Corporate BLawG

Unternehmensmitbestimmung im internationalen Konzern oder: Misch Dich nicht in fremde Länder ein!

31. Mai 2015

 

von Ulrich Wackerbarth

DSCN2579Bleiben wir doch nach dem letzten Beitrag noch einmal beim Konzernarbeitsrecht. Die Unternehmensmitbestimmung im Konzern hat am 16.2.2015 eine recht radikale Wende durch das LG Frankfurt erfahren. Dieses möchte Arbeitnehmer, die in ausländischen Tochtergesellschaften der Dt. Börse AG beschäftigt sind, entgegen der bislang einhelligen Auffassung für die Frage der Unternehmensgröße mitzählen. Damit wäre der Aufsichtsrat der Dt. Börse künftig paritätisch nach dem MitbestG 1976 zusammenzusetzen, wenn Rechtskraft einträte. Das Urteil hätte wohl sehr große praktische Konsequenzen, da viele Mittelständler dann von der paritätischen Mitbestimmung ereilt würden. Es wird daher auch in praktisch allen bisher dazu erschienenen Stellungnahmen abgelehnt. Leider scheinen sich die Kritiker aber schwer damit zu tun, einen richtigen „Pack-an“ zu finden.
Die bislang geäußerten Einwände überzeugen mich jedenfalls nicht.

Historisch?

Der dem Urteil entgegenstehende, in der Gesetzesbegründung dokumentierte gesetzgeberische Wille ist für manche ein starkes Argument (etwa Seibt, DB 15, 913; Krause, ZIP 15, 636). Doch seit der Schaffung des Mitbestimmungsgesetzes ist viel Zeit ins Land gegangen und die Gesetzesbegründung ersetzt nicht den Gesetzeswortlaut. Da der Wille im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden hat, ist der Einwand eher schwach.

Einheit von Zählen und Wählen?

Bemüht wird auch regelmäßig die notwendige Einheit von Zählen und Wählen (Wansleben, EWiR 15, 246; Seibt, aaO 914; Schmid, DK 15, 211). Da die Durchführung von Wahlen im Ausland nach den Wahlordnungen zum MitbestG wegen des Territorialitätsprinzips nicht in Frage kommt, scheide auch die Mitzählung aus. Diesen Einwand habe ich auch im Holding-Handbuch gelten lassen (Wackerbarth in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rn. 12.92). Doch wenn man genauer schaut, dann ist die Einheit von Zählen und Wählen zwar richtig, bedingt aber nicht den Ausschluss der ausländischen Arbeitnehmer: Das Territorialitätsprinzip hindert uns nicht daran, den ausländischen Arbeitnehmern Rechte zuzubilligen, es hindert uns nur an der zwingenden Durchführung der Wahlen im Ausland. Wenn jemand einen Wahlbrief nach Deutschland schicken will, so what? Praktische Schwierigkeiten sind nicht zu bestreiten, können aber immer überwunden werden und bilden daher kein zwingendes Gegenargument.

Mitbestimmungsrechtlicher Konzernbegriff kann abweichen

Richtig aber ebenfalls wenig zwingend ist, dass der mitbestimmungsrechtliche Konzernbegriff – entgegen nicht belegter Auffassung des LG Frankfurt in Rn. 15 des Urteils — sehr wohl vom gesellschaftsrechtlichen abweicht (so auch Schmid, DK 15, 211): Zentrales Beispiel ist die eindimensionale Holding, d.h. eine Mutter ohne eigenen Geschäftsbetrieb mit nur einer Tochtergesellschaft und sonst keinen Beteiligungen. Diese ist nicht Mutter im Sinne des Konzernrechts, weil es am unternehmerischen Interessenkonflikt fehlt, hingegen sehr wohl Mutter im Sinne der Konzernzurechnung nach § 5 des Mitbestimmungsgesetzes (siehe dazu etwa Wackerbarth aaO, Rn. 12.89). Außerdem kommt im Mitbestimmungsrecht die Rechtsfigur des sog. Konzerns im Konzern in Betracht, anders im Konzerngesellschaftsrecht (Wackerbarth, aaO Rn. 12.97 ff.). Aber das belegt nicht, dass die Auffassung des LG Frankfurt falsch ist, da ja diese Abweichungen nur daraus folgen, dass die Mitbestimmung der Ausübung von Leitungsmacht folgt und im Übrigen eben doch auf §§ 17 f. AktG abgestellt wird.

Gesellschaftsrechtlicher Konzernbegriff erfasst keine ausländischen Töchter

Die Begründung des LG Frankfurt überzeugt allerdings auch dann nicht, wenn man die Identität des mitbestimmungs- und des gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriffs unterstellte: Selbstverständlich ist das deutsche Konzernrecht nicht (!) auf ausländische Tochtergesellschaften anwendbar. Aus Sicht z.B. Frankreichs gehört eine franz. Tochter der Dt. Börse eben nicht gem. § 18 AktG zu einem (deutschen) Konzern sondern allenfalls nach französischem Recht (!) zu einem Internationalen Konzern. Aber auch aus deutscher Sicht wäre das – entgegen den unbelegten Behauptungen des LG Frankfurt in Rn. 15 des Urteils — nicht anders: Ob die französische Tochter gem. § 18 AktG mit zum Konzern gehört, wäre etwa für die Rechte eines Sonderprüfers der Dt. Börse AG gem. § 145 Abs. 3 AktG von Bedeutung. M.E. wäre es ein klarer Verstoß gegen das internationale Nichteinmischungsgebot (auch Territorialitätsprinzip genannt), wenn das deutsche Aktienrecht auch nur versuchte, dem Sonderprüfer eigene Rechte gegenüber einem französischen Verwaltungsrat zu geben (der im Übrigen naturgemäß auch in § 145 Abs. 2 AktG schon nicht erwähnt ist). Das aber wäre die Konsequenz, hätte das LG Frankfurt mit seiner Auffassung Recht. Auf die offizielle Reaktion Frankreichs dürfte man übrigens gespannt sein, würde es ebendieser Auffassung des LG Frankfurt gewahr.

Zweck der Unternehmensmitbestimmung ist arbeitsrechtlicher Natur

Entscheidend aber dürfte der auch vom LG Frankfurt bemühte Zweck der Unternehmensmitbestimmung sein. Diese dient dazu,

„die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern und die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen (vgl. BVerfG, NJW 1979, 699, 705)“

Insbesondere die soziale Legitimation und letztlich auch die Abmilderung der Unternehmensleitung durch Beteiligung der Arbeitnehmer bedeuten einen  Eingriff in die Funktionsfähigkeit der ausländischen Tochtergesellschaft, auch wenn rechtstechnisch nur der Aufsichtsrat einer deutschen Muttergesellschaft geändert würde. Wie unverfälscht kapitalistisch oder sozial abgemildert in Frankreich Unternehmen geführt werden, sollte nämlich eine französische Angelegenheit bleiben und Deutschland sich da lieber nicht einmischen. Um im bereits erwähnten Beispiel zu bleiben: Nur französisches Recht darf bestimmen, wie, wodurch und wie stark der Einfluss des Mehrheitsgesellschafters auf die französische Tochter und (mittelbar) auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer gemildert bzw. sozial legitimiert wird. Man stelle sich nur einmal vor, in Frankreich gäbe es eine Mitbestimmung in der Teilkonzernspitze entsprechend § 5 Abs. 3 MitbestG. Dann wären die Arbeitnehmer, die das LG Frankfurt nun mitzählen will, bereits in Frankreich gezählt und hätten dort einen mitbestimmten Aufsichtsrat gewählt!
Deutschland kann das zwar gleichwohl durch die Schaffung von international zwingendem Recht so vorsehen, aber dafür sollte man wegen der damit verbundenen Einmischung in fremde Rechte eben auch eine ausdrückliche Entscheidung des deutschen Gesetzgebers verlangen. Durch Auslegung im Rahmen eines Urteils ist das richtigerweise nicht zu erreichen.

Die Abschaffung des BetrAVG für Konzerne oder: Blauer Himmel über Erfurt

27. April 2015

 

von Ulrich Wackerbarth

BlauBis auf das BVerfG, das ja bekanntlich nicht zur Super-Revisionsinstanz verkommen will, schwebt über dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt keine fachgerichtliche Kontrolle mehr. Entscheidungen des Gerichts treffen dann insbesondere solche (ehemaligen) Arbeitnehmer besonders hart, die sich als Betriebsrentner nicht mehr wehren können, wenn das Gericht sie ihrer Existenzgrundlage oder jedenfalls eines Teils derselben beraubt.

1. Die Entscheidung

Einen solchen Raubzug hat der 3. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 20.5.2014, Az. 3 AZR 1094/12 (NZA 2015, 228) unternommen. Zugrunde lag ein einfacher Fall: Die eine Betriebsrente zahlende Gesellschaft war pleite. Für solche Fälle sieht das Gesetz zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) vor, dass der Pensionssicherungsverein (PSV aG) einspringt und die Rente weiterzahlt. Dieser jedoch lehnte ab und zwar mit einer bemerkenswerten Begründung: Es handele sich gar nicht um eine Betriebsrente. Denn der Arbeitgeber sei gar kein Arbeitgeber gewesen. Zwar war der „Betriebsrentner“ in den 60er Jahren für kurze Zeit bei der Pleite-Gesellschaft beschäftigt. Aber im Zeitpunkt der Zusage der Altersversorgung (1974) war er – wie von Anfang an geplant – längst zu einer 100%igen Tochtergesellschaft nach Nigeria gegangen und dort geblieben. Diese Tochter, so der PSV und nun auch der 3. Senat des BAG, sei die Arbeitgeberin gewesen, nicht hingegen die insolvente Muttergesellschaft, die aber die Versorgung zugesagt und dann auch bezahlt hatte. Die Zusage der Betriebsrente sei nicht im Sinne von § 1 BetrAVG „vom Arbeitgeber“ erfolgt, ergo hafte der PSV aG nicht.

2. Weitreichende Konsequenzen

Betrachtet man die Folgen dieser Rechtsprechung, wird schnell klar: Wenn es sich bei Zusagen einer Konzernmutter nicht mehr um Betriebliche Altersversorgung handelt, dann gilt das ganze BetrAVG nicht! Im Konzern kann die Konzernmutter künftig konzernweit Versorgungszusagen erteilen, ohne die Regeln des BetrAVG beachten zu müssen. Die bloße Änderung der Organisationsform eines Unternehmens (Betriebsaufspaltung), ja die Gründung einer „Betriebsrentenzusagegesellschaft“ im Konzern genügt, um sich aller Fesseln des Gesetzes zu entledigen. Und das gilt bis an die nicht rechtssicher zu bestimmende Grenze des Rechtsmissbrauchs: Das BAG hat also im Konzern kurzerhand das BetrAVG durch § 242 bzw. § 138 BGB ersetzt. Praktiker überlegen schon, wie man das Urteil gewinnbringend ausnutzen kann, siehe etwa Diller/Beck, NZA 2015, 274 ff. Den einzelnen Arbeitnehmer muss man ja nicht darauf hinweisen, dass bestimmte Klauseln in den neuen Verträgen (z.B. Verfallbarkeitsregeln, keine Auskunftsanprüche, kein Recht auf Anpassung der Rente mehr) nur deshalb möglich sind, weil der Konzern vom BAG hier einen Freifahrtschein erhalten hat, die Beschäftigten scherzhaft in die Irre zu führen, um nicht schlimmere Ausdrücke zu verwenden.

