Sie haben Ihre Vertragspflichten erfüllt – und damit Ihre Rechte verwirkt!
von Ulrich Wackerbarth
Unter dem etwas sperrigen Titel: „Der Verwirkungseinwand beim Widerruf von Verbraucherdarlehens-verträgen: Tatbestand einer unzulässigen Rechtsausübung oder teleologische Reduktion?“ rollt Feldhusen in BKR 2018, 284 die Frage auf, ob und unter welchen Umständen Verbraucher ihr Widerrufsrecht verwirken können, obschon sie darüber nicht bzw. nicht ordnungsgemäß belehrt wurden.
I. Widerruf bereits abgewickelter Verträge?
Manche Verbraucher waren auf die Idee gekommen, bereits abgewickelte Immobiliendarlehensverträge zu widerrufen, auch nachdem diese schon beendet waren, etwa um eine gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurückzubekommen. Dies schien möglich, da sie – was nicht selten vorkam – über ihr gesetzliches Widerrufsrecht nicht ausreichend belehrt worden waren. Dem wollten einige Oberlandesgerichte u.a. mit einer Vermutung begegnen, dass das (unverjährbare) Widerrufsrecht verwirkt sei, sobald eine gewisse Zeit nach der Beendigung verstrichen war, z.B. 6 Monate. Der BGH hat sich zunächst gegen jede gesetzesgleiche Vermutungsregel gewehrt (BGH v. 11.10.16 XI ZR 482/15 Rn. 30) und will stets auf den Einzelfall schauen, wie es sich bei dem aus § 242 BGB abgeleiteten Rechtsinstitut der Verwirkung auch gehört. Allerdings ruderte der XI. Senat in der Folgezeit zurück, so dass der Verwirkungseinwand salonfähig wurde. Am besten fasst er selbst seine Entscheidungsreihe in BGH v. 23.1.18 XI ZR 298/17 (=NJW 2018, 1390) zusammen. In einer Entscheidung vom 5.6.2018 hebt der XI. Senat das ehemalige Vermutungsverbot allerdings praktisch auf, siehe dazu unten unter IV.
Feldhusen zeigt minutiös auf, warum die Argumente des XI. Senats für seine derzeitige Rechtsprechung mit den Regeln des Instituts Verwirkung im Ergebnis nicht vereinbar sind. Anders als die vielfachen Stellungnahmen von interessierter Seite, mit denen sich Feldhusen ihrerseits kritisch auseinandersetzt, ist der Aufsatz dabei wohltuend neutral gehalten und verdient uneingeschränkte Zustimmung. Zutreffend weist Feldhusen (BKR 2018, 287 f.) etwa daraufhin, dass der Widerruf im wirtschaftlichen Ergebnis keineswegs zu einem „zinsfreien Darlehen“ führt, wie Kritiker glauben machen wollen, sondern zu einer Vertragsanpassung an den Marktzins. Neben der Verwirkung geht sie auf weitere Möglichkeiten ein, dem ewigen Widerrufsrecht ein Ende zu setzen. Im Folgenden soll aber nur das Institut der Verwirkung behandelt werden.
II. Keine Kenntnis des Verbrauchers erforderlich, trotz fehlerhafter Widerrufsbelehrung?
Im Ausgangspunkt stellt sich die Frage, ob man dem Verbraucher, der sich – unzutreffend belehrt – ja im Irrtum befindet, überhaupt einen Strick drehen kann, wenn er seinen Widerruf so spät erklärt. Insoweit ist zwar richtig und wird auch von Feldhusen anerkannt, dass Kenntnis des Verbrauchers vom Widerrufsrecht keine notwendige Voraussetzung der Verwirkung ist – man kann auch ein Recht verwirken, wenn man es nicht kennt. So nimmt denn auch der BGH an, die Unkenntnis des Darlehensnehmers von seinem Widerrufsrecht ändere nichts an der Möglichkeit der Verwirkung.
