Insolvenzantragspflicht für den director einer englischen limited?
von Ulrich Wackerbarth
Zerres untersucht in der DZWiR 2006, 356 – 362 (Abstract hier), ob der director einer englischen limited einer Pflicht nach deutschem Recht unterliegt, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, was bei Nichtbeachtung Haftungsfolgen hätte. Ausführlich begründet er, warum die entsprechende deutsche Vorschrift (§ 64 GmbHG) eine Norm des Insolvenzrechts ist. Das hat zur Folge, dass deutsches Recht auch auf Gesellschaften ausländischen Rechts angewendet werden kann. Seine zentralen Thesen lauten:
– Der Direktor einer Limited mit Sitz in Deutschland unterliegt der deutschen Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG.
– Auch die Insolvenzverschleppungshaftung ist jedenfalls im Schwerpunkt insolvenzrechtlich zu qualifizieren und damit über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar.
– In beiden Thesen liegt kein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit, hilfsweise wäre der Eingriff aber nach dem Vier-Kriterien- Test des EuGH gerechtfertigt.
Die Ausführungen von Zerres sind lesenswert. Sie leider aber an einer fehlenden Differenzierung, die den gesamten Streit um die Anwendung deutscher Regeln zum Schutz der Gläubiger auf ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz in Deutschland prägt. Es wird nämlich nicht genügend zwischen den Pflichten der Gesellschaft und den gesellschaftsinternen Zuständigkeiten unterschieden. Die gesellschaftsinternen Zuständigkeiten sind Sache des englischen Rechts. In diese darf Deutschland nicht – aus Gründen europäischen Rechts: überhaupt nicht – eingreifen. Deutsches Recht kann aber unproblematisch Pflichten der Gesellschaft selbst festlegen, solange es ausländische gegenüber inländischen Gesellschaften nicht diskriminiert. Denn wenn die ausländische Gesellschaft im Inland tätig wird, dann muss sie sich an die inländische Rechtsordnung halten und zwar ganz und gar. Danach ist es möglich und zulässig, der limited selbst eine Antragspflicht aufzuerlegen (z.B. in der Insolvenzordnung), und es sollte dem englischen Recht nur überlassen bleiben, festzulegen, wer gesellschaftsintern für die Erfüllung dieser Pflicht zuständig ist. Das aber tut § 64 GmbHG nicht, weil er nicht nur bestimmt, dass ein Antrag zu stellen ist, sondern auch, wer innerhalb der Gesellschaft das zu tun hat.
Meines Erachtens ist es darüber hinaus zulässig, wenn deutsches Recht zusätzlich vorschreibt, dass eine persönliche Haftung der für die Pflichterfüllung zuständigen Person gegeben ist, sollte diese den Antrag zu spät stellen. Aber auch hier bestimmt englisches, nicht deutsches Recht (nämlich schon durch die Festlegung, wer für die Pflichterfüllung zuständig ist), wer haftet. Nur für den Fall, dass sich aus dem anwendbaren ausländischen Recht nicht feststellen lässt, wer zuständig ist (sehr unwahrscheinlicher Fall!), dürfte man deutsches Gesellschaftsrecht analog anwenden.
Solange diese Unterscheidung zwischen Pflichten der Gesellschaft und interner Zuständigkeit nicht gemacht wird, bleibt die analoge Anwendung von Vorschriften aus den einzelnen Gesellschaftsgesetzen (AktG, GmbHG) auf Auslandsgesellschaften eine zweifelhafte Sache: Warum z.B. wendet man § 64 GmbHG auf die limited an und nicht § 92 AktG? Weil die limited der GmbH „näher“ steht als einer AG, wird der internationale Gesellschaftsrechtler sagen, aber was sagt er, wenn sich eine amerikanische Corporation in Deutschland niederlässt? Dort gilt „one size fits all“ und mit unseren rechtsformspezifischen Regeln kommen wir dann nicht mehr oder nur unter Inkaufnahme weiterer Komplikationen weiter. Vollends aussichtslog ist die Anwendung von Normen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts auf moderne ausländische Personengesellschaften mit Haftungsbeschränkung. Aber auch dort ist ein Schutz der Gläubiger nicht minder wichtig als in der Kapitalgesellschaft.
