Zwei Schritte vorwärts bei der Vorteilsausgleichung?
von Ulrich Wackerbarth
Zwei aktuelle Beiträge zu einer nicht mehr ganz aktuellen BGH-Entscheidung von Mitte 2007: Peters auf zwei intensiven Seiten in der Juristischen Rundschau 2008, S. 178f. („Vorteilsausgleichung in der werkvertraglichen Lieferkette“) und Metzger eher extensiv in der JZ 2008, S. 498ff. („Vorteilsausgleichung in Leistungsketten – Verlagerung oder Wegfall des Schadens?“)
Worum geht es (vereinfacht)? Der Bauherr B beauftragt einen Hauptunternehmer U mit einer Werkleistung (Fenstereinbau), dieser vergibt die Fensterproduktion weiter an den Subunternehmer S. Die von S gebauten Fenster sind mangelhaft. Die Ansprüche des B gegen U verjähren. Nach Eintritt der Verjährung will U seinerseits die ihm gegen S zustehenden (und noch unverjährten) Ansprüche auf kleinen Schadensersatz durchsetzen (mangelbedingter Minderwert). Der BGH sagt „Nein“, dem U sei als ausgleichspflichtiger Vorteil zugute gekommen, dass B ihm gegenüber wegen der Verjährung keine Ansprüche mehr durchsetzen kann. Beide Autoren kritisieren die in Rede stehende Entscheidung, wie auch bereits – allerdings sehr zurückhaltend – Schieman in NJW 2007, 3037 (der hier außen vor bleiben soll).
Peters meint, zunächst habe U jedenfalls gegenüber S noch mindern dürfen, weil dieser eben eine mangelhafte Leistung erbracht habe. Auf die Minderung seien (weil sie kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Recht des Bestellers zur Vertragsanpassung sei) die Grundsätze der Vorteilsausgleichung nicht einmal analog anwendbar. Dazu habe ich bereits in ZIP 1997, 2037, 2041f. (für die kaufvertragliche Lieferkette) vertreten, dass die Minderung des U gegenüber S eben doch ausgeschlossen ist, wenn B, den Mangel erst nach Ablauf der Verjährung entdeckt. Denn das Minderungsrecht steht dem U ja im Hinblick auf den Nachteil zu, dass er für sein Geld nicht das vereinbarte Äquivalent erhalten hat. Durch die Verjährung der Ansprüche des B gegen ihn vor Entdeckung des Mangels egalisiert sich dieser Nachteil vollständig. U ist genau so gestellt, als wäre die Sache mangelfrei gewesen. Mit derlei Überlegungen (ähnlich etwa angestellt von Reinicke/Tiedtke, ZIP 1997, 1093, 1097) setzt sich Peters nicht auseinander. Auch Metzger meint in seinem Aufsatz auf S. 501: „Es entspricht jedoch schon bisheriger Rechtsprechung, die Vorteilsausgleichung auf die anderen Sekundärrechte unter Verweis auf § 242 BGB entsprechend anzuwenden. Dem Zwischenunternehmer in der Leistungskette ist also nicht damit geholfen, ihn auf Minderung statt auf Schadensersatz zu verweisen.“
Noch eine Wertung von Peters stört mich: Auf S. 178 meint er, das Bewusstsein des U, etwaige Ansprüche des B auf den S abwälzen zu können, sei ein „ehrenswertes Motiv“, um gegenüber B die Verjährungseinrede nicht zu erheben. Der BGH nehme mit der Vorteilsausgleichung dem U praktisch die Möglichkeit, die verjährten Ansprüche des B zu befriedigen. Diese Möglichkeit hat U aber in jedem Fall, nur eben auf eigene Kosten. Letztlich zeigt bereits die Klage des U gegen S, dass es ihm gerade nicht um die Befriedigung der verjährten Ansprüche des B ging: Denn dazu hätte U dem B einfach seine Ansprüche abtreten können. Nach einer Abtretung hielte ich es für erwägenswert, den S nicht einfach davonkommen zu lassen. Umgekehrt wird also eher ein Schuh draus: Die Absicht, die verjährten Ansprüche des B zu befriedigen, wären ein „ehrenswertes Motiv“ gewesen, um dem Anspruch des U gegen S zur Geltung zu verhelfen. Vgl. auch Metzger, S. 501: „Man könnte es sogar für treuwidrig halten, wenn er [U] seinem Abnehmer [B] gegenüber die Verjährung einwendet und damit den möglichen Regress gegen den eigentlichen Schädiger [S] verloren gibt.“
Metzger seinerseits bleibt während des Aufsatzes stets ausgewogen, um nicht zu sagen unentschieden: Er behandelt den Aspekt der Relativität der Schuldverhältnisse, meint aber zu Recht, dieser ziehe in Leistungsketten einen „zu groben Schnitt“ (S. 502). Ferner geht er im Ansatz zustimmungswürdig auf den Gedanken der Schadensverlagerung ein, meint aber, die Drittschadensliquidation sei in solchen Konstellationen nicht anerkannt (S. 502). Die Frage lautet aber wohl eher, unter welchen Umständen sie anerkannt werden sollte, dazu kommt Metzger noch später. Die Rechtsvergleichung (S. 503) führe nicht zu eindeutigen Erkenntnissen (was mich nicht wundert).
