Folgenabschätzung statt Wirtschaftsethik oder: Was Gesellschaftsrechtler nie verstehen …

von Ulrich Wackerbarth

Nachgerade geärgert hat mich ein Beitrag von Thielemann in der FAZ vom 31.5., S.16, mit dem Titel „Was Finanzanalysten nie verstehen“. Thielemann wettert darin gegen übersteigertes Gewinnstreben (wer wollte nicht dagegen sein?), aber auch gegen einen Lehrbuchklassiker der BWL, den „Wöhe“, mit dem schon Generationen von Studenten das Handwerkszeug der Kauffrau gelernt haben. Er wirft den Autoren vor, mit ihrer eindimensionalen Grundhaltung der langfristigen Gewinnmaximierung eine den Menschen und die Gesellschaft korrumpierende Geisteshaltung zu fördern (zu ihr zu „ermuntern“). Das ist starker Tobak.

Shareholder Value

Nun bräuchte es mich als Jurist und Gesellschaftsrechtler kaum zu interessieren, wenn sich Wirtschaftswissenschaftler gegenseitig an den Kragen gehen. Aber in dem Beitrag verbergen sich unter dem Deckmantel der Wirtschaftsethik wissenschaftsfeindliche und m.E. nach gefährliche Aussagen, deren Konsequenzen auch Gesellschaftsrechtler fürchten müssen. Thielemann wendet sich z.B. unmittelbar gegen das „Primat der Anteilseigner“, auch Orientierung am shareholder value genannt. Nicht umsonst habe der Business Roundtable vergangenes Jahr dieses Prinzip aufgegeben.

Unternehmen auf den shareholder value zu verpflichten, bedeutet, einen Maßstab für das Verhalten der Unternehmensleitung zu haben, dem der Vorstand nicht oder nur schwer ausweichen kann. Demgegenüber bedeutet eine Ausrichtung am sog. stakeholder value die Erlaubnis zur Berücksichtigung von Interessen der Arbeitnehmer, der Gläubiger, der Umwelt usw. usf. Gilt als Maßstab nur dieser letztgenannte Standard, dann können sich Manager in jedem Einzelfall aus eventueller Kritik herausreden mit einem Verweis auf irgendeine der genannten Interessengruppen. Der „stakeholder value“ ist beliebig, eine Kontrolle von Vorstandshandeln wird mit ihm effektiv verhindert. Demgegenüber lässt der Gedanke des shareholder value den Managern weniger Freiraum für Selbstbereicherung und Verantwortungsverschieberei. Und wer weiß, vielleicht gefällt den im Business Roundtable versammelten Vorständen das Prinzip des shareholder value auch genau deshalb nicht mehr. Natürlich kann man diese Idee wie jede andere auch mißbrauchen. Das heißt aber nicht, dass sie jemals schlecht war oder ist.

Rhetorische Fragen, die selbst fragwürdig sind

Der zentrale Denkfehler im „Wöhe“ ist nach Thielemann schon dessen Ausgangspunkt. Dass Gewinnmaximierung Ziel der Eigenkapitalgeber sei, sei nach dem „Wöhe“ angeblich empirisch nachweisbar. Woher, fragt Thielemann, wissen die Autoren das? Schließlich gebe es keine empirischen Feldstudien dazu. Träfe die Grundannahme des Wöhe zu, so wären die Unternehmen alle bereits Maschinen zur Gewinnmaximierung und bräuchten den „Wöhe“ nicht, der es ihnen ja beibringen möchte. Woran nur waren die Unternehmen „vorher“ orientiert?

So einleuchtend all dies klingt, so fehlerhaft sind Thielemanns Schlussfolgerungen, so unberechtigt seine rhetorischen Fragen. Unternehmen können in Deutschland Gottseidank auch von Leuten gegründet werden, die den Wöhe vorher noch nicht gelesen haben. Trotz ihrer „Gier“ nach Gewinnen haben sie dann durchaus noch Optimierungsspielräume, so dass auch die Tipps zur Gewinnsteigerung aus dem „Wöhe“ bei ihnen noch fruchten könnten. Und wenn Peter Drucker sagt, Finanzanalysten verstünden nicht, dass Unternehmen nicht Geld machten, sondern Schuhe, so mag dies zutreffen. Es ändert aber nichts daran, dass man in der Betriebswirtschaft nun einmal weder die Qualität noch Schönheit von Schuhen messen kann, wohl aber die Rentabilität eines Unternehmens.