3. Das Kind ist schon im Brunnen

Schon jetzt gilt: Zusagen, die im Wege von Konzernbetriebsvereinbarungen (KBV) zwischen Konzernleitung und Konzernbetriebsrat ausgehandelt wurden, sind nach dieser Entscheidung nicht mehr insolvenzgeschützt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die KBV ohne Beteiligung der abhängigen Gesellschaften und ohne Vollmacht durch diese ausgehandelt wurde. Denn die KBV mag unmittelbar und zwingend gelten, soviel sie will: es handelt sich zweifelsfrei um eine Zusage durch die Mutter, also einen Nicht-Arbeitgeber im Sinne der (neuen) Rechtsprechung des BAG. Möglicherweise sind also schon heute hunderttausende Betriebsrentner von der Entscheidung betroffen und wissen es nur noch nicht. Selbst wenn in der KBV eine Vollmacht durch die konzernangehörigen Unternehmen behauptet wird: Nichts hindert den PSV, noch Jahre nach dem Abschluss den Nachweis dieser Vollmacht zu verlangen, wenn die Mutter pleite ist. Dem Arbeitnehmer wird dieser Nachweis wohl kaum gelingen. Und doch trägt er nach allgemeinen Regeln die Beweislast für ebendiese Vollmacht, weil er sich gegenüber dem PSV auf § 1 BetrAVG beruft. Das könnte noch eine ganze Menge wenig lustiger, aber für die Arbeitnehmer existenzbedrohender Verfahren nach sich ziehen.

4. Wer ist Arbeitgeber im Sinne des BetrAVG?

Allein die Eigenschaft, Mutterunternehmen eines Konzerns zu sein, macht eine Gesellschaft noch nicht zum Arbeitgeber aller Beschäftigten im Konzern. Das schließt jedoch andererseits das Bestehen mehrfacher Arbeitsverhältnisse im Konzern nicht aus. Die Muttergesellschaft kann zusätzlich zum Vertragsarbeitgeber bestimmte Funktionen übernehmen und insoweit als (zweite) Arbeitgeberin auftreten und arbeitsrechtlich handeln.

Zum Begriff des Arbeitgebers im Sinne des § 1 BetrAVG hat das BAG in zwei Entscheidungen von 1985 und 1988 (BAG v. 6.8.1985 – 3 AZR 185/83 und 25.10.1988 – 3 AZR 64/87) gesagt: Bei Führung der Tochter durch die Mutter, also bei zentralistischer Konzernleitung bestehe im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Eingriffe durch die Mutter ein „Restarbeitsverhältnis“ zwischen Mutter und Tochterarbeitnehmer, das es rechtfertige, die Mutter als Arbeitgeber im Sinne von § 1 BetrAVG zu behandeln. Auch in der aktuellen Entscheidung war diese zentralistische Leitung behauptet worden, das BAG erklärt sie nun für irrelevant.

Dass im Konzern nicht einfach an die juristische Person des Vertragsarbeitgebers angeknüpft werden darf, zeigt aber auch die Rechtsprechung des BAG zur Insolvenzsicherung vertraglich unverfallbarer Anwartschaften. Wechselt ein Arbeitnehmer nach 3 Jahren von der Mutter zur Tochter und wird ihm diese Zeit bei der Altersversorgung vertraglich angerechnet, so hält das BAG die Altersversorgung nach Ablauf von weiteren 2 Jahren bei der Tochter für insolvenzgeschützt, obwohl der Arbeitnehmer bei der Tochter als dem (jetzt) maßgeblichen Arbeitgeber noch keine 5 Jahre voll hat (vgl. 7 Abs. 2 iVm. § 1b Abs. 1 BetrAVG), so etwa BAG v. 11.1.1983 – 3 AZR 212/80 (der Insovlenzschutz scheiterte im konkreten Fall an anderen Dingen).

Ganz offensichtlich betrachtete der 3. Senat die Mutter in allen diesen Entscheidungen also auch nach dem Wechsel zur Tochter weiterhin als Arbeitgeber im Sinne des BetrAVG. Warum er jetzt von dieser Rechtsprechung abweicht, sagt er nicht, sondern zieht sich auf eine formaljuristische Position zurück. Im angelsächsichen Recht wäre eine solche Änderung nicht ohne eine ausführliche Auseinandersetzung mit den früheren Erwägungen möglich. Und ob dem 3. Senat die Konsequenzen überhaupt klar sind, wird in der Entscheidung auch nicht deutlich.

5. Konzernvertrauen

Nicht geprüft hat das BAG in der jetzigen Entscheidung ferner den hier einschlägigen Gesichtspunkt des Konzernvertrauens. Erweckt die Mutter durch die Zusage einer Altersversorgung gegenüber dem Arbeitnehmer den Eindruck, ein „Konzernarbeitgeber“ habe die Zusage erteilt, und verlässt sich vor diesem Hintergrund der Arbeitnehmer darauf, eine Betriebliche Altersversorgung durch „den Konzern“ zu bekommen, so genügt das richtigerweise für die Einordnung als Betriebsrente im Sinne des Gesetzes. Und das löst dann auch die Einstandspflicht des PSV aG aus. Dass er an alledem „nicht beteiligt“ sei und ihm solches daher nicht entgegengehalten werden könnte (so sinngemäß Diller/Beck, NZA 2015, 274, 275), stellt hingegen keine Argument dar. Die Zahlungspflicht des PSV ist auch sonst an den Abschluss eines Vertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebunden, an dem der PSV nicht beteiligt ist.

6. Keine Flucht aus dem Arbeitsrecht!

Richtigerweise sollte noch darüber hinaus im Konzern den beteiligten Unternehmen auch dann keine Chance gegeben werden, den Regeln des BetrAVG zu entfliehen, wenn sie ausdrücklich bestimmte Leistungen nicht als Betriebsrente bezeichnen und auch dann, wenn der fragliche Arbeitnehmer der Tochter zuvor überhaupt nicht bei der Mutter beschäftigt war: Sagt die Mutter Leistungen der Altersversorgung an Arbeitnehmer des Konzerns wegen ihrer Beschäftigung in einem Konzernunternehmen zu, so kommt bei zutreffender Auslegung durch die Zusage das notwendige Rest-Arbeitsverhältnis im Sinne des BetrAVG mit der Mutter zustande.

7. Fazit:

Der 3. Senat des BAG

– weicht ohne Not und ohne Sachargumente und ohne auch nur den Versuch einer Auseinandersetzung von früherer Rechtsprechung ab,

– berücksichtigt nicht die weitreichenden Konsequenzen für den Insolvenzschutz bestehender Anwartschaften und Versorgungen wie überhaupt die Folgen dieser Entscheidung

– leistet der Täuschung von Arbeitnehmern Vorschub, die bei Konzernzusagen nicht im Geringsten damit rechnen, es handele sich in Wahrheit nicht um eine Betriebsrente im Sinne des Gesetzes,

– ermöglicht Konzernen, sich aus dem gesamten BetrAVG zu verabschieden, wenn sie einfach keine Lust mehr darauf haben.

Nazis verantwortlich für fehlende Aktienkultur in Deutschland?!

11. März 2015

 

von Ulrich Wackerbarth

DSCN2133_01aBurhop, Chambers und Cheffins behaupten in Ihrem Working Paper mit dem Titel „Law, Politics and the Rise and Fall of German Stock Market Development, 1870-1938“ (Download hier), dass in erster, jedenfalls in einer besonders wichtigen Linie die mangelnde Aktienkultur in Deutschland nicht durch Risikoscheu der Deutschen zu erklären ist, sondern durch die Indienstnahme der Unternehmen für die Kriegsvorbereitungen der Nazis. Diese und die sie begleitenden Regeln stellten eine wesentliche – auch heute noch nachwirkende – Ursache dar. Dazu zeichnen die Autoren umfassend die historische Entwicklung der IPO-Aktivität in Deutschland von 1870 bis 1938 nach. Offenbar gab es zu dieser Untersuchung u.a. einige deutsche Vorarbeiten, etwa von B. Mertens, ZNR 2007, 88 ff. („Das Aktiengesetz von 1937 – unpolitischer Schlussstein oder ideologischer Neuanfang?“), einen Beitrag, den ich leider bislang verpasst habe.
Bevor man die Erklärungsansätze der Verf. sogleich in Bausch und Bogen verwirft, schaue man sich die Untersuchung genauer an. Sehr spannend und landläufiger Meinung entgegenlaufend stellen die Autoren dar, dass in Deutschland bis 1920 und noch danach trotz teilweise wenig schöner Rahmenbedingungen die Aktienkultur sogar ausgeprägter war als in den Vereinigten Staaten. In 1913 gab es mit 28 börsennotierten Aktiengesellschaften pro 1 Mio. Einwohner drei (!) mal mehr Gesellschaften je Mio. Einwohner als in den Vereinigten Staaten (aaO. S. 3). Heutzutage kann man sich das überhaupt nicht vorstellen (das Verhältnis hatte sich 1990 mit 6.5 in Deutschland und 26 in den Staaten gerade umgedreht).
Ich höre immer wieder, die Deutschen gingen das mit einem Aktieninvestment verbundene unternehmerische Risiko nur ungern ein und betrachteten die Börsen als anrüchig (Nachweise z.B. hier und hier).  Doch selbst die obrigkeitshörigen Deutschen des Kaiserreichs haben Aktien gekauft und waren offenbar risikobereiter als uns viele weismachen wollen. Nach Burhop/Chambers/Cheffins haben einige Reformen am Ende des 19. Jahrhunderts (etwa die Vorschriften zur Kapitalaufbringung des ADHGB sowie die Einführung der Prospekthaftung durch das BörsG, siehe aaO. S. 19 f.) die Zahl der Emissionen sogar deutlich gefördert. Selbst die Hyperinflation in den 1920er Jahren konnte der Aktienkultur nichts anhaben. Die Wende kam dann in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Reformen durch die Nazis, nachgerade Transaktionssteuern, Verbot von Termingeschäften (beides auch heute wieder aktuell, übrigens) und faktische Emissionssperren (Genehmigungspflicht, die praktisch nur noch für die Rüstungsindustrie durchlässig war) sorgten für eine Austrocknung der Kapitalmärkte (aaO. S. 32 f.; siehe auch dieser Artikel hier).
All das gipfelte im Aktiengesetz von 1937, von dem ich bislang immer dachte, es sei – bis auf Einzelheiten, die eher die Wortwahl als den sachlichen Inhalt betrafen – lediglich eine Vollendung von schon in den 1920er Jahren begonnenen und ideologisch unverdächtigen Reformbestrebungen. Dem war aber möglicherweise nicht so; ich hoffe, der erwähnte Aufsatz von B. Mertens gibt insoweit näher Aufschluss. Ein zentrales Thema dieses AktG 1937 war jedenfalls der Machtwechsel von den Aktionären zum Vorstand (dass er die Gesellschaft „in eigener Verantwortung leitet“, steht auch heute noch in § 76 AktG). Darüber hinaus verloren die Aktionäre das Recht, über die Dividendenpolitik und die Abberufung von Vorstandsmitgliedern zu entscheiden. Nach den Autoren lässt sich die gesamte relevante NS-Politik damit zusammenfassen, sie habe einen Keil zwischen die Aktionäre und ihre Gesellschaft treiben wollen und damit auch Erfolg gehabt (aaO. S. 34 f.). Von diesem Schlag habe sich der Aktienmarkt in Deutschland letztlich nicht wieder erholt.
Insgesamt liest sich die Analyse sehr überzeugend. Sie bestätigt die These, dass „law matters“ und Investorschutz – obschon bei den Unternehmen unbeliebt – der Wirtschaft insgesamt helfen kann. Außerdem räumt sie mit dem Vorurteil auf, die Deutschen seien für die Aktie nicht gemacht. Ich möchte allenfalls ein kleines „Aber“ setzen, das den Tenor des Artikels ergänzen soll. Das Beschneiden der Rechte der Aktionäre, insbesondere auch durch das AktG von 1937, hat nicht dazu geführt, dass die Aktionäre tatsächlich keine Kontrolle über die Aktiengesellschaft mehr haben. Es hat letztlich nur zu einem (für die Kapitalmärkte freilich tödlichen) Ungleichgewicht zwischen Aktionären geführt: Wer die Mehrheit hat, hat das Sagen in deutschen Aktiengesellschaften – und zwar vollständig. 30 % oder gar weniger genügen für eine ständige Hauptversammlungspräsenz und die Bestellung sämtlicher Mitglieder des Aufsichtsrats. Der Vorstand wird dann trotz § 76 AktG zur Marionette des Mehrheitsaktionärs. Diese Macht „ersetzt“ die im deutschen Recht tatsächlich unzureichenden formalen Aktionärsrechte. Diese Herrschaft ermöglicht das Betrügen und Ausbeuten der übrigen Aktionäre. Entscheidend für den (relativen) Niedergang des deutschen Kapitalmarktes war also nicht die Entrechtung der Aktionäre an sich. Vielmehr wurde und wird die Balance zwischen den Aktionären (zwischen Mehrheit und Minderheit) nicht gewährleistet. Und das schreckt auch heute noch die meisten Deutschen vom Kauf von Aktien ab. Wie sehr dies mit der NS-Zeit verbunden ist, macht der lesenswerte Beitrag klar.

