UMTS-Urteil und Corporate Governance
von Ulrich Wackerbarth
Fleischer bespricht in der aktuellen NZG (Heft 10 2008, S. 371ff.) unter dem Titel „Haftung des herrschenden Unternehmens im faktischen Konzern und unternehmerisches Ermessen (§§ 317 II, 93 I AktG)“ das UMTS-Urteil des BGH v. 3.3.2008.Man erinnert sich noch gut an die Versteigerung zu Beginn des neuen Jahrtausends. Der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel sprach schon vorher von UMTS als „Unerwartete Mehreinnahme zur Tilgung von Staatsschulden“, siehe hier. Für die vergebenen Frequenzbereiche zahlten verschiedene Unternehmen zwischen 16,37 und 16,58 Milliarden DM, die Telekom den letztgenannten Betrag.
Zuviel, meinten einige Aktionäre der Telekom und verklagten nicht die Telekom selbst, sondern ihren Mehrheitsaktionär, die Bundesrepublik Deutschland. Sie habe die von ihr abhängige Gesellschaft, mit der kein Beherrschungsvertrag bestand, zur Teilnahme an der sogenannten UMTS-Versteigerung und damit zu einem für diese nachteiligen Rechtsgeschäft i.S. der §§ 317, 311 AktG veranlasst, so dass sie zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet sei. Schon die Teilnahme an der Versteigerung sei unzulässig gewesen, jedenfalls aber der überteuerte Preis, der schließlich bezahlt worden sei. Hinzu komme, dass der Betrag auch noch fremdfinanziert sei.
1. Business Judgement Rule?
Fleischer meint nun (S. 371f.), dem Vorstand der Telekom und damit auch der im Hintergrund stehende Bundesrepublik als Mehrheitsaktionärin stehe die Business Judgement Rule (§ 93 I 2 AktG) zur Seite. Man möge sich vor dem „hindsight bias“ hüten und dürfe deshalb nicht aus nachträglichen Entwicklungen auf Fehler bei der Ausübung des unternehmerischen Ermessens im Zeitpunkt der fraglichen Entscheidung schließen. Das ist geschenkt: Selbstverständlich käme dem Vorstand der Telekom, wenn er nicht von dem Mehrheitsaktionär abhängig wäre, die Business Judgement Rule zugute. Richtig ist auch, dass bei Geschäften mit Dritten (!) für die Beurteilung, ob ein durch den Mehrheitsaktionär veranlasstes Rechtsgeschäft auch ein nachteiliges war, die gleichen Grundsätze gelten müssen. Wenn die Telekom sich an der Versteigerung von Lizenzen in anderen Ländern beteiligt hätte, wäre der Fall klar. Dann handelte es sich um ein Geschäft mit einem Dritten und dabei wird der herrschende Aktionär ganz von selbst dafür sorgen, dass sein Unternehmen nicht zu viel bezahlt. Dann ginge es in der Tat nur um eine unternehmerische Entscheidung und bei einer solchen würde ich persönlich noch weniger nachträgliche Kontrollen für geboten halten als der BGH und Fleischer. Das Problem ist nur: Hier ging es um ein Geschäft mit der Mehrheitsgesellschafterin selbst (konzerninternes Rechtsgeschäft). Dabei kann der von der Business Judgement Rule grundsätzlich gewährte Freiheitsspielraum für die Unternehmensorgane gerade keine Geltung beanspruchen.
