Dritter Börsengang der Telekom und die Folgen – Erwiderung zum Arbeitskreis DT III-Urteil
Von Ulrich Wackerbarth
Es ist einfach, juristische Thesen zur Diskussion zu stellen, weil man weder vollständige Rechenschaft über ihre Herleitung legen muss noch gezwungen ist, eine konsequente Folgenabschätzung zu leisten. Sollen diese komplizierte Aufgabe doch andere übernehmen. Nun denn: hier eine Kritik zu den vom Arbeitskreis „Deutsche Telekom III-Urteil“ in CF Law 2011, 377 ff. ausdrücklich „zur Diskussion“ gestellten Thesen. Bekanntlich hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 31.5.2011 die KfW, die über eine Zweitmarktplatzierung einen Teil ihrer Telekom-Aktien verkauft hatte, aus § 57 AktG für verpflichtet gehalten, das Risiko der anschließenden Prospekthaftung zu übernehmen. Die Thesen des Arbeitskreises sind erkennbar davon geleitet, einen Schutzwall vor der Telekom-III-Entscheidung des BGH für ausstiegswillige Investoren aufzubauen. An der entscheidenden Stelle muss dies mißlingen, wenn man den BGH ernst nehmen will. Zu den Thesen im Einzelnen:
1. Interessenlage
An der Durchführung eines Börsengangs habe (in aller Regel auch) die Gesellschaft ein erhebliches Interesse: Unabhängigkeit vom derzeitigen Hauptaktionär, verbesserte Refinanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt, Steigerung des Bekanntheitsgrades des Unternehmens der Gesellschaft, dadurch Gewinnung neuer Kundenkreise. Diese These beschreibt letztlich nur den Hintergrund von Börsengängen; ihr ist vollumfänglich zuzustimmen.
2. Bilanzierbarkeit von Vorteilen
§ 57 Abs. 1 AktG verlange – entgegen dem Urteil – keinen bilanzierbaren Vorteil, vielmehr reiche ein konkreter und bezifferbarer Vorteil der Gesellschaft aus, um eine Leistung an einen Aktionär ihre Wirkung als Einlagenrückgewähr zu nehmen.
Soweit diese These lediglich die Möglichkeit anspricht, dass bei Austauschgeschäften die Gegenleistung des Aktionärs nicht bilanzierbar (sondern nur ihren Preis wert) zu sein braucht, trifft sie zu. Das betrifft aber nur die Frage, ob in einem Austauschgeschäft eine Zuwendung an den Aktionär zu sehen ist oder nicht. Man kann hingegen nicht den Blick von einer Zuwendung nehmen, ihn gleichsam schweifen und nach anderen — mittelbaren — Vorteilen der Gesellschaft suchen lassen. § 57 AktG verbietet sämtliche vermögenswerten Zuwendungen der Gesellschaft an einen Aktionär. Liegt eine Zuwendung vor, so kann sie nicht durch irgendwelche mittelbaren Vorteile der Gesellschaft gerechtfertigt werden, auch wenn sie bezifferbar sind. Insofern treffen die Ausführungen des BGH in Tz. 25 f. zu.
3. (Keine) Bezifferbarkeit von Vorteilen
Bei einem Börsengang liege keine Einlagenrückgewähr vor, wenn die bezifferbaren Vorteile der Gesellschaft den Nachteil der Übernahme des Prospekthaftungsrisikos ausgleichen.
Abgesehen davon, dass das mit einem Börsengang als unternehmerische Entscheidung verbundene Haftungsrisiko entgegen der Auffassung des BGH ohnehin keine dem Aktionär zufließende Auszahlung ist (schließlich zahlen die künftigen Anleger und nicht die AG den Erlös an die Altaktionäre und ob den Aktionär ein Prospekthaftungsrisiko trifft, bestimmt das BörsG, siehe dazu bereits Wackerbarth, WM 2011, 193 ff.), geben die Autoren leider so gut wie keine Beispiele für konkrete und bezifferbare Vorteile an. Beziffern kann ich im Grundsatz alles, notfalls im Wege einer Schätzung oder anhand dessen, was für einen bestimmten Vorteil gezahlt wird. Bei Austauschgeschäften, z.B. Dienstvertrag besteht sogar eine allgemeine Vermutung dafür, dass die Gegenleistung (Dienst) das dafür gezahlte Entgelt „wert“ ist, schon weil keine anderen Größen zur Verfügung stehen. Konkret und bezifferbar ist alles, die Frage ist aber eben unter dem Gesichtspunkt des § 57 AktG, mit welchem Betrag ich eine nicht bilanzierbare Gegenleistung beziffere.