Warum Rückzahlungsansprüche kein Entgelt sind

21. Februar 2015

 

von Ulrich Wackerbarth

IMG_3901[2]Ein wahres Argumentationsfeuerwerk startet Junglas in der aktuellen NJOZ 2015, 241 unter dem Titel: „Darlehensrückzahlungsforderungen als Entgeltforderungen iSd § 288 II BGB?“ Junglas ist der Auffassung, dass auch Ansprüche auf die Rückzahlung von Darlehensbeträgen Entgeltforderungen im Sinne der Zahlungsverzugsrichtlinien und damit des § 288 Abs. 2 BGB sind und sie daher im Verzugsfalle mit 9 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen seien.

Im Wesentlichen will Junglas die Richtigkeit seiner Auffassung daraus herleiten, dass der Darlehensrückzahlungsforderung die Hingabe des Darlehens gegenübersteht und ersterer also das Äquivalent des letzteren ist und also entgeltlich sei. Bei seinen Darlegungen handelt es sich indessen um eine ganze Reihe von Scheinargumenten, die das von Junglas gerne Gewollte in keiner Weise tragen.

 

1. Leistung und Gegenleistung beim Darlehensvertrag

Die Argumentationsreihe leidet gleich zu Beginn an einer Verkennung der Leistung des Darlehensgebers: Junglas meint,

wenn die Dienstleistung in der Darlehensgewährung liegt, muss das Entgelt für diese in der Rückzahlung des Darlehens und Zahlung des Vertragszinses gesehen werden

Tja: wenn das Wörtchen wenn nicht wäre… Junglas beschreibt die vergütete Leistung des Darlehensgebers indessen verkehrt. Sie besteht eben nicht im Vorgang der Übereignung der Geldmittel selbst, sondern in der damit nur ermöglichten Überlassung der Valuta auf Zeit. Nur dieses „zur-Verfügung-Stellen“ wird auch nach dem Gesetzeswortlaut des § 488 BGB geschuldet. Die Übereignung der Mittel ist lediglich eine Hilfsleistung, die das geschuldete zur-Verfügung-Stellen über einen bestimmten Zeitraum erst ermöglicht.

 

2. Hin- und Rückzahlung sind kein Entgelt für einander

Soweit Junglas die Rückzahlung gleichwohl als Ausgleich der bloßen Mittel-Hingabe und deshalb als Entgelt ansieht, verkennt er: Das Rückgängig-Machen einer Leistung ist keine entgeltende zweite Leistung, sondern eben nur das Beseitigen der Leistung. Der Anspruch auf Rückgängigmachung einer Leistung ist gerichtet auf die Wiederherstellung des status quo ante und damit kein Entgelt für den Anspruch auf Leistung.

Aus dem gleichen Grunde abzulehnen ist die Behauptung von Junglas, über eine bloß konditionale Verknüpfung hinaus sei für die Annahme einer Entgeltlichkeit zweier Leistungen nichts erforderlich (aaO S. 243 unter c). Erforderlich ist nämlich gerade zusätzlich, dass die zweite Leistung über die bloße Rückgabe der ersten hinausgeht, also tatsächlich zwei Leistungen vorliegen, die nach dem Parteiwillen einander vergüten sollen.

Geradezu frech ist es, wenn sich Junglas zur Stützung seiner Auffassung mehrfach auf den Beitrag von Ernst in der FS Picker aus dem Jahr 2010 beruft. Dort hat sich Ernst nämlich sehr eindeutig zum fehlenden Entgeltcharakter einer Hin- und Rückleistung geäußert (FS Picker, S. 148 f., vgl. zum Darlehen auch S. 151), was Junglas einfach verschweigt.

Falsch ist es auch, wenn Junglas meint (aaO 244 unter i), die h.M. sehe in der Hingabe des Darlehens eine im Synallagma stehende Entgeltforderung, die bei Verzug mit 9% über Basis zu verzinsen sei. Die in Fn. 47 von Junglas Zitierten sind demgegenüber sämtlich der Meinung, dass nicht die Hingabe, sondern das „zur-Verfügung-Stellen“ des Geldes die synallagmatische Gegenleistung sei. Die von Junglas behauptete Widerspruch (Darlehensauszahlung sei nach hM. Entgeltforderung, die Rückzahlung aber nicht) besteht also nicht.

 

3. Zweck der Zahlungsverzugsrichtlinen?

Die Zwecke der zugrundeliegenden Zahlungsverzugsrichtlinien (2000/35/EG und 2011/7/EU) sprechen entgegen Junglas (aaO 243 f. unter h) nicht für, sondern gegen seine Auffassung. Denn Liquidität und Wettbewerb werden nicht gefördert, sondern behindert, wenn man den Verzug mit Geld-Rückforderungsansprüchen durch besonders hohe Zinsen bestraft: Zwar mag es allgemein die Liquidität von Unternehmen fördern, wenn man den Austausch von Leistungen (und damit die richtige Allokation von Gütern) fördert. Und dies kann man (wenn auch bloß marginal) tun, indem man die Rechtzeitigkeit der Bezahlung von Leistungen belohnt und Verspätungen verteuert. Leistungsaustausch wird aber nicht gefördert, wenn man Geld-Rückforderungsansprüche beschleunigt. Denn der dadurch gewonnenen Liquidität des Gläubigers steht stets die verlorene Liquidität des Schuldners gegenüber.

Junglas meint in diesem Zusammenhang ferner, auch ein Verkäufer mache nur mit einem Teil des Kaufpreises Gewinn, der Rest seien Kosten der Kaufsache. Die h.M. behandele den Darlehensgeber so, als wenn man dem Verkäufer beim Verzug mit einer Kaufpreisforderung den erhöhten Zinssatz nur auf den Gewinnteil der Kaufpreisforderung zugestehe. Dabei verkennt Junglas, dass die Leistung eines Verkäufers eben gerade darin besteht, den verkauften Gegenstand endgültig an den Käufer zu entäußern und dort zu belassen. Der Kaufpreis stellt eine einheitliche Gegenleistung für diese Leistung dar und ist eben nicht teilweise eine „Rückerstattung“ der Kosten des Verkäufers. Im Übrigen werden auch beim Darlehen mit dem Zins teilweise Kosten des Darlehensgebers entgolten, ohne dass man die Zinsen in einen Erstattungs- und einen Gewinnteil aufteilt.

 

4. Unhaltbare Konsequenzen

Folgte man Junglas, so müsste man annehmen, dass sämtliche gesetzlichen Rückgabepflichten entgeltlich sind. Sobald sie z.B. durch § 346 Abs. 2 BGB oder § 818 BGB in eine Geldforderung umgewandelt werden, sind sie nach dieser Logik „Entgeltforderungen“ im Sinne von § 288 BGB. Das alles hätte also Konsequenzen, die so weder vom Gesetzgeber gewollt noch von Junglas angesprochen werden und – so vermute ich einfach mal frech – von ihm auch nicht bedacht wurden.

Inkompetente (Mehrheits-)Gesellschafter und feige Geschäftsführer in der GmbH

27. Januar 2015

von Ulrich Wackerbarth

IMG_3281aZwei Stellungnahmen zum Urteil des OLG München v. 14.8.2014, nämlich von Hennrichs, NZG 2015, 41 ff. und Cahn, GmbHR 2015, 67 ff. fordern Widerspruch heraus.

Zugrunde lag ein Fall, in dem ? stark vereinfacht ? ein GmbH-Geschäftsführer seine Gesellschafterversammlung um Zustimmung zu bestimmten von ihm beabsichtigten Maßnahmen der Geschäftsführung bat. Nachdem sich die Mehrheitsgesellschafterin zierte, setzte ein Minderheitsgesellschafter die Zustimmungsbeschlüsse gem. § 50 Abs. 2 GmbHG auf die Tagesordnung. Gleichwohl lehnte die Mehrheitsgesellschafterin es in einigen Fällen ab, zuzustimmen. Dies nicht etwa weil sie inhaltlich etwas gegen die Maßnahmen hatte, sondern weil sie die mit einer Zustimmung verbundene Haftungsfreistellung des Geschäftsführers nicht wollte. Zu Unrecht, so meinte das OLG.

