Insolvenzanfechtung vor Kapitalerhaltung! Hoffentlich versteht das auch der DJT…

von Ulrich Wackerbarth

Buchbesprechung von Haas in ZHR 170 (2006), 478 ff. Haas bespricht die Habilitationsschrift von Grigoleit (Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006) und weist in diesem Rahmen erneut auf den von ihm als Gutachter für den Juristentag vertretenen Vorrang des Rechts der Insolvenzanfechtung vor den Regeln der Kapitalerhaltung hin.

Dazu gibt es drei Dinge zu sagen:

1. Haas muss darin zugestimmt werden, dass die Insolvenzanfechtung ein von den Gesellschaftsrechtlern zu Unrecht lange missachtetes Gebiet mit weitreichenden Wirkungen für den Gläubigerschutz ist. Insbesondere im Zusammenhang mit der limited könnte es das Kapitalerhaltungsrecht europakonform (fast) ersetzen, was den wenigsten Gesellschaftsrechtlern klar zu sein scheint.

2. Auch dem von Haas behaupteten Vorrang vor den Kapitalerhaltungsregeln stimme ich zu, so bereits in meiner Habilitation von 2001 (S. 154f.). Haas schließt aber auf S. 482f. (ebenso in ZIP 2006, 1373ff., 1375 unter 2.1) nur induktiv aus ähnlichen Regelungszusammenhängen und Beispielen auf diesen Vorrang. Diese Beispiele müssten ihrerseits begründet werden, sie stellen keine Begründung im eigentlichen Sinne für den Vorrang dar, so dass Begründung und das genaue Maß dieses Vorrangs zweifelhaft bleiben und künftiger Forschung als offenes Feld zur Verfügung stehen. Ein Ansatzpunkt für das Ob ist sicherlich die Geschichte des Anfechtungsrechts, das auch als paulianische Anfechtung bezeichnet wird, weil es auf den Juristen Paulus zurückgeht.

Ein anderer ist die Tatsache, dass die Anfechtungsregeln schon logisch Vorrang vor der sonstigen privatrechtlichen Rechtslage genießen müssen. Ihr Zweck ist, dem Beiseiteschaffen von Vermögen durch den Schuldner vor der Insolvenz zu begegnen. Das wäre aber ein von vorneherein aussichtsloses Ziel, wenn es von Rechtsregeln abhinge, die für den wirtschaftlich prosperierenden Schuldner gelten (vgl. die im Kapitalerhaltungsrecht geltende Hypothese der Fortführung des Unternehmens). Denn bei dem prosperierenden Schuldner kann erwartet werden, dass er etwas zu verlieren hat und sich deshalb ökonomisch verhält. Das gilt im Angesicht nahender Insolvenz nicht mehr.

3. Scharf zu widersprechen ist Haas, wenn er sowohl in ZHR aaO als auch in ZIP 2006, 1374 meint, es sei offensichtlich, dass die Kapitalerhaltung bei einem heute nur noch geringen Mindestkapital von 25.000 € (in der Tat ist das wenig) kaum einen Beitrag zur Insolvenzprophylaxe mehr leisten kann und nur noch ähnlich wie das Insolvenzrecht einen Vorrang der Gläubiger sicherstellt. Damit übersieht Haas einen einfachen psychologischen Zusammenhang. Denn gerade ein solcher Vorrang der Gläubiger ist – wenn er denn tatsächlich durchgesetzt wird, der allerbeste Schutz vor einer Insolvenz. Die Kapitalerhaltung hält auch bei einem noch so geringen Mindestkapital die Gesellschafter wirksam davon ab, ihr Unternehmen zugrundezurichten. Denn wenn sie es täten, verlören sie genau das von ihnen investierte (Mindest)Kapital an die Gläubiger.

Und das Recht der Kapitalerhaltung oder eben die Anfechtungsregeln sorgen dafür, dass die Gesellschafter auch ganz bestimmt Kapital verlieren, wenn ihr Unternehmen insolvent wird: Denn wegen dieser Regeln müssen sie alles, was sie sich zuvor aus der Kasse der Gesellschaft genommen haben, ja wieder zurückzahlen. Damit leistet die Kapitalerhaltung – ob nun gesellschafts- oder insolvenzrechtlich – die beste Insolvenzprophylaxe, die vorstellbar ist. Vor einem wirtschaftlichen Scheitern kann sie zwar nicht schützen, aber das könnte kein noch so großer Mindestkapitalpuffer. Geschützt werden können die Gläubiger immer nur vor Opportunismus der Gesellschafter!!!

Auf diese recht einfache psychologische Rückwirkung der Insolvenzregeln auf das Verhalten der Gesellschafter vor der Insolvenz habe ich bereits mehrfach hingewiesen, so etwa in der erwähnten Habilitationsschrift von 2001, S. 173, oder in ZIP 2005, 877, 884. Dieser Zusammenhang sollte einleuchten, vielleicht setzt sich mal jemand damit kritisch auseinander. Solange das nicht geschieht, werde ich weiter behaupten, dass die Anfechtungsregeln ganz besonders wirksame Insolvenzprophylaxe sind.

Eine Reaktion zu “Insolvenzanfechtung vor Kapitalerhaltung! Hoffentlich versteht das auch der DJT…”

  1. Christoph Thole

    Sehr geehrter Herr Professor Wackerbarth,

    Sie haben recht, und es ist schön, dass gerade ein Gesellschaftsrechtler die Effektivität des Anfechtungsrechts anerkannt. Ich widme mich der Insolvenzanfechtung als Gläubigerschutzinstrument in einem ausführlichen Beitrag in der KTS Heft 3/2007, in dem ich auch die unsinnige Behauptung von Grigoleit widerlege, wonach der Kapitalschutz die Insolvenzanfechtung präjudiziert – umgekehrt wird eher ein Schuh daraus. Bei Interesse kann ich Ihnen gerne vorab die Druckfahnen zukommen lassen, die ich seit dieser Woche auf dem Tisch habe.
    Besten Gruß
    Dr. Chr. Thole