Und auch für die konkret genannten „besseren Finanzierungskonditionen“ frage ich mich, wie der Arbeitskreis diese Vorteile intersubjektiv überprüfbar beziffern will. Letztlich sind solche „Bezifferungen“ doch nur Prognosen über die Zukunft der Gesellschaft und diese Prognosen eignen sich gerade nicht für die Betrachtung, ob in einem Austauschgeschäft dem Aktionär Vermögen der Gesellschaft zugewendet wird oder nicht.
4. (Kein) Veranlassungsprinzip
Wenn kein voller Ausgleich durch bezifferbare Vorteile gegeben ist, dann will der Arbeitskreis den Investor — entgegen der BGH – Entscheidung — dennoch davor schützen, für die Folgen des Börsengangs einzustehen. Es soll nämlich — obwohl ja nach Auffassung des Arbeitskreises dann in der Übernahme des Risikos klar eine Zahlung an den Aktionär zu sehen ist (Nachteile überwiegen Vorteile) — darauf ankommen, ob diese Nachteile durch den Aktionär oder eine ausstiegswillige Aktionärsgruppe veranlasst wurden oder nicht. Geht die Initiative vom Aktionär aus, soll in der Prospekthaftungsübernahme sozusagen endgültig eine Zuwendung an den Aktionär liegen, sonst nicht.
Unter der (abzulehnenden, siehe 3.) Prämisse, dass die Risikoübernahme durch die AG eine Zuwendung an den Aktionär ist, ist diese Aussage erkennbar unrichtig: Was für einen Unterschied soll es im Hinblick auf die Kapitalerhaltung der Gesellschaft machen, ob die Zuwendung an den Aktionär von diesem veranlasst ist oder nicht? Soll der Aktionär, dem die Gesellschaft ein Haus zu einem überhöhten Preis abkauft, sich künftig darauf berufen können, der Vorstand sei mit dem Kaufwunsch und konkreten Preisvorstellungen an ihn herangetreten, er habe die Zuwendung also nicht veranlasst?
Wenn tatsächlich eine Zahlung an den Aktionär vorliegt, dann haftet er auf Rückzahlung nach § 62 AktG, auch wenn er die Zuwendung nicht veranlasst hat. Er haftet nur dann nicht, wenn
– er die Vorteile als Gewinnauszahlung erhalten hat und nicht wusste oder wissen musste, dass dies unberechtigt geschah, (§ 62 Abs. 1 S. 2 AktG)
– oder wenn er an der Zahlung — ausnahmsweise — überhaupt nicht beteiligt war (irrtümliche Überweisung von Geldbeträgen auf ein Konto des Aktionärs, hier ist nur Bereicherungsrecht einschlägig)
– oder wenn die Zahlung — ausnahmsweise und feststellbar — an ihn nicht in seiner Eigenschaft als Aktionär erfolgte (Beispiel: Verzicht auf Nachforderung eines Telefonrechnungsbetrags gegenüber einem Kunden der Telekom, der zufällig auch ihr Aktionär ist). Dann richtet sich die Frage einer Rückzahlung der Zuwendung allein nach dem für dieses Drittgeschäft maßgebenden Rechtsregeln. Dies ist z.B. auch im Falle der Bezahlung von Ansprüchen aus Prospekthaftung der Fall, da die Zahlung an die Aktionäre in ihrer Eigenschaft als Anleger und nicht als Aktionär erfolgt.
Im Rahmen des § 57 AktG ist es also gleichgültig, ob die Initiative zu dem Geschäft vom Aktionär ausging oder nicht. Anderes gilt hingegen im Rahmen der §§ 311, 317 AktG, zu denen sich der Arbeitskreis leider nicht äußert. Und anders ist es auch im Rahmen der Prospekthaftung nach §§ 44f. BörsG, zu der sich der Arbeitskreis leider ebenfalls nicht verhält.
5. (Keine) 50 %- Ausnahme für Börsengänge
Speziell zu Börsengängen erfindet der Arbeitskreis nun noch dazu die (von mir) sogenannte 50%-Ausnahme. Die nach 4. angeblich entscheidende Initiative der Gesellschaft (und nicht des Aktionärs) sei zu vermuten, wenn der Gesellschaft im Rahmen von gemischten Platzierungen mehr Erlös zufließt als dem Aktionär.