Cahn und Hennrichs sind dagegen im Ergebnis der Auffassung, ein Geschäftsführer könne die Verantwortung für seine Geschäftsführung nicht einfach an die Gesellschafter der GmbH abgeben, indem er von ihnen einen Beschluss verlange. Und die Minderheitsgesellschafter sollen nach Cahn daran auch nichts ändern dürfen.

Beides halte ich für unrichtig, weil der Geschäftsführer letztlich nur in fremden Interesse seiner Gesellschafter handelt.

Die angeblich inkompetenten Gesellschafter

Hennrichs meint, die Gesellschafter hätten selbstverständlich ein berechtigtes Interesse daran, die gesetzliche Regel-Kompetenzordnung zu wahren, und die erlege nun einmal dem Geschäftsführer die „eigene Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung“ auf (NZG 2015, 41, 42).

Meines Erachtens ist das mit dem Prinzip der Letztverantwortung der Gesellschafter nicht vereinbar. Der Geschäftsführer ist Knecht der Gesellschafter. Sind diese sich einig, befiehlt ihm § 37 GmbHG, sich jedenfalls an gesetzeskonforme Weisungen zu halten. Ferner erlaubt das Gesetz dem Geschäftsführer sogar, wie sich aus § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG ergibt, sich an gesetzeswidrige Weisungen zu halten. Das gilt jedenfalls, solange keine Spezialvorschrift ihm persönlich ein Verbot auferlegt. Verbote, die nur die GmbH treffen, kann er also auf Weisung seiner Gesellschafter außer Acht lassen. Beispielsweise könnten ihn die Gesellschafter verbindlich anweisen, die Erfüllung eines Vertrages zu verweigern, wenn ihnen dies tunlich erscheint.

Mit diesem umfassenden Weisungsrecht der Gesellschafter untrennbar einher geht zunächst selbstverständlich die Verantwortung für die tatsächlich getroffenen Entscheidungen: Die Gesellschafter verzichten durch eine Weisung auf die Haftung des Geschäftsführers. Und selbst mit gesetzeswidrigen Befehlen verzichten sie auf die Haftung des Geschäftsführers (gegenüber der GmbH), wenn er die Weisung ausführt, obschon er nicht müsste.

Richtigerweise geht ihre Verantwortung aber noch darüber hinaus: Die GmbH ist keine Veranstaltung des Geschäftsführers, sondern der Gesellschafter. Diese, nicht der Geschäftsführer, haben sich zur Verfolgung des gemeinsamen Zwecks zusammengeschlossen. Daraus resultiert letztlich ihre Macht wie auch ihre Verantwortung. Sie können sich zwar zur Führung ihrer (!) Geschäfte eines Fremdgeschäftsführers bedienen. Das ändert aber nichts an ihrer Letztverantwortung. Bittet der Geschäftsführer um Zustimmung zu einer bestimmten Maßnahme, so können sie sich dieser Letztverantwortung nicht entziehen.

Die Aussage: „wir lassen Dir freie Hand und machen keine Vorgaben“ ist daher genauso mit einer Haftungsbefreiung verbunden, wie es die Zustimmung zur angefragten Maßnahme wäre. Die Aussage: „Mach, was du für richtig hältst, wir wollen aber nicht die Verantwortung“, wäre hingegen treuwidrig und eine spätere Inanspruchnahme des Geschäftsführers durch die Gesellschafter gem. § 242 BGB ausgeschlossen.

Minderheitenschutz?

Der Beitrag von Cahn kleidet seine Stellungnahme in die Frage ein, ob die Minderheitsgesellschafter einen Bescheidungsanspruch haben, wenn sie Gegenstände auf die Tagesordnung setzten. Das möchte er entgegen der h.M. und der Entscheidung des OLG München verneinen. Cahn begründet das damit, dass ansonsten der Minderheit zu viel Macht zukomme, insbesondere

„die Minderheit der Mehrheit gegen deren Willen eine Beteiligung an der Geschäftsführung bis hin zur Entscheidung unbedeutender Einzelheiten aufzwingen könnte (Cahn, GmbHR 2015, 67, 68).“

Und:

„Damit würde aber offensichtlich der wesentliche Zweck der nach Auffassung der Mehrheit maßgeblichen Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführern und Gesellschaftern verfehlt, die Gesellschafter von der Befassung mit laufenden Geschäftsführungsaufgaben zu entlasten und die Entscheidung einem Organ zu überantworten, in dem die Minderheit nicht über eine Vetomöglichkeit verfügt (Cahn, GmbHR 2015, 67, 71).“

Cahn wendet die Frage damit in eine solche des Schutzes der Mehrheit vor der Minderheit. Er unterstellt, dass es legitimer Zweck des Gesellschafterverhaltens sein kann, eine Geschäftsführungsmaßnahme aus der Verantwortung der Gesellschafter herauszuhalten und ist offenbar noch darüber hinaus der Auffassung, die Mehrheit dürfe auf diesem Wege legitimerweise Streit mit der Minderheit aus dem Wege gehen. Das ist abzulehnen. Nach § 50 Abs. 2 GmbHG kann die Mehrheit den fraglichen Punkt gerade nicht von der Tagesordnung absetzen (und der von Cahn in seinem Beitrag erdachte Ausweg, einen präjudiziellen Beschluss zu fassen, kommt aus den gleichen Gründen nicht in Betracht).

Die Grundregel des Gesellschaftsrechts (§ 705 BGB) verlangt von den Gesellschaftern: Zusammenarbeit. Dieser Grundregel darf sich auch eine institutionalisierte Mehrheit nicht entziehen. Es muss ja nicht ausführlich über jeden einzelnen Antrag der Minderheit geredet werden. Aber Nein oder Ja muss die Mehrheit schon sagen oder durch eine Enthaltung der Minderheit die Entscheidung überlassen. Das ist gerade der Witz an der Regel des § 50 Abs. 2 GmbHG. Der Bescheidungsanspruch der Minderheit geht bis an die Grenze des Rechtsmißbrauchs. Wenn eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Minderheit dann nicht gegeben ist, muss sie eben durch Auflösung der Gesellschaft beendet werden.

Wie geht man mit feigen Geschäftsführern um?

Um nicht missverstanden zu werden, ich möchte keineswegs feige Geschäftsführer schützen: Alles, wofür es keine ausreichende Konkretisierung gibt, tut der Geschäftsführer auch nach positiven Beschlüssen über Geschäftsführungsmaßnahmen auf eigene Verantwortung. Die Frage der konkreten Wirkung kann man aber nicht abstrakt, sondern nur im Einzelfall anhand des Kontextes und der Formulierung des Beschlusses klären. Im hier gegebenen Fall war eine Zustimmung zu offenbar klar genug beschriebenen Maßnahmen der Geschäftsführung verlangt. Die Mehrheitsgesellschafterin hatte ja „nichts dagegen“ und war also ausreichend informiert. Dann ist eine Enthaltung oder Ablehnung der Beschlussfassung insgesamt für mich im Ergebnis eine haftungsbefreiende Zustimmung.

Und: wenn der Geschäftsführer seine Gesellschafter nicht ausreichend informiert, ist eine Haftungsfreistellung ebenfalls abzulehnen. Auch die Frage, ob „full disclosure“ gegeben war, kann nur anhand des Einzelfalls beurteilt werden. Man sieht: Der Geschäftsführer kann seine Verantwortung im Ergebnis nicht so einfach abgeben.

In aller Regel wollen die Geschäftsführer ja eher freie Hand und keine Vorgaben. Fängt der Geschäftsführer nun aber tatsächlich an, sich ständig abzusichern, so kann das treuwidrig sein. Dann muss er abberufen und entlassen werden – für feige Organe ist in der Geschäftsführung kein Platz. Über die Ablehnung der Verantwortung durch die Gesellschafter, die sich den feigen Geschäftsführer ja zunächst durch Bestellung selbst ausgesucht haben, erreicht man dies hingegen nicht.

Fazit:

Die Stellungnahmen von Cahn und Hennrichs ermöglichen den Gesellschaftern das Abschieben von Verantwortung nach unten, an einen Fremdgeschäftsführer, der dann sozusagen als Haftungsknecht eingekauft wird. Das sollten Gerichte unter keinen Umständen mitmachen.

Im Fall kam auf fast allen Seiten der Wunsch zum Ausdruck, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben. Am liebsten wäre es vermutlich allen, die Verantwortung für die Entscheidungen ins Nirwana abzuschieben. Dieses Bestreben durchzieht die gesamte Wirtschaft. Das Gesellschaftsrecht sollte dies nicht hinnehmen.

Ein Akt richterlicher Willkür: Die Abschaffung des Übernahmerechts durch die Hintertür

17. Dezember 2014

von Ulrich Wackerbarth

IMG_3009cDer zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofs urteilt seit jeher unternehmensfreundlich und privilegiert Groß- und Mehrheitsaktionäre gegenüber Kleinanlegern. Damit trägt er dazu bei, dass in Deutschland kaum jemand Aktien kauft. Nun aber hat er es eindeutig übertrieben und in mehreren Entscheidungen die zentralen Regeln des deutschen Übernahmerechts bei Paketgeschäften praktisch abgeschafft.

1. Pflichtangebot und Vorerwerbsregel

Nach dem Wertpapiererwerbs und Übernahmegesetz (WpÜG) muss der Käufer eines Aktienpakets den übrigen Aktionären einer Gesellschaft ein Angebot zum Abkauf ihrer Aktien machen, wenn er mehr als 30% der Stimmrechte erworben hat (sog. Pflichtangebot). Und er muss dafür mindestens den (höchsten) Betrag je Aktie zahlen, den er in einem Zeitfenster von 6 Monaten vor dem Angebot gezahlt hat (sog. Vorerwerbsregel). Damit sollen letztlich die übrigen Aktionäre mit dem Verkäufer des Aktienpakets gleichgestellt werden. Diese Regel war im Gesetzgebungsverfahren lange umstritten, ist aber nun einmal Gesetz geworden. Genau diesen zentralen Regeln hat der BGH jetzt alle Zähne gezogen.

2. Abschaffung der Sanktionen eines unterlassenen Pflichtangebots

Zunächst hat er im vergangenen Jahr in der BKN-Entscheidung die vom Gesetzgeber zur Absicherung der Angebotspflicht in das Gesetz eingefügten Zahlungsansprüche (§ 38 WpÜG) den Aktionären mit einer hanebüchenen und gesetzeswortlautwidrigen Begründung aus der Hand geschlagen (näher hier unter 2.). Übrig blieb neben behördlichen Maßnahmen noch eine einzige Sanktion: Der Rechtsverlust nach § 59 WpÜG, wodurch der Kontrollinhaber, wenn er seiner Angebotspflicht nicht nachkommt, sämtliche Rechte aus den von ihm gehaltenen Aktien verliert. Die Aktionäre sollten also spätere Hauptversammlungs-Entscheidungen anfechten können, die auf den Stimmen des neuen Kontrollinhabers beruhen. Ein Angebot haben sie dann aber noch immer nicht in den Händen (siehe hier unter 2 c).