Indessen darf umgekehrt der Darlehensgeber, so zu Recht Feldhusen, aaO. 289 unter E. II., nicht auf ein Unterlassen des Verbrauchers vertrauen, wenn er für diese Unkenntnis selbst mitverantwortlich ist. Das wußte schon vor über 60 Jahren der II. Senat (BGH NJW 1957, 1358), den der XI. Senat geradezu im Stil eines Winkeladvokaten für seine Behauptung heranzieht, auf die Kenntnis des Verbrauchers komme es nicht an, auch wenn der Darlehensgeber keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt hat (so BGH v. 10.10.17 XI ZR 443/16 Rn. 26): In der zitierten Entscheidung aus 1957 heißt es nämlich nicht nur:
„Die Verwirkung kann auch gegen den Willen des Berechtigten eintreten, da insoweit die an Treu und Glauben ausgerichtete objektive Bewertung, nicht aber der subjektive Willensentschluß des Berechtigten entscheidend ist. In dieser Hinsicht kommt der rechtliche Unterschied zwischen der Verwirkung und einem stillschweigenden Verzicht zum Ausdruck (RGZ 134, 270).“
sondern auch (im unmittelbaren Zusammenhang):
„Wenn auch im allgemeinen der Einwand der Verwirkung nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß dem Berechtigten der ihm zustehende Anspruch unbekannt war (RGZ 134, 41), so muß doch etwas anderes gelten, wenn dem Berechtigten gerade wegen eines unredlichen und heimlichen Verhaltens des Verpflichteten der ihm deshalb zustehende Schadensersatzanspruch unbekannt geblieben ist. Denn eine dadurch bedingte verspätete Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs kann bei objektiver Beurteilung niemals als ein Verstoß gegen Treu und Glauben betrachtet werden und kann daher auch niemals den Einwand der Verwirkung rechtfertigen.“
Auch bei unverschuldet unrichtiger Widerrufsbelehrung ist es für meine Begriffe selbstverständlich, dass der Darlehensgeber nicht vertrauen darf, wenn er davon ausgehen muss, dass der Verbraucher sein Recht nicht kennt. Mindestens setzt ein Vertrauen trotz eigenen Fehlverhaltens einen Akt voraus, der dieses Fehlverhalten wieder beseitigt, auch wenn es unverschuldet sein mag. Liegt dieses in der Täuschung des Anderen, auf dessen Verhalten man nun vertrauen will, setzt das selbstverständlich voraus, dass man den Irrtum aufklärt.
III. Keine Nachbelehrung bei beendeten Verträgen?
Gegen diesen actus contrarius als Voraussetzung für die Schutzbedürftigkeit des Unternehmers meint der BGH ein argumentatives Allheilmittel gefunden zu haben, das Feldhusen zwar referiert, aber leider nicht näher kritisiert.
So heißt es in BGH 12.7.16 XI ZR 501/15 Rn. 41:
„Eine Nachbelehrung ist indessen nach Vertragsbeendigung sinnvoll nicht mehr möglich, weil die Willenserklärung des Verbrauchers, deren fortbestehende Widerruflichkeit in das Bewusstsein des Verbrauchers zu rücken Ziel der Nachbelehrung ist, für den Verbraucher keine in die Zukunft gerichteten wiederkehrenden belasteten Rechtsfolgen mehr zeitigt.“
Daraus soll nun folgen, dass der Unternehmer, der diese angeblich sinnlose Nachbelehrung unterlässt, trotz des Fehlers auf einmal wieder schutzwürdig wird.
Aber wo bleibt hier die Logik? Nur weil der Verbraucher angesichts einer Vertragsbeendigung künftig keine weiteren Nachteile aus einer Willenserklärung gewärtigen muss, folgt doch daraus in keiner Weise irgend etwas für die Frage, ob nun der Unternehmer auf ein Verhalten des Verbrauchers vertrauen darf! Es bleibt doch vielmehr bei der Tatsache, dass der Unternehmer angesichts seines eigenen Fehlers keinen Anlass hat zu glauben, dass der irrende Verbraucher auch dann stillhalten wird, wenn er seinen Irrtum entdeckt.