2. Die Veranlassung durch die Bundesrepublik
Zum Prozess der Veranlassung innerhalb der Telekom trug der Kläger in den Vorinstanzen vor, die Bundesrepublik
„habe … insbesondere durch den Aufsichtsrat, in dem – unstreitig – als Vertreter des Bundes der damalige Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums und der Sprecher des Vorstandes der Kreditanstalt für Wiederaufbau Mitglied gewesen seien, Einfluss auf die Entscheidung der Telekom genommen. Auch alle übrigen von den Anteilseigentümern entsandten Mitglieder des Aufsichtsrates seien ausschließlich Vertrauensleute der [Bundesrepublik] gewesen und hätten dementsprechend Einfluss genommen. Der Aufsichtsrat habe auf Grund seiner Geschäftsordnung dem Erwerb der Lizenzen zustimmen müssen.“
Für diesen – von der Bundesrepublik selbstverständlich bestrittenen – Vortrag hat der Kläger Beweis angeboten durch Vorlage der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates der Telekom durch diese gem. § 142 ZPO und von Auszügen aller einschlägigen Aufsichtsratsprotokolle der Telekom betreffend die UMTS-Versteigerung durch Vorlage seitens der Telekom gem. § 142 ZPO. Haben die Gerichte diese Beweise erhoben? Nein, natürlich nicht, weil sie den unternehmensinternenen Prozess für irrelevant bzw. das Beweisangebot des Klägers für einen Ausforschungsbeweis hielten. Im Beitrag von Fleischer findet sich kein Wort zu diesen Vorgängen im Aufsichtsrat.
Mir persönlich ist es fast gleichgültig, was genau sich damals im Aufsichtsrat oder außerhalb dieses Gremiums zwischen der Bundesrepublik und dem Telekomvorstand abgespielt hat. Bereits die Tatsache, dass dem Mehrheitsaktionär im Aufsichtsrat kein Gegengewicht entgegengesetzt ist und er eben die Stimmrechtsmehrheit hat, machte den damaligen Telekomvorstand und auch den Aufsichtsrat letztlich zu willfährigen Puppen, nicht selbständiger als sonstige leitende Angestellte eines Unternehmens. Wer kann sich den Wünschen des Hauptkapitalgebers schon entziehen? Für den genügt es schon, irgendwie erkennen zu lassen, was er will; die Drohung seiner Stimmrechtmacht steht stets im Hintergund (Siehe dazu ausführlich DeMott, The Mechanisms of Control, Conn. J. Int. L. 13 (1999), 233ff., auf S. 237 anschaulich: „Latent power, like a sleeping tiger, may always awake and assert itself in more active and direct forms.“).
3. Das Verfahren bis zum Abschluss des Rechtsgeschäfts und der gezahlte Preis.
Das eigentliche Problem an dem ganzen Verfahren liegt in der Tatsache, dass die Bundesrepublik hier auf beiden Seiten der fraglichen Transaktion stand, einmal als Verkäufer der Lizenzen und Veranstalter der Versteigerung und auf der anderen Seite als herrschende Aktionärin bei der Telekom. Wenn der Mehrheitsaktionär auf beiden Seiten des Geschäfts steht, ist ein korrekter Prozess der Entscheidungsfindung innerhalb der Aktiengesellschaft nicht gewährleistet. Vielleicht hätte ein unabhängiger Aufsichtsrat die Teilnahme der Telekom an der Versteigerung ebenfalls gestattet, vielleicht hätte er aber auch eine Höchstgrenze für die Gebote festgelegt, die der Vorstand nicht hätte überschreiten dürfen. Wer weiß das schon? Im Nachhinein ist das nicht mehr zu klären. Dass alle anderen Anbieter in Deutschland ähnlich hohe Preise für die Lizenzen gezahlt haben, besagt nichts, zumal die Auktion zwischenzeitlich schon einmal zu einem deutlich geringeren Preis fast beendet war, dann aber noch einmal (durch die Telekom) angeheizt wurde. Außerdem sind in verschiedenen anderen Ländern die Lizenzen weit günstiger versteigert worden (außer in Großbritannien), vgl. hier.