Aber mit dieser dysfunktionalen Sanktion noch nicht genug, es kommt noch besser. Als nun bei einer Gesellschaft tatsächlich eine Anfechtungsklage gegen einen Dividendenbeschluss erhoben wurde, weil ein Großaktionär angeblich ein Pflichtangebot unterlassen hatte, hat der BGH im April 2014 dieses Ansinnen mit der Begründung zurückgewiesen, die Hauptversammlung entscheide gar nicht darüber, ob der Großaktionär (auch) eine Dividende erhalte (sondern nur über den Gesamtbetrag der Dividende). Zu einer Überprüfung der Angebotspflicht nach dem WpÜG kam es in diesem Fall dann nicht, weil auch ohne die Stimmen des fraglichen Aktionärs eine Dividende beschlossen worden wäre. Damit ist auch die letzte privatrechtliche Sanktion gegen ein unterlassenes Pflichtangebot praktisch beseitigt. Der Kontrollinhaber kann sich beruhigt zurücklehnen, denn es ist –jedenfalls bei nicht ganz offensichtlichen Verstößen – praktisch ausgeschlossen, dass der Vorstand ihm die Dividende verweigert. Eine Anfechtung kann trotz der Anordnung des vollständigen Rechtsverlustes in § 59 WpÜG erst dann erfolgreich sein, wenn es auf die Stimmen des Großaktionärs tatsächlich ankommt.

3. Abschaffung der Mindestpreisregel

Und schließlich hat der zweite Senat Ende Juli 2014 auch die Vorerwerbsregel in seiner Entscheidung zur Postbankübernahme praktisch abgeschafft. Er ermöglicht, was nach dem Gesetz gerade untersagt ist: Dass nämlich der Käufer dem Paketaktionär seine Anteile auch oberhalb von 30% abkauft, ohne den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft den gleichen Preis zahlen zu müssen. Dazu ist nach der Entscheidung lediglich erforderlich, dass zunächst ein beliebiger Preis vereinbart wird, sagen wir 10 Euro/Aktie, jedoch die Abwicklung dieses Geschäfts um etwas mehr als eineinhalb Jahre aufgeschoben wird. Nach einem halben Jahr kann der Käufer den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot zu einem Preis von z.B. 6 Euro machen. Auch wenn angesichts des Preises nur ganz wenige Aktien verkauft werden, genügt das, um sich aller weiteren Pflichten aus dem WpÜG zu entledigen. Nach einem weiteren Jahr kann der Paketverkauf dann vollzogen werden. Ergebnis: Der Paketverkäufer streicht die Kontrollprämie allein ein. Der Gesetzgeber hat das nicht gewollt, er wollte derartigen Umgehungen ausdrücklich vorbeugen. Ihm ist hier also kein Vorwurf zu machen, es sind allein die Richter des zweiten Senats, die dies verantworten.

4. Erwartbare Reaktionen in der Literatur

Nunmehr gibt es erste Reaktionen auf das Urteil, die allesamt entweder von Unverständnis oder einseitiger Interessenbindung zeugen. Zunächst zur interessegeleiteten Schreiberei: Drei Autoren geben unumwunden zu, dass der BGH die aufgezeigte Umgehungsmöglichkeit geschaffen hat, begrüßen dies indessen — als Anwälte von Großkanzleien nicht weiter verwunderlich:

Paschos, DB 2014, 2276, 2277 (und fast wortgleich Krause, AG 2014, 833, 836) meint:

„Damit ist klar, dass Aktionäre der Zielgesellschaft regelmäßig nicht an einem im Rahmen einer Option vereinbarten Premium partizipieren, sofern die Optionsvereinbarungen sechs Monate vor einem Übernahmeangebot abgeschlossen und erst ein Jahr nach Beendigung des Angebots i.S.v. § 23 Abs. 1 Sa tz 1 Nr. 2 WpÜG vollzogen wird.“

Diese Worte am Ende des Beitrags stehen für eine beliebte Haltung von Unternehmensvertretern: „Ich kann mit jeder anlegerschützenden Regel gut leben, solange sie nicht für mich gilt. Denn ich weiß, wie ich sie umgehen kann.“

Von Falkenhausen NZG 2014, 1368, 1369 meint zur Begründung, die Pflichtangebotsregelung sei ja auch ein „problematisches Institut“ (mit anderen Worten: wenn die gesetzliche Regelung non placet, darf der Richter sie beseitigen). Im Weiteren legt er dar, warum die börsliche Bewertung das einzig wahre sei (und übergeht damit das Gesetz, das eben nicht nur den Börsenkurs, sondern auch die Bewertung der Aktie durch ein Paketgeschäft als mindestpreisbestimmend ansieht). Seine Worte am Schluss beweisen vor diesem Hintergrund – entgegen ihrer Absicht -, dass hier das WpÜG umgangen und nicht etwa vermieden wurde.

„Deswegen ist es nicht missbräuchlich, wenn eine Transaktionsstruktur gewählt wurde, die es der Deutschen Bank erlaubte, ein Übernahmeangebot zu einem Preis zu vermeiden, der durch die Finanzkrise obsolet geworden war“

Drei andere Autoren nehmen das Gesetz nicht zur Kenntnis:

Löhdefink/Jaspers ZIP 2014, 2261, 2269, meinen, der Gesetzgeber habe sich nun einmal

„dafür entschieden, nur solche Preise für berücksichtigungsfähig zu erachten, deren Festlegung in den durch § 31 Abs. 1, 4 und 5 WpÜG (ggf. i.V. m. § 4 WpÜG-AngVO) bestimmten Zeitraum fallen.“

Das ist nachweisbar falsch: Erfolgte die Preisfestlegung zu einem beliebigen Zeitpunkt vor dem Beginn des Referenzzeitraums, liegt der Erwerb des Eigentums an den Aktien jedoch innerhalb des Referenzzeitraums, ist die beliebig lang (!) zurückliegende Festlegung nach Wortlaut des Gesetzes und allgemeiner Meinung ganz klar preisbestimmend.

Witt DStR 2014, 2132, 2134 meint (wie letztlich der BGH selbst in Rn 31 des Urteils),

„Denn würden § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG, § 4 S. 2 WpÜG-AngVO die zeitliche Streckung von der (schuldrechtlichen) Vereinbarung bis zu deren Vollzug erfassen, auch wenn beide Rechtsakte nicht innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Referenzzeitraums lägen, so wäre der Referenzzeitraum Makulatur.“

Auch hier zeigt das bereits zu Löhdefink/Jaspers genannte Gegenbeispiel, dass der Autor die Funktionsweise der Vorerwerbsregel nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Gesetz erfasst schon in seinem Standardanwendungsfall den aus Vereinbarung und Vollzug bestehenden Erwerb, erst Recht muss das im Rahmen einer Umgehungsverhinderungsvorschrift gelten. Hinzu kommt: Liegen Vereinbarung u n d Vollzug vor oder nach dem Referenzzeitraum, so liegt kein relevanter Vorerwerb vor. Warum also wird der Referenzzeitraum angeblich Makulatur, wenn man ihn auf Umgehungsgestaltungen wie die im Postbank-Fall anwendete? Eine Antwort auf diese Frage bleibt der Autor schuldig.

5. Fazit

Der bekannte us-amerikanische Rechtswissenschaftler Mark Roe hat einmal gesagt: „wheeler-dealers run rings around the civil judge“, was sinngemäß bedeutet: Mauschel-Geschäftemacher stecken den kontinentaleuropäischen Richter in den Sack und holen ihn wieder heraus, ohne dass er es merkt. Ich habe das noch 2005 in einem Aufsatz für eine Übertreibung gehalten. Mittlerweile bin ich ebenfalls der Auffassung, dass der II. Senat des BGH vollkommen überfordert ist, wenn es um Fragen des Anlegerschutzes, erst Recht um Fragen des Übernahmerechts geht. Angesichts der Stellungnahmen zur Postbankentscheidung habe ich nun auch eine klare Vorstellung davon, wen Roe mit den „wheeler-dealers“ gemeint hat.

AGB zwischen Unternehmen – wie mutlos sind Politik und Richter?

23. November 2014

 

von Ulrich Wackerbarth

AGBEin subjektiver Tagungsbericht vom Osnabrücker AGB – Forum. Vorgestern fand unter reger Beteiligung von Wissenschaft und Praxis (ca. 130 Teilnehmer) eine spannende Tagung am OSCAR statt. Lars Leuschner hat – zusammen mit Frederik Meyer – im Auftrag des BMJ eine rechtstatsächliche Studie zur Vertragsabschlusspraxis deutscher Unternehmen erstellt, die er freilich nicht vorstellen durfte – das BMJ hatte es verboten. Das steigert natürlich die Neugier auf die Ergebnisse nur noch. Am Ende des Artikels komme ich darauf zurück.

1. Der Befund

Viele Unternehmen – und die meisten von ihnen waren auf der Tagung wohl vertreten – beklagen sich darüber, dass die Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr weit ausgreift und dort bestimmte Verträge, für die in der Praxis ein Bedarf besteht, unmöglich macht. Zwei besonders greifbare Beispiele dafür sind die Bring or Pay – Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2012 sowie das Verbot von summenmäßigen Haftungsbeschränkungen in AGB auch im Verkehr unter Kaufleuten.

Opposition gegen den Befund war kaum zu vernehmen (ich glaube Herr Leuschner meinte, diese seien auf der Tagung nicht anwesend, weil sie dann doch lieber nach Berlin schauten als nach Osnabrück). Die Gegner jedweder Eingriffe in das AGB-Recht (vor allem Mittelstandsvereinigungen siehe z.B. hier), die in der Tat auf der Tagung allenfalls sehr leise zu vernehmen waren, sind der Auffassung, alles solle bleiben wie es ist. Zum einen: man könne die fraglichen Klauseln ja individuell aushandeln. Und zum anderen müsste der Mittelstand vor mächtigen Unternehmen geschützt werden, die sonst unfaire Klauseln durchsetzen könnten. Das sind, wenn ich die neueste Pressemitteilung richtig gelesen habe, übrigens die einzigen Argumente.

Beide treffen freilich nicht zu. Die Anforderungen des BGH an ein Aushandeln sind zu hoch und praktisch nicht zu erfüllen, wie schon der 69. DJT bemängelt hat. Und wenn es um Schutz vor Marktmacht geht, ist die Klauselkontrolle der falsche Ansatzpunkt, da diese eben nicht ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern im Auge hat, sondern den Überrumpelungseffekt durch die Vorformulierung.

