Die Abschaffung von Stellenausschreibungen…

 

von Ulrich Wackerbarth

…. betreiben alle AGG-Hopper und mit ihnen — ohne es zu wissen — Generalanwalt Paolo Mengozzi. Das zeigt sich in dem Vorlageverfahren vor dem EuGH in der Sache Galina Meister gegen Speech Design Carrier Systems (Rs. C 415/10). Eine kritische Stellungnahme zu den Schlussanträgen besagten Generalanwalts ist bereits dankenswerterweise auf dem Rechtsboard veröffentlicht worden (zur Lektüre empfohlen). Ich möchte noch ein paar Schritte weitergehen und die Folgen betrachten, falls der EuGH den Anträgen von Herrn Mengozzi folgt.

Die Klägerin war nach einer Bewerbung auf eine ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden und hatte ein belangloses Absageschreiben erhalten. In Wahrheit lag die Absage aber an ihrem Geschlecht, Alter oder ihrer ethnischen Herkunft, vermutete sie, hatte aber außer der Absage nichts in der Hand. Das hinderte sie nicht daran, ihren potentiellen Arbeitgeber auf Entschädigung nach dem AGG zu verklagen. Er solle ihr auch die Bewerbungsunterlagen des Eingestellten vorlegen. Das lehnte der ab.

Ein selbständiger, einklagbarer Auskunftsanspruch abgelehnter Bewerber existiert nun weder nach deutschem Recht noch nach europäischen Richtlinien. Der Arbeitgeber soll nicht noch selbst dem AGG-Hopper die benötigten Indizien an die Hand geben müssen (wenn es denn welche gibt). Bei dem Fehlen des Auskunftsanspruchs soll es auch nach Mengozzi künftig bleiben.

Lehnt der Arbeitgeber die Auskunft ab, so müsste nach den Vorstellungen des Generalanwalts diese Tatsache allerdings künftig stets „in seinen weiteren Zusammenhang gestellt“ werden (Mengozzi wörtlich in Rn. 31), mit anderen Worten darf die Auskunftsverweigerung künftig (jedenfalls zusammen mit weiteren Indizien) durchaus zulasten des Arbeitgebers berücksichtigt werden. Die Verweigerung kann daher schlußendlich entscheidend zur Beweislastumkehr führen und damit praktisch zum Klageerfolg des Bewerbers. Denn kaum jemandem kann es gelingen zu beweisen, dass die in § 1 AGG genannten Merkmale bei seiner Entscheidung keine Rolle gespielt haben. Selbst die objektiv beste Eignung des Eingestellten ändert nichts daran, dass ja „auch“ das Geschlecht oder Alter anderer Bewerber in ein „Motivbündel“ des Arbeitgebers eingeflossen sein können. Das aber genügt für Ansprüche von einigen zehntausend Euro.

Wenn also der „Zusammenhang“ es hergibt, dann steht der Arbeitgeber künftig vor der Alternative, auf ein entsprechendes Verlangen (das man allen abgelehnten Bewerbern nur dringend ans Herz legen kann) entweder Auskunft zu geben oder aber die Auskunft abzulehnen. Er muss das selbst entscheiden, mangels Bestehen eines Auskunftsanspruchs wird nämlich erst im Entschädigungsprozess gegen ihn geklärt, ob eine Auskunftslast nun bestanden hat oder nicht. Er kann also nicht erst eine Auskunftsklage abwarten. Das ist besonders gefährlich für ihn. Denn die inhaltliche Reichweite seiner Auskunftsobliegenheit ist vollkommen unklar (denn eine gesetzliche Regelung gibt es eben nicht). Meint das Gericht später, dass er Auskunft hätte geben müssen oder die gegebene Auskunft nicht reicht, ist es zu spät: jetzt ist die Beweislastumkehr da und der Gegenbeweis praktisch unmöglich (s.o.): Er muss also zahlen.

