatte, war durch die dortige Gesetzeslage erzwungen. Das verschweigen Bitter/Linardatos leider. Anders hingegen der XI. Senat, wenn er in seiner diesbezüglichen Entscheidung in Rn. 25 ausdrücklich auf § 675d Abs. 3 S. 2 BGB a.F. (jetzt § 675d Abs. 4 S. 2) verweist.
5. Das angebliche Anliegen des III. Senats
Aber auch was den Geist der Entscheidung des III. Senats angeht, liegen Bitter/Linardatos letztlich falsch: Der III. Senat hat 1978 nicht etwa Bearbeitungsgebühren für zulässig erklärt. Vielmehr hat er lediglich festgestellt, dass bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Darlehens nicht allein auf den Zins abgestellt werden darf, sondern sämtliche Zahlungspflichten des Darlehensnehmers miteinzubeziehen sind: In der Entscheidung des III. Senats wurde das fragliche Darlehen im Ergebnis für sittenwidrig gehalten – und deshalb steht dort gerade nicht, was Bitter/Linardatos gerne hätten, nämlich die Zulässigkeit von Einmalentgelten, und schon gar nicht steht da das „exakte Gegenteil dessen, was uns der XI. Senat … weismachen will“. Wenn die Autoren also dem XI. Senat in ihrem aktuellen Aufsatz vorwerfen, er „verdrehe Canaris´ Anliegen“, so richtet sich der Vorwurf der Verdrehung vielmehr gegen sie selbst.
6. „Erdachtes Leitbild“ oder nicht?
Es bleibt das Argument, der BGH habe das Leitbild des § 488 BGB, nach dem angeblich die Darlehensgegenleistung typischerweise nur der Zins ist, frei erfunden (ZIP 2018, 2252). Die Gesetzesbegründung ist insoweit tatsächlich unergiebig. Dass der Zins als laufzeitabhängiges Entgelt zum Darlehen gehört, wollen wahrscheinlich nicht einmal Bitter/Linardatos bestreiten. Ob man ein „typischerweise nur“ zum Gesetzeswortlaut addieren soll oder nicht, ob man also in der bloßen Tatsache, dass das Gesetz als Entgelt nur den Zins erwähnt, einen wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes erkennt oder nicht, dürfte letztlich Geschmackssache sein: Grundgedanke des Gesetzes und Ausdruck von Gerechtigkeit sind letztlich stets, was der zuständige Richter dafür hält. Dafür trägt allerdings in erster Linie der Gesetzgeber die Verantwortung, weil er es war, der § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB formuliert und die Entscheidung damit in die Hände des XI. Senats gelegt hat. Insofern beklagen Bitter/Linardatos unter III. ihres neuen Beitrags letztlich nur, was bei der Inhaltskontrolle von AGB ohnehin schon alle wissen: Das dispositive Recht ist so leicht nicht durch AGB abzuändern, da ist im Zweifel § 307 BGB vor. Eine spezifische Kritik an der neuen Entscheidung enthält das aber nicht.
7. Umgehung des § 502 BGB bei Zulässigkeit von Bearbeitungsgebühren
Wie der XI. Senat bereits 2014 (Rn. 79 ff.) erläutert hatte (was Bitter/Linardatos unterschlagen), ist das Verbot von Bearbeitungsgebühren in Verbraucherverträgen geradezu geboten, um nicht § 502 BGB leerlaufen zu lassen. Bei Verbraucherdarlehen kann nach neuem Recht jederzeit eine Darlehensrückzahlung erfolgen, dabei ist die zu leistende Vorfälligkeitsentschädigung gem. § 502 Abs. 3 Nr. 1 BGB auf 1% des zu früh bezahlten Betrages (!) begrenzt. Dem Darlehensgeber können so u.U. erhebliche Beträge entgehen, auf die er nach dem Vertrag bereits einen Anspruch hätte.