Alles, was Investoren für einen sicheren und haftungsfreien Exit künftig tun müssen ist demnach, die Gesellschaft weniger alte als neue Aktien anbieten zu lassen. Sobald die Altaktien weniger als 50% des Volumens der Platzierung ausmachen, besteht eine Vermutung dafür, dass die Initiative von der Gesellschaft ausging. Wer will diese Vermutung widerlegen? Einblick in die vertraulichen Gespräche vor einem Börsengang wird den Aktionären vor Gericht in schöner Regelmäßigkeit verweigert. Die Vermutung kommt damit einem Ausschluss der Inanspruchnahme des Aktionärs gleich und zwar auch dann, wenn ein die Gesellschaft beherrschender Investor den Vorstand exakt zu diesem Börsengang mit einer Kapitalerhöhung in einem Umfang getrieben hat, den die Gesellschaft zwar nicht braucht, der dem Investor aber unbehelligt von einer Haftung den Exit ermöglicht. Ein schöner Fehlanreiz für herrschende Investoren, die Gesellschaft zu einer nicht notwendigen Kapitalerhöhung zu bewegen!
6. Vermutungswiderlegung
Der Arbeitskreis will im umgekehrten Fall (Volumen der Kapitalerhöhung ist kleiner als das der verkauften Aktien) dem Investor eine Widerlegung der dann angeblich bestehenden Vermutung ermöglichen, die Initiative sei von ihm ausgegangen. Hier soll der Investor lediglich darlegen müssen, dass er eine alternative Veräußerungsmöglichkeit gehabt hatte, mit der er ebenfalls den im Rahmen des Börsengangs erzielten Erlös hätte verwirklichen können. Möglicherweise könnte hier schon ein konkretes Angebot eines Dritten zum Kauf eines Aktienpakets reichen. Ob dieses nur pro forma ausgestellt war, wird man später dann kaum noch überprüfen können.
Leider äußern sich die Autoren nicht zur Anwendbarkeit dieser „Vermutungswiderlegungsmöglichkeit“ im Rahmen der Telekom-III-Entscheidung. Wie der Arbeitskreis am Anfang selbst sagt, bestand schon ein liquider Markt für Telekom-Aktien. Hätte der Bund / die KfW also einwenden können, sie hätten statt des Börsengangs ihre Aktien scheibchenweise über einen längeren Zeitraum in den Markt verkaufen können? Muss sich das OLG Köln, an das der BGH zurückverwies, nun damit beschäftigen? Auf dieses alternative Vorgehen des Aktionärs hatte ich übrigens in meinem Artikel in der WM 2011 ebenfalls hingewiesen, aber nur um zu zeigen, dass mit dem Börsengang den Altaktionären eben nichts zugewendet wird. Mit der Frage, wer den Börsengang veranlasst hat, hat diese alternative Möglichkeit des Aktionärs nichts zu tun.
7. (Keine) Haftungsbegrenzung
Kommt es zum aus Sicht des Arbeitskreises „Schlimmsten“ (Nachteile überwiegen Vorteile, Volumen der Altaktien übersteigt Kapitalerhöhung, und eine konkrete alternative Veräußerungsmöglichkeit des Aktionärs kann nicht festgestellt werden), dann muss man noch sagen, wie viel der veranlassende Altaktionär denn nun bezahlen muss. Auch hier will der Arbeitskreis helfen: durch die Versicherungslösung. Soweit die Gesellschaft eine Prospekthaftungsversicherung tatsächlich abschließt, die auch tatsächlich sämtliche Risiken übernimmt, und soweit der Aktionär dafür die Prämien zahlt, ist das Risiko der Prospekthaftung letztlich ausgeschlossen bzw. externalisiert. Dann wird der Aktionär durch die geleisteten Prämien in jedem Fall von einer Haftung aus § 62 AktG frei (und richtigerweise auch von einer Haftung aus §§ 311, 317 AktG). Insoweit kann ich dem Arbeitskreis noch folgen. Das gilt aber nur, wenn die Versicherung auch tatsächlich abgeschlossen wird.
Zahlt der Aktionär hingegen nur die (fiktiven) Prämien, ohne das die Gesellschaft die Versicherung abschließt, so ändert das durchaus etwas an dem Ergebnis. Im diametralen Gegensatz zur BGH-Entscheidung (Tz. 25 „nur durch eine Freistellungsvereinbarung“) steht nämlich die These des Arbeitskreises, der „Freistellungsanspruch“ habe einen bestimmten Wert, der die Risikoübernahme ausgleicht und es müsse folglich ausreichen, wenn der Aktionär der Gesellschaft den Betrag dieses „Wertes“ der Freistellung zahle. Diese Aussage ist erkennbar von dem Ziel getragen, dem Aktionär das Risiko der Prospekthaftung eben doch durch Zahlung eines wie auch immer berechneten Geldbetrages abzunehmen. Er soll sich „freikaufen“ können.