2. Inhaltskontrolle aus anderen Perspektiven

a) Verfassungsrecht

Jedenfalls begann die Tagung mit sehr interessanten Vorträgen, die den Blick über den Tellerrand ermöglichten. Matthias Cornils aus Mainz hielt einen launigen Vortrag über den Blick des Verfassungsrechts auf die Privatautonomie bzw. die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Inhaltskontrolle. Durch die Bürgschafts- und Handelsvertreter-Entscheidungen hatte sich das BVerfG ja in den 1990er Jahren den Vorwurf einer zu weitgehenden Materialisierung des liberalen Vertragsverständnisses des BGB eingehandelt. Ein paar Seitenhiebe konnte sich Cornils daher nicht verkneifen, so gebe es etwa auch unter den Zivilrechtlern einige, die über die paternalistischen Eingriffe durch das BVerfG noch deutlich hinausgehen und noch viel mehr kontrollieren wollten – und zitiert dafür die oben schon genannte Rechtsprechung des VII. Senats. Diese ist in der Tat kaum zu verstehen:

In der Bring or Pay – Entscheidung hat er nämlich die Wirksamkeit von AGB verneint, durch die ein Lieferant von Gewerbeabfällen gegenüber dem Betreiber einer Müllverbrennungsanlage verpflichtet wurde, das vereinbarte Entgelt auch bei Nichtlieferung der festgelegten Abfallmengen zu entrichten. Das benachteilige den Abfalllieferanten entgegen § 307 BGB unangemessen. Damit kippt der BGH ein ganzes Geschäftsmodell mit einer hanebüchenen Begründung: Mit der gleichen Argumentation dürften dann z.B. Strompakete nicht mehr verkauft werden, bei denen man als Verbraucher 4.000 kwh Strom kauft und das Paket auch dann bezahlen muss, wenn man nur 3.800 kwh im Jahr verbraucht hat. Ich bin gespannt, wann der erste Verbaucher klagt und Recht bekommt.

Richtig spannend wurde es, als Cornils einige Entscheidungen des BVerfG aus den 2000er Jahren vorstellte. Am interessantesten war hier vielleicht BVerfGK 4, 144, in der das BVerfG das „Aushandeln-„-Verständnis des BGH zentral angreift. Ein Zahnarzthonorar war dem OLG Hamm zu hoch und angeblich nicht ausgehandelt worden. Anders das BVerfG: Aushandeln bedeute gerade nicht feilschen. Auch wenn das in der Diskussion in Zweifel gezogen wurde, meinte Cornils, er halte daran fest, dass diese Entscheidung auch auf Fälle übertragbar sei, in denen es nicht um die Höhe der Gegenleistung gehe.

Wenn Cornils aber meint, der heteronome richterliche Eingriff in den Vertrag könne niemals durch die Privatautonomie gerechtfertigt werden (heteronom sei eben das Gegenteil von autonom), so ist ihm zu widersprechen. Privatautonomie und Wettbewerb hängen voneinander ab. Die AGB-Kontrolle von Nebenbestimmungen sorgt dafür, dass sich der Wettbewerb auf Produktqualität und Preis konzentriert und man als Verbraucher die Wahl hat zwischen guten und schlechten Produkten und hohem oder niedrigen Preis. Ohne den (in der Tat: heteronomen) Eingriff hätte der Verbraucher unter Umständen keine Wahl mehr als die zwischen unterschiedlich schlechten Verträgen über ein und dasselbe Produkt. Mindestens mittelbar wird die Privatautonomie, hier verstanden als Wahlfreiheit des Verbrauchers, die sicher ein Teil der Vertragsfreiheit ist, also durchaus gestärkt, wenn man AGB kontrolliert.

b) Kartellrecht

Im Vortrag von Andreas Fuchs ging es um die Frage, ob das Kartellrecht Teile der Inhaltskontrolle übernehmen könnte, wenn man sie im Bereich der B2B-Verträge zurücknähme. Er stellte die Möglichkeiten der kartellrechtlichen Konditionenkontrolle nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB dar und betonte

– dass es dabei – im Gegensatz zur AGB-Kontrolle – grundsätzlich um eine Beurteilung des aus Preis und Konditionen bestehenden Gesamtbündels gehe;

– dass genau diese Gesamtkontrolle sehr schwierig sei und im Moment praktisch totes Recht, zumal die Eingriffsschwelle (Marktbeherrschung erst ab 40 -50 % Marktanteil) sehr hoch sei, der Missbrauch evident sein müsse und die AGB-Kontrolle des BGH im Bereich der B2B – Verträge momentan ja alles abdecke.

Im Falle der Zurücknahme dieser Rechtsprechung werde keinesfalls die kartellrechtliche Kontrolle die Lücken kompensieren. Gedacht werden könnte zwar daran, etwa den Konditionenmißbrauch schon dann zu bejahen, wenn bestimmte Klauseln nicht von marktbeherrschenden, sondern von bloß marktstarken Unternehmen (§ 20 Abs. 1 GWB verweist zur Zeit nicht auf § 19 Abs. 2 Nr. 2) verwendet werden. Er selbst empfehle aber eine Lückenfüllung durch das GWB nicht. Die AGB Kontrolle sei nun einmal kein Schutz vor Marktmacht, sondern vor situativer Unterlegenheit einer Seite und an der fehle es eben unter Kaufleuten regelmäßig.

c) Rechtsvergleichung

Hans Schulte-Nölke klärte das Auditorium über Internationale Tendenzen der AGB-Kontrolle auf. Man erfuhr ob es ein Spezialregime gibt oder über Generalklauseln kontrolliert wird und wie hoch die Kontrolldichte u.a. in Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, England und Polen ist. Außer in Polen ist Kontrollniveau offenbar auch in der Schweiz deutlich geringer als im Durchschnitt, der Rest Europas liegt wohl nur etwas unter unserem Niveau, das aber tatsächlich europaweit am ausgeprägtesten ist. In allen Ländern ? außer Deutschland ? ist die angesprochene summenmäßige Haftungsbeschränkung möglich.

3. Die Lösungsmöglichkeiten

Was nun tun? Die denkbaren Antworten standen während der Tagung stets im Raum, leider wurden sie erst im allerletzten Tagungsbeitrag einmal übersichtsweise vorgestellt, was wirklich schade war: Mit dem letzten Vortrag hätte die Tagung beginnen müssen, dann hätte man von Anfang an gewusst, worüber hier geredet werden sollte. Die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten unterscheiden sich dann doch deutlich:

a) Wertgrenze

Lars Leuschner schlägt vor, Verträge mit einem „Vertragsvolumen“ von über 1 Mio. € im B2B-Bereich aus der AGB-Kontrolle herauszunehmen. Meines Erachtens lügt er sich damit in die Tasche: Zwar stimmt es, dass die Transaktionskosten für die Informationsermittlung und Berücksichtigung von AGB irgendwann nicht weiter zunehmen und es sich damit sozusagen „lohnt“, auch auf die Nebenbestimmungen eines Vertrags zu schauen. Leuschner musste auf Nachfrage aber zugeben, dass das Vertragsvolumen nur ein unzulänglicher Stellvertreter für den eigentlich relevanten subjektiven Gewinn ist – und schon das führt dazu, dass der Maßstab verfehlt ist. Im Übrigen: Wie bestimmt man das Vertragsvolumen bei Dauerschuldverhältnissen oder Verträgen, in denen einer Partei ein frei ausübbares Rücktrittsrecht für einen Teil des Vertrages eingeräumt ist? Bezeichnend ist auch, dass Leuschner, wenn das Volumen bei Vertragsschluss nicht feststeht, auf die Erwartung einer Partei abstellen will. Das nimmt der Wertgrenze jeden Wert, da hiermit ein völlig neuer unbstimmter Rechtsbegriff eingeführt wird, der zudem auch noch auf subjektive Tatsachen einer Partei abstellt. Mein Verdikt: unpraktikabel.

b) Klauselkompensation und Rechtswahl

Thomas Pfeiffer erörterte anschließend die Möglichkeiten der erweiterten Abwahl des AGB-Rechts durch Schiedsvereinbarungen. In der Diskussion hielt v. Bar dagegen. Dazu will ich mich hier lieber nicht äußern.

Christian Groß von der DIHK sprach zunächst darüber, dass in den IHKn sowohl Befürworter als auch Gegner einer Änderung der Inhaltskontrolle im unternehmerischen Verkehr vorhanden seien und man sich bis dato nicht auf eine gemeinsame Position habe einigen können. Er erörterte dann die Möglichkeit einer „Flucht ins Schweizer Recht“, das insbesondere ja der Haftungsbegrenzung aufgeschlossener ist als das deutsche Recht.  Neben einer Wertgrenze ähnlich dem Vorschlag von Leuschner erörterte er dann noch die Variante, den derzeitigen § 310 Abs. 1 BGB dahingehend zu ändern, dass die Gerichte stärker als bislang die Balance des gesamten Vertrags berücksichtigen müssten – und nicht einfach nur den Blick auf eine einzelne für unfair gehaltene Klausel richten dürften. Bestimmte Klauseln wären dann deshalb wirksam, weil der Verwender dafür mit dem Preis runtergegangen ist, oder seinerseits eine vom Kunden gewünschte Klausel akzeptiert hat. Mit einer solchen Beurteilung einer vertragsinternen Kompensation wären die Gerichte aber vermutlich überfordert (woher soll das Gericht auch wissen, welche Klausel im Verhandlungsprozess gegen andere „eingetauscht“ wurde?), wie auch Lars Leuschner betonte.

c) Aushandeln

Den Tag beschloss Andreas Dietzel mit der bereits erwähnten Übersicht über die Lösungsansätze. Hier noch nicht erwähnt sind die Details der Frankfurter Initiative zur Fortentwicklung des AGB-Rechts, die in § 305 Abs. 1 BGB einen neuen S. 4 anhängen will, der offenbar die Annahme eines Aushandelns erleichtern will, freilich mit einem kaum justitiablen Rechtsbegriff der „selbstbestimmten unternehmerischen Entscheidung“. Ferner soll in § 310 BGB geregelt werden, dass nur grobe Abweichungen von der „guten Praxis“ die Annahme einer Unwirksamkeit rechtfertigten. Auch das dürfte kaum der Weisheit letzter Schluss sein.

Schließlich erwähnte Dietzel noch die Vorschläge des DAV.  Diese laufen auf ähnliches hinaus wie die Vorschläge der Frankfurter Initiative, sind m.E. deutlich justitiabler formuliert.

4. Was sonst noch so gesagt wurde …

Zum einen kann wohl die Politik hier keinen Blumentopf gewinnen, da die kleinen und die großen Unternehmen hier nicht an einem Strang ziehen. Bezeichnenderweise war trotz der durchaus hochkarätigen Besetzung kein Vertreter aus der Politik anwesend. Am Rande hörte ich, dass etwa die CDU-Mittelstandsvereinigung jeder Änderung beim Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle feindlich gegenübersteht. Offenbar haben hier Sachargumente das Nachsehen hinter Vorurteilen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Weigerung des BMJ, die Ergebnisse der Studie zur Vertragspraxis zu veröffentlichen, vermutlich nur mit Feigheit vor einer offenen Diskussion zu erklären.