Beispiel: Darlehen in Höhe von 10.000 € für 4 Jahre bei 3 % Zinsen und endfälliger Rückzahlung bedeutet für die Bank geplante Einnahmen von 1200 € (nebst Darlehensrückzahlung). Wird dieses Darlehen nun nach 1 Jahr zurückgezahlt (was § 500 Abs. 2 S. 1 BGB erlaubt), schuldet der Darlehensnehmer § 502 Abs. 3 Nr. 1 BGB höchstens 1% des zurückgezahlten Betrags, d.h. lediglich 100 € (neben den 300 € Zinsen für das erste Jahr). Der Bank entgehen also 800 Euro, die sie aufgrund der festen Laufzeit des Vertrages eigentlich schon sicher hatte. Dass sie die 10.000 € wieder hat, ermöglicht ihr nicht notwendig, damit ähnliche Beträge zu erwirtschaften.
Würde der Bank nun gestattet, statt der 3% Zinsen einfach einen Zinssatz von 2,5 % in den Vertrag zu schreiben, daneben aber 200 € nicht rückzahlbare Bearbeitungsgebühr zu nehmen, sähe die Rechnung für sie im Fall vorzeitiger Rückzahlung schon viel besser aus: Geht alles gut, so erhält die Bank (4 x 2,5% von 10.000 € + 200 € =) 1200 €, also den gleichen Betrag wie im Ausgangsfall. Zahlt der Darlehensnehmer aber nach 1 Jahr vollständig zurück, so schuldet er 250 € Zinsen, daneben 200 € Bearbeitungsgebühr (nicht rückzahlbar) sowie 1% des Darlehensbetrags, d.h. noch einmal 100 Euro: Die Bank erhielte hier 550 € statt nur 400 € wie im Ausgangsfall. Dem Sinn und Zweck von § 502 Abs. 3 Nr. 1 BGB entspricht das nicht, nach § 512 BGB ist diese Gestaltung daher verboten. Man kann dem XI. Senat deshalb nicht gut vorhalten, er „trage die Vertragsfreiheit zu Grabe“ (so aber Bitter/Linardatos, ZIP 2018, 1203), wenn es am Ende doch der Gesetzgeber ist, der dieses Begräbnis anordnet (näher zum Ganzen, insb. zum Verhältnis von AGB-Kontrolle zu §§ 502, 512 BGB siehe im Übrigen zutreffend Schild, WM 2017, 1443).
8. Ungenügende argumenta ad absurdum
Weiter greifen Bitter/Linnardatos den BGH unter IV. mit Argumenten an, die dieser bereits bei seiner Grundsatzentscheidung im Jahr 2014 (Rz. 47) gehört und verworfen hatte, also ein weiteres Beispiel für ein Aneinander-Vorbei-Reden: Dass in anderen Vertragstypen einmalige Vergütungen bei Vorfeldleistungen üblich seien (Anfahrtskosten beim Werkunternehmer, Endreinigung bei Ferienwohnung), spielt nach dem XI. Senat keine Rolle, da die Beispiele weder tatsächlich noch rechtlich vergleichbar seien. Warum Bitter/Linardatos dies nun im Jahr 2018 wieder aufgreifen, ist nicht recht ersichtlich. Gerade bei der Endreinigungspauschale zeigt sich doch der Unterschied zwischen der Gebrauchsüberlassung von Gegenständen auf Zeit und einem Darlehen besonders klar: Geld muss bei der Rückgabe nun einmal nicht gereinigt werden.
Aber Bitter/Linardatos gehen noch weiter und fragen, ob Entgelt für die Anlieferung, für Porto und Verpackung – folgte man dem XI. Senat — konsequent mit dem gesetzlichen „Leitbild“ des Kaufvertrags nicht vereinbar und somit verboten wäre (ZIP 2018, 2253). Nein, lautet die Antwort, die Versandkosten sind schon in § 269 BGB ausdrücklich erwähnt und, da im Zweifel eine Holschuld vorliegt, sind die damit verbundenen Aufwendungen auch eine vergütungsfähige eigenständige Leistung des Verkäufers. Auch hier reden die Autoren an den Argumenten des XI. Senats erkennbar vorbei: Dieser lässt in AGB (!) ja durchaus auch dann einmalige Nebenentgelte zu, wenn damit eine abgrenzbare Sonderleistung des Schuldners vergütet werden soll (siehe hier Rn. 24, 48 ff.). Verpacken und Versenden gehören sicher dazu.