Das widerspricht der Entscheidung des BGH und darüber kann auch nicht die Behauptung des Arbeitskreises hinwegtäuschen, der BGH habe sich nicht näher zum Inhalt einer solchen Freistellungsvereinbarung geäußert. Der BGH verlangt, soweit es um die Altaktionäre geht, eben die Freistellung selbst und nicht den „Wert einer Freistellung“.
Beides ist nicht das gleiche. Bei einer gesetzlichen Freistellungspflicht (BGH) wird das Risiko dem Aktionär auferlegt, er mag sich dagegen selbst versichern (wenn es denn eine solche Versicherung gibt). Das andere Mal (Arbeitskreis) wird der Wert einer Risikoübernahme bestimmt und dann nur ein Zahlungsanspruch festgelegt. Mit der Zahlung ist der Aktionär frei. Verwirklicht sich das Risiko und ist der Anspruch gegen die Gesellschaft aus der Prospekthaftung größer als die erhaltene Zahlung, so geht diese Entwicklung praktisch doch zulasten der Gesellschaft.
Die dahinter stehende Frage ist eine Grundsatzfrage des Kapitalgesellschaftsrechts: Darf die Gesellschaft gegen Zahlung eines angemessenen Geldbetrages dem Aktionär Risiken abnehmen, die ursprünglich diesem zugewiesen sind? Meine Antwort darauf lautet: Ja, nach § 57 AktG ist das möglich, aber der herrschende Aktionär darf die AG nicht zur Übernahme eines Risikos veranlassen, das der Vorstand selbst nicht eingegangen wäre (§ 317 AktG).
Das bedeutet zum Beispiel: Eine Sicherheitenstellung durch die Gesellschaft für Forderungen des Gesellschafters gegen Dritte ist nach § 57 AktG möglich. Die Gesellschaft darf dem Aktionär unter Kapitalerhaltungsgesichtspunkten — gegen angemessene Bezahlung — auf diese Weise z.B. das Delkredere-Risiko eines seiner Schuldner abnehmen, weil dem Aktionär dann nichts zugewendet wird. Bei Austauschgeschäften zwischen Aktionär und Gesellschaft ist die Risikoab- bzw. -übernahme letztlich jedem Geschäft immanent: Wer ein Haus zu Marktpreisen kauft, nimmt dem Verkäufer das Risiko eines Wertverlustes oder der Nichtvermietbarkeit oder der Insolvenz der Mieter ab und es stellt sich stets nur die Frage der richtigen Bewertung der Risiken, bzw. einfacher noch: eben des Marktpreises des ausgetauschten Gegenstands, in dem grundsätzlich sämtliche Risiken abgebildet sind. Eine kapitalerhaltungsrelevante Vermögenszuwendung an den Gesellschafter liegt in einem Geschäft zu Marktpreisen nicht.
Letztlich ist These 7 daher — auch wenn sie vorgeblich innerhalb der Urteilsgrenzen arbeitet — eine klare und berechtigte Kritik an der Entscheidung des BGH: Im Rahmen des § 57 AktG zählt nun einmal (nur) die Frage, ob ein Geschäft zwischen Gesellschaft und Aktionär wertmäßig ausgeglichen ist. Ist es das nicht, so ist nur der Unterschied auszugleichen, mögen sich auch später die durch das Geschäft übernommenen Risiken verwirklichen. Die Aussage des BGH, die Haftungsübernahme könne „nur“ durch eine Freistellung ausgeglichen werden, passt nicht zu § 62 AktG, der eine schadensersatzgleiche Haftung des Aktionärs bei Zuwendung an ihn gerade nicht vorsieht (so bereits Wackerbarth, LMK 2011, 321437). Sie ist deshalb abzulehnen.
Bei einer konzernrechtlichen Betrachtung ist der These 7 hingegen scharf zu widersprechen und eine konzernrechtliche Analyse ist schon deshalb geboten, weil auch der Arbeitskreis hier unterstellt, die Maßnahme sei durch den Aktionär veranlasst. Liegt eine Veranlassung durch den Aktionär vor, dann muss er das mit der Durchführung des Geschäfts eingegangene Risiko endgültig übernehmen (also tatsächlich eine Freistellungserklärung abgeben oder gesetzlich haften, wie vom BGH zu Unrecht auch im Rahmen des § 57 AktG gefordert); ein Ausgleich durch Vorabzahlung des Wertes der Freistellung darf dann gerade nicht möglich sein.
Am 13. Juli 2012 um 11:33 Uhr
[…] auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht ganz unbemerkt geblieben ist (siehe z.B. hier). Völlig vermisst habe ich die (unhaltbaren) Entscheidungen zu Ausgleichsansprüchen und […]