IV. Am Ende: konkrete Umstände oder bloßer Zeitablauf?
Aber selbst wenn man einmal unterstellte, die Schutzbedürftigkeit des Darlehensgebers sei bei Vertragsbeendigung wiederhergestellt (quod non), so haben die Richter i.a.R. keine Umstände in der Hand, die sie dem Verbraucher vorhalten oder zugunsten des Unternehmers ins Feld führen könnten. So geben weder die Tatsache, dass der Verbraucher den Wunsch hatte, den Vertrag zu beenden, noch (erst recht) die bloße Tatsache eines Aufhebungsvertrags dem Unternehmer irgend etwas in die Hand, auf das er sein Vertrauen im Sinne eines guten Glaubens stützen könnte. Erneut bestätigt sich in derartigem Verhalten lediglich der bestehende Irrtum des Verbrauchers, den der Unternehmer durch die falsche Widerrufsbelehrung verursacht hat. Völlig grotesk wird es, wenn der BGH diese beiden Umstände dann auch noch als „in besonderem Maße“ hervorhebt, so also ob auch ohne solche Verbrauchererklärungen, die das Ende des Vertrags herbeiführen, irgendein Vertrauensumstand für den Darlehensgeber vorhanden wäre (BGH XI ZR 298/17 Rn. 16).
Es verwundert dann kaum noch, wenn der XI Senat schlußendlich geradezu hintenherum etwas erlaubt, was er im Wege eines (offensichtlich:) bloßen Lippenbekenntnisses den OLGen zuvor verboten hat (siehe etwa BGH v. 15.5.18 XI ZR 508/16 Rn. 13), nämlich allein aus einem Zeitablauf auf Verwirkung zu schließen. In seiner Entscheidung vom 5.6.2018 XI ZR 577/16 Rn. 4 billigt der XI. Senat nunmehr die Annahme von Verwirkung, weil die Vorinstanz angeblich neben der unzulässigen Vermutungsregel auch Einzelfallumstände im Wege einer ausreichenden Abwägung zugunsten des Darlehensgebers berücksichtigt hatte. Was aber hatte das OLG außer bloßem Zeitablauf nach Vertragsbeendigung für seine umfassende Abwägung der Einzelfallumstände in der Hand? Richtig: nichts, aber auch gar nichts. Die entscheidende Passage im Urteil des OLG Schleswig lautet:
„Überdies hat sich die Beklagte auch unabhängig von der vom Senat postulierten tatsächlichen Vermutung – bei einer Betrachtung des Einzelfalls – darauf eingerichtet, dass die Kläger von ihrem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen würden und sie durfte hierauf auch vertrauen. Der Darlehensvertrag war bereits seit (spätestens) September 2013 vollständig abgewickelt. Die Kläger haben den Widerruf erst mit Schreiben vom 28.4.2014, also (mind.) sieben Monate später, erklärt. Der Lebenssachverhalt ist abgeschlossen. Nach der Lebenserfahrung hat die Beklagte die an sie zurückgezahlte Valuta verwandt, um mit ihr zu arbeiten.“
Die angeblichen Individualumstände waren also zum einen die Tatsache, dass der Darlehensgeber behauptete, nach Vertragsbeendigung das Geld anderweitig verwendet zu haben. Das aber ist selbstverständlich und eignet sich nicht zur Klärung der Frage, ob der Darlehensgeber vertrauen durfte. Zum anderen wies das OLG als angeblichen zusätzlichen Umstand darauf hin, dass der Vertrag „seit (spätestens) September 2013 vollständig abgewickelt“ war. Was anderes ist das als Zeitablauf nach Vertragsbeendigung? Hiermit wird ein nullum zu einem Umstandsmoment hochstilisiert und so getan, als hätte der Darlehensnehmer durch die Abwicklung ein Verhalten an den Tag gelegt, aus dem der Darlehensgeber Schlüsse ziehen dürfte. In Wahrheit fehlt es solchen Fällen am Umstandsmoment – und der XI. Senat weiß das auch ganz genau.
Am Ende bleibt das Fazit: Aus dem bloßen Umstand, dass ein Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, das ihm wegen falscher Widerrufsbelehrung zusteht, eine illoyale Verspätung zu konstruieren, ist ein Kunststück, das nur Juristen gelingt und leider beweist, wie gering das Gesetz vor seiner sophistischen Auslegung wiegt.