Gefährliche Großzügigkeit

Selbstverständlich dürfen Unternehmen auch nach Auffassung von Thielemann noch Gewinne erzielen, genauer: dürfen die Kapitalgeber eine „angemessene Risikoprämie“ auf ihr eingesetztes Kapital erwarten. Der Knackpunkt ist hier das Wörtchen „angemessen“. Denn es ist nicht definiert und niemand kann es intersubjektiv nachvollziehbar definieren. Wissenschaft geht anders. Am Ende wird wohl niemand anderes als Ulrich Thielemann (oder, Gott behüte, der Staat) bestimmen, wann es denn genug ist mit den Gewinnen. Die Denkweise Thielemanns führt damit geradewegs in die Planwirtschaft. Das hat der Wirtschaft noch nie gut getan.

Was Unternehmen tun „sollen“

Und auch wenn man mal unterstellt, die Angemessenheitsdefinition wäre möglich (quod non), so ist der damit verbundene moralische Anspruch, den Thielemann erhebt, seinerseits moralisch bedenklich. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, das leider auch in vielfältigen Appellen von Politikern zum Ausdruck kommt: Unternehmen „müssen“ viele Arbeitsplätze schaffen, ökologisch nachhaltig handeln, ein „guter Staatsbürger“ (corporate citizenship) sein usw. usf. Das ist modern und läuft heute unter dem Stichwort ESG (environment, social, governance). Damit lenken die Fordernden nur vom eigenen Versagen ab. M.E nach muss ein Unternehmen mit so geringen Kosten und so wenig Arbeitnehmern wie möglich (!!!) seine Ziele verfolgen. Wenn es das tut, leistet es automatisch seinen maximalen Beitrag zum Gemeinwohl, denn dann kann es im Wettbewerb bestehen. Und es ist Aufgabe der Politik, der Richter und der Wissenschaft, dafür zu sorgen, dass ein Wettbewerbsumfeld und nachhaltige Rahmenbedingungen be- oder entstehen, so dass Monopolrenten der Unternehmen verhindert werden (hier und nur hier ist nämlich das „Zuviel“ an Gewinnen zu verorten, das Thielemann anprangert). Nur durch Wettbewerb entstehen Arbeitsplätze. Es ist eine öffentliche und keine private Aufgabe, dafür zu sorgen, dass gesetzliche Vorgaben bestehen, deren Einhaltung kontrolliert und durchgesetzt wird. Nur so kann den Unternehmen die Externalisierung von Kosten zulasten der Umwelt, der Verbraucher und des Klimas unmöglich gemacht werden. So sind die Verantwortlichkeiten verteilt und man kann mit Appellen nicht den Bock zum Gärtner machen.

Die Rechnung ohne den Wirt gemacht

Das geht auch schon deshalb nicht, weil ein Unternehmen sich in aller Regel im Wettbewerb befindet oder Wettbewerb entsteht, wenn Unternehmen nicht effizient arbeiten. Hält ein Unternehmer sich freiwillig an teure Vorgaben zur Bezahlung von Arbeitnehmern oder Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards, tun dies seine Wettbewerber aber nicht, wird der „Freiwillige“ bald insolvent, weil seine Wettbewerber Kostenvorteile erlangen. Dieser Zusammenhang wird von all denen übersehen, die meinen, es sei doch zumindest denkbar, dass der eine oder andere Unternehmer freiwillig tut, was er als gut und richtig erkennt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Sind die Vorgaben für alle gleich und werden durchgesetzt, werden insbesondere Staatsanwälte oder die BAFin mit genügend gut ausgebildetem Personal und den notwendigen technischen und rechtlichen Mitteln ausgestattet, dann freuen sich die meisten Unternehmer auch über den Schutz der Umwelt und andere Vorgaben, weil sie wissen, dass nicht nur sie selbst, sondern auch der Wettbewerber die dafür notwendigen Kosten hat und erwirtschaften muss.

Wes Geistes Kind ….

Letztlich ist es eine psychologische Frage und am Ende eine des Menschen- und Weltbildes: Wovon gehe ich aus, wenn ich Erklärungen und Analysen liefere, wie sich betriebliche Abläufe optimieren lassen? Davon, dass die Menschen altruistisch handeln und zwar leben wollen, ihnen aber jede Gier fremd ist? Oder gehe ich vorsichtshalber von der Gier aus, sichere so das Überleben des Kaufmanns im Wettbewerb und freue mich dann, wenn dieser Zeit, Geld und die notwendige innere Haltung hat, um mit dem Erfolg seiner unternehmerischen Tätigkeit auch Versorgungsziele oder andere altruistische Zwecke zu verfolgen? Ganz abgesehen davon liegt der Vorwurf gegenüber dem „Wöhe“ auch inhaltlich neben der Sache: Selbst wenn er eindimensional wäre (was ich nicht weiß, da ich ihn nie gelesen habe), so spräche aus dieser Eindimensionalität nicht die verachtenswerte Verabsolutierung eines schädlichen Gewinnstrebens, sondern wissenschaftlicher Geist, der die Realität aus einer bestimmten Perspektive heraus analysiert und dabei konsequent ist.

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