Schließlich geht er auf ökonomische Aspekte ein (Theorie des „efficient breach“, S. 504), die im Endergebnis gegen eine Vorteilsausgleichung sprechen soll: Würde man in Leistungsketten die Vorteilsausgleichung durchführen und wäre deshalb der Schaden des U in der Kette zu verneinen, so bestünde für den S kein Anlass, den Vertrag durchzuführen, auch wenn die Vertragsdurchführung gesamtwirtschaftlich effizient ist. Das verstehe ich nicht: S kann doch nicht schon beim Fensterproduzieren wissen, dass B seine aus dem Mangel folgenden Ansprüche nicht erkennt oder verjähren lässt. Einen falschen Anreiz für S kann die Vorteilsausgleichung wohl kaum setzen. Ich glaube, dass aus der Theorie des effizienten Vertragsbruchs hier nichts juristisch überzeugendes folgt.
Für zutreffender halte ich die Überlegungen Metzgers ab S. 504, dass dem tatsächlich Geschädigten (B) unter Umständen analog § 285 BGB oder aus ergänzender Vertragsauslegung gegen U ein Anspruch auf Abtretung der Ansprüche des U gegen S zustehen könnte und insoweit eine Vorteilsausgleichung nicht stattfinden kann. Die Frage ist nur: unter welchen Umständen. Damit beschäftige ich mich z. Zt. umfassender in einem zweiten Aufsatz zur kaufrechtlichen Lieferkette.
Metzger bleibt auch im Fazit unentschlossen, widersprechen möchte ich noch seiner These, die Argumente der Wertungsebene ergäben kein klares Bild (S. 505). Denn auch Metzger geht – wie im übrigen fast alle, die sich mit dem Thema beschäftigen – nicht auf die Frage ein, ob es für den Schaden eine Rolle spielt, wann der Mangel entdeckt wurde. Meines Erachtens spielt die Entdeckung des Schadens aber die Hauptrolle für die Frage der Vorteilsausgleichung: Entdeckt B noch vor Verjährung den Mangel, so ist der Schaden unwiderruflich bei U eingetreten, weil er mit Regressansprüchen des B belastet ist, mag dieser sie nun geltend machen oder nicht. Eine Vorteilsausgleichung kommt dann durch den späteren Eintritt der Verjährung ebensowenig in Betracht wie eine Pflicht zur Abtretung seiner Rechte gegen S an B. Vielmehr hat U in diesem Fall tatsächlich „Glück gehabt“. Entdeckt B den Mangel aber erst nach der Verjährung und hat U seinerseits noch formell unverjährte Ansprüche gegen S, so sollte dem U die Geltendmachung von Minderungsrechten gegen S im Eigeninteresse jedenfalls versagt sein, der Schaden hat sich dann nämlich auf B verlagert. Unter Umständen kann B dann nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation vorgehen. Ob der BGH den Streit zwischen U und S im Jahr 2007 nach diesen Maßstäben richtig entschieden hat, lässt sich dem Sachverhalt leider nicht entnehmen, da dort nicht angegeben wird, ob oder wann B Kenntnis von den Mängeln hatte.