Auf die Frage, was denn eigentlich die Klauselkontrolle den kleinen Unternehmen bringt, die sich Großunternehmen mit Marktmacht ausgesetzt sehen, die Ihnen die Verträge einschließlich der Preise diktieren, bekam ich von dem befragten Christian Groß keine Antwort. Dafür hörte ich dann in der Pause: Viel, denn die Rechtsunsicherheit zwinge alle zu Vergleichen, auch das große Unternehmen traut sich dann nicht vor den BGH. Ändert man was, würde das unter Umständen durchgefochten werden, das schade dem Mittelstand. Bislang hatte ich noch nicht gehört, dass Rechtsunsicherheit auch etwas gutes sein könnte. Wenn man das unterschreibt, dann können wir künftig das komplette Haftungs- und Gewährleistungsrecht durch folgende Generalklausel ersetzen: Einigt Euch, denn ansonsten kann der Richter mit Eurem Vertrag machen, was ihm gerade passt. Böse Zungen behaupten übrigens, das sei schon jetzt die wahre Rechtslage.

Ferner wurde auf der Tagung mehrfach gesagt, ein Vorsitzender Richter eines Zivilsenats beim BGH habe gesagt, ohne eine wenigstens marginale Gesetzesänderung werde der BGH seine Haltung zum Aushandeln keinesfalls ändern. Was auf den ersten Blick vielleicht nach einer verständlichen und respektablen Haltung aussieht (im Sinne von: „Wir halten uns an den Willen des Gesetzgebers“), ist auf den zweiten aber verlogen und feige: Schließlich haben wir gerade das Recht der Inhaltskontrolle vor allem der Rechtsprechung zu verdanken, der Gesetzgeber hat 1976 mit dem AGBG nur reagiert. Wenn sich nun herausstellt, dass die Kontrolle im kaufmännischen Verkehr zu weit geht, liegt der Ball in erste Linie im Feld des BGH. Die höchsten Richter machen auch sonst, was sie wollen und scheren sich nicht unbedingt etwas um Gesetz und den Willen des Gesetzgebers – ich persönlich begrüße das, weil dadurch wenigstens ein Gegengewicht zur entscheidungsunfähig gewordenen Politik vorhanden ist. Um so schlimmer, wenn sich die Richter ihrer Verantwortung unter Hinweis auf den Gesetzgeber entziehen wollen. Aber vielleicht war das ja auch nur üble Nachrede und der fragliche Richter hat das alles nicht gesagt oder anders gemeint.

5. Fazit

Insgesamt war es ein sonniger Tag mit leckeren Häppchen und einem konzentrierten Programm, das geeignet war, Interessierte auf den aktuellen Stand der Diskussion zu bringen. Eventuell vorhandene Erwartungen an schnelle Problemlösungen in diesem umstrittenen Bereich wurden allerdings enttäuscht.

Regelkreise bei der Treuhand

28. Oktober 2014

von Ulrich Wackerbarth

TreuhandEin wirklich lesenswerter Beitrag mit dem Titel „Die Treuhand im Gesellschaftsrecht – ein Überblick vertieft anhand von Einzelfällen “ ist Gebke in der aktuellen GmbHR 2014, 1128 ff. gelungen. Wer etwas über treuhänderisch vermittelte Beteiligungen an Gesellschaften erfahren möchte und nicht gleich eine Habilitationsschrift dazu lesen will, dem sei dieser Aufsatz dringend zur Lektüre empfohlen.

Ein Artikel mit ? wie man so schön sagt ? besonders hoher Informationsdichte. Hier sitzt jeder Satz und man muss aufpassen, dass man vom Informationszug nicht überrollt wird (den Textabschnitt zwischen den Fn. 26 und 31 habe ich dreimal lesen müssen, bis ich ihn nachvollziehen konnte, das lag aber an mir, nicht am Autor). Gebke zeichnet ein differenziertes Bild, ohne unzulässig zu pauschalieren und ohne nicht mehr praktizierbare Komplikationen. Seine Ausführungen könnten Bedienungsanleitung für künftige Urteile sein. Man kann nur hoffen, dass dieser Aufsatz auch von Richtern gelesen und beherzigt wird.

Verf. entwickelt einen eigenen Ansatz, um die schwierigen Probleme bei Treuhandverhältnissen in ein griffiges Konstrukt zu bringen: Je nach Ausgestaltung des Treuhänders als Gesellschaft oder nicht hat man mit dem Treuhandvertrag, dem Gesellschaftsrecht der Hauptgesellschaft und dem Gesellschaftsrecht des Treuhänders bis zu drei sog. Regelkreise. Diese sind rechtlich getrennt, aber wirtschaftlich verbunden. Man kann sich die Regelkreise wie Zahnräder vorstellen, die ineinandergreifen. Mich hat das Denken in „Regelkreisen“ vollkommen überzeugt und so ausgearbeitet habe ich das vorher auch noch nicht gelesen (was wiederum an mir liegen mag). Gebkes Ansatz lässt gleichwohl noch Raum für Abwägung und Kontrolle, aber er verbietet bestimmte Gedankensprünge und verlangt also Begründungen, und er gebietet die Berücksichtigung bestimmter Argumente.

Aus der Trennung der Regelkreise folgt etwa: Auch wenn der Treugeber im Regelkreis mit dem Treuhänder Freistellung oder eine Regressmöglichkeit vereinbart hat, falls der Treuhänder von Gläubigern der Gesellschaft in Anspruch genommen wird, so besagt das noch nichts für die Frage, ob der Treugeber im Regelkreis der Gesellschaft, nämlich im Innenverhältnis zu Organen der Gesellschaft wie ein Gesellschafter zu behandeln ist.

Wer andererseits als Treugeber in einer bestimmten Hinsicht gerne wie ein Gesellschafter behandelt werden möchte (wieder durch die Einräumung von Freistellungsansprüche an den Treuhänder) und insoweit aktiv den schuldrechtlichen Regelkreis mit dem Treuhänder verlässt und sich in den Regelkreis der Gesellschaft begibt, der darf sich nicht wundern, wenn er später gegen derartige Freistellungsansprüche des Treuhänders nicht Gegenrechte aus dem Treuhandvertrag einwenden kann, z.B. Ansprüche aus Prospekthaftung.

Allerdings übersieht Gebke an dieser Stelle m.E., dass dem „Wechsel des Regelkreises“ in den hier einschlägigen Fällen keinerlei formale Hürden im Weg standen (anders als wenn sich der Treugeber unmittelbar an der Gesellschaft beteiligt, Handelsregister) und das Verlassen des Regelkreises vom Treuhänder ausging. Der Vorgang kann daher nicht allein dem Treugeber in die Schuhe geschoben werden, dem – anders als dem Treuhänder und der Gesellschaft selbst – in aller Regel gar nicht klar ist, das sie „ihren Regelkreis verlassen“. Und, wie in diesem Beitrag bereits näher erläutert, schon gar nicht darf über das Verbot von Aufrechnungsmöglichkeiten die gesetzliche Prospekthaftung eingeschränkt werden.

Aber auch wenn ich Gebke in der Entscheidung dieser Einzelfrage nicht folge, (ihm selbst geht es auch gar nicht um die Fälle selbst) so muss ich doch anerkennen, dass er hier ein hilfreiches Instrumentarium zur Analyse von Treuhandkonstellationen zur Verfügung gestellt hat: Respekt!

Related Party Transactions

22. Oktober 2014

von Ulrich Wackerbarth

Buch3Der momentane Aufreger im deutschen Gesellschaftsrecht sind die Vorschläge der EU Kommission, die sogenannten Related Party Transactions neu zu regeln – mit Folgen für das deutsche Konzernrecht. Dabei geht  es um die konzerninternen Austauschgeschäfte und damit um das zentrale Mittel, mit dem nach deutschem Aktien(un)recht Gewinne zwischen Konzernunternehmen verlagert und Kleinaktionäre um ihren Gewinnanteil betrogen werden können. Diese Transaktionen würden durch die neuen Regeln stark behindert. Dass die Unternehmenjuristen (sprich Interessenvertreter) und Verbände wie DAI oder BDI, BDA, DIHK damit nicht glücklich sind, ist klar (z.B. Seibt, DB 2014, 1910, 1914 f.; DAI; BDI u.a.) Aber auch aus der Wissenschaft gibt es Kritik, die an den zentralen Gesichtspunkten leider vollkommen vorbeigeht. Nach Schneider hat nun Wiersch in der aktuellen NZG 2014, 1131 ff. die Neuregelung kritisiert. Nicht einverstanden ist er mit der vorgesehenen Zustimmung durch die Hauptversammlung, vor allem aber damit, dass künftig der kontrollierende Aktionär (=das herrschende Unternehmen im Konzern) von der Abstimmung ausgeschlossen sein soll, wenn konzerninterne Geschäfte von erheblichem Umfang (> 5%) stattfinden.

1. Zustimmung der Hauptversammlung?

Zunächst ist Wiersch in einer Frage ausdrücklich beizupflichten: Die Hauptversammlung ist und bleibt der verkehrte Ort, um über Related Party Transactions zu entscheiden. Gerade in börsennotierten Aktiengesellschaften kommt dies nicht in Frage. Zu den Argumenten von Wiersch (Notwendigkeit teurer außerordentlicher Hauptversammlungen, Transaktionsunsicherheit und Anfechtungsrisiken) kommen noch weitere hinzu. Es müssten nämlich auf solcher Versammlung z.T. auch Betriebsgeheimnisse erörtert werden, z.B. die näheren Umstände des jeweiligen Geschäfts, da sonst eine sinnvolle ex-ante Kontrolle der jeweiligen Transaktion nicht denkbar ist. Und vor allem kommt das mangelnde Interesse der Aktionäre an Details der Unternehmensführung hier voll zum Tragen: Gerade diejenigen, die dieser Vorschlag schützen soll, werden aus „rationaler Apathie“ zu den Abstimmungen erst gar nicht erscheinen . Im Ergebnis wird alles noch schlimmer: Der Kontrollaktionär macht am Ende doch was er will und kann perverserweise darauf verweisen, dass die Minderheit ja beteiligt wurden.

Die Beteiligung der Hauptversammlung ist also grober Unfug, es sei denn, es geht wirklich einmal um eine ganz grundlegende Frage, und dafür haben wir schon den § 179a AktG. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist die Zustimmung der Hauptversammlung freilich „besser als nichts“: Solange es keine Minderheitsvertreter im Aufsichtsrat gibt, hätte ohne Zustimmung der Hauptversammlung die Minderheit überhaupt keinen Zugriff auf die relevanten Transaktionen.

