Path dependency makes bad law

von Ulrich Wackerbarth
Als Rechtswissenschaftler steht man ja eher an der Seitenlinie des Geschehens auf dem Platz und beobachtet mehr, als dass man eingreift (so sehr man es sich manchmal auch wünscht). Wenn man dies allerdings über einen längeren Zeitraum tut, bringt das Betrachten auch Positives mit sich: Z.B. kann manchmal einfache Erklärungen für richterliche Entscheidungen liefern, bei denen andere vielleicht Willkür oder Schlimmeres am Werk sehen.

Die hier beispielhafte Entscheidung ist die des BGH vom 22.9.2020, in der der Bankrechtsenat des BGH ein verbraucherrechtliches Widerrufsrecht eines Bürgen mit der Begründung abgelehnt hat, der Bürgschaftsvertrag sei kein entgeltlicher Vertrag iSd. § 312 Abs. 1 BGB. Er hat es darüber hinaus auch abgelehnt, die Rechtssache dem EuGH vorzulegen.

Diese Entscheidung ist ohne ausreichende Begründung ergangen, wie aktuell mit Recht und detailliert Knops in der JZ 2021, 299 ff. darlegt. Nicht nur (1) stimmt sie wertungsmäßig nicht, weil sie ein Widerrufsrecht des Verbrauchers gerade dann ablehnt, wenn – was über die Interessenlage bei Austauschgeschäften ja noch hinausgeht – es um ein einseitiges Geschäft zugunsten des Unternehmers (!) geht. Sie (2) übergeht auch sämtliche EU-rechtlichen Grundsätze zur Notwendigkeit einer Vorlage an den EuGH mit einer hanebüchenen Bezugnahme auf ein nicht einschlägiges, weil zu einer anderen Richtlinie ergangenes, und willkürlich herausgepicktes Urteil, das sich zur Frage der Widerruflichkeit einer Verbraucherbürgschaft überhaupt nicht äußert. Schließlich setzt sie sich (3) nicht mit der gerade anderslautenden ständigen Rechtsprechung des EuGH zu den Vorläuferrichtlinien der geltenden Verbraucherrechte-RiL 2011/83/EU auseinander (Knops, aaO, 304).

Die Ursache für diese falsche Entscheidung ist aber nicht etwa allzugroße Bankennähe des Bankrechtssenats oder welche sonstigen Verschwörungstheorien man dazu noch aufstellen mag. Die Ursache ist vielmehr ein vor 24 Jahren falsch eingeschlagener Weg, den der Bankrechtssenat offenbar unter keinen Umständen wieder verlassen mag („path dependency“). In den Jahren 1996 und 1997 entschied der BGH nämlich, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer als Verbraucher handele, wenn er einer Schuld „seiner“ GmbH beitrete (BGH v. 5.6.1996, NJW 1996, 2156 (VIII. Senat), BGH v. 25.2.1997, NJW 1997, 1443 (XI. Senat)). Diese Entscheidungen waren falsch, weil jedenfalls ein Allein- oder Mehrheitsgesellschafter aufgrund seiner Leitungsmacht die Geschäfte der GmbH als seine eigenen betrachten muss und damit weder nach damaliger Definition im VerbrKrG noch nach heutiger in § 13 BGB als Verbraucher handelt (so schon Wackerbarth, DB 1997, 1950 ff.), wenn er einer Schuld „seiner“ Gesellschaft beitritt.

Das führt natürlich zu einer Abgrenzung im Einzelfall: Der Fremdgeschäftsführer oder Minderheitsgesellschafter ist nicht in gleicher Weise in seine Gesellschaft involviert. Er ist dann tatsächlich Verbraucher, wenn er für Zwecke der Gesellschaft eine eigene Verpflichtung eingeht. Und bei Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern müsste man im Einzelfall genau hinschauen. Der BGH nimmt in vergleichbaren Fällen genau die von mir skizzierte Abgrenzung vor (so etwa im Rahmen des § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG, wo es auch darauf ankommt, ob ein Gesellschaftsorgan die Gesellschaft als seine eigene betrachten muss oder nicht, s. ausf. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto § 17 BetrAVG Rn. 81-114). Mir hat nach dem Artikel von 1998 jemand gesagt, das sei ja alles gut und schön, man brauche aber im Verbraucherrecht einfache Abgrenzungen und damit sei meine Auffassung nicht vereinbar. So wünschenswert diese sein mögen (man könnte ja auf die zu § 17 BetrAVG entwickelten Fallgruppen zurückgreifen), so bedeutet die pauschale Verneinung eines näheren Hinschauens aus meiner Sicht bloße Bequemlichkeit.

Welche Folgen dies  hat, wird aber erst jetzt offensichtlich. Damals wurden mit der Rechtsprechung des BGH einfach nur Leute geschützt, die diesen Schutz nicht benötigten. Das war zwar wenig schön für die Banken auf der anderen Seite des Geschäfts; diese konnten sich indessen auf die Rechtlage einstellen. Der mit der aktuellen Entscheidung produzierte Folgefehler ist freilich deutlich ernster. Zwar ging es auch im aktuellen Bürgschaftsfall wieder um einen GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer. Mit dem Ergebnis im konkreten Fall, nämlich diesen nicht vor seinem unternehmerischen Handeln zu schützen, kann ich gut leben. Aber damit gleichzeitig alle Verbraucher-Bürgschaften schutzlos zu stellen und dies dann auch noch für europarechtlich unangreifbar zu erklären, das ist dann eben die unschöne Konsequenz eines vor einem Vierteljahrhundert eingeschlagenen (falschen) Weges.

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