Eigenkapitalersatzrecht nach dem MoMiG oder: Junge, komm bald wieder …

von Ulrich Wackerbarth

Spliedt hat in ZIP 2009, S. 149ff. einen sehr interessanten Aufsatz zur Darlehensvergabe an Gesellschafter, zum Cash-Pool und zu den Gesellschafterdarlehen nach den Änderungen im GmbHG durch das MoMiG geschrieben.

1. Spliedt weist bezüglich der Darlehensvergabe an Gesellschafter unter berechtigter Kritik an der MPS-Entscheidung des BGH auf sehr viele Aspekte hin, von denen hier nur wenige beispielhaft genannt werden können.

– Das Alles-oder-Nichts-Prinzip bei der Frage, ob ein Darlehen an Gesellschafter im Stadium der Unterbilanz zulässig ist: Sobald die Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs auch nur teilweise nicht gegeben ist, geht das Gesetz davon aus, dass eine Auszahlung in voller Höhe einen Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG darstellt.

Beispiel: Die GmbH vergibt an ihren Gesellschafter ein Darlehen iHv 100.000 € im Zustand der Unterbilanz, der Rückzahlungsanspruch sei z.B. nur zu 98% werthaltig. Ein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG liegt in Höhe von 100.000 € und nicht nur iHv 2000 € vor.

– „Die tatsächlichen Risiken [des Cash-Pools], mit denen der BGH seine November-Entscheidung begründete, können durch die Gesetzesänderung in § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG n.F. nicht beseitigt werden.“ (ZIP 2009, 152).

Ein sehr schöner Satz, der meines Erachtens vor allem eines zeigt. Jedwede sachfremde Lobby-Arbeit beim Gesetzgeber und jeder Erfolg mit schlechten Argumenten bei Gerichten schafft niemals Rechtsfrieden, sondern allenfalls Friedhofsruhe. Wenn die tatsächlichen Probleme nicht gelöst werden, kommen sie irgendwann zurück und der BGH wird mit dem Cash-Pool so oft konfrontiert werden, bis er eine vernünftige Antwort darauf gibt.

– Sicherheitenbestellung durch die GmbH zugunsten ihres Gesellschafters (sogenannte upstream guarantees). Hier meint Spliedt überzeugend: „Eine Gleichbehandlung mit dem wirtschaftlich ähnlichen Cash Pooling wird nur erzielt, wenn es auf den Wert des Befreiungsanspruchs bei Bestellung der Sicherheit ankommt“. (ZIP 2009, 152) Alle anderen Zeitpunkte sind definitiv zu spät! Denn wenn der Gesellschafter schon die Hauptforderung nicht bezahlen kann, kann er erst recht nicht die sichernde Gesellschaft von der Inanspruchnahme durch den Gläubiger freistellen.

2. Im zweiten Teil des Aufsatzes (zum Eigenkapitalersatzrecht) stellt Spliedt dar, wie das Eigenkapitalersatzrecht „durch die Hintertür“ wieder zurückkommt. Der Begriff der Krise ist ja eigentlich abgeschafft, dafür soll nun die Befriedigung sämtlicher Gesellschafterdarlehen (also nicht nur der Krisendarlehen) innerhalb von 1 Jahr vor Eröffnung gem. § 135 InsO anfechtbar sein. Spliedt zeigt, wie in bestimmten Konstellationen über 133 InsO diese Frist auf 2 Jahre verlängert werden kann. Die fraglichen Konstellationen sind Fälle, in denen entgegen der neu eingefügten Nichtanwendungsnorm des § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG wegen einer Geschäftführerhaftung nach § 64 GmbHG n.F. eben doch eine Durchsetzungssperre für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen besteht. Das sei insbesondere bei drohender Zahlungsunfähigkeit gem. § 64 S. 3 GmbHG der Fall, also – mit den alten Worten des Eigenkapitalersatzrechts – in der Krise. Diese Krise werde deshalb künftig im Rahmen des § 133 InsO wieder zum Gegenstand von Auseinandersetzungen werden. Das einzige, was das MoMiG bewirkt habe, sei eine Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast. Das mache alles noch viel komplizierter als früher und erhöhe die Kosten der Rechtsverfolgung durch den Insolvenzverwalter. Erreicht werde also das Gegenteil dessen, was die Verfasser des MoMiG beabsichtigt hätten (ZIP 2009, 154). Ein berechtigtes Zwischenfazit.