Entscheidet er sich deshalb lieber dafür, sofort Auskunft zu geben, so schafft er durch seine näheren Darlegungen entweder eine Vermutungstatsache (und muss zahlen) oder aber der abgelehnte Bewerber macht geltend, dass die Auskunft nicht ausreicht. Findet auch das Gericht, das sich bei seiner Beurteilung nicht an irgendwelche Regeln zu halten braucht (weil es einen geregelten Auskunftsanspruch ja nicht gibt), dass die Auskunft nicht ausreicht, so muss der Arbeitgeber wieder zahlen. Wenn er nicht das gesamte Verfahren nach Art eines Berufungskommissionsberichts ausführlichst dokumentiert und den Bericht an jeden abgelehnten Bewerber übergibt, dann kann jedes Gericht (je nach seiner Gesinnung) immer finden, dass die Informationen nicht ausreichend sind (und seine Schlüsse daraus ziehen) oder nicht überprüfbar genug sind (und seine Schlüsse daraus ziehen) oder unsachlich sind (und seine Schlüsse daraus ziehen).

Man sieht, egal wofür sich der Arbeitgeber entscheidet, es läuft stets darauf hinaus, eine Entschädigung an sämtliche abgelehnten Bewerber bei jeder ausgeschriebenen Stelle zu zahlen. Das können natürlich ganz erhebliche Summen werden, vor allem wenn die AGG-Hopper erst einmal gemerkt haben, dass man mit der Masche „Auskunftsverlangen“ durchkommt.

Arbeitgeber denken in aller Regel wirtschaftlich und wollen weder durch nicht konkretisierte Verfahrensanforderungen zur Behörde werden (siehe schon hier unter 3.) noch das Risiko in Kauf nehmen, dass ein Gericht die gesetzlich nicht konkretisierte Auskunftslast nach eigenem Gutdünken als nicht erfüllt ansieht. Sie können es sich schlicht nicht mehr leisten, offene Stellen auszuschreiben oder beim Arbeitsamt zu melden. Die Konsequenz: Stellen werden nur noch ohne Stellenanzeige unter der Hand besetzt werden. Das ist natürlich ein Sieg für sämtliche Arbeitslose, die künftig nicht mehr die lästigen Bewerbungsschreiben verfassen müssen. Vielleicht ist es sogar ein Schlag gegen die Arbeitslosigkeit, schafft der EuGH auf diese Weise doch möglicherweise einen neuen Wirtschaftszweig. Arbeitgeber müssen künftig auch für den Hausmeister (oder die Hausmeisterin) einen Headhunter beauftragen, der für sie sucht. Wenn sie es nur mit einem einzigen Bewerber zu tun haben, dann dürfte wohl auch eine unbegründete Absage ausreichen. Initiativbewerbungen werden dann bereits auf der Homepage eines jeden Unternehmens für aussichtslos erklärt werden. Wenn alle Initiativbewerbungen aus Gründen der Geschäftspolitik abgelehnt werden, kann darin ja wohl kaum eine Diskriminierung gesehen werden, oder? Aber wahrscheinlich drehen findige Anti-Diskriminierungsfetischisten (gemeint sind auch die weiblichen!) den Arbeitgebern auch aus einer solchen Geschäftspolitik einen Strick. Das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) gilt ja nun einmal nur für den Arbeitgeber. Gerichte dürfen Arbeitgeber hingegen durchaus benachteiligen, weil diese in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben (nämlich schweigen). In einem (rechtsstaatlichen) Strafverfahren wäre so etwas hingegen nicht möglich. Das AGG entwickelt sich immer mehr zur einem „Allgemeinen Gesinnungskontrollgesetz“.

Der Generalanwalt sollte sich im Übrigen auch einmal die Frage stellen, an wessen Seite er hier überhaupt kämpft: Nach der zweitinstanzlichen Entscheidung des LAG Hamburg (Tz. 40) hat die Klägerin

„– wie gerichtsbekannt ist – nicht nur im vorliegenden Verfahren, sondern in einer Vielzahl von Fällen Ansprüche wegen behaupteter Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG gegen verschiedene Arbeitgeber geltend [ge]macht.“

Aber bevor es zu alledem kommt, können wir noch — etwas beunruhigt — darauf warten, was uns der EuGH im März präsentiert.

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