Zur Frage des Preises meint der BGH in Tz. 28 seines Urteils lapidar,
„das wesentliche Kriterium für das Vorliegen verbotener verdeckter Leistungen [sei], dass sich die betreffende Gesellschaft auf Konditionen einlässt, die sie einem Dritten nicht gewährt hätte… Wie das Berufungsgericht jedoch rechtsfehlerfrei angenommen hat, ist ein derartiger Fall bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Versteigerung nicht gegeben, da es der Natur einer Versteigerung widerspräche, wenn man davon ausginge, dass die Erhöhungen der Gebote jeweils ohne Äquivalent geblieben wären.“
Bei der Organisation einer ordnungsgemäßen Versteigerung scheidet eine verdeckte Gewinnausschüttung also per se aus. Gute Neuigkeiten für Mehrheitsgesellschafter: Wenn sie der Gesellschaft eine Leistung überteuert überlassen wollen, brauchen sie nur noch ein Versteigerungsverfahren zu organisieren und ihre eigene Gesellschaft das überteuerte Höchstgebot abgeben zu lassen. Soll doch der Minderheitsaktionär mal beweisen, dass das Verfahren nicht ordnungsgemäß war… Diese „Idee“ lässt sich nicht nur ökonomisch nicht halten, Bedenken zu Recht auch bei Fleischer, aaO. S. 373. Vielmehr ersetzt sie die vom Aufsichtsrat auszuübende Kontrolle der vom Vorstand abzuschließenden Rechtsgeschäfte durch eine abstrakte Verfahrensüberlegung. Das widerspricht der Vorschrift des § 111 Abs. 1 AktG, nach der der Aufsichtsrat und nicht der Mehrheitsgesellschafter durch irgendein Verfahren das Gebaren der Geschäftsführung kontrollieren soll. Aber letztlich macht das alles auch wenig aus, denn der von der Bundesrepublik abhängige Aufsichtsrat der Telekom hätte kaum den Mumm gehabt, eine Preisgrenze für die abzugebenden Gebote festzusetzen.
Verfahrensmäßig korrekt hätte die Sache nur dann ablaufen können, wenn im Aufsichtsrat der Telekom auch (mindestens) ein Vertreter der Minderheit gesessen hätte, der in diesem Falle, nämlich wegen des Geschäfts mit dem Mehrheitsaktionär, sein Veto gegen ein zu hohes Gebot hätte einlegen und den Vorstand damit effizient hätte kontrollieren können.
4. Folgen
Die zentrale Frage im Zusammenhang mit dem deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht wird weder von den drei Entscheidungen (BGH und Vorinstanzen) noch von Fleischer beantwortet: Warum Aktien kaufen, wenn man trotz des Stimmrechts nicht einmal verhindern kann, dass sich der Mehrheitsaktionär durch seinen Einfluss mehr als den ihm zustehenden Anteil am Gewinn der Gesellschaft aus der Kasse nimmt? Die Deutschen kaufen keine Aktien, weil sie vor den Machenschaften der Großaktionäre und Insider weder vom Gesetz noch von der Rechtsprechung ausreichend geschützt werden.
Am 30. Juni 2008 um 20:31 Uhr
„Die zentrale Frage im Zusammenhang mit dem deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht wird weder von den drei Entscheidungen (BGH und Vorinstanzen) noch von Fleischer beantwortet: Warum Aktien kaufen, wenn man trotz des Stimmrechts nicht einmal verhindern kann, dass sich der Mehrheitsaktionär durch seinen Einfluss mehr als den ihm zustehenden Anteil am Gewinn der Gesellschaft aus der Kasse nimmt? Die Deutschen kaufen keine Aktien, weil sie vor den Machenschaften der Großaktionäre und Insider weder vom Gesetz noch von der Rechtsprechung ausreichend geschützt werden.“
… und auch noch pauschal als Berufskläger oder räuberische Aktionäre beschimpft werden, wenn sie sich wehren.
Schönes Beispiel der letzten Wochen, die Möbel walther Hauptversammlung: Der Hauptaktionär (> 95%) verkauft kurz vor der Hv ca. 90.000 Aktien an seine Tochter und beschließt natürlich ohne selber mitzustimmen mit den Stimmen der Tochter, die auf der letzten HV beschlossene Sonderprüfung zu beenden.