Allerdings würde ich selbst im Sinne der Rechtsprechung des XI. Senats und wohl entgegen Bitter/Linardatos Autohändlern verbieten, per AGB Geld für die Lieferung des Kfz zu verlangen, wenn nicht irgendwo – z.B. am Werk – eine kostenfreie Abholung möglich ist. Denn ansonsten verlangen die Verkäufer Entgelte für die Erbringung einer Leistung, die sie ohnehin bereits aufgrund des Kaufvertrags schulden – hier sollte der VIII. Senat des BGH einmal gefragt werden, ob er das Gebaren von VW und Co. angesichts der Rechtsprechung des XI. Senats so einfach erlauben will.
9. Auswege für die Banken?
Was schließlich die vom Autorengespann unter V. vorgeschlagenen Ausweichmöglichkeiten angeht, so lösen diese sich unter Berücksichtigung des soeben Dargestellten in Luft auf: Bitter/Linardatos schlagen vor, statt eines Bearbeitungsentgelts ausdrücklich im Vertrag ein (nicht rückzahlbares) „Entgelt“ für die Wahlmöglichkeit eines Vertrags mit geringeren Zinsen, mit Sondertilgungsrechten oder mit anderen Laufzeiten zu vereinbaren. Das lautet dann wie folgt:
„Der Kreditnehmer wünscht a) eine Absenkung des Zinssatzes um … %, b) die Möglichkeit, den Kreditvertrag bereits nach … Monaten/Jahren kündigen zu können, c) ein Sondertilgungsrecht im Umfang von … pro Jahr gegen Zahlung eines einmaligen Entgeltes i. H. v. … Euro (differenziert nach den Optionen a) bis c) oder als Gesamtentgelt für die Option[en]); dieses Entgelt ist bei vorzeitiger Kreditrückführung nicht (anteilig) rückzahlbar.“
Wegen der ausdrücklichen Verknüpfung zwischen dem Einmalentgelt und der den Darlehensnehmer begünstigenden Option seien dann selbst dem XI. Senat „die Hände gebunden“. Die Klausel zugunsten des Verbrauchers in einen wirksamen Teil (etwa den geringeren Zins) und einen unwirksamen (das Entgelt) zu teilen, sei als weitreichender Eingriff in die Vertragsfreiheit „selbst dem Bankrechtssenat“ nicht zuzutrauen.
Wenn sich Bitter/Linardatos da mal nicht täuschen: Entgelt für „geringere Zinsen“ ist ein Widerspruch in sich und kann keinesfalls dazu führen, dass das gezahlte „Entgelt“ kontrollfrei oder mit dem Zinsnachlass unteilbar verknüpft bleibt. Werden geringere Zinsen vereinbart, so hat ein Vertragspartner Verhandlungserfolg gehabt, dieser Erfolg ist keine vergütungsfähige Sonderleistung des anderen Teils. Erkennt man, dass Verhandlungserfolg keine abgrenzbare „Sonderleistung“ ist, bleibt die nackte Zahlungspflicht – und diese ist nichts anderes als ein Bearbeitungsentgelt und damit unwirksam, ohne dass der XI. Senat hier irgendwelche Klimmzüge vornehmen müsste. Gleiches gilt für das vorgeschlagene Entgelt für eine frühere Kündigungsmöglichkeit oder das Sondertilgungsrecht, auch diese Vertragsvarianten stellen keine Leistung, sondern ein Zugeständnis dar, das nicht gesondert durch Einmalentgelt vergütet werden kann.
10. Fazit
Der XI. Senat wird den einmal eingeschlagenen Weg fortsetzen, auch wenn er nach Meinung von Bitter und Linardatos auf dem Holzweg ist. Doch können ihre Gegenargumente nicht überzeugen. Für Verbraucherkredite ist dem XI. Senat auch zuzustimmen. Aber vielleicht ist das letzte Wort zumindest bei Darlehen an Unternehmen noch nicht gesprochen. Man wird sehen.