Schön ist auch, wie Spliedt durchexerziert, dass die in § 64 S. 3 GmbHG neu eingeführte Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers ihrem Wortlaut nach streng genommen nicht anwendbar ist, weil die Zahlung einer fälligen Verbindlichkeit niemals die Zahlungsunfähigkeit in der Definition des BGH herbeiführen k a n n (ZIP 2009, 159). Spliedt ist zuzustimmen, wenn er meint, im Rahmen des § 64 S. 3 GmbHG müsse deshalb ein besonderer Zahlungsunfähigkeitsbegriff gelten, der nur die fälligen Forderungen der Nicht-Gesellschafter-Gläubiger im Auge hat.

Zur Geschäftsführerhaftung erlaube ich mir hier noch eine vorsichtige Ergänzung. Nicht nur § 64 S. 3, sondern auch § 64 S. 1 GmbHG muss als Durchsetzungssperre für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen wirken können. Dabei dürfte angesichts des S. 3 zwar die erste Alternative (Zahlungsunfähigkeit) keine Bedeutung haben. Anders aber für Zahlungen nach Überschuldung, also während einer Insolvenzverschleppung. In diesem Zeitraum dürfen überhaupt keine Zahlungen, also auch keine auf Gesellschafterforderungen erfolgen. Dadurch kann sich unter Umständen ebenfalls die 1-Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO für die Anfechtung der Befriedigung von Gesellschafterdarlehen gem. § 133 InsO auf zwei Jahre verlängern: Wenn Überschuldung vorliegt, darf der Geschäftsführer wegen § 64 S. 1 nicht zurückzahlen (Durchsetzungssperre), obwohl § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG n.F. das Gegenteil zu sagen scheint. Wenn er es doch tut, erhält der Gesellschafter eine Befriedigung, die er nicht zu beanspruchen hatte. Diese Befriedigung stellt eine unmittelbare Benachteiligung der Gläubiger im Sinne des § 133 Abs. 2 InsO dar. Ist der Gesellschafter nahestehende Person, so kann ihm gegenüber angefochten werden, es sei denn, er weist nach (!), dass ihm ein Vorsatz der GmbH, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war. Die Begrenzung der Anfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf eine Jahresfrist vor Eröffnung wird damit durch die Insolvenzordnung selbst wieder in Frage gestellt.

Insgesamt ein gleichermaßen schwieriger wie lesenswerter Beitrag. Er wirft so viele Fragen zum MoMiG auf, dass man damit bestimmt zwei (oder mehr) Doktorarbeiten befeuern könnte. Und er vermittelt darüber hinaus eine (alte) Erkenntnis, die sich vermutlich erst in 50 Jahren oder nie durchsetzen wird: Keine (De-)Regulierung und keine höchstrichterliche Rechtsprechung kommt am ökonomischen Gesetz vorbei.

Eine Reaktion zu “Eigenkapitalersatzrecht nach dem MoMiG oder: Junge, komm bald wieder …”

  1. C. Scholz

    zu § 64 S. 3

    Ich hatte mir zunächst auch die Frage gestellt, ob § 64 S. 3 einen echten Anwendungsbereich hat. Tatsächlich kann auch die Zahlung einer fälligen Verbindlichkeit eine zuvor nicht bestehende Zahlungsunfähigkeit herbeiführen.

    Das ist einmal der Fall, wenn auf fällige, aber nicht ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten gezahlt wird (Ausnahmefall). Dann haben wir den gesamten Bereich der Zahlungen auf nicht fällige, weil etwa gestundete Verbindlichkeiten oder die Rückführung eines ungekündigten Kontokorrents. Hier wird die Zahlung oftmals aus Eigeninteresse des Geschäftsführers folgen, etwa wenn er Sicherheiten für die Verbindlichkeiten gestellt hat. Hier helfen bereits in den meisten Fällen die Anfechtungsvorschrifen (§§ 131, 133, 135, 143 III InsO). Letztlich ist § 64 S. 3 GmbHG in Fällen anwendbar, in denen sich durch die Zahlung das Verhältnis der vorhandenen Liquidität zu den fälligen Verindlichkeiten verschiebt.

    Ein einfaches Beispiel: Die A GmbH verfügt über liquidide und kurzfristig liquidierbare Mittel in Höhe von € 100.000 und hat sofort fällige Verbindlichkeiten von € 110.000. Die Liquiditätslücke ist als kleiner als 10%.

    Verwendet die A GmbH nun von den vorhandenen Mitteln € 50.000,00 belaufen sich die sofort fälligen Verbindlichkeiten auf € 60.000 und die liquiden und liquidierbaren Mittel auf € 50.000. Schon ist die Liquiditätslücke größer als 10% und die Gesellschaft ist durch eine Zahlung zahlungsunfähig geworden.

    Mit bestem Gruß
    C. Scholz