2. Stimmverbot oder societas leonina?

In einer zweiten Frage ist die Argumentation von Wiersch scharf zurückzuweisen, nämlich was das Stimmverbot des Kontrollaktionärs bei den Related Party Transactions angeht. Hier seine Argumente in NZG 2014, 1136 f. und meine Entgegnung:

„Ungeachtet der Tatsache, dass die Hauptversammlungskompetenz mithin abzulehnen ist, ist darüber hinaus das drastische Instrument des Stimmverbots für an Transaktionen beteiligte Aktionäre fragwürdig. Es würde das AktG partiell auf den Stand vor der Reform von 1937 zurückversetzen. Der Gesetzgeber hat damals das zuvor für Rechtsgeschäfte mit einem Aktionär zu dessen Lasten verankerte Stimmverbot auch deshalb aufgehoben, weil es ihm unangemessen erschien, dass mitunter der Einfluss des bei Weitem größten Aktionärs ausgeschaltet wurde und die Entscheidung bei einer kleinen Minderheit lag.“

Die damalige Streichung des Verbots der Stimmabgabe bei Rechtsgeschäften sollte dem herrschenden Unternehmen vor allem den Zusammenschluss mit beherrschten Gesellschaften zu einem Vertragskonzern ermöglichen (näher Wackerbarth, Grenzen der Leitungsmacht, 2001, S. 276). Bei derartigen Zusammenschlüssen, die einen Sozialakt darstellen, muss der Mehrheitsaktionär mitstimmen können. Das ist letztlich auch durch die § 291ff. AktG bestätigt worden und daran will und sollte niemand rütteln.

Aber ein Stimmverbot für konzerninterne Rechtsgeschäfte hat mit einem solchen Sozialakt nichts zu tun. Hier geht es vielmehr um die Grundfrage des deutschen Gesellschaftsrechts: Wollen wir eine societas leonina als Grundmodell, bei der vornherein klar ist, dass der Kontrollaktionär sich alles holt? Eine Gesellschaft, in der Gewinne eben nicht nach Kapitalanteilen, sondern nach der Willkür des Mehrheitsaktionärs „geteilt“ werden? Oder wollen wir einen „fair deal“ bei der der Mehrheitsgesellschafter zwar bestimmt, wo es lang geht, die Minderheit aber „Nein“ sagen kann, sobald der Mehrheitsgesellschafter versucht, sich über Austauschgeschäfte mit der Gesellschaft mehr als den ihm zustehenden Anteil zuzuschanzen? M.E. ist die Frage rhetorisch, aber eine Auseinandersetzung mit diesen Argumenten findet sich nirgends. Weil diese gesellschaftsrechtliche Grundregel in Deutschland praktisch nicht gilt, kauft eben niemand Aktien, wie man in jedem Börsenblatt nachlesen kann und wie dann scheinheilig vom DAI beklagt wird.

 „Diese Stimmgewichtsverschiebung dürfte angesichts der relativ hohen Konzentration des Aktienbesitzes in Deutschland öfter eintreten als in Mitgliedstaaten wie England mit einem hohen Streubesitzanteil.“

Unter anderen an den eine Vetternwirtschaft und Gewinnverschiebungen im Konzern erleichternden Regeln des Konzernrechts liegt es eben, dass sich in Deutschland (nur) Aktienbesitz mit hoher Konzentration lohnt. Hätten wir vernünftige Regeln, würde gerade die Entstehung eines liquideren Kapitalmarkts mit einem höheren Streubesitzanteil begünstigt (ausführlich hier auf den S. 10 f. , 13 f., 34 ff. nachzulesen).

 „Den übrigen Aktionären das scharfe Schwert des Stimmverbots zu reichen, birgt ein beträchtliches Missbrauchsrisiko.“

Worin besteht denn das angebliche Missbrauchsrisiko? Das „Erpressungspotential“ der Minderheit bei einem Vetorecht ist schon von vielen bemüht worden, ohne dabei jedoch den konkreten Verhandlungsprozess zu berücksichtigen. Das herrschende Unternehmen kann stets ausweichen, indem es das fragliche Geschäft nicht selbst abschließt, sondern fremdvergibt. Verlangt die Minderheit also zu viel, so dass sich das Geschäft für das herrschende Unternehmen nicht mehr lohnt, bekommt sie (die Minderheit) überhaupt nichts. Die Verhandlungssituation führt daher im ökonomischen Ergebnis nur zu einer fairen Teilung der Vorteile aus der Transaktion (ausführlich Wackerbarth, Grenzen der Leitungsmacht, 2001, S. 322 ff., 509).

 „Das Stimmverbot nähert die börsennotierte AG ohne zwingenden Grund der GmbH an, in der Gesellschafter von der Beschlussfassung über Rechtsgeschäfte zwischen ihnen und der Gesellschaft ausgeschlossen sind (§ 47 GmbHG Abs. 4 S. 2 Fall 1 GmbHG). In der GmbH mag das Stimmverbot auch rechtspolitisch überzeugend sein. Da §§ 311?ff. AktG auf eine faktisch abhängige GmbH nach hM keine Anwendung finden, kann das Stimmverbot Minderheitsgesellschaftern im Hinblick auf Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und einem herrschenden Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, die Geschäftsführer zu binden und hierdurch den Einfluss des herrschenden Unternehmens zu begrenzen.“

Was Wiersch hier verkennt ist, dass eine abhängige Aktiengesellschaft, mag sie auch an der Börse notiert sein, eben einer GmbH sehr viel näher ist, als die meisten erkennen wollen (näher Wackerbarth, aaO. S. 277). Der Unterschied liegt nicht im Verhältnis zwischen herrschendem Aktionär und Geschäftsleitung: Der Vorstand einer abhängigen AG hat seine Position als „Leiter der Gesellschaft unter eigener Verantwortung“ nur noch formal inne, materiell ist er nicht mehr als ein GmbH-Geschäftsführer, der geschasst wird, wenn er nicht spurt. Der Unterschied liegt allein darin, dass der herrschende Aktionär in der GmbH im Zweifel seine Minderheitsmitgesellschafter kennt, in der börsennotierten AG hingegen nicht. Und deshalb ist zwar eine Abstimmung in der Hauptversammlung Quatsch, nicht aber das Stimmverbot des herrschenden Gesellschafters.

3. Aufsichtsrat

„Sofern Veröffentlichung und Fairness-Opinion für bedeutende Transaktionen nicht als ausreichende Schutzinstrumentarien erachtet werden, ließe sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren mit Blick auf dualistisch verfasste Gesellschaften wie der deutschen AG erwägen, anstatt der Hauptversammlungskompetenz einen zwingenden Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten des (mitbestimmten) Aufsichtsrats zu implementieren. „

Ja, das ist richtig, nur dass insoweit eben ein (mittelbares) Veto-Recht der Minderheit gesichert werden muss: Wir benötigen zwingend einen Minderheitsvertreter im Aufsichtsrat, der zu konzerninternen Geschäften „Nein“ sagen kann. Ein ausgearbeiteter Vorschlag dazu kann bei Wackerbarth, aaO. S. 319 ff. nachgelesen werden.

Wenn das Wolfsrudel zweimal klingelt …

30. September 2014

von Ulrich Wackerbarth

Aktionärsaktivismus (shareholder activism) ist in Deutschland ein gerade aufkommendes, äußerst gefährliches Phänomen. Ein Aufsatz von Bunz in der NZG 2014, 1049 ff. informiert nun erstmals höchst eindringlich über die konkreten Gefahren und darüber, wie die Unternehmen sich erfolgreich wehren können, wenn diese räuberischen Minderheitsaktionäre von ihren Rechten Gebrauch machen.

Es ist aber auch ungeheuerlich, was diese Aktivisten so alles treiben: Sie versuchen z.B., auf das Investitionsverhalten der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, die Ausschüttung von Dividenden zu erreichen oder gar Aufsichtsratsmitglieder auszuwechseln (aaO., 1050). Das alles sind natürlich schon für sich betrachtet höchst unfaire Ziele. Sie werden nicht besser, wenn man sich die geradezu mafiösen Methoden anschaut, mit denen sie erreicht werden sollen: Die Aktionäre könnten etwa eine Hauptversammlung einberufen (unerhört!) oder die Tagesordnung ergänzen lassen oder gar – welche Frechheit – andere Aktionäre über das Aktionärsforum ansprechen. Von grenzwertigen Maßnahmen wie der Stellung eines Antrags auf Sonderprüfung oder der Bestellung eines besonderen Vertreters wollen wir hier lieber gar nicht erst reden. All dies kann vom Aktiengesetz einfach nicht erlaubt sein.

Richtig schlimm, geradezu schmutzig wird es aber, wenn zu informellen Einflussnahmen gegriffen wird. Ein Gespräch mit Organmitgliedern zu führen, ist natürlich vollkommen unerträglich, vor allem wenn das in Form eines sog. „one-on-one„-Gesprächs geschieht. Wohin soll das führen, wenn die Frauenquote erste Früchte getragen hat? Außerdem könnte dabei mit einer öffentlichen Kampagne gedroht werden. Denn aktivistische Aktionäre haben meist gute Kontakte zu den Medien und instrumentalisieren sie für ihre Zwecke (anders als die Unternehmen, selbstverständlich). All diese Obszönitäten, die nicht scharf genug gegeißelt werden können, haben lt. Bunz nicht einmal justiziable Grenzen: Treuepflicht und das Verbot des Rechtsmissbrauchs helfen nicht, der Vorstand hingegen steckt in einer Zwangsjacke aus Verschwiegenheitspflicht und Insiderverboten (aaO., 1051). In dieser scheinbar ausweglosen Situation stellt sich die Frage: Was tun?

Bunz hat die Lösung. Ganz nach dem Motto: know your enemy (die Aktionäre sind bekanntlich der natürliche Feind jedes Unternehmens) erläutert uns Bunz, welche (militärischen) Maßnahmen die Unternehmensleitung ergreifen soll. Auf jeden Fall braucht man dazu ein „rapid reaction team„, ein Begriff, der sich z.B. mit special task force ganz gut aus dem Englischen übersetzen lässt. Dieses soll natürlich den Ernstfall proben, und zwar anhand von „mock attacks„, die mit Hilfe des „defense manuals“ wirksam und effektiv bekämpft werden.

Kommt es dennoch zum worst case scenario (der aktivistische Aktionär ruft wie befürchtet tatsächlich an – diesen Horror muss man sich erst einmal bildhaft vor Augen führen, um das ganze Ausmaß zu erahnen!), so soll das betroffene Organmitglied überhastete Reaktionen möglichst vermeiden, Ruhe bewahren und das rapid reaction team informieren (aaO. 1052). Dieses wird dann eine Strategie entwickeln und dabei den „track record“ des aktivistischen Aktionärs genau im Auge behalten.

Das wichtigste aber: Niemals vergessen, was man allgemein von Aktionären zu halten hat. Aktionäre rotten sich nämlich entweder zu gefährlichen „wolf packs“ zusammen (!), das gilt vor allem für Hedgefonds. Oder es sind nur „die übrigen, oft ahnungslosen Aktionäre“, die in der Gefahr stehen, auf die Seite dieses Wolfsrudels gezogen zu werden. Dagegen hilft nur die dritte Kategorie: der freundlich gesinnte Ankeraktionär. Mit dem darf man auch ohne rapid reaction team sprechen und ihn bitten, auf der Hauptversammlung einen Gegenpol zu bilden (aaO., 1052). Vermutlich hat Bunz nicht einmal etwas dagegen, wenn das in Form des sonst so gefährlichen one-on-one-Gesprächs geschieht.