Es ist also Zeit, dass der Gesetzgeber die gesellschaftsrechtlichen von den insolvenzrechtlichen Fragen trennt und die Antragspflicht endlich allgemeingültig in die Insolvenzordnug übernimmt. Leider bleibt auch durch das geplante MoMiG (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von MiÃ?bräuchen) insofern alles beim Alten: Die Insolvenzantragspflicht wird nicht in die Insolvenzordnung übernommen, so dass es keine zweifelsfrei auf Geschäftsleiter ausländischer Gesellschaften mit Sitz im Inland anwendbaren Pflichten geben wird. So viel zur „Bekämpfung von MiÃ?bräuchen“ … Näher dazu übrigens mein Beitrag in der Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag (erscheint demnächst).
Am 14. September 2006 um 11:52 Uhr
Richtig ist zweifellos, dass die Niederlassungsfreiheit den Zuzugsstaat nicht daran hindert, die Auslandsgesellschaft seinem eigenen allgemeinen Verkehrsrecht zu unterwerfen, soweit dieses nicht diskriminierend angewendet wird. Einer verbreiteten Auffassung zuwider kann dies aber nicht bedeuten, dass man nur eine restriktivere Bemessung des Gesellschaftsstatuts vorzunehmen braucht – mit dem Ziel, bestimmte Haftungsinstitute etwa dem Kapitalmarktrecht, dem Delikts- oder Insolvenzrecht zuzuordnen oder durch neu zu schaffende Instrumente aus diesen Bereichen zu ersetzen und sie dadurch dem Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit zu entziehen. Diese Rechnung ist für meine Begriffe ohne den Wirt gemacht: Der EuGH hat nicht das Gesellschaftskollisionsrecht der Mitgliedstaaten regeln wollen. Er hat es, obwohl dies gerade in den zuletzt entschiedenen Fällen Überseering und Inspire Art nahegelegen hätte, im Gegenteil peinlich vermieden, seine Anforderungen kollisionsrechtlich einzuordnen. Er hat deshalb auch keine Entscheidung darüber getroffen, ob die mit dem Schlagwort „Sitztheorie“ bezeichnete Grundnorm des deutschen Gesellschaftskollisionsrechts sub specie der Niederlassungsfreiheit mit dem Europarecht vereinbar ist. Aus seinen Entscheidungen ergibt sich nur, dass verschiedene mit der Sitztheorie begründete bzw. begründbare Ergebnisse in die Niederlassungsfreiheit eingreifen und, da sie auch nicht nach den üblichen vier Kriterien zu rechtfertigen sind, europarechtswidrig sind. Dies mag dazu führen, dass man die Sitztheorie aus dem Gesellschaftskollisionsrecht verabschieden muss, einfach weil nichts oder fast nichts von ihr übrig bleibt. Man kann aber dem Erfordernis, nunmehr alle im deutschen Recht statuierten Pflichten für Kapitalgesellschaften bzw. ihre Organe und Anteilseigner, alle Haftungstatbestände an den durch den EuGH aufgestellten und noch aufzustellenden Maßstäben zu messen, für meine Begriffe nicht dadurch entgehen, dass man die betreffende Regelung des geschriebenen oder ungeschriebenen deutschen Rechts als insolvenzrechtlich qualifiziert oder regelungstechnisch im Insolvenzrecht unterbringt.
Gewiss führt die Qualifikation als insolvenzrechtlich dazu, dass nach Art. 4 der EuInsVO das Recht am Sitz des Insolvenzgerichts und damit bei einer im Inland tätigen Auslandsgesellschaft nicht deren ausländisches Personalstatut, sondern inländisches, also etwa deutsches Sachrecht anwendbar ist. Es mag zwar in der Tat so sein, dass die Kriterien, die beim zweiten Hinsehen – das erlaubtermaßen die Rechtsfolgen einbezieht, die von der Qualifikation nach der neuen EuGH-Rechtsprechung nunmehr abhängen – die Qualifikation einer Rechtsfolge als insolvenzrechtlich (oder deliktisch) begründen, diese in der Regel auch als zum Bestand des Verkehrsrechts erscheinen lassen und nicht als Eingriff in die Niederlassungsfreiheit; dies mag etwa für die Insolvenzantragspflichten und die Haftung wegen Insolvenzverschleppung zutreffen, für die Kapitalersatzhaftung oder auch für die seit dem Urteil „Bremer Vulkan“ aus dem Jahr 2001 durch den BGH konstituierte Existenzvernichtungshaftung. Aber dann ist das Maßgebliche auch die fehlende Einschlägigkeit der Niederlassungsfreiheit und nicht die kollisionsrechtliche Vorfrage.
So hat der EuGH in seiner jüngsten Entscheidung ausdrücklich die Vorschriften im Recht des Zuzugsstaats, die die Einhaltung des Mindestkapitals „während des Bestehens der Gesellschaft“ als Niederlassungshindernis bezeichnet, was für meine Begriffe dazu führen muss, auch die der Kapitalerhaltung dienenden Ersatzansprüche an der Niederlassungsfreiheit zu messen, ohne Rücksicht darauf, ob sie tatbestandlich unabhängig von einem Insolvenzverfahren gewährt werden oder, wie in den Fällen der §§ 32a, b GmbHG, 135 InsO, nur unter der Voraussetzung eines eröffneten Insolvenzverfahrens. Obendrein würde ich, da trennscharfe Kriterien hier nicht existieren bzw. erst sehr allmählich durch den EuGH geliefert werden, immer auch noch die Rechtfertigungsgründe für einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit in Betracht ziehen – also fragen, ob die Handlungspflichten, Verbote oder Haftungsfolgen einem zwingenden Allgemeininteresse zu dienen bestimmt sind, ob sie hierfür geeignet und erforderlich sind und ob sie diskriminierungsfrei angewendet werden, was für die angesprochenen Pflichten bzw. Haftungsfolgen nach meinem Dafürhalten ebenfalls zu bejahen wäre.
An diesem Befund, dass die Nichtzugehörigkeit einer Frage zum Gesellschaftsstatut noch nichts über die Vereinbarkeit einer einschlägigen inländischen Regelung mit der Niederlassungsfreiheit besagt, ändert sich speziell für die insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Fragen auch nichts durch die Existenz der EuInsVO, die über die Anknüpfung an den Tätigkeitsschwerpunkt und die Niederlassung in allen praktisch wesentlichen Fällen hier ein inländisches Insolvenzverfahren – sei es als Haupt- oder Sekundärverfahren – zulässt und dem inländischen Insolvenzrecht unterwirft. Zwar mag die EuInsVO eine gewisse Vermutung für sich haben, nicht geradezu dem europäischen Primärrecht zu widersprechen. Aber die zweifellos vorhandene gute, weil auf Integrationsförderung gerichtete Absicht ersetzt hier wie sonst auch nicht die Tat, und so muss im Einzelfall eben auch geprüft werden, inwieweit das Kollisionsrecht der EuInsVO, soweit es dazu führt, dass Auslandsgründungen nach dem Insolvenzrecht des Zuzugsstaats beurteilt werden, mit der dem höherrangigen EG-Primärrecht angehörenden Niederlassungsfreiheit vereinbar ist – was ich für die meistdiskutierten Fragen, also die Insolvenzantragspflichten und die Haftung wegen Insolvenzverschleppung, aber auch für die Kapitalersatzhaftung (soweit sie dem Insolvenzrecht zuzuordnen ist) oder die Existenzvernichtungshaftung bejahen würde.
Am 14. September 2006 um 12:33 Uhr
Hallo Herr Eckardt!
Ja stimmt, die bloße Qualifikation als Insolvenzrecht bedeutet noch nicht sicher, dass kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegt. Das beste Beispiel, dass nicht nur Eingriffe ins Gesellschaftsrecht an Art. 43 EGV geprüft werden, bildet übrigens das Steuerrecht, das – siehe z.B. Marks & Spencer – ebenfalls anhand von Art. 43 auf seine Zulässigkeit geprüft wird. Aber: Es gibt nun einmal eine EuInsVO und wo diese einschlägig ist, besteht zunächst einmal eine Vermutung, dass die Anwendung von Vorschriften auf Auslandsgesellschaften europarechtlich zulässig ist. Und deswegen ist die Qualifikation eben nicht bedeutungslos, aber da sind wir uns ja wohl auch einig.
Ja stimmt, die Kapitalerhaltungsvorschriften sind an Art. 43 zu messen. Aber es macht einen ganz erheblichen und m.E. entscheidenden Unterschied, ob sie einem Gesellschafter eine sofort und während des „Lebens“ der Gesellschaft klag- und vollstreckbare Pflicht zur Rückzahlung unzulässiger Entnahmen auferlegen (so tun das im Moment die §§ 30f. GmbHG) oder ob sie ihm lediglich ankündigen, in einer späteren Insolvenz alles zurückzahlen zu müssen (so wäre es bei einer Regelung allein durch das Insolvenzanfechtungsrecht). Die erste Regel ist europarechtswidrig, weil sie in die Pflichten und Rechte der Gesellschaft und in die Organisation der Gesellschaft eingreift. Die letze Regel tut dies aber nicht, weil sie lediglich eine nach Art. 4 EuInsVO zulässige Anfechtungsregelung enthält und niemanden diskriminiert. Man könnte so sogar insolvenzrechtlich ein Mindestkapital einführen indem man vorschreibt, dass alles anfechtbar ist, was ausgeschüttet wird, bevor das Vermögen der Gesellschaft um ein Mindestkapital höher als ihre Schulden sind. Dadurch würde der Auslandsgesellschaft keine Aufbringung eines Mindestkapitals auferlegt, sondern eben wieder nur eine Anfechtungsregel geschaffen, die für alle Gesellschaften (aus- und inländische) gleichermaßen gilt. Der EuGH hat insofern noch nichts Verbindliches gegen ein Mindestkapital gesagt, die niederländische Regelung in Inspire Art scheiterte schon daran, dass sie die Auslandsgesellschaften anders als inländische behandelte. Alles andere sind bislang unbewiesene Behauptungen in der Literatur.
Im praktischen Ergebnis würde sich durch die eben beschriebenen insolvenzrechtlichen Regeln nicht viel ändern, weil auch heute schon die §§ 30f. GmbHG praktisch nur in Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (ist ja auch kein Wunder, warum sollte der Geschäftsführer denjenigen verklagen, dem er das Geld vorher aus der Kasse gegeben hat?).
Aber für die Frage eines Eingriffs oder Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit würde sich durch eine solche Verschiebung alles ändern: Denn die Auslandskapitalgesellschaft könnte sich in Deutschland niederlassen, ohne dass während ihres „Lebens“ in ihr Kapitalsystem eingegriffen würde. Allerdings müsste sie sich dennoch an die Regeln halten, die auch für deutsche Gesellschaften gelten, weil ihre Gesellschafter sonst befürchten müssten, in einem Insolvenzverfahren zahlen zu müssen und ihrer Haftungsbeschränkung so teilweise verlustig zu gehen.
M.a.W.: Eine „insolvenzrechtliche Kapitalerhaltung“ könnte den deutschen Gläubigerschutz vor Mißbrauch und Umgehung durch Auslandskapitalgesellschaften wirksam und europarechtsfest schützen!
Am 14. September 2006 um 13:08 Uhr
Vielen Dank für die spontane Replik, die ich gut so stehen lassen kann (zumal wir im praktischen Ergebnis ohnehin nicht weit auseinander liegen).
Gruß